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BGH, Urteil vom 15. November 2012 – 3 StR 199/12

§ 283 Abs 1 Nr 6 StGB, § 283 Abs 1 Nr 8 StGB

a) Das Landgericht hat mit Blick auf die teilweise Vernichtung und letztlich vollständige Entziehung der gesamten Geschäftsunterlagen – rechtlich unbedenklich – den Tatbestand des § 283 Abs. 1 Nr. 6 StGB als erfüllt angesehen: Es handelte sich insoweit um Handelsbücher und sonstige Unterlagen, zu deren Aufbewahrung die durchweg in der wirtschaftlichen Krise befindlichen Gesellschaften verpflichtet waren; durch ihre Unterdrückung wurde auch die Übersicht über ihren Vermögensstand erschwert.

Auch die Annahme der Strafkammer, in der Übertragung der Unternehmen auf einen zur Fortführung des Geschäfts ungeeigneten und unwilligen Strohmann liege eine Verschleierung der wirklichen geschäftlichen Verhältnisse im Sinne von § 283 Abs. 1 Nr. 8 Alt. 2 StGB, hält im Ergebnis sachlich-rechtlicher Prüfung stand. Mit dem Merkmal der „geschäftlichen Verhältnisse“ sind über die Vermögensverhältnisse im engeren Sinn hinaus die Umstände angesprochen, die für die Beurteilung der Kreditwürdigkeit des in der Krise befindlichen Schuldners erheblich sind. Da der Tatbestand mit Blick auf die Gläubigerinteressen auszulegen ist, geht es bei der Tathandlung des Verschleierns zwar in erster Linie um die unrichtige Darstellung der Vermögensverhältnisse (BGH, Beschluss vom 24. März 2009 – 5 StR 353/08, NStZ 2009, 635, 636 mwN). Zu den geschäftlichen Verhältnissen zählen aber auch grundlegende unternehmerische Gesichtspunkte, namentlich Investitionsvorhaben, Planungsmaßnahmen und die zukünftige Entwicklung des Unternehmens (Kümmel, wistra 2012, 165, 168; LK/Tiedemann, 12. Aufl., § 283 Rn. 173). Insbesondere über letztere wurden die Gläubiger vorliegend getäuscht, weil durch den Wechsel des Gesellschafters/Geschäftsführers ohne die Absicht, das Unternehmen fortzuführen, verschleiert wurde, dass die Gesellschaften tatsächlich von den Angeklagten liquidiert wurden und mangels jeglicher weiterer unternehmerischer Tätigkeit bereits feststand, dass sie die entstandenen Verbindlichkeiten auf keinen Fall würden begleichen können und dies auch nicht wollten. Dadurch sowie durch die durchgeführten weiteren Veräußerungen und die damit verbundenen Sitzverlegungen ins Ausland konnten Gläubiger davon abgehalten werden, in Vermögensgegenstände der Gesellschaften zu voll-strecken (vgl. dazu BGH aaO). Angesichts des alleinigen Ziels der Gläubigerbenachteiligung waren diese Handlungen auch erkennbar grob wirtschaftswidrig.

b) Allerdings hat sich das Landgericht nicht mit der Frage befasst, ob die insoweit maßgeblichen Bankrotthandlungen den Angeklagten auch als täterschaftliches Handeln zugerechnet werden können. Sie stellt sich, weil es sich bei dem Tatbestand des Bankrotts nach § 283 StGB um ein Sonderdelikt des Schuldners handelt; ist der Schuldner – wie hier – eine juristische Person, die nur durch ihre Organe/Vertreter handeln kann, so ist die Zurechnung der Schuldnereigenschaft über § 14 StGB vorzunehmen (BGH, Beschluss vom 10. Februar 2009 – 3 StR 372/08, NJW 2009, 2225, 2226 mwN; zu den Zurechnungskriterien nach Aufgabe der Interessentheorie durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vgl. BGH, Beschluss vom 15. Mai 2012 – 3 StR 118/11, NJW 2012, 2366, 2368 f., zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt). Im Ergebnis gefährden die fehlenden Ausführungen dazu den Bestand des angefochtenen Urteils aber nicht.

Die Einhaltung der außerstrafrechtlichen Aufbewahrungspflicht, deren Verletzung die Strafbarkeit nach § 283 Abs. 1 Nr. 6 StGB begründet, hatten bei den Gesellschaften deren Organe bzw. Vertretungsberechtigte zu gewährleisten (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Mai 2012 – 3 StR 118/11, NJW 2012, 2366, 2369), also der Angeklagte M.   als faktischer und der Angeklagte B.    in den ihn betreffenden Fällen als eingetragener Geschäftsführer.

