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KG Berlin, Beschluss vom 16.01.2023 – 22 W 71/22

Abberufung AufsichtsratsmitgliedBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Abberufung
Abberufung Aufsichtsratsmitglied

§ 242 BGB, § 103 Abs 1 S 1 AktG, § 103 Abs 3 S 1 AktG, § 103 Abs 3 S 2 AktG, § 103 Abs 3 S 4 AktG, § 104 Abs 1 S 1 AktG, § 108 Abs 2 S 3 AktG, § 375 Nr 3 FamFG, § 402 Abs 1 FamFG

Ein Beschluss des AufsichtsratsBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Beschluss
Beschluss des Aufsichtsrats
einer AG, beim Amtsgericht einen Antrag nach § 103 Abs. 3 Satz 1 AktG auf Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds aus wichtigem Grund zu stellen, setzt die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats voraus. Nach § 108 Abs. 2 Satz 3 AktG setzt dies eine Teilnahme von mindestens drei seiner Mitglieder voraus. Dies gilt grundsätzlich auch in einem dreiköpfigen Aufsichtsrat. Kommt ein Aufsichtsratsmitglied seiner Teilnahmepflicht nicht nach, um den Beschluss über eine Antragstellung seiner Abberufung aus wichtigem GrundBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Abberufung
Abberufung aus wichtigem Grund
zu verhindern, kann es sich nicht auf einen Beschlussmangel des nur durch die beiden anderen AR-Mitglieder gefassten Beschlusses berufen.

Tenor

1. Die Beschwerde des Antragstellers vom 26. Dezember 2022 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vom 19. Dezember 2022 wird zurückgewiesen.

2. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2) vom 26. Dezember 2022 wird – unter Verwerfung der Beschwerde als unzulässig im Übrigen – der Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vom 19. Dezember 2022 abgeändert und der Tenor wie folgt neu gefasst: „Der Antrag vom 19.10.2022 des Beteiligten zu 1 zu Ziffer 1 wird als unzulässig verworfen.“

3. Der Antragsteller und die Beteiligte zu 2) haben die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

4. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 60.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die S… AG – nachfolgend auch: „Gesellschaft“ – ist mit einem Grundkapital von 300.000,00 € im Handelsregister B des Amtsgerichts Charlottenburg eingetragen. Ihr Unternehmensgegenstand lautet: „Der An- und Verkauf, die Projektierung/Planung, die Entwicklung, das Sanieren durch Dritte, das Halten und Verwalten von Immobilien im In- und Ausland einschließlich Vermietung und Verpachtung sowie Veräußerung und Verwertung in sonstiger Weise sowie Entwicklung und Konzeption von Beteiligungsmodellen.“ Alleiniger Vorstand der Gesellschaft ist seit dem Jahr 2020 Frau A Sch.Randnummer2

Die Gesellschaft wurde über Jahre maßgeblich von Herrn J L (nachfolgend auch: „Herr L“) und Herrn S B (nachfolgend auch: „Herr B“) aufgebaut, entwickelt und geführt. Beide Herren waren in der Vergangenheit als Vorstandsmitglieder, Mitglieder des Aufsichtsrates und Projektmanager für die Gesellschaft tätig.Randnummer3

Aktionäre der Gesellschaft sind zu je 3 % der (minderjährige) Sohn des Herrn L und zu 3 % der Sohn des Herrn B. 96% der Aktien hält eine GmbH, deren Anteile jeweils zur Hälfte von Gesellschaften gehalten werden, die jeweils im Eigentum der Familien der Herren L und B stehen.Randnummer4

