1. Wer als Arbeitnehmer mit einem Unternehmer, der mit dem derzeitigen Arbeitgeber im Wettbewerb steht, einen Arbeitsvertrag eingeht, kann sich den Verpflichtungen aus dem rechtswirksam eingegangenen Arbeitsvertrag nicht mit der Begründung entziehen, er sei abgeworben worden.
2. Der geschlossene Arbeitsvertrag ist nicht schon dann nichtig, wenn eine dem derzeitigen Arbeitgeber gegenüber unzulässige Abwerbung eines Arbeitnehmers vorliegt.
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg, Außenkammer Freiburg, vom 7. September 1961 – 8 Sa 67/61 – wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten der Revision
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Beklagte war vom Jahre 1958 bis zum Jahre 1960 bei der Klägerin, die sich mit der Feinstrumpffabrikation beschäftigt, tätig. Er trat dann in die Dienste einer Firma R.; diese Firma steht mit der Klägerin im Wettbewerb. Das im Januar 1961 noch bestehende Arbeitsverhältnis zwischen dem Beklagten und der Firma R. konnte nur unter Einhaltung einer Frist von 3 Monaten gekündigt werden.Randnummer2
Im Januar 1961 verhandelten die Parteien darüber, ob der Beklagte nicht wieder in die Dienste der Klägerin treten wolle. Am 18. Januar 1961 vereinbarten sie, daß der Beklagte am 1. Mai 1961 bei der Klägerin als Stricker gegen einen Stundenlohn von 3,50 DM eintreten solle. Es wurde eine Kündigungsfrist von 1/2 Jahr für beide Teile festgelegt, dabei jedoch bestimmt, daß eine Kündigung erstmals am 31. Dezember 1961 zum 30. Juni 1962 möglich sei.Randnummer3
Nach Abschluß dieses Vertrages teilte der Beklagte der Klägerin am 21. Januar 1961 mit, daß er den Dienst bei ihr nicht auf nehmen werde. Die Klägerin forderte ihn am 27. Januar 1961 auf, bis zum 10. Februar 1961 zu erklären, daß er den mit ihr abgeschlossenen Arbeitsvertrag erfüllen werde. Auf diese Aufforderung hat der Beklagte nicht geantwortet.Randnummer4
Die Klägerin nimmt nunmehr den Beklagten auf Schadenersatz in Anspruch. Sie hat beantragt,Randnummer5
festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin denjenigen Schaden zu ersetzen, der dadurch entstanden ist und noch entsteht, daß der Beklagte im Widerspruch zu dem mit ihr abgeschlossenen Arbeitsvertrag vom 18. Januar 1961 vom 1. Mai 1961 keine Arbeit für sie geleistet hat und bis zum 30. Juni 1962 nicht leistet.Randnummer6
Der Beklagte hat um Klagabweisung gebeten.Randnummer7
Das Arbeitsgericht hat den Beklagten nach dem Klageantrag verurteilt. Die dagegen von dem Beklagten eingelegte Berufung blieb erfolglos. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision gegen seine Entscheidung zugelassen.
Entscheidungsgründe
I. Die von der Klägerin erhobene Feststellungsklage ist zulässig.Randnummer9
Der Beklagte macht geltend, die Klägerin könne bereits jetzt auf Leistung klagen und habe deshalb nicht das nach § 256 ZPO für eine Feststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse. Dies geht fehl.Randnummer10
Die Klägerin stützt den von ihr geltend gemachten Schadenersatzanspruch darauf, daß sie anstelle des Beklagten einen Anlernling habe beschäftigen müssen. Die Einarbeitung eines solchen Anlernlings dauere erfahrungsgemäß mehrere Monate. Während dieser Zeit stelle der Anlernling keine volle Arbeitskraft dar, so daß die Klägerin aus der Tätigkeit des Anlernlings nicht den Nutzen habe, den sie aus der Tätigkeit des Beklagten als der eines gelernten Facharbeiters gehabt hätte.Randnummer11
Diese Klage ist schon am 2. Juni 1961 erhoben. Zu diesem Zeitpunkt konnte die Klägerin noch nicht in vollem Umfang den ihr durch die Nichtleistung der vom 1. Mai 1961 an von dem Beklagten nach dem Arbeitsvertrag vom 18. Januar 1961 geschuldeten Arbeit tatsächlich erwachsenen Schaden errechnen. Sie war daher berechtigt, zunächst auf Feststellung zu klagen und brauchte auch in der Berufungsinstanz nicht zur Leistungsklage überzugehen.Randnummer12
