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Bayerisches Oberstes Landesgericht, Urteil vom 26. Juli 1989 – RReg 3 St 50/89

StGB § 356

1. Die interessen bei einer Auseinandersetzung zwischen mehreren Miterben stellen sich ihrer Natur nach als gegenläufig dar.

2. Ein Rechtsanwalt, der zwei Miterben wegen der Teilauseinandersetzung mit einem Dritten beraten hat, handelt pflichtwidrig, wenn er bei der dann beschlossenen vollständigen Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft einen dieser Miterben auch gegenüber dem früheren zweiten Mandanten vertritt.

Tenor

I. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München I vom 24. November 1988 aufgehoben. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bleiben jedoch aufrechterhalten.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurückverwiesen.

Gründe

I.

1. Das Amtsgericht München verurteilte den Angeklagten am 18.7.1988 wegen Parteiverrats zur Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 100 DM. Auf seine Berufung sprach das Landgericht den Angeklagten am 24.11.1988 frei.

Das Landgericht geht im wesentlichen davon aus, der Angeklagte habe im September 1984 von den Miterbinnen U M und B B den Auftrag erhalten, sich gegenüber dem dritten Miterben P M um dessen Ausscheiden aus der noch ungeteilten Erbengemeinschaft zu bemühen. Nach Kontaktaufnahme mit P M habe man zunächst eine Ermittlung des Werts der zum Nachlaß gehörenden Grundstücke vereinbart. Nach Vorliegen der Wertgutachten habe U M den Entschluß gefaßt, doch lieber die vollständige Auseinandersetzung mit ihren Miterben herbeizuführen. Sie habe aus diesem Grund am 16.7.1985 das dem Angeklagten bislang zusammen mit ihrer Schwester erteilte Mandat für ihre Person gekündigt und einen anderen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer Rechte beauftragt. Der Angeklagte habe B B in den folgenden Verhandlungen weitervertreten. Nach der Erörterung verschiedener Vorstellungen der Beteiligten über eine Auseinandersetzung sei es schließlich unter Mithilfe des Angeklagten am 18.12.1985 zu einer einvernehmlichen Regelung der Erbauseinandersetzung gekommen, die am 23.12.1985 notariell beurkundet wurde.

2. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer Revision gegen den Freispruch. Sie rügt die Verletzung des materiellen Rechts.

II.

Die Revision ist zulässig und begründet.

Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft den Straftatbestand des § 356 Abs.1 StGB verkannt.

1) Zutreffend geht das Landgericht davon aus, die Auftragserteilung durch U M zu einer Teilauseinandersetzung bezüglich eines von drei Miterben und die später beibehaltene Mandatierung durch B B zu einer gänzlichen Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft betreffe dieselbe Rechtssache im Sinn des § 356 Abs.1 StGB. Entscheidend ist, daß in beiden Fällen die Auftraggeber in ihrer Rechtsstellung innerhalb der ungeteilten Erbengemeinschaft zu beraten sind. Dabei sind die gleichen tatsächlichen Umstände von Bedeutung, so insbesondere Gegenstände des Nachlasses und der Wert. Der Begriff „dieselbe Rechtssache“ erschließt sich aus dem sachlich-rechtlichen Inhalt der anvertrauten interessen (BGHSt 18, 192, 193), beschränkt sich also keineswegs auf einzelne Ansprüche, sondern erfaßt das gesamte anvertraute Rechtsverhältnis (BGHSt 34, 191).

2) Ein sachlich-rechtlicher Mangel liegt jedoch darin, daß das Landgericht das Tatbestandsmerkmal des pflichtwidrigen Dienens nach § 356 Abs.1 StGB verkannt hat. Ausreichend für die Erfüllung dieser Tatbestandsvoraussetzung ist es, wenn ein Rechtsanwalt trotz Interessengegensatzes gleichzeitig oder zeitlich nacheinander für Parteien auf beiden Seiten tätig wird. Der Tatbestand erfordert nicht eine Verletzung der rechtlichen oder wirtschaftlichen interessen einer Partei. Hierauf stellt das Berufungsurteil (S. 23, 24) ausdrücklich unzutreffend ab. Die Darlegungen laufen darauf hinaus, in den Einzelbetätigungen des Anwalts für die verbliebene Auftraggeberin B B eine konkrete Interessenverletzung gegenüber der früheren Mandantin U M auszuschließen. Das Landgericht prüft damit im Grunde genommen das nach § 356 Abs.2 StGB straferhöhende Strafbestandsmerkmal des „Nachteils“.

Eine solche Einengung des pflichtwidrigen Dienens nach § 356 Abs.1 StGB ist weder dem Wortlaut noch dem Schutzgedanken der Vorschrift zu entnehmen. Geschütztes Rechtsgut ist nicht das jeweilig durch die Auftraggeber des Anwalts verfolgte Interesse, sondern das Vertrauen der Bevölkerung in die Zuverlässigkeit und Integrität der Anwalts- und Rechtsbeistandschaft (BGHSt 15, 332, 336; BayObLG NJW 1981, 832). § 356 Abs.1 StGB stellt ein Gefährdungsdelikt dar (Schönke/Schröder StGB 23. Aufl. § 356 Rn.3). Es ist für die Tatbestandserfüllung deshalb unerheblich, ob durch die Tätigkeit des Anwalts die interessen der jeweils vertretenen Partei tatsächlich beeinträchtigt werden oder nicht.