Im Jahr 2021 wurden die Herren L und B sowie Herr K W von der Hauptversammlung in den Aufsichtsrat der Gesellschaft gewählt, der satzungsgemäß aus drei Mitgliedern besteht. Im Anschluss wählte der Aufsichtsrat Herrn L zu seinem Vorsitzenden. Auf der Hauptversammlung der Gesellschaft am 25. August 2022 wurden die Herren L und B als Mitglieder des Aufsichtsrates abgewählt; für Herrn B bestellte die Hauptversammlung die Antragsgegnerin, für Herrn L bestellte die Hauptversammlung die Beteiligte zu 2) als Mitglieder des Aufsichtsrates. Die Antragsgegnerin ist die Lebensgefährtin des Herrn B, die Beteiligte zu 2) ist die Ehefrau des Herrn L. Auf der konstituierenden Sitzung des Aufsichtsrates am 27. September 2022 wurde Herr K W (nachfolgend auch: „ARV“) zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates gewählt.Randnummer5

Im September 2022 kam es zu einem Zerwürfnis zwischen den Herren B und L. In dessen weiterem Verlauf kündigte der Vorstand der Gesellschaft das Anstellungsverhältnis des Herrn L als Projektmanager und erteilte ihm Hausverbot für die Räumlichkeiten der Gesellschaft in Chemnitz.Randnummer6

Nach der konstituierenden Sitzung des Aufsichtsrates lud der ARV zu einer Sitzung des Aufsichtsrates für den 7. Oktober 2022. Zu dieser Sitzung erschien die Antragsgegnerin nicht. Sie war auch zu einer Sitzung des Aufsichtsrates am 22. September 2022 nicht erschienen, zu der die Beteiligte zu 2) geladen hatte.Randnummer7

Nachdem dem Sohn des Herrn L und der Beteiligten zu 2) mitgeteilt worden war, dass am 6. Oktober 2022 eine Hauptversammlung der Gesellschaft stattgefunden haben soll, auf der der ARV und die Beteiligte zu 2) als Mitglieder des Aufsichtsrates abgewählt und an ihrer Stelle zwei neue Mitglieder gewählt worden seien, stellten beide am 10. Oktober 2022 beim Landgericht Berlin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Mit Beschlussverfügung vom selben Tag untersagte das Landgericht Berlin der Gesellschaft, sämtliche auf der außerordentlichen Hauptversammlung vom 6. Oktober 2022 gefassten Beschlüsse zu vollziehen und anzuerkennen.Randnummer8

Am Abend des 11. Oktober 2022 versandte der ARV eine Einladung zu einer Sitzung des Aufsichtsrates am 14. Oktober 2022. Auf der Tagesordnung stand unter anderem die Beschlussfassung über die Abberufung des Vorstands der Gesellschaft sowie über dessen Abberufung als Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft der Gesellschaft, die Bestellung eines neuen Vorstandes und neuen Geschäftsführers der Tochtergesellschaft, über die Weiterbeschäftigung von Herrn L und über ein Projekt der Gesellschaft an der Ostsee. Zudem hieß es unter VII. der Einladung:Randnummer9

Beschlussfassung zur gerichtlichen Abberufung des Aufsichtsratsmitglieds N [= Antragsgegnerin] nach § 103 Abs. 3 AktGRandnummer10

Dem Antrag des Aufsichtsrats gemäß § 103 Abs. 3 AktG auf gerichtliche Abberufung des Aufsichtsratsmitglieds N aus wichtigem Grund wird zugestimmt. Für den Fall, dass das Aufsichtsratsmitglied N erneut nicht zur geladenen Aufsichtsratssitzung erscheint und auch nicht an der Beschlussfassung durch Übergabe ihrer schriftlichen Abstimmung zu den Beschlussvorschlägen bis zur Aufsichtsratssitzung an eines der beiden anderen Aufsichtsratsmitglieder teilnimmt, ist von den anderen Aufsichtsratsmitgliedern über die Stellung eines gerichtlichen Antrages zur Abberufung von Frau N als Aufsichtsratsmitglied aus wichtigem Grund zu entscheiden. Sollte Frau N ihren Aufsichtsratspflichten nachkommen erübrigt sich demgegenüber Beschlussfassung zu diesem Tagesordnungspunkt.“Randnummer11

