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AG Charlottenburg, Beschluss vom 22.01.2016 – 99 AR 9466/15

§ 2 Abs 1 S 1 GmbHG, § 9c Abs 1 S 1 GmbHG

Die Gründung einer deutschen GmbH durch einen schweizer Notar aus dem Kanton Bern ist unwirksam und nicht ins Handelsregister eintragungsfähig.

Tenor

Die Anmeldung vom 09.09.2015 auf Eintragung der Gesellschaft wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Gründe

I.

Mit Anmeldung vom 09.09.2015 wurde die Gründung der „S GmbH“ (nachfolgend auch: „Gesellschaft i. Gr.“) zum Handelsregister angemeldet. Mit der Anmeldung eingereicht wurde eine mit Apostille versehene öffentliche Urkunde des Schweizer Notars W., dienstansässig in T. im Kanton Bern. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Urschrift Nr. 312 vom 09.09.2015 des Berner Notars W. verwiesen.

Das Gericht hat die Gesellschaft i. Gr. darauf hingewiesen, dass es die Beurkundung der Gründung einer Gesellschaft mit beschränkter HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Haftung
durch einen Schweizer Notar als nicht ausreichend erachtet, um die Form des § 2 Abs. 1 S. 1 GmbHG zu wahren. Die Gesellschaft i. Gr. hat zu diesen gerichtlichen Hinweisen mit Schreiben vom 04.01.2016 ausführlich Stellung genommen.

II.

Die Anmeldung der Eintragung der Gesellschaft ist zurückzuweisen, da die Gesellschaft nicht ordnungsgemäß errichtet worden ist, § 9c Abs. 1 S. 1 GmbHG. Die Beurkundung der Gründung einer deutschen GmbH durch einen Schweizer Notar genügt nicht der Form des § 2 Abs. 1. S. 1 GmbHG. Dies gilt insbesondere für die Beurkundung durch einen Notar des Schweizer Kantons Bern, da das im Kanton Bern zu beachtende Beurkundungsverfahren derart von deutschen Standards abweicht, dass nicht von einer Gleichwertigkeit der Beurkundung gesprochen werden kann.

1.

Auf den vorliegenden Fall ist hinsichtlich der Formerfordernisse deutsches Recht anwendbar, Art. 11 Abs. 1 Alt. 1 EGBG. Die Einhaltung der formellen Vorschriften des schweizer Rechts bzw. des Rechtes des Kantons Bern ist nicht ausreichend.

a. Das Gericht schließt sich der ganz herrschenden Meinung an, wonach aufgrund der besonderen materiellen Bedeutung von § 2 Abs. 1 GmbHG die Einhaltung der (schweizer) „Ortsform“ gem. Art. 11 Abs. 1 Alt. 2 EGBG nicht ausreicht (statt vieler vgl. nur Baumbach/Hueck-Fastrich, GmbHG, 20. Aufl., § 2 Rz. 9; Lutter/Hommelhoff-Bayer, GmbHG, 18. Auflage, § 2 Rz. 18, jeweils mit zahlreichen Nachweisen). Ausweislich der Gesetzesmaterialien zum Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts vom 25.07.1986 (BGBl. I, S. 1142) sollte sich der auf das EG-Schuldrechtsübereinkommen zurückzuführende Art. 11 EGBGB ausdrücklich nicht auf Fragen der Verfassung juristischer Personen beziehen (BT-Drs. 10/504, 49; MK/AktG-Pentz, 4. Auflage, § 23 Rz. 30). Diese Ansicht wird zudem im Referentenentwurf für ein Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristische Personen vertreten (S. 4 des Entwurfes, abzurufen unter http://www.gesmat.bundesgerichtshof.de/gesetzesmaterialien/16_wp/int_gesr/refe.pdf). Träfe die Ansicht der Gesellschaft i. Gr. zu, wonach die Einhaltung der „Ortsform“ ausreichend wäre, wäre beispielsweise die Gründung einer deutschen GmbH in den USA vor einem in juristischer Hinsicht überhaupt nicht ausgebildeten Notary Public möglich.

