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VG München, Urteil vom 09.10.2012 – M 16 K 12.2369

§ 2 Abs 1 IHKG

Entgegen der klägerischen Argumentation verstößt die Pflichtmitgliedschaft bei der Beklagten weder gegen Normen des Grundgesetzes noch gegen Europarecht. Ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 GG liegt schon deswegen nicht vor, da die (negative) Vereinigungsfreiheit nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht vor einer gesetzlich angeordneten Eingliederung in eine öffentlich-rechtliche Körperschaft schützt (vgl. BVerfG E 10, 89 und BayVBl. 2002,560; vgl. i.Ü. auch in Bezug auf die Bindungswirkung des § 31 Abs. 1 BVerfGG: BayVGH vom 30.7.2012, Az. 22 ZB 11.1462 –juris Rz. 13.ff.). Auch ein durch die Pflichtmitgliedschaft anzunehmender Eingriff in den Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG ist gerechtfertigt. Die Beklagte hat ausweislich § 1 Abs. 1 IHKG die Aufgabe, das Gesamtinteresse der ihr zugehörigen Gewerbetreibenden wahrzunehmen, für die Förderung der gewerblichen wirtschaft zu wirken und dabei die wirtschaftlichen interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen; dabei obliegt es ihr insbesondere, durch Vorschläge, Gutachten und Berichte die Behörden zu unterstützen und zu beraten sowie für Wahrung von Anstand und Sitte des ehrbaren Kaufmanns zu wirken. §§ 2 und 3 IHKG mit der Anordnung der Pflichtmitgliedschaft und der hieraus erwachsenden Beitragspflicht dienen der Bündelung der wirtschaftspolitischen interessen der Gewerbetreibenden bei der Beklagten, der Effektuierung von deren Meinungsbildung durch die Beklagte auf allen politischen Ebenen zur Durchsetzung von deren interessen sowie der Sicherstellung eines Beratungs- und Förderungsangebots für Gewerbetreibende, insbesondere Existenzgründer. Es handelt sich hierbei um das legitime öffentliche Interesse der allgemeinen Wirtschaftsförderung und es begegnet von Verfassung wegen keinen Bedenken, wenn der Staat sich bei der öffentlichen Aufgabe der Wirtschaftsförderung der Hilfe von Selbstverwaltungseinrichtungen bedient, die er aus der wirtschaft selbst heraus sich bilden lässt und die durch ihre Sachkunde die Grundlagen dafür schaffen zu helfen, dass staatliche Entschließungen auf diesem Gebiet ein möglichst hohes Maß an Sachnähe und Richtigkeit gewinnen (vgl. BVerfG E 15, 235, 240 ff; vgl. zum Ganzen auch BayVGH vom 30.7.2012 a.a.O. Rz. 19 ff.). Dem Gesetzgeber kommt bei der Definition des legitimen Interesses der Wirtschaftsförderung ein weites Ermessen zu. Zur Erreichung dieses legitimen Zwecks der Wirtschaftsförderung ist die Pflichtmitgliedschaft ein verhältnismäßiges, nämlich geeignetes, erforderliches und verhältnismäßiges Mittel. Die Organisation von Wirtschaftsförderung in selbstverwalteten Körperschaften des öffentlichen Rechts ist dabei einer Interessenvertretung durch private Verbände überlegen, da diese mehr am Gemeinwohl der gesamten Gesellschaft interessiert ist, als die nur partikuläre Vertretung von Einzelinteressen in privaten Verbänden, denn die Organisation in privaten Verbänden bzw. mit eine freiwilliger Mitgliedschaft könnte dem Gemeinwohlinteresse nicht in gleicher Weise Rechnung tragen wie die Pflichtmitgliedschaft in den übergreifenden Industrie- und Handelskammern. Insbesondere ist zur effektiven Wahrnehmung des Gemeinwohlauftrags der allgemeinen Wirtschaftsförderung ein möglichst großer, diversifizierter und branchenübergreifender Mitgliederbestand erforderlich. Nur so kann der für gezielte Interessenwahrnehmung und Beratung erforderliche Überblick sichergestellt werden. Die Pflichtmitgliedschaft stellt auch keine wesentliche Einschränkung der unternehmerischen Handlungsfreiheit dar. Sie korrespondiert mit der Möglichkeit der Teilhabe und der Inanspruchnahme von Beratungsleistungen. In dieser Hinsicht ist auch die Beitragspflicht nicht zu beanstanden, da diese die Funktionsfähigkeit der Kammern sicherstellt und auch als Gegenleistung für die entsprechenden Angebote zu sehen ist (vgl. BVerwG NJW 1998, 3512). Hierbei ist es ausreichend, wenn die Vorteile für die Mitglieder nur mittelbarer Natur sind und sich nur bei einzelnen Mitgliedern auswirken (vgl. BVerwG NJW 1993, 3003; BayVGH vom 4.9.2012 Az. 22 ZB 11.1007 –juris Rz. 11.f.). Auch verstößt die Pflichtmitgliedschaft nicht gegen Europarecht, insbesondere nicht gegen Art. 49, 56 AEUV bzw. Art. 11 Abs. 1 EMRK, unabhängig davon, dass das Gericht vorliegend schon einen grenzüberschreitenden Sachverhalt, auf den sich die Klägerin berufen könnte, nicht zu erkennen vermag (vgl. BayVGH vom 4.9.2012, a.a.O. Rz. 16.ff.).

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