Die Antragsgegnerin erschien auch zu dieser Sitzung nicht und hatte am 13. Oktober 2022 dem AVR mitgeteilt, sie befinde sich im Urlaub auf Rhodos. AVR und die Beteiligte zu 2) stimmten am 14. Oktober 2022 dem erwähnten Beschlussvorschlag zu. In einem mit „Beschlussfassung/Zustimmungserklärung“ überschriebenen und vom ARV und der Beteiligten zu 2) unterschriebenen Dokument heißt es:Randnummer12

Aufgrund der wiederholten Abwesenheit von Frau N und ihrer Weigerung, gemäß § 108 Abs. 3 oder 4 AktG an der Beschlussfassung des Aufsichtsrats teilzunehmen und diese hiermit zu ermöglichen, war es dem Aufsichtsrat nicht möglich, auf andere Weise den Antrag gemäß § 103 Abs. 3 AktG auf gerichtliche Abberufung des Aufsichtsratsmitglieds N aus wichtigem Grund zu beschließen. Jedenfalls wurde diesem Antrag nach § 103 Abs. 3 AktG auf gerichtliche Abberufung des Aufsichtsratsmitgliedes N aus wichtigem Grund von den beiden anwesenden Aufsichtsratsmitgliedern (…) zugestimmt.“Randnummer13

Im Protokoll der besagten Sitzung des Aufsichtsrates heißt es hinsichtlich der Antragsgegnerin:Randnummer14

Abwesend: Frau N (entschuldigt)“Randnummer15

Am 19. Oktober 2022 stellte der Antragsteller beim Amtsgericht den Antrag, die Antragsgegnerin mit sofortiger Wirkung als Mitglied des Aufsichtsrates der Gesellschaft aus wichtigem Grund abzuberufen. Hilfsweise für den Fall der Stattgabe dieses Antrages beantragte die Beteiligte zu 2), Herrn Schwager, den die Gesellschaft betreuenden Versicherungsmakler, gerichtlich mit sofortiger Wirkung zum Mitglied des Aufsichtsrats der Gesellschaft zu bestimmen.Randnummer16

Das Amtsgericht hat ausweislich des Tenors des angefochtenen Beschlusses „den Antrag des Antragstellers und der Beteiligten zu 2)“ als unzulässig zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, mangels Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrates habe dieser keinen wirksamen Beschluss gem. § 103 Abs. 3 Satz 2 AktG gefasst. Im Übrigen sei der Antrag aber auch unbegründet, da in der Person der Antragsgegnerin kein wichtiger Grund gem. § 103 Abs. 3 Satz 1 AktG vorläge.Randnummer17

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers und die Beschwerde der Beteiligten zu 2). Das Amtsgericht hat den Beschwerden nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.Randnummer19

1. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) (im Folgenden „Antragsteller“) ist zulässig, die Beschwerde der Beteiligten zu 2) ist überwiegend unzulässig.Randnummer20

a) Die Beschwerde des Antragstellers ist statthaft, §§ 402 Abs. 1, 375 Nr. 3 FamFG in Verbindung mit § 103 Abs. 3 Satz 4 AktG. Auch im Übrigen bestehen keine Bedenken gegen die Zulässigkeit seiner Beschwerde. Sie ist form- (vgl. § 64 Abs. 2) und fristgerecht (vgl. § 63 Abs. 1 FamFG) eingelegt. Angesichts der Bedeutung der Besetzung des Aufsichtsrates für die Gesellschaft, die auch in der Wertvorschrift des 67 Abs. 1 Nr. 1 GNotKG zum Ausdruck kommt, ist auch der Beschwerdewert des § 61 Abs. 1 FamFG erreicht. Der Antragsteller ist zudem unmittelbar in seinen eigenen Rechten beeinträchtigt und damit beschwerdebefugt (§ 59 Abs. 1, Abs. 2 FamFG), da sein Antrag auf gerichtliche Abberufung der Beteiligten zu 3) (im Folgenden „Antragsgegnerin“ als Mitglied des Aufsichtsrats der Gesellschaft vom Amtsgericht als unzulässig verworfen worden ist.Randnummer21

b) Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) ist dagegen nur insoweit zulässig, als das Amtsgericht ausweislich der Tenorierung in dem angefochtenen Beschluss eine Beschwerde der Beteiligten zu 2) zurückgewiesen hat. Das Amtsgericht hat aber nur über einen Antrag auf gerichtliche Abberufung eines Mitglieds des Aufsichtsrates entschieden. Einen solchen Antrag hat aber nur der Antragsteller, nicht aber die Beteiligte zu 2) gestellt. Sie ist daher nur insoweit beschwert, als aufgrund des Tenors der falsche Eindruck entsteht, dass sie einen solchen Antrag gestellt hätte.Randnummer22