b. Die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.06.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“) ist nicht einschlägig, da das internationale Gesellschaftsrecht gem. Art. 1 Abs. 2f von ihrem Anwendungsbereich ausgenommen ist.

c. Die Gesellschaft i. Gr. vertritt die Auffassung, bereits aus der Formulierung des § 2 Abs. 1 S. 1 GmbHG folge die Zulässigkeit der Beurkundung durch einen Schweizer Notar; denn sofern der Gesetzgeber ausschließlich deutsche Notare für zuständig erklären wolle, wäre dies aus der Formulierung der Norm („deutscher Notar“) ersichtlich, wie beispielsweise in § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO. Dass diese Auffassung unzutreffend ist, ergibt sich bereits aus § 925 Abs. 1 S. 2 BGB. Nach der zitierten Vorschrift ist zur Entgegennahme der Auflassung „jeder“ Notar zuständig. Nach ganz herrschender Meinung kann aber entgegen des Wortlautes die Auflassung nicht vor jedem Notar, sondern nur vor einem deutschen Notar erfolgen (vgl. statt vieler mit zahlreichen Nachweisen MK/BGB- Kanzleiter, 6. Auflage, § 925 Rz. 14). Dies beruhe, so die h. M., auf dem Zweck des § 925 BGB, die Schaffung nach deutschem Recht einwandfreier und unzweideutiger Unterlagen als Grundlage für den Vollzug der Eigentumsumschreibung im Grundbuch zu gewährleisten (MK aaO.). Diese Gesichtspunkte gelten ebenso für die Gründung einer GmbH, sodass eine unterschiedliche Behandlung nicht gerechtfertigt ist.

2.

Die Frage, ob die Gründung einer deutschen GmbH durch einen Schweizer Notar beurkundet werden kann, ist, soweit ersichtlich, höchstrichterlich noch nicht entschieden worden: Die einzige Entscheidung des BGH, die zumindest ein ähnliches Problem zum Gegenstand hat, stammt aus den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts (BGH NJW 1981, 1160). Die weiteren Entscheidungen verhalten sich entweder nicht zu Vorgängen, die die Verfassung der Gesellschaft betreffen, oder haben zudem keinen Schweizer Sachverhalt zum Gegenstand.

a. Die bereits erwähnte Entscheidung von 1981 hatte die Beurkundung einer Änderung des Gesellschaftsvertrages einer deutschen GmbH durch einen Zürcher Notar zum Gegenstand. Der BGH legte seiner Entscheidung irrig ein falsches Beurkundungsverfahren für den Kanton Zürich zugrunde (entgegen der Ansicht des BGH bestand und besteht im Kanton Zürich keine Pflicht des Notars, die Urkunde zu verlesen, vgl. hierzu Müller, NJW 2014, 1994, 1995, 1997). Zudem hatte der BGH ausweislich der Urteilsgründe keine eigenen Recherchen zur Rechtslage in der Schweiz angestellt, sondern stützte sich allein auf ein Gutachten der Universität Köln aus dem Jahr 1971. Dieses vor über 40 Jahren erstellte universitäre Gutachten befasste sich aber nur mit der Frage, ob die notarielle Unterschriftsbeglaubigung in Zürich mit der in Deutschland vergleichbar sei. Das Gutachten machte auch selbst deutlich, dass es damit für die davon zu unterscheidende Beurkundung nichts aussagen könne (Müller, aaO.). In der Entscheidung stellte der BGH auf der genannten zweifelhaften Grundlage fest, ein vom deutschen Recht aufgestelltes Beurkundungserfordernis könne auch durch die Beurkundung durch einen ausländischen Notar erfüllt werden, sofern sowohl die Stellung des Notars wie auch das nach ausländischem Recht einzuhaltende Beurkundungsverfahren der deutschen Beurkundung als gleichwertig anzusehen seien.