II. Der Beklagte macht in der Sache selbst geltend, er sei deshalb nicht zur Erfüllung des zwischen ihm und der Klägerin abgeschlossenen Arbeitsvertrages vom 18. Januar 1961 verpflichtet, weil dieser Arbeitsvertrag Sittenwidrig und deshalb nach § 138 BGB rechtsunwirksam sei.Randnummer13
Diese Verteidigung des Beklagten geht fehl. Bei der Entscheidung ist davon auszugehen, daß die Klägerin bei Abschluß des Arbeitsvertrages vom 18. Januar 1961 angenommen hat, der Beklagte könne sein damals bestehendes Arbeitsverhältnis zu der Firma R. so rechtzeitig kündigen, daß er am 1. Mai 1961 die Dienste bei der Klägerin aufnehmen könne, ohne der Firma R. gegenüber arbeitsvertragsbrüchig zu werden. Die Behauptung, er habe bereits vor dem 18. Januar 1961 der Klägerin mitgeteilt, daß er auf sein der Firma R. gegenüber bestehendes Kündigungsrecht zum 1. Mai 1961 verzichtet habe, die Klägerin habe also gewußt, daß er zum 1. Mai 1961 nur dann die Arbeit bei ihr aufnehmen könne, wenn er der Firma R. gegenüber vertragsbrüchig würde, hat der Beklagte in der Berufungsinstanz nicht mehr aufrechterhalten. Es ist also davon auszugehen, daß die Klägerin den Beklagten nicht etwa zum Vertragsbruch der Firma R. gegenüber verleitet hat. Denn eine Verleitung zum Arbeitsvertragsbruch der Firma R. gegenüber liegt auch nicht darin, daß die Klägerin nach der Sachdarstellung des Beklagten ihm freigestellt haben soll, auch früher als am 1. Mai 1961 die Arbeit bei ihr aufzunehmen. Insoweit ist nicht ersichtlich, daß damit die Klägerin den Beklagten veranlassen wollte, bei der Firma R. vertragsbrüchig zu werden.Randnummer14
Der Beklagte als vertragschließender Arbeitnehmer hat bei Abschluß dieses Arbeitsvertrages nicht Sittenwidrig gehandelt. Jedem Arbeitnehmer steht nach Art. 12 GG die freie Wahl seines Arbeitsplatzes offen. Daraus ergibt sich, daß jeder Arbeitnehmer in freier Willensentschließung seinen derzeitigen auf unbestimmte Zeit eingegangenen Arbeitsvertrag unter Beachtung der gesetzlichen oder der vereinbarten Kündigungsfristen kündigen kann, um zu einem anderen Arbeitgeber zu gehen. Dabei kann der Arbeitnehmer auch kündigen, um in die Dienste eines Arbeitgebers zu treten, der mit dem bisherigen Arbeitgeber im Wettbewerb steht. Wenn sich der bisherige Arbeitgeber gegen ein solches Überwechseln seines Arbeitnehmers zu einem Wettbewerbsunternehmen sichern will, so ist es ihm unbenommen, den Arbeitnehmer durch Abschluß langfristiger Arbeitsverträge an sich zu binden oder aber mit ihm ein Wettbewerbsverbot zu vereinbaren, kraft dessen es dem Arbeitnehmer verwehrt ist, zu bestimmten anderen Arbeitgebern zu gehen. Derartige Wettbewerbsverbote sind, sofern sie die dafür gesetzten rechtlichen Schranken innehalten, grundsätzlich zulässig.Randnummer15
Eine Sittenwidrigkeit des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrages folgt auch nicht daraus, daß die Klägerin den Beklagten von der Firma R. abgeworben haben soll. Der Arbeitgeber, der in Zeiten einer angespannten Arbeitsmarktlage sich um Arbeitskräfte bemüht, handelt dadurch allein nicht Sittenwidrig, und zwar auch dann nicht, wenn es sich bei diesen Arbeitnehmern um solche handelt, die bei einem anderen mit dem Arbeitgeber im Wettbewerb stehenden Unternehmen tätig sind. Dies gilt nicht nur dann, wenn die Arbeitnehmer des Wettbewerbers ohnehin zum Arbeitsplatzwechsel entschlossen sind; es gilt vielmehr auch dann, wenn die Anregung zum Arbeitsplatzwechsel von dem abwerbenden Arbeitgeber ausgeht. Sittenwidrig könnte das Handeln des Arbeitgebers dem anderen Unternehmen gegenüber allerdings dann sein, wenn er sich bei der Gewinnung von dessen Arbeitskräften solcher Mittel bedient, die mit den Anschauungen der beteiligten Wirtschaftskreise über die Grenzen eines zulässigen Wettbewerbes und den Anschauungen des Arbeitslebens nicht im Einklang stehen.Randnummer16