Im Übrigen ist die Beschwerde der Beteiligten zu 2) unzulässig. Das Amtsgericht hat auch ausweislich der Beschlussgründe nicht über ihren Hilfsantrag gem. § 104 AktG auf gerichtliche Bestellung eines Aufsichtsratsmitgliedes entschieden, da die Bedingung, unter die der Antrag gestellt war, nicht eingetreten ist. Es liegt also schon keine beschwerdefähige Entscheidung vor. Zudem ist der von der Beteiligten zu 2) gestellte Hilfsantrag ohnehin unzulässig, da ein Antrag, der ein Verfahren (hier gem. § 104 AktG) einleitet, nicht durch eine Bedingung eingeschränkt sein darf (Ulrici in: MüKoFamFG, 3. Aufl., § 23 Rn. 7; OLG HammBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Hamm
, Beschluss vom 4. August 2010 – I15 W 85/10 –, Rn. 8, juris; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 25. Juni 1992 – 3Z BR 30/92 –, Rn. 20, juris).Randnummer23

2. In der Sache hat die Beschwerde des Antragstellers keinen Erfolg, da das Amtsgericht den Antrag des Antragstellers mangels wirksamen Beschlusses gem. § 103 Abs. 3 Satz 2 AktG zu Recht als unzulässig verworfen hat.Randnummer24

a) Gem. § 103 Abs. 3 Satz 1 AktG hat das Gericht auf Antrag des Aufsichtsrats ein Aufsichtsratsmitglied abzuberufen, wenn in dessen Person ein wichtiger Grund vorliegt. Der Aufsichtsrat beschließt über die Antragstellung mit einfacher Mehrheit, Satz 2 der genannten Vorschrift.Randnummer25

b) Es mangelt allerdings an einem solchen Beschluss. Als der ARV und die Beteiligte zu 2) am 14. Oktober 2022 dafür gestimmt haben, einen Antrag nach § 103 Abs. 3 Satz 1 AktG auf gerichtliche Abberufung der Antragsgegnerin zu stellen, war der Aufsichtsrat nicht beschlussfähig.Randnummer26

aa) Gem. § 108 Abs. 2 Satz 3 AktG ist der Aufsichtsrat nur beschlussfähig, wenn mindestens drei seiner Mitglieder an der Abstimmung teilnehmen. Dies war am 14. Oktober 2022 nicht der Fall, da an der Abstimmung über den Antrag gem. § 103 Abs. 3 Satz 2 AktG nur zwei Mitglieder des Aufsichtsrates teilgenommen haben.Randnummer27

bb) Entgegen der Ansicht des Antragstellers kommt es im vorliegenden Fall nicht darauf an, ob bei einem dreiköpfigen Aufsichtsrat die Vorschrift des § 108 Abs. 2 Satz 3 AktG – entgegen ihrem Wortlaut – dahin auszulegen ist, dass sich ein abzuberufendes Aufsichtsratsmitglied auf die Beschlussunfähigkeit nicht berufen kann, wenn es zu der Sitzung des Aufsichtsrates treuwidrig nicht erscheint, auf der ein Beschluss gem. § 103 Abs. 3 Satz 2 AktG gefasst werden soll.Randnummer28