b. Ein weiteres BGH-Urteil aus dem Jahr 1989 hatte die Abtretung von Geschäftsanteilen, beurkundet durch einen Schweizer Notar, zum Gegenstand. Lediglich in einem obiter dictum am Ende der Entscheidung gelangte der BGH unter bloßem Verweis auf die vorgenannte Entscheidung aus dem Jahr 1981 zu dem Ergebnis, bei der Beurkundung durch einen Schweizer Notar sei das in deutschen Gesetzesvorschriften aufgestellte Formerfordernis der notariellen Beurkundung erfüllt (BGH NJW-RR 1989, 1259, 1261). Der Kanton, in dem die Beurkundung stattgefunden hatte, wurde nicht erwähnt.

c. Im Beschluss vom 17.12.2013 (NJW 2014, 2026 ff.) hat der BGH zu dem hier interessierenden Thema dagegen nicht Stellung genommen: Er hat nicht die Wirksamkeit einer in Basel beurkundeten Anteilsabtretung untersucht. Entscheidungsgegenstand war nur die Frage, ob die Gesellschafterliste eines Baseler Notars vom deutschen Handelsregister zu akzeptieren sei. Der BGH hat entschieden, dass ein deutsches Registergericht die Gesellschafterliste einer GmbH nicht schon deshalb zurückweisen dürfe, weil sie von einem Baseler Notar eingereicht worden sei. Auch diese Entscheidung hatte also nicht die Beurkundung der Gründung einer GmbH durch einen Schweizer Notar zum Gegenstand.

d. Auch aus dem Urteil des BGH vom 21.10.2014 (NZG 2015, 18 ff.) lässt sich nicht herleiten, dass vorliegend ein ausländischer Notar hätte beurkunden können: Gegenstand der Entscheidung war die Beurkundung der Hauptversammlung einer deutschen Aktiengesellschaft (vgl. § 130 AktG) durch einen ausländischen Notar. Der BGH billigte dies, stellte aber in der Begründung entscheidend ab auf die mangelnde Einflussmöglichkeit des Notars auf den Versammlungsablauf (Rz. 18) sowie das Nichtbestehen von Prüfungs- und Belehrungspflichten (Rz. 19). Die Beurkundung der Hauptversammlung sei keine Beurkundung von (Willens-)Erklärungen, sondern eine sonstige Beurkundung über die Wahrnehmungen des Notars. Für eine solche Form der Beurkundung nach dem dritten Abschnitt des Beurkundungsgesetzes gälten die Prüfungs- und Belehrungspflichten nach § 17 BeurkG aber ohnehin nicht. Zudem habe der Gesetzgeber für weniger bedeutende Beschlüsse bei nichtbörsennotierten Gesellschaften die Anwesenheit eines Notars für verzichtbar erachtet, § 130 Abs. 1 S. 3 AktG, so der BGH.

Bei der Gründung der GmbH dagegen sind Willenserklärungen zu beurkunden, § 17 BeurkG ist anwendbar, der Gesetzgeber hat keine Ausnahmen vom Erfordernis der Beurkundung vorgesehen und die Beurkundung der Gründung einer GmbH ist mit der Protokollierung des Ablaufes einer Hauptversammlung nicht zu vergleichen.

3.

Eine Beurkundung durch einen ausländischen Notar soll der Beurkundung durch einen deutschen Notar iSd. genannten Rechtsprechung des BGH gleichwertig sein, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind:

Die ausländische Urkundsperson hat zum einen für die Errichtung der Urkunde ein Verfahrensrecht zu beachten, das den tragenden Grundsätzen des deutschen Beurkundungsrechts entspricht. Zum anderen muss die ausländische Urkundsperson nach Vorbildung und Stellung im Rechtsleben eine der Tätigkeit des deutschen Notars entsprechende Funktion ausüben.