Nach heute allgemeiner Meinung (vgl. hierzu die eingehende Darstellung der Entwicklung in Lehre und Rechtsprechung in LK 10.Aufl. § 356 Rn.73 ff) enthält die gesetzliche Beschreibung des pflichtwidrigen Dienens das interessengegensätzliche Handeln des Sachwalters als wesentliches Tatbestandselement. „Pflichtwidrig“ handelt der Rechtsanwalt dann, wenn er einen anderen in eben dieser Rechtssache mit rechtlichen interessen Beteiligten bereits in entgegengesetztem Interesse beraten oder vertreten hat (BGHSt 18, 192, 193). In den Fällen sich wandelnder interessen kann der Interessengegensatz erst im Laufe der Zeit zutage treten. Handelt es sich gleichwohl immer noch um „dieselbe Rechtssache“, darf der Rechtsanwalt einem Beteiligten nicht mehr dienen, wenn er dem nunmehrigen Gegner dieses Beteiligten zuvor seinen anwaltlichen Beistand geleistet hatte. Denn der früher von einer Seite anvertraute Verfahrensstoff könnte bei einem Auftragsverhältnis durch einen anderen rechtliche Bedeutung erlangen (BGHSt 18, 193).

3. Legt man die zutreffende Tatbestandsgestaltung zugrunde, ist nach den Feststellungen des Landgerichts der objektive Tatbestand des § 356 Abs.1 StGB erfüllt.

Dem Angeklagten wurde am 6.9.1984 durch den Auftrag der beiden Schwestern U M und B B die für eine Auseinandersetzung mit ihrem Miterben P M maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse anvertraut. Diese auf den Nachlaß bezogenen Informationen haben nach der Umstellung der Interessenrichtung durch U M auf eine vollständige Auseinandersetzung rechtliche Bedeutung auch für die Auseinandersetzung im Verhältnis der beiden Schwestern zueinander erlangt. Die interessen bei einer Auseinandersetzung zwischen mehreren Miterben stellen sich ihrer Natur nach als gegenläufig dar. Der Rechtsbeziehung wohnt insoweit Interessengegensatz von vornherein inne, ohne daß es zu Meinungsverschiedenheiten über die Art der Auseinandersetzung kommen müßte. Nach den Feststellungen des Landgerichts ist auch nicht der besondere Fall gegeben, daß die Miterben durch eine schon vor Beratung ihres Anwalts getroffene Übereinkunft über einen bestimmten Auseinandersetzungsplan den Interessenwiderstreit völlig aufgehoben hätten (vgl. BGHSt 7, 17, 21). Der im Berufungsurteil festgehaltene Gang der Auseinandersetzung zwischen den drei Miterben belegt, daß eine einvernehmliche Regelung erst nach mehreren Verhandlungen der Beteiligten und ihrer Anwälte am 3.12.1985 gefunden wurde.

  III.

Wegen des aufgezeigten Sachmangels war gemäß § 353 Abs.1 StPO das freisprechende Urteil des Landgerichts auf die Revision der Staatsanwaltschaft aufzuheben. Da die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen fehlerfrei getroffen sind, waren diese – mit Bindungswirkung (vgl. KK 2.Aufl. § 353 Rn.34) – aufrechtzuerhalten.

Die Sache mußte nach § 354 Abs.2 StPO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurückverwiesen werden. Eine eigene Sachentscheidung gemäß § 354 Abs.1 StPO konnte der Senat aufgrund der getroffenen fehlerfreien Feststellungen auch nicht zum Schuldspruch treffen, weil das Urteil zum subjektiven Tatbestand ausreichende Feststellungen nicht enthält.

  IV.

Nach der im Berufungsurteil S. 12 mitgeteilten Einlassung will der Angeklagte „gegenteilige interessen“ zwischen B B und U M nicht gesehen haben. Der Auffassung des Landgerichts (BU S.25), das Nichterkennen eines Interessengegensatzes führe zu einem Tatbestandsirrtum, kann in dieser Allgemeinheit nicht beigetreten werden. Verbotsirrtum und nicht Tatbestandsirrtum liegt vor, wenn der Täter den gesetzlichen Begriff des Interessengegensatzes verkennt, ihn etwa zu eng auslegt und deshalb glaubt, zwischen den beiderseitigen Belangen sei kein Gegensatz vorhanden (BGHSt 7, 261, 264). So wie der das Mandat aufkündigenden B M die Möglichkeit eines Interessengegensatzes offensichtlich nicht verborgen geblieben ist, so liegt nahe, daß der Angeklagte nicht in unrichtiger Beurteilung einer bestimmten Sachlage, sondern in irriger Auslegung des Gesetzes handelte (vgl. zur Abgrenzung zwischen Tatbestands- und Verbotsirrtum beim Parteiverrat insbesondere BGHSt 7, 261). Die erforderlichen Feststellungen zur subjektiven Tatseite und zur Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums obliegen dem Tatrichter.

Schlagworte: Parteiverrat, StGB § 356