In diesem Rechtsstreit ist aber keine Entscheidung darüber zu treffen, ob sich die Klägerin der Firma R. gegenüber durch ihr Verhalten bei der Abwerbung von Arbeitskräften einer Wettbewerbsverletzung oder einer sittenwidrigen Handlung schuldig gemacht hat. Der Entscheidung des Senats unterliegt vielmehr lediglich die Frage, ob der Arbeitsvertrag zwischen der Klägerin und dem Beklagten Sittenwidrig ist. Eine Sittenwidrigkeit dieses Arbeitsvertrages würde jedoch nicht ohne weiteres bereits dann gegeben sein, wenn die Klägerin der Firma R. gegenüber gegen die Grundsätze des lauteren Wettbewerbs verstoßen haben sollte. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich wie hier nicht um die Verleitung zum Arbeitsvertragsbruch handelt.Randnummer17
Der Beklagte glaubt nun, der Arbeitsvertrag zwischen ihm und der Klägerin sei deshalb Sittenwidrig und nichtig, weil sich die Klägerin bei der Anwerbung auch ihm gegenüber unlauterer Mittel bedient habe. Insoweit hat er in den Vorinstanzen vorgetragen, die Klägerin habe, um ihn als Arbeitskraft zu gewinnen, den Stadtoberinspektor D. und den Gendarmerieoberwachtmeister K. eingeschaltet, die beide sowohl mit ihm wie mit seiner Ehefrau und seiner Schwiegermutter gesprochen hätten, um den Beklagten zur Eingehung des Arbeitsvertrages mit der Klägerin zu veranlassen. Dadurch habe er sich „unter einem gewissen Druck“ gefühlt.Randnummer18
Aus diesem Vortrag allein folgt aber nicht, daß die Klägerin sich unlauterer Mittel dem Beklagten gegenüber bedient hat und daß deshalb der geschlossene Arbeitsvertrag Sittenwidrig ist. Der Beklagte hat nicht näher dargelegt, worin denn der „gewisse Druck“, unter dem er sich gefühlt haben will, bestanden haben soll. Der Beklagte hätte darlegen müssen, mit welchen Mitteln D. und K. ihn unter Druck gesetzt haben sollen. Hierzu bestand um so mehr Veranlassung, als bereits das Arbeitsgericht ausgeführt hatte, der Beklagte hätte substantiiert vortragen müssen. daß die Klägerin sich besonderer unlauterer Mittel bedient habe, um ihn zur Aufgabe seines Arbeitsplatzes bei der Firma R. zu veranlassen.Randnummer19
Das Landesarbeitsgericht hätte zwar erwägen müssen, ob es nicht in Anwendung des § 139 ZPO den Beklagten zur Ergänzung seines Sachvortrages hätte veranlassen müssen. Für die Revisionsinstanz ist aber davon auszugehen, daß der Beklagte eine Verletzung des § 139 ZPO insoweit nicht ausreichend gerügt hat. Eine solche Rüge hätte erfordert, daß der Beklagte von sich aus in der Revisionsbegründung näher ausgeführt hätte, worin der Druck, den D. und K. auf ihn ausgeübt haben sollen, bestanden und daß es sich um einen Druck gehandelt hat, der seine Willensfreiheit ernstlich hätte beeinträchtigen können. Allein mit dem Vortrag, „er habe sich unter Druck gefühlt“, kann der Beklagte nicht die Sittenwidrigkeit des mit ihm abgeschlossenen Arbeitsvertrages dartun.Randnummer20
III. Der Senat hat weiterhin geprüft, ob der Arbeitsvertrag zwischen dem Beklagten und der Klägerin nicht anfechtbar und durch das Schreiben des Beklagten vom 21. Januar 1961 angefochten ist.Randnummer21
1. Zur Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen Drohung wäre der Beklagte nach § 123 BGB dann befugt gewesen, wenn er durch eine Drohung widerrechtlich zum Abschluß des Arbeitsvertrages veranlaßt worden wäre. Insoweit kommt lediglich die Behauptung des Beklagten über die Tätigkeit des Stadtoberinspektors D. und des Gendarmerieoberwachtmeisters K. in Betracht. Es fehlt aber an der schlüssigen Darlegung des Tatbestandes einer widerrechtlichen Drohung. Der Beklagte hätte näher darlegen müssen, welche Erklärungen D. und K. ihm gegenüber abgegeben haben und inwiefern er sich durch diese Erklärungen bedroht fühlen konnte. An einem solchen Vortrag des Beklagten hat es bereits in den Vorinstanzen gefehlt; er kann in der Revisionsinstanz nicht mehr nachgeholt werden.Randnummer22