Die erste Voraussetzung – Gleichwertigkeit des Verfahrensrechts – ist vorliegend nicht erfüllt:

a. Dabei ist zu beachten, dass bei der Gründung einer GmbH Willenserklärungen zu beurkunden sind und damit in Deutschland das Verfahren nach §§ 8 ff. BeurkG einzuhalten ist. Zudem ist zu beachten, dass ein erheblicher Unterschied zwischen der Beurkundung der Abtretung von Geschäftsanteilen an einer GmbH und der Beurkundung der Gründung einer GmbH besteht. In der Stellungnahme der Gesellschaft i. Gr. wird auf diese Unterscheidung nicht Rücksicht genommen, wenn Entscheidungen deutscher Gerichte zitiert werden, die sich nicht auf die Gründung einer GmbH, sondern auf die Abtretung von Geschäftsanteilen beziehen.

b. Das im Kanton Bern zu beachtende Beurkundungsverfahren weicht derart von deutschen Standards ab, dass nicht von einer Gleichwertigkeit der Beurkundung gesprochen werden kann: Im Kanton Bern gilt die Notariatsverordnung (NV) vom 26.04.2006 (BAG 06-059). Nach Art. 46 I NV liest der Notar die Urkunde (nur) vor, soweit sie Willenserklärungen enthält. Nach Art. 46 II NV können Bürgschaften selbst gelesen werden. Nach Art. 39 NV sind Beilagen der Urschrift im Original oder in beglaubigter Kopie beizufügen und mit einem Zeugnis des Notars über die Zugehörigkeit zu der betreffenden Urschrift zu versehen. In Bern müssen also Anlagen gar nicht und die Urkunde nur insoweit vorgelesen werden, als sie Willenserklärungen enthält. Im deutschen Recht dagegen muss gem. § 13 BeurkG die gesamte Niederschrift und nicht nur die beurkundeten Erklärungen der Beteiligten vorgelesen werden (Winkler, BeurkG, 17. Auflage, § 13 Rz. 21). Ebenso sind in Deutschland auch die einen Teil der notariellen Niederschrift bildenden Anlagen iSd. § 9 Abs. 1 S. 2 BeurkG zu verlesen. Eine Verletzung der Verlesungspflicht führt zur Nichtigkeit der Beurkundung (Winkler, aaO., Rz. 23). Die Vorlesungspflicht ist ein „Essentiale der Beurkundung“ (Winkler, aaO., Rz. 2), „Kernstück“ der notariellen Beurkundungsverhandlung (Eylmann/Vaasen-Limmer, BeurkG, 3. Auflage, § 13 Rz. 3). Das Verlesen der Urkunde ist damit im Sinne der Gleichwertigkeits-Rechtsprechung des BGH als tragender Grundsatz des deutschen Beurkundungsrechts anzusehen (MK/GmbHG-J. Mayer, 2. Auflage, § 2 Rz. 52; Schmidt, aaO., 1998; Haerendel, DStR 2001, 1802, 1805). Denn gerade das Verlesen ist das zwingende Unterscheidungsmerkmal zur bloßen Beglaubigung. Da dieser Grundsatz im notariellen Verfahrensrecht des Kantons Bern nicht gleichwertig gewahrt ist, ergibt sich bereits aus diesen Gründen die Formnichtigkeit der Gründung der Gesellschaft.

c. Daran ändert auch eine freiwillige, gleichsam „überobligatorische“ Anwendung des höheren (deutschen) Standards durch den ausländischen Notar nichts: Es kommt abstrakt darauf an, dass der ausländische Notar nach der für ihn geltenden Notariatsverfassung ein gleichwertiges Verfahren einhalten muss. Jede andere Handhabung würde zu einer Einzelfallprüfung und damit zu einer großen Rechtsunsicherheit führen. Gleichwertig ist nicht eine einzelne Beurkundung, sondern die Beurkundung durch die Notare eines bestimmten Staates (Staudinger/Hertel, BGB, Bearbeitung 2012, Vor §§ 127a, 128, Rz. 874; Schmidt, aaO., 1999). Andernfalls müsste für jeden Notar überprüft werden, ob er über ausreichende Kenntnisse im deutschen Recht verfügt. Dies würde wohl die Ablegung eines Sachkundenachweises durch den ausländischen Notar erfordern, was höchst unpraktikabel wäre.

