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AG Stuttgart-Bad Cannstatt, Urteil vom 13.08.2015 – 8 C 1023/15

§ 287 ZPO

Bei der Bestimmung – und ggf. Schätzung nach § ZPO § 287 ZPO – des Schadensersatzes im Wege der sog. „Lizenzanalogie“ nach § ZPO § 97 Abs. ZPO § 97 Absatz 2 Satz 3 ZPO, wonach der Schadensersatzanspruch auch auf der Grundlage des Betrages berechnet werden kann, den der Verletzer als angemessene Vergütung hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des verletzten Rechts eingeholt hätte, ist Folgendes zu berücksichtigen:

Das Gericht orientiert sich bei seiner Schätzung des Schadens nach der Lizenzanalogie nach § ZPO § 287 Abs. ZPO § 287 Absatz 1 Satz 1 ZPO an verschiedenen Kriterien. In erster Linie kommt es auf die sonst für den Verletzten übliche vertragliche Vergütung oder die branchenüblichen Vergütungssätze und Tarife an. Abzustellen ist auf die konkrete Rechtsverletzung, um feststellen zu können, welches Verwertungsrecht verletzt wurde. Daraus ergibt sich, welche Nutzungsrechte fiktiv hätten eingeräumt werden müssen, so dass die für dieses Nutzungsrecht übliche Vergütung ermittelt werden kann. Im Rahmen der Schätzung können nur solche Tarife zugrunde gelegt werden, die auf die jeweilige Rechtsverletzung anwendbar sind. Sind derartige Bemessungsgrößen nicht ermittelbar, richtet sich die Bestimmung der Höhe der angemessenen Lizenzgebühr im Sinne des § ZPO § 287 Abs. ZPO § 287 Absatz 1 Satz 1 ZPO nach dem Betrag, den vernünftige Lizenzvertragsparteien – also nicht der konkrete Verletzer – für die Nutzungsrechtseinräumung als Lizenzgebühr vereinbart hätten, wenn sie die künftige Entwicklung und namentlich den Umfang der Rechtsverletzung vorausgesehen hätten (Spindler in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, § 97 UrhG Rn. SPINDLERSCHUSTERKOREM 3 URHG § 97 Randnummer 36f. m. w. N.).

1. Aus technischer Sicht ist bei der Schätzung des Schadensersatzanspruches aus Lizenzanalogie zunächst das Ausmaß der Urheberrechtsverletzung festzustellen.

a) Das Zurverfügungstellen einer – wie hier – urheberrechtlich geschützten Datei ist ein von den Nutzern einer Tauschbörse in Kauf genommener Reflex darauf, dass sie selbst die Datei herunterladen.

Jede Internetverbindung ist im Stande, Daten herunterzuladen und hochzuladen. Die hierbei erreichten Geschwindigkeiten werden in „kBit pro Sekunde“ oder „MBit pro Sekunde“ angegeben. Hieraus resultieren bekannte Bezeichnungen wie „DSL 16.000“, wobei mit der Zahl stets die für die meisten Nutzer relevante Downloadgeschwindigkeit wiedergegeben wird. Nach der Norm IEC 60027-2 wurden die früheren Umrechnungsgrößen von 1.024 als „Binärpräfixe“ nicht mehr marktüblich und stattdessen die sog. „SI-Präfixe“ mit einer Umrechnungsgröße von 1.000 eingeführt, so dass folgende Umrechnungsgrößen gelten: 8 Bit sind ein Byte, 1.000 Byte sind ein Kilobyte, 1.000 Kilobyte sind ein Megabyte, 1.000 Megabyte sind ein Gigabyte; 1.000 Bit sind ein Kilobit („kBit“), 1.000 Kilobit sind ein ein Megabit („MBit“).

Tauschbörsen funktionieren so, dass sie Dateien, die sich in einem bestimmten Computerordner befinden, anderen Nutzern der Tauschbörsensoftware zum Herunterladen anbieten. In diesen Computerordner werden zugleich Dateien gespeichert, die der Nutzer von anderen Nutzern herunterlädt. Das führt dazu, dass jeder, der eine Datei herunterlädt, diejenigen Teile der Datei, die er bereits erfolgreich heruntergeladen hat, seinerseits wiederum anderen Nutzern zum Download anbietet.