Die den Tatbestand des § 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB begründenden Tathandlungen begingen die Angeklagten nur zum Teil selbst, indem sie die Geschäftsanteile veräußerten. Dies allein begründet die Strafbarkeit – jedenfalls wegen vollendeten Bankrotts – indes noch nicht, weil der formelle Akt der Anteilsübertragung für sich betrachtet – auch im Zusammenhang mit dem Ziel der „Firmenbestattung“ – kein vollendetes Verschleiern der geschäftlichen Verhältnisse darstellt (Brand/Reschke, ZIP 2010, 2134, 2135 f.; Kümmel, wistra 2012, 165, 168). Erst im Zusammenhang mit den weiteren Handlungen der Strohmänner, die sich nach dem Erwerb der Anteile selbst zu Geschäftsführern einsetzten und – wenn auch auf Weisung des eingeschalteten Firmenbestatters – die Gesellschaften an im Ausland lebende weitere Strohmänner veräußerten und zum Teil auch umfirmierten, wurden die Gläubiger im oben dargelegten Sinne über die geschäftlichen Verhältnisse der Unternehmen in die Irre geführt. Diese Handlungen können den Angeklagten jedoch nach § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden.

c) Der Angeklagte M.   war – zum maßgeblichen Zeitpunkt – in keinem Fall eingetragener Geschäftsführer der von ihm faktisch beherrschten Gesellschaften, so dass die Frage einer Wirksamkeit der Gesellschafterbeschlüsse seine Strafbarkeit nicht berührt. Er war vielmehr vor den jeweiligen Anteilsveräußerungen faktischer GeschäftsführerBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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der Gesellschaften und blieb dies auch über diesen Zeitpunkt hinaus bzw. übernahm die Stellung eines faktischen Liquidators (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 20. September 1999 – 5 StR 729/98, NStZ 2000, 34, 36; Tiedemann in: Scholz, GmbHG, 10. Aufl., § 82 Rn. 46), indem er die Gesellschaften abwickelte. Der Angeklagte B.    war zwar in beiden ihn betreffenden Fällen eingetragener Geschäftsführer der Gesellschaften; auf die zivilrechtliche Wirksamkeit seiner Abberufung kommt es aber ebenfalls nicht an, weil auch er – in einem Fall im arbeitsteiligen Zusammenwirken mit dem Angeklagten M.   – diese Gesellschaften nach der Anteilsveräußerung faktisch weiter liquidierte.

d) Nach einer in der Literatur und insbesondere in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung im Vordringen befindlichen Auffassung soll dies schon daraus folgen, dass sowohl die Anteilsübertragung als auch sämtliche Gesellschafterbeschlüsse, mit denen der frühere Geschäftsführer abberufen und der neue bestellt, die Firma geändert oder ihr Sitz verlegt wird, wegen der damit verbundenen und intendierten Gläubigerbenachteiligung Sittenwidrig im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB und deshalb – mit Blick auf die Gesellschafterbeschlüsse in entsprechender Anwendung von § 241 Nr. 4 AktG – nichtig sind (Kilper, Unternehmensabwicklung außerhalb des gesetzlichen Insolvenz- und Liquidationsverfahrens in der GmbH, 2009, S. 371 ff.; Kümmel, wistra 2012, 165, 167; AG Memmingen, Beschluss vom 2. Dezember 2003 – HRB 8361, GmbHR 2004, 952, mit zust. Anm. Wachter, GmbHR 2004, 955 und Ries, Rpfleger 2004, 226; LG Potsdam, Beschluss vom 17. September 2004 – 25 Qs 11/04, wistra 2005, 193, 195 f. mwN; für Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB auch Kleindiek, ZGR 2007, 276, 291 mwN; vgl. auch BGH, Beschluss vom 24. März 2009 – 5 StR 353/08, NStZ 2009, 635, 636; offen gelassen von BGH, Beschluss vom 30. Juli 2003 – 5 StR 221/03, BGHR StGB § 266a Abs. 1 Vorsatz 2, insoweit in BGHSt 48, 307 nicht abgedruckt; aA Brand/Reschke, ZIP 2010, 2134, 2136 f. mwN).

Schlagworte: Bankrott, faktischer Geschäftsführer, Firmenbestattung, Sittenwidrige Beschlüsse nach § 241 Nr. 4 AktG analog, Strohmann