4.

Das Gericht teilt auch die in der Literatur vertretene Meinung, der BGH habe die in den beiden erwähnten Entscheidungen aus den 80er Jahren zum Ausdruck gekommene Ansicht der Gleichwertigkeit der Beurkundung durch einen Schweizer Notar nur deshalb noch nicht korrigiert, da das Gericht hierzu noch keine Gelegenheit hatte (MK/GmbHG-J. Mayer, 2. Auflage, § 2 Rz. 56 m. weit. Nachw.). Auch daraus ergibt sich vorliegend die Formnichtigkeit der Beurkundung. Dies aus folgenden Gründen:

a. Im Vorfeld der Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1981 hatten die Oberlandesgerichte Hamm und Karlsruhe sowie zahlreiche Stimmen in der Literatur die Gleichwertigkeit der Beurkundung mit der Begründung abgelehnt, die Prüfungs- und Belehrungspflicht des deutschen Notars erfordere eine genaue Kenntnis des deutschen Gesellschaftsrechts, die der ausländische Notar regelmäßig nicht besitze. Der BGH räumte zwar ein, das in § 53 Abs. 2 GmbHG angeordnete Erfordernis der notariellen Beurkundung verfolge auch den Zweck, den zu beurkundenden Vorgang rechtlich zu prüfen, die Urkundsbeteiligten rechtlich zu beraten und zu belehren, damit Irrtümer und Zweifel vermieden sowie unerfahrene und ungewandte Beteiligte nicht benachteiligt würden (vgl. § 17 Abs. 1 BeurkG). Entscheidend sei aber, dass die Befolgung der Pflichten aus §17 Abs. 1 BeurkG nicht Wirksamkeitsvoraussetzung der Beurkundung, sondern verzichtbar sei. Einem solchen Verzicht käme es praktisch gleich, wenn die Beteiligten einen ausländischen Notar aufsuchten, von dem sie regelmäßig eine genaue Kenntnis des deutschen Gesellschaftsrechts und deshalb eine umfassende Belehrung von vornherein gar nicht erwarten könnten. Die inhaltliche Prüfung durch das Registergericht gewährleiste, dass Urkunden, die Publizitätswirkung für Dritte hätten, (auch ohne inhaltliche Prüfung durch einen Notar) eine sichere Grundlage für den Rechtsverkehr darstellten. Hinzu käme, dass vom deutschen Notar die Kenntnis des Inhalts ausländischer Rechtsordnungen ebenso nicht erwartet werden könne (vgl. § 17 Abs 3 S. 2 BeurkG).

bb. Alle diese Argumente stehen teils im Widerspruch zur eigenen Rechtsprechung des BGH seit den beiden erwähnten Entscheidungen aus den 1980er Jahren, teils zur bereits damals geltenden Rechtslage, teils zur nunmehr geltenden Rechtslage:

(1) In der Rechtsprechung des BGH ist anerkannt, dass jedenfalls im (hier vorliegenden) Beurkundungsverfahren gem. §§ 8 ff. BeurkG ein Verzicht auf die notarielle Belehrungs- und Prüfungspflicht gem. § 17 Abs. 1 BeurkG nicht möglich ist. Daran ändert auch nichts, dass § 17 Abs. 1 BeurkG als „Soll-Vorschrift“ konzipiert ist, denn für den Notar bedeutet das „Soll“ ein dienstrechtliches „Muss“ (BT-Drs. V/4014 sub II.1.a). Nur ausnahmsweise kann der Notar von einer Belehrung absehen, wenn – im Einzelfall – die Beteiligten sich über die Tragweite ihrer Erklärungen und das damit verbundene Risiko vollständig im Klaren sind und sie die konkrete Vertragsgestaltung gleichwohl ernsthaft wollen. Grund hierfür ist aber nicht, dass die Beteiligten auf den Schutz des § 17 Abs. 1 BeurkG „verzichten“ könnten, sondern in diesen Ausnahmefällen ist eine Belehrung nicht erforderlich, da die Beteiligten insoweit nicht schutzbedürftig sind (BGH NJW 1995, 330, 331). Wenn aber die Belehrungspflicht eines deutschen Notars nicht verzichtbar ist, sondern nur auf der Grundlage besonderer Voraussetzungen entfallen kann, dann kann auch die weitere These des BGH, bereits durch die Wahl eines ausländischen Notars sei ein solcher Verzicht konkludent anzunehmen, nicht aufrechterhalten werden. Das Entfallen der Belehrungspflicht wird zudem in der übrigen Rechtsprechung des BGH als Ausnahme von der Regel angesehen, womit schwer vereinbar ist, bei Auslandsbeurkundungen die Ausnahme zur Regel zu machen. Hinzu kommt auch, dass nach der ständigen Rechtsprechung des BGH (vgl. nur BGH aaO.) sich der Notar durch gezieltes Nachfragen davon überzeugen muss, dass sich die Beteiligten auch und gerade über die rechtlichen Konsequenzen ihres Tuns im Klaren sind; nur wenn der Notar sich insoweit sicher ist, kann man überhaupt an ein Entfallen der Belehrungspflicht denken. Als Organ der Rechtspflege ist der Notar insbesondere dann zur Belehrung verpflichtet, wenn besondere Umstände es nahe legen, dass einem Beteiligten wegen mangelnder Kenntnis der Rechts- oder Sachlage ein Schaden droht. Daraus folgt zwingend, dass der handelnde Notar über entsprechende Fachkenntnisse verfügen muss, um überhaupt das Bestehen etwaiger Risiken für die Beteiligten einschätzen zu können (Dignas, GmbHR 2005, 139, 143).

(2) Auch die weitere Begründung des BGH in der genannten Entscheidung aus dem Jahr 1981, auch von einem deutschen Notar könne die Kenntnis des Inhalts ausländischer Rechtsordnungen nicht erwartet werden (vgl. § 17 Abs 3 S. 2 BeurkG), verfängt nicht. Besonders mit der (zwischenzeitlich eingefügten) Regelung des § 11a BNotO zeigt der deutsche (und in § 31 Abs. 3 ÖNO übrigens auch der österreichische) Gesetzgeber, dass ein Verzicht auf die Belehrung über ausländisches Recht im Rahmen der Beurkundung gerade nicht gewollt ist. Vielmehr wird damit die Auffassung des Gesetzgebers deutlich, dass der inländische Notar bei Anwendung ausländischen Rechts gerade nicht per se eine gleichwertige fachliche Qualifikation inne hat wie der ausländische Notar. Eine Regelung wie in § 11a BNotO wäre nicht notwendig, wenn bei der Anwendung ausländischen Rechts eine Beratung und Belehrung obsolet wäre (Dignas, GmbHR 2005, 139, 144).

(3) Auch die weitere Begründung, die Prüfung durch das Registergericht gewährleiste, dass die Urkunde eine sichere Grundlage für den Rechtsverkehr darstelle, überzeugt nicht (mehr). Nach der Einführung des § 9c Abs. 2 GmbHG im Jahr 1998 ist die Inhaltskontrolle durch das Handelsregister bei der Gründung einer GmbH erheblich beschränkt.