2. Eine Anfechtung wegen Irrtums, der nur darin bestehen könnte, daß der Beklagte bei Abschluß des Arbeitsvertrages vom 18. Januar 1961 sich über das Bestehen der (nach seiner Darstellung bereits vorher aufgegebenen) Kündigungsmöglichkeit der Firma R. gegenüber geirrt haben sollte, scheidet deshalb aus, weil es sich insoweit nicht um einen Irrtum über den Inhalt der Erklärung oder über wesentliche Eigenschaften i. S. des § 119 BGB handeln würde, sondern um einen rechtlich unbeachtlichen Irrtum im Beweggrund.Randnummer23
3. Unter diesen Umständen kann es, da der Beklagte zur Anfechtung des Arbeitsvertrages weder wegen Drohung noch wegen Irrtums befugt ist, dahingestellt bleiben, ob in seiner Erklärung der Klägerin gegenüber vom 21. Januar 1961 überhaupt eine Anfechtung wegen Willensmangels zu erblicken ist oder ob es sich bei dieser Erklärung nicht nur um einen unzulässigen, einseitigen Rücktritt von einem rechtswirksam geschlossenen Arbeitsvertrag handelt.Randnummer24
IV. Der Senat hat ferner noch geprüft, ob der Klägerin, die sich auf den Arbeitsvertrag vom 18. Januar 1961 beruft, der Einwand der Arglist entgegengesetzt werden kann, und zwar deshalb, weil es sich bei der Einstellung des Beklagten um eine der Firma R. gegenüber vorgenommene unlautere Wettbewerbsmaßnahme gehandelt haben soll.Randnummer25
Der Beklagte kann aber diesen Einwand nicht erheben. Auch im Arbeitsrecht gilt der Grundsatz der Vertragstreue. Der Beklagte als Arbeitnehmer war gehalten, den rechtswirksam mit der Klägerin eingegangenen und nicht anfechtbaren Arbeitsvertrag vom 18. Januar 1961 zu erfüllen: Er mußte am 1. Mai 1961 die Arbeit bei der Klägerin aufnehmen. Auf diesen Arbeitsvertrag hat der Beklagte sich freiwillig eingelassene. Er kann sich von ihm nicht einseitig lösen, und zwar auch dann nicht, wenn ihm die Firma R. ein günstigeres Angebot gemacht haben sollte. Die Klägerin handelt jedenfalls dem Beklagten gegenüber nicht arglistig, wenn sie auf Erfüllung des Arbeitsvertrages besteht. Aus etwaigen Rechten der Firma R. der Klägerin gegenüber kann der Beklagte für sich keine Rechte, insbesondere auch nicht den Einwand der Arglist, herleiten.Randnummer26
V. Fehl geht es, wenn die Revision schließlich noch geltend macht, der zwischen den Parteien geschlossene Arbeitsvertrag sei deshalb ungültig, weil der Beklagte nicht gleichzeitig in zwei Arbeitsverhältnissen stehen könne, die ihn zu voller ganztägiger Arbeit bei verschiedenen Arbeitgebern verpflichteten. In diese Lage hat sich der Beklagte dadurch selbst gebracht, daß er sich sowohl der Firma R… wie der Klägerin gegenüber gebunden hat. Es liegt nicht etwa bei dem mit der Klägerin eingegangenen Arbeitsvertrag ein nichtiger Vertrag auf eine von Anfang an unmögliche Leistung vor.Randnummer27
VI. Kann sonach die Klägerin Erfüllung des Arbeitsvertrages vom 18. Januar 1961 verlangen, so ist der Beklagte gehalten, der Klägerin den durch die Nichterfüllung entstandenen Schaden zu ersetzen. Die Vorinstanzen haben daher der von der Klägerin erhobenen Feststellungsklage rechtsirrtumsfrei stattgegeben.Randnummer28
Aus diesem Grund war die Revision des Beklagten, mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO, zurückzuweisen.
Schlagworte: Abwerbeverbot, Abwerbung, Gezielte Behinderung, Mitbewerber gezielt behindert, nachvertragliches Abwerbeverbot, UWG § 4 Nr. 4