Nach dem erfolgreichen Abschluss des Downloads der Datei verbleibt sie in demselben Computerordner und kann – erst jetzt – von dort manuell in einen anderen Ordner verschoben werden. Regelmäßig verschieben Nutzer zeitnah nach Abschluss des Downloads die fertig heruntergeladene Datei in einen anderen Ordner, um zu verhindern, dass sie von der Tauschbörsensoftware weiterhin anderen Nutzern angeboten wird. Denn dieses „Anbieten“ der Datei erfordert stets neben den Hochlade-Kapazitäten aus technischen Gründen auch in geringem Umfang Herunterlade-Kapazitäten der Internetverbindung, die die Nutzer anderweitig – nämlich für ihre eigenen Downloads – bevorzugt nutzen.

Die Geschwindigkeit, mit der Daten über die Internetverbindung hochgeladen – und damit anderen Nutzern der Tauschbörse zur Verfügung gestellt – werden, liegt regelmäßig etwa bei 10% der Downloadgeschwindigkeit des Anschlusses (sog. „asymmetrische Bandbreite“). Das bedeutet, dass in der Zeit, in der ein urheberrechtlich geschützter Titel mit maximaler Internetgeschwindigkeit heruntergeladen wird, technisch maximal 10% des Titels anderen Nutzern zur Verfügung gestellt werden können. Dabei ist die Menge der Daten, die ein Nutzer anderen anbieten kann, stets die gleiche. D. h. je mehr Nutzer von dem PC eines anderen Daten herunterladen, desto geringer ist die Datenmenge, die jeder von ihm erhält, weil sich der Runterladende die Internet-Hochlade-Bandbreite mit anderen teilen muss. Stets verbleibt es daher, unabhängig von der Zahl der Nutzer, die von einem Urheberrechtsverletzer Daten heruntergeladen, dabei, dass der Verletzer insgesamt nicht mehr als 10% der Datei hochgeladen und damit anderen zur Verfügung gestellt haben kann.

Um in einer Tauschbörse mit voller Bandbreite herunterzuladen, ist es im Umkehrschluss erforderlich, dass pro Nutzer, der eine Datei herunterladen will, 10 Nutzer erforderlich sind, die die gewünschte Datei zum Download bereit halten. Oftmals fehlt es an dieser Zahl der Nutzer, die eine bestimmte Datei zum Download anbieten, so dass die gesamte Bandbreite eines Internetanschlusses, mit dem ein Nutzer eine gewünschte Datei von anderen Nutzern herunterlädt, zwangsläufig nicht ausgeschöpft wird. Vor diesem Hintergrund ist es regelmäßig – schätzungsweise in etwa 50% der Fälle – so, dass der Download großer Dateien wie von Filmen, Software oder Spielen vor deren Abschluss abgebrochen wird. Das führt auch dazu, dass diese Dateien nach Downloadabbruch und Löschung anderen Nutzern nicht mehr zum Download angeboten werden. Gleichzeitig wird etwa die andere Hälfte der Nutzer eine langsamere Download-Geschwindigkeit in Kauf nehmen, um die begehrte Datei zu erhalten, so dass sie auch die bereits heruntergeladenen Teile der Datei ihrerseits doppelt so lange zum Download anbietet. Daher heben sich diese Effekte gegenseitig auf.

Ausgehend hiervon wird die Datenmenge, die ein Nutzer zum Download angeboten hat, während er eine Datei heruntergeladen hat, bei den anfänglich ausgeführten 10% der Datei liegen. Hat eine Datei wie ein Film, ein Computerspiel oder eine Software einen Umfang von mehreren Gigabyte, kann hierauf ein Aufschlag von etwa 2% vorgenommen werden. Er ist dadurch begründet, dass eine gewisse – regelmäßig kurze – Zeit zwischen Fertigstellung des Downloads und dem manuellen Verschieben der Datei aus dem Download-Ordner verstreichen wird, innerhalb derer die Datei weiterhin anderen Nutzern angeboten wird. Der Aufschlag ist jedoch bei Musiktiteln, die nur wenige Megabyte groß sind, mit etwa 50% anzusetzen, weil bei ähnlichem, regelmäßig jedoch kürzerem Zeitablauf, zwischen Fertigstellung und Verschieben der Datei aus dem Download-Ordner der Musiktitel wesentlich häufiger heruntergeladen werden kann.

Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sein kann, dass die von einem Nutzer während seines Downloads in der Tauschbörse angebotene, urheberrechtlich geschützte Datei nicht derart gefragt ist, dass von ihm die Datei mit seiner vollen Internetbandbreite heruntergeladen wird, erscheinen diese Werte richtig, nachdem es ebenso sein kann, dass im Einzelfall die Zeitspanne, innerhalb derer die Nutzer die Datei nach Abschluss ihres eigenen Downloads in der Tauschbörse anbieten, länger als in den vorstehenden Schätzungen genannt, liegt.

b) Im vorliegenden Fall verfügte der Beklagte über einen DSL 6.000-Anschluss von „Alice“ bzw. der Telefonica Germany GmbH & Co. OHG. Seine Hochlade-Geschwindigkeit („Upload-Geschwindigkeit“) betrug 576 Kilobit pro Sekunde (http://www.dsl-isdn-anbieter.de/DSL-6000.htm, Abruf am 11.08.2015) und damit in etwa die vorgenannten 10% seiner Downloadgeschwindigkeit, so dass der Ansatz der insgesamt 12% des Filmwerks, die maximal über seinen Internetanschluss dritten Nutzern der Tauschbörse angeboten worden sein werden, angemessen ist.

2. Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen kann der Klägerin ein Schaden entstanden sein, den ihr der Beklagte hätte – nach der Lizenzanalogie – entrichten müssen, wenn er von ihr die Erlaubnis erworben hätte, 13,62% des von ihr angebotenen Titels einem anderen zur Verfügung zu stellen. Selbst wenn die Klägerin derartige Rechte nicht mit den errechneten Quoten vertreibt, hätten vernünftige Lizenzvertragsparteien für die Nutzungsrechtseinräumung als Lizenzgebühr im Zweifel exakt 13,62% des Ladenpreises des streitgegenständlichen Filmwerks vereinbart. Das Filmwerk hat einen Ladenpreis von 14,99 €, so dass sich die Lizenzgebühr rechnerisch auf 2,04 € belaufen würde. Ob man diese Gebühr ansetzt oder davon ausgeht, zumindest der Ladenpreis für eine Lizenz sei geschuldet, kann hier dahinstehen.

3. Auch der Gegenstandswert des von der Klägerin vorgerichtlich begehrten Unterlassungsanspruches ist mit exakt diesen Beträgen zu beziffern. Eine andere Verbreitung des Filmwerks durch den Beklagten als jene durch eine Tauschbörse drohte der Klägerin zu keinem Zeitpunkt. Es ist auch aufgrund des Zeitablaufs davon auszugehen, dass der Beklagte, als die Klägerin an ihn herantrat, das Filmwerk nicht mehr über eine Tauschbörse anbot, weil er dessen Download bereits abgeschlossen oder abgebrochen hatte.

4. Ausgehend von einem Gegenstandswert von allenfalls 14,99 € ist schließlich auch der Gebührenanspruch des Klägervertreters für seine außergerichtliche Tätigkeit zu bewerten. Er wandte sich – soweit der Fall nur den Beklagten betraf – mit Schreiben vom 08.02.2013 an den Beklagten. Es ist davon auszugehen, dass der Klägervertreter auch in sämtlichen weiteren Fällen, in denen er Auskünfte aufgrund des Beschlusses des Landgerichts München I vom LGMUENCHENI 29.01.2013 erhalten hat, gleichlautende Schreiben verwendet hat, die sich lediglich in der Anschrift des Empfängers und in dem vorgeworfenen Urheberrechtsverstoß unterschieden, während die weiteren Ausführungen des Klägervertreters auf den Seiten 2ff. des Schreibens, selbst wenn sie lange Rechtsausführungen, die teilweise richtig sein mögen, enthalten, identisch waren. Vor diesem Hintergrund hält das Gericht jedenfalls für die Abfassung dieser standardisierten Abmahnschreiben nur den Ansatz einer Gebühr nach Nr. 2301 VV RVG für angezeigt.

5. Das Gericht verkennt schließlich nicht, dass seine vorstehenden Ausführungen, wenn ihnen andere Gerichte folgen würden, das Abmahnwesen im Bereich des Urheberrechts weniger lukrativ machen und schließlich die effektive Verfolgung von Urheberrechtsverstößen in Tauschbörsen beeinträchtigen mögen. Hieraus kann jedoch nicht folgen, dass tatsächlich nicht entstandene – pönale – Schäden liquidiert werden und das Fehlen der unter Richtern wenig verbreiteten technischen Kenntnisse als Vehikel hierfür genutzt wird.

Schlagworte: Abmahnung