(4) Hinzu kommt, dass in der neueren Rechtsprechung des BGH, die nach den beiden genannten Entscheidungen aus den 1980er Jahren ergangen ist, der Zweck der notariellen Beurkundung des Gesellschaftsvertrages (auch) in „Beweissicherungs- und damit Rechtssicherheitsgründen” sowie einer „materiellen Richtigkeitsgewähr” gesehen wird, und die notarielle Beurkundung eine „Prüfungs- und Betreuungsfunktion” gewährleiste (vgl. BGH NJW 1989, 295, 298 – „Supermarkt“). Dem ist jedenfalls zuzustimmen, wenn die Wirkungen der beurkundeten Erklärungen über den Kreis der unmittelbar Beteiligten hinausreichen und auch für Dritte Geltung haben oder erlangen können, also insbesondere bei Akten, die die Verfassung der Gesellschaft betreffen, wie z. B. die Gründung einer GmbH. In diesen Fällen hat der Gesetzgeber nicht nur die schwächere Form der notariellen Beglaubigung, sondern ausdrücklich die notarielle Beurkundung angeordnet. Grund dieser Anordnung ist, dass eben nicht nur sichergestellt werden soll, dass die Identität der Erklärenden zweifelsfrei feststeht, sondern dass die Urkundsperson auch sachlich zu dem Inhalt der beurkundeten Erklärungen Stellung nehmen soll, und diese Stellungnahme – im Gegensatz zu den beratenden Rechtsanwälten – von neutraler Warte aus erfolgt (Goette, DStR 1996, 709, 712). Ein ausländischer Notar kann aber diese vom Gesetzgeber durch Anordnung der notariellen Beurkundung bezweckte materielle Richtigkeitsgewähr gerade nicht gewährleisten (Goette, DStR 1996, 709, 712 f.; Staudinger/Hertel, BGB, Bearbeitung 2012, Vor §§ 127a, 128, Rz. 875; MK/GmbHG-J. Mayer, 2. Auflage, § 2 Rz. 54 ff.; Lutter/Hommelhoff-Bayer, GmbHG, 18. Auflage, § 2 Rz. 19; Winkler, BeurkG, 17. Aufl., Einleitung Rz. 90 ff.; Haerendel, DStR 2001, 1802, 1804 f.). Auch an dieser Stelle wird noch einmal deutlich, dass der vom BGH in der Entscheidung aus dem Jahr 1981 angenommene „Belehrungsverzicht“ sehr zweifelhaft ist – es wäre ein Verzicht zu Lasten Dritter, nämlich der Allgemeinheit, die auf die Richtigkeit der notariellen Urkunden vertraut.

(5) Die Theorie der Gleichwertigkeit der Beurkundung des BGH hat damit eine gravierende Schwäche: Sie erfordert keine Kenntnis des deutschen Rechts. Aber was nutzt den Urkundsbeteiligten (und der Allgemeinheit) beispielsweise ein portugiesischer Notar mit ausgezeichneten Kenntnissen im portugiesischen Gesellschaftsrecht, der einem strengen Standesrecht der Notarkammer Lissabon unterworfen ist und sich penibel an das portugiesische Beurkundungsgesetz hält, wenn er vom Inhalt des zu beurkundenden Rechtsaktes – der Gründung einer deutschen GmbH – mangels Kenntnis des deutschen Rechts keine Ahnung hat (Hertel, aaO., Rz. 875). Der Notar soll nach dem Verständnis des deutschen Gesetzgebers ja gerade kein bloßes Schreibbüro sein, in dem unreflektiert Erklärungen protokolliert werden.

(6) Schließlich kommt hinzu, dass regelmäßig nur ein deutscher Notar den Melde- und Kontrollpflichten unterliegt wie z. B. § 54 EStDV, der dem (deutschen) Notar bei der Gründung von Kapitalgesellschaften aufgibt, dem Finanzamt beglaubigte Abschriften der Gründungsurkunde zu übersenden (MK/GmbHG aaO., Rz. 55; Winkler, aaO., Rz. 95). Auch aus diesem Grund ist das Beurkundungsverfahren in der Schweiz dem deutschen nicht gleichwertig.

5.