(1) Nach der einen zu dieser Frage in der Literatur vertretenen Ansicht ist es ohne Änderung des § 108 Abs. 2 AktG ohnehin hinzunehmen, dass im dreiköpfigen Aufsichtsrat das betroffene Mitglied einen Beschluss über die Einleitung eines gerichtlichen Abberufungsverfahrens verhindern kann. Für eine Auslegung des § 108 Abs. 2 Satz 3 AktG entgegen seines Wortlautes bestünde kein zwingender Grund, da Aufsichtsratsmitglieder gem. § 103 Abs. 1 AktG auch von der Hauptversammlung abberufen werden könnten (Habersack in: MüKoAktG, 5. Aufl., § 103 Rn. 35; Mertens/Cahn, KK-AktG, 3. Aufl., § 103 Rn. 30; Henssler in: Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl., § 103 AktG Rn. 11; Reichard, AG 2012, 359).Randnummer29

(2) Aber auch die vom Antragsteller ins Feld geführte Gegenansicht hilft ihm nicht weiter. Nach dieser Ansicht ist das betroffene Mitglied zur Teilnahme an der Abstimmung und zur Stimmenthaltung verpflichtet, wenn der Aufsichtsrat ohne die Beteiligung des betroffenen Mitglieds beschlussunfähig wäre. Komme das ordnungsgemäß geladene Aufsichtsratsmitglied seiner Pflicht zur Teilnahme und Abstimmung nicht nach, so könne es sich nicht auf das Fehlen eines wirksamen Aufsichtsratsbeschlusses berufen. Dies gelte auch, wenn ein Aufsichtsratsmitglied wegen (unentschuldigtem) Fehlen bei Aufsichtsratssitzungen und dadurch mehrfach verursachter Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrats abberufen werden solle (Hopt/Roth in: Hirte/Mülbert/Roth, Aktiengesetz Großkommentar, 5. Aufl., § 103 Rn. 59; Drygala in: Schmidt, K./Lutter, AktG, 4. Aufl., § 103 AktG Rn. 13; Stadler/Berner, NZG 2003, 49, 52). Letztlich berufen sich die Vertreter dieser Ansicht auf § 242 BGB in der Ausprägung der treuwidrigen, unzulässigen Rechtsausübung (vgl. Stadler/Berner, aaO). Selbst nach dieser Ansicht aber könnte sich die Antragsgegnerin im vorliegenden Fall auf die Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrates am 14. Oktober 2022 berufen, da sie dieser Aufsichtsratssitzung nicht treuwidrig ferngeblieben ist und sie damit ihre Pflicht zur Teilnahme nicht verletzt hat.Randnummer30

(a) Es fehlt schon an einer ordnungsgemäßen Ladung zu dieser Sitzung am 14. Oktober 2022, da die Einberufung zu kurzfristig erfolgt war.Randnummer31

Die Frist zur Einberufung von Sitzungen zum Aufsichtsrat sind mit Ausnahme der hier nicht vorliegenden Konstellation des § 110 Abs. 1 AktG weder im Gesetz noch in der Satzung der Gesellschaft geregelt. Jedenfalls aber muss zwischen Einberufung und Sitzungstermin eine angemessene Zeitspanne liegen (vgl. etwa Spindler in: BeckOGK/AktG, Bearbeitungsstand 1.10.2022, § 110 Rn. 24; Habersack in: MüKoAktG, 5. Aufl., § 110 Rn. 16). Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt.Randnummer32