Lediglich am Rande sei erwähnt, dass das Erfordernis der Beurkundung durch einen deutschen Notar keinen Verstoß gegen die europäischen Grundfreiheiten, insbesondere die Niederlassungs- bzw. Dienstleistungsfreiheit, darstellt (die im vorliegenden Fall mangels Geltung in Beziehungen zur Schweiz ohnehin nicht anwendbar wären): Eine Beschränkung der Niederlassungs- bzw. Dienstleistungsfreiheit wäre im vorliegenden Fall aus „aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses” („Gebhard-Formel“) gerechtfertigt, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt (vgl. hierzu auch die Entscheidung des EuGH zum Staatsangehörigkeitsvorbehalt für deutsche Notare, Urt. vom 24.05.2011, C-54/08, Tz. 96-98, 100). Zudem hat der EuGH in seiner Rechtsprechung zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung (EuGH, Urteil vom 12.07.2012, C-378/10 – „VALE“, NJW 2012, 2715, 2718, Rz. 52) es ausdrücklich für zulässig erachtet, dass der Zuzugsstaat seine gesellschaftsrechtlichen Gründungsvorschriften anwendet.

Im Übrigen erstaunt die Ansicht der Gesellschaft i. Gr., dass der „internationale Rechtsverkehr“ „erheblich eingeschränkt“ werde, wenn es einem Schweizer Notar verwehrt werde, die Gründung einer deutschen GmbH zu beurkunden. Im Grundstücksrecht wird die herrschende Meinung, wonach die Auflassung nur vor einem deutschen Notar erklärt werden kann, nicht in Frage gestellt, schon gar nicht mit dem Argument, in Zeiten der Globalisierung müsse jeder Notar in jeder Rechtsordnung beurkunden können, sonst käme der „internationale Rechtsverkehr“ zum Erliegen.

Das hier gefundene Ergebnis ist zudem nicht Ausdruck nationalstaatlichen Protektionismus, sondern vielmehr dem Schutz der Urkundsbeteiligten und dem Schutz der Allgemeinheit geschuldet. Jedenfalls in den Industriestaaten sind die Rechtsordnungen zwischenzeitlich so komplex, dass die überwiegende Anzahl der Angehörigen der rechtsberatenden Berufe sich verantwortungsvoll und bewusst auf die Rechtsordnung beschränken, in der sie ausgebildet worden und in der sie tätig sind. Selbst wenn man die Gründung einer deutschen GmbH für so „einfach“ hielte, dass dies auch mit begrenzten Rechtskenntnissen möglich sei, so ist zu bedenken, dass man dann dem ausländischen Notar auch zubilligen müsste, andere Beurkundungen gem. § 8 ff. BeurkG wie z. B. komplexe Vorgänge nach dem UmwG, vorzunehmen.

Die Entscheidung des Gesetzgebers, die beispielsweise in § 17 Abs. 1 BeurkG zum Ausdruck kommt, ist klar: Der Notar soll (jedenfalls im Rahmen der Beurkundung gem. §§ 8 ff. BeurkG) gerade nicht nur bloßer Protokollant sein, im Gegensatz zu dem im angelsächsischen Rechtskreis beheimateten Notary Public, der über keine (vertieften) Rechtskenntnisse verfügt. Wenn man das deutsche System der vorsorgenden Rechtspflege, das auf das juristische Spezialwissen des Notars setzt, abschaffen möchte, muss dies der Gesetzgeber und nicht die Rechtsprechung entscheiden. Eine faktische Abschaffung des deutschen Systems der vorsorgenden Rechtspflege durch Eröffnung eines „Beurkundungstourismus“ ist dagegen nicht möglich. Der vorliegende Fall zeigt zudem deutlich, dass weder ein berechtigtes Interesse noch ein Bedürfnis ersichtlich ist, dass eine GmbH, deren Sitz in Berlin ist, deren Geschäftsräume in Berlin liegen und deren Geschäftsführer und Gesellschafter in Berlin wohnen, gerade vor einem Schweizer Notar gegründet wird.

Schlagworte: Ausländische Beurkundung muss der deutschen gleichwertig sein, Ausländischer Notar, Liste der Gesellschafter, Notar mit Sitz im Kanton Bern, Notar mit Sitz in Basel/Schweiz