Entscheidend für den Fristbeginn ist der Zeitpunkt, zu dem der Zugang der Ladung unter normalen Umständen erwartet werden kann (vgl. etwa Spindler, aaO., Rn. 25; Habersack, aaO., Rn. 16, jeweils mit weiteren Nachweisen). Die Ladung zur Aufsichtsratssitzung am 14. Oktober 2022 ist am 11. Oktober 2022 um 20:09 Uhr versandt worden (vgl. Anlage AG 2 zum Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 16. November 2022). Bei dieser Versandzeit ist davon auszugehen, dass die Ladung unter normalen Umständen erst am Vormittag des darauffolgenden Tages zugeht. Damit lag zwischen Ladung und Sitzungsbeginn wenig mehr als 48 Stunden. Diese Zeitspanne ist auch angesichts der zu behandelnden Tagesordnung und der Bedeutung der Beschlussgegenstände nicht mehr angemessen, sondern zu kurz. Dies gilt insbesondere hinsichtlich des Tagesordnungspunktes, der die gerichtliche Abberufung der Antragsgegnerin zum Gegenstand hatte und der zum ersten Mal auf der Tagesordnung stand. Zudem war die Antragsgegnerin an der Teilnahme gehindert, da sie sich auf Rhodos aufhielt, weswegen ihr aufgrund der Entfernung zum Sitzungsort und nicht zuletzt auch aufgrund der kurzfristigen Ladung nicht angesonnen werden konnte, anzureisen. Alleine angesichts des Umstandes, dass auf der Sitzung über einen Antrag auf ihre gerichtliche Abberufung als Mitglied des Aufsichtsrates beschlossen werden sollte, musste sich die Antragsgegnerin nicht darauf einlassen, lediglich per Videoschaltung oder telefonisch an der Sitzung teilzunehmen. Schon gar nicht war es der Antragsgegnerin unter diesen Umständen zuzumuten, lediglich schriftlich abzustimmen. Der Antragsgegnerin kann damit kein treuwidriges Verhalten vorgeworfen werden, was es rechtfertigen würde, die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrates in dessen Sitzung am 14. Oktober 2022 zu fingieren.Randnummer33

(b) An diesem Ergebnis ändert sich auch nichts, wenn man das Verhalten der Antragsgegnerin seit ihrer Wahl zum Aufsichtsrat bis zu der Sitzung am 14. Oktober 2022 in den Blick nimmt.Randnummer34

Zwar ist die Antragsgegnerin nicht zu einer auf den 22. September 2022 anberaumten Sitzung des Aufsichtsrates erschienen, zu dem die Beteiligte zu 2) geladen hatte. Dabei durfte die Antragsgegnerin allerdings schon Bedenken hinsichtlich der Ladungsbefugnis der Beteiligten zu 2) haben (vgl. etwa Mertens/Cahn, KK-AktG, 3. Aufl., § 110 Rn. 2; Spindler in: Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl., 110 Rn. 53; Gittermann in: Semler/v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 110 AktG Rn. 16: Einberufung der konstituierenden Sitzung des Aufsichtsrates durch den bisherigen Vorsitzenden des Aufsichtsrates, hilfsweise durch den Vorstand). Jedenfalls aber ist die Antragsgegnerin wenige Tage später zu der konstituierenden Sitzung des Aufsichtsrats am 27. September 2022 erschienen, auf der unter ihrer Mitwirkung alle Tagesordnungspunkte behandelt worden sind.Randnummer35

Der Antragsteller kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Antragsgegnerin auf der Sitzung des Aufsichtsrates am 7. Oktober 2022 nicht erschienen ist. Die Antragsgegnerin durfte davon ausgehen, dass am Tag zuvor der ARV und die Beteiligte zu 2) als Mitglieder des Aufsichtsrates auf einer außerordentlichen Hauptversammlung der Gesellschaft abberufen worden waren, sodass diese Sitzung des Aufsichtsrates ausfallen würde. Die vom Antragsteller in diesem Zusammenhang erwähnte einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin vom 10. Oktober 2022 ändert daran nichts, da diese am 7. Oktober 2022 weder ergangen noch beantragt worden war und damit schon aus diesen Gründen der Antragsgegnerin nicht bekannt sein konnte.Randnummer36

(3) Damit kann keine Rede davon sein, dass die Antragsgegnerin auf der Sitzung am 14. Oktober 2022 ihrer Pflicht zur Teilnahme und Abstimmung nicht nachgekommen wäre und insbesondere die Fassung eines Beschlusses gem. § 103 Abs. 3 Satz 2 AktG treuwidrig vereitelt hätte. Zudem erschließt es sich vor diesem Hintergrund nicht, wieso der ARV und die Beteiligte zu 2) am 14. Oktober 2022 ein Verfahren gem. § 103 Abs. 3 Satz 1 AktG gegen die Antragsgegnerin einleiten wollten, zumal es im Protokoll der Sitzung des Aufsichtsrates vom 14. Oktober 2022 ausdrücklich heißt, dass die Antragsgegnerin entschuldigt fehle. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass es den beiden anderen Mitgliedern des Aufsichtsrates alleine darum ging, die Antragsgegnerin aus dem Aufsichtsrat zu entfernen, da die Antragsgegnerin deren negative Einschätzung in Bezug auf den Vorstand und dessen Amtsführung nicht teilte. Dass eine Abberufung des Vorstandes zwingend geboten gewesen wäre, ist unter Berücksichtigung des beiderseitigen Vortrages, angesichts der Ausführungen des Vorstandes in dessen Schreiben vom 14. November 2022 (Anlage AG 3 zum Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 16. November 2022) und auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Antragstellers im Schriftsatz vom 13. Januar 2023 offen. Sollte es dem ARV und der Beteiligten zu 2) mit ihrem Antrag auf gerichtliche Abberufung der Antragsgegnerin darum gehen, mit der Antragsgegnerin den Vertreter der Familie B aus dem Aufsichtsrat zu drängen, würden damit sachfremde Interessen verfolgt werden, was ebenso einen wichtigen Grund für eine Abberufung aus dem Aufsichtsrat darstellen könnte wie das Verhalten, was der Antragsteller der Antragsgegnerin unterstellt. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass das vorliegende Verfahren ein Symptom des Streites zwischen Herrn L und Herrn B und des Ringens um die Kontrolle über die Gesellschaft ist. Das gerichtliche Abberufungsverfahren nach § 103 Abs. 3 AktG ist aber als „ultima ratio“ konzipiert und darf nicht zur Austragung von Zielkonflikten und Meinungsverschiedenheiten instrumentalisiert werden (so ausdrücklich Grigoleit/Tomasic in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl., § 103 Rn. 17).Randnummer37

3. Ob ein neuer Beschluss des Aufsichtsrates gem. § 103 Abs. 3 Satz 2 AktG, der ohne Beteiligung der Antragsgegnerin an der Abstimmung gefasst wird, wirksam wäre, muss nicht entschieden werden. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist der Antrag vom 19. Oktober 2022, der auf Grundlage des Beschlusses des Aufsichtsrates am 14. Oktober 2022 gestellt worden ist.Randnummer38

4. Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) hat nur insoweit einen geringen Erfolg, als im Tenor der amtsgerichtlichen Entscheidung klarzustellen ist, dass das Amtsgericht ausweislich der Beschlussgründe nur über den Antrag des Antragstellers entschieden und nur diesen zurückgewiesen hat. Es kann auf die obigen Ausführungen unter II.1.b verwiesen werden.

III.Randnummer39

1. Die Kostenentscheidung hat ihre Grundlage in § 84 FamFG. Es liegen keine Gründe vor, von dem dort geregelten intendierten Ermessen abzuweichen. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten scheidet aus. Es sind keine Umstände gegeben, die eine Abweichung von dem Grundsatz rechtfertigen würden, wonach in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit jeder Beteiligte im Regelfall seine außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen hat (vgl. etwa Weber in: BeckOK FamFG, Bearbeitungsstand 1.10.2022, § 81 Rn. 11; Feskorn in: Prütting/Helms, FamFG, 6. Aufl., § 81 Rn. 9).Randnummer40

2. Die Festsetzung des Geschäftswerts für das Beschwerdeverfahren folgt aus §§ 61 Abs. 1 Satz 1, 67 Abs. 1 Nr. 1 GNotKG.Randnummer41

3. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde scheidet aus, weil es an den Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 FamFG fehlt. Die Entscheidung beruht auf den besonderen Umständen des vorliegend zu beurteilenden Sachverhalts. Auf die Frage der Beschlussfähigkeit des dreiköpfigen Aufsichtsrates im Rahmen des § 103 Abs. 3 Satz 2 AktG kommt es nicht an.

Schlagworte: Abberufung Aufsichtsrat, Abberufung Aufsichtsratsmitglied, Aktiengesellschaft, Aufsichtsrat, Wichtiger Grund