§ 87 Abs 2 AktG, § 254 Abs 1 AktG
1. Die als Voraussetzung für das Absehen von der Ausschüttung der Mindestdividende in § 254 Abs. 1 AktG geregelte Notwendigkeit der Gewinnthesaurierung zur Erhaltung der „Lebens- und Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft“ ist nicht auf eine statische und vergangenheitsbezogene Betrachtung und auf die absolute Substanzerhaltung beschränkt. Es ist vielmehr eine Planung des Unternehmens für einen übersehbaren Zeitraum zugrunde zu legen.
2. Eine schematische Festlegung des Gerichts auf einen bestimmten Planungszeitraum als Mindestanforderung verbietet sich bei der Anwendung des § 254 Abs. 1 AktG. Der längstmögliche Betrachtungszeitraum ist durch den individuellen Planungshorizont des jeweiligen Unternehmens begrenzt. Wenn jedoch bereits bei Betrachtung eines kurzen in der Zukunft liegenden Zeitraums deutlich wird, dass es bei Ausschüttung der Mindestdividende zur Illiquidität des Unternehmens käme, bedarf es keiner Ausführungen zur weitergehenden Planung des Unternehmens bis zum Planungshorizont.
3. Wird ein Gewinnverwendungsbeschluss einer AG angefochten, weil zu Unrecht die gesetzliche Mindestdividende gem. § 254 Abs. 1 AktG nicht ausgeschüttet worden sei, obwohl dies möglich gewesen sei, so muss bei der gerichtlichen Beschlusskontrolle berücksichtigt werden, dass der Mehrheitsentscheidung (und dem i.d.R. vorliegenden Verwaltungsvorschlag dazu) prognostische Elemente immanent sind. Beurteilungsgrundlage kann sowohl unter Verschuldungs- oder Liquiditätsgesichtspunkten nur eine unternehmerische Planungsrechnung sein, die – wie in Spruchverfahren – nur einer eingeschränkten gerichtlichen Prüfung unterliegt.
4. Maßgeblich für die Prognose und für die Rechtfertigung des Absehens von der Ausschüttung selbst der gesetzlichen Mindestdividende (§ 254 Abs. 1 AktG) ist der Erkenntnisstand zum Zeitpunkt des Gewinnverwendungsbeschlusses der Hauptversammlung. Die in Spruchverfahren entwickelten Grundsätze der „Wurzeltheorie“ können auch hier angewendet werden.
5. Die Nichtausschüttung der Mindestdividende begründet nicht automatisch die Pflicht zur Kürzung der Vorstandsbezüge. Eine unterbliebene Kürzung der Vorstandsbezüge, die unter den abweichenden Voraussetzungen des § 87 Abs. 2 AktG möglich ist, lässt auch nicht darauf schließen, dass die Ausschüttung der gesetzlichen Mindestdividende i.S.d. § 254 Abs. 1 AktG ohne Weiteres möglich gewesen wäre (Abgrenzung LG Frankfurt, 15. Dezember 2016, 3-05 O 154/16, Rn. 90, juris).
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Streitwert: 25.000 EUR
Tatbestand
Der Kläger wendet sich mit Anfechtungsklagen gegen Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 25. September 2019 und vom 19. Dezember 2019. Die angefochtenen Beschlüsse vom 25. September 2019 sind Gegenstand des Verfahrens 31 O 41/19 KfH, der angefochtene Beschluss vom 19. Dezember 2019 ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens 31 O 4/20 KfH.Randnummer2
Der Kläger ist Aktionär der Beklagten, einer Aktiengesellschaft mit Sitz in W. (nachfolgend: „Gesellschaft“), an deren Grundkapital von 52.000 EUR neben dem Kläger die Herren A, B und C jeweils zu ¼ beteiligt sind (vgl. Anl. K 3 und Tatbestand des Urteils des Landgerichts Stuttgart zu dem vom Kläger zitierten Verfahren 31 O 23/19 KfH).Randnummer3
Am 14. November 2019 billigte der Aufsichtsrat den vom Vorstand aufgestellten Jahresabschluss zum 31. Dezember 2018 und stellte diesen fest (§ 172 Satz 1 AktG, vgl. Anl. K 1 Seite 2 unter TOP 3). Unter Addition eines Jahresüberschusses für das Geschäftsjahr 2018 von 1.779,39 EUR ergab sich zum 31. Dezember 2018 ein Bilanzgewinn von 214.687,13 EUR (Anl. B 4 Seite 18).Randnummer4
Mit Schreiben vom 18. November 2019 lud Herr C als Vorstandsmitglied der Beklagten die Aktionäre zu einer Hauptversammlung am 19. Dezember 2019 ein (Anl. K 1). Auf der Tagesordnung stand u.a. „TOP 5 – Verwendung des Bilanzgewinns / Jahresüberschuss des Geschäftsjahrs 2018“. Zu dieser Hauptversammlung liegt eine vom Aufsichtsratsvorsitzenden unterzeichnete Niederschrift vor (Anl. K 3). Der Klägervertreter trat in der Hauptversammlung für den Kläger auf. Die Hauptversammlung beschloss laut Niederschrift mehrheitlich gegen die Stimmen des vertretenen Klägers, den Bilanzgewinn von 214.687,13 EUR auf neue Rechnung vorzutragen. Der Klägervertreter legte Widerspruch gegen alle gefassten Beschlüsse ein, u.a. gegen den Gewinnverwendungsbeschluss (Anl. K 3 Seite 8 und 12).Randnummer5
Mit einer am 16. Januar 2020 vorab per Telefax beim Landgericht eingegangenen Anfechtungsklage, die unter 31 O 4/20 KfH registriert wurde, beantragte der Kläger, den Gewinnverwendungsbeschluss für das Geschäftsjahr 2018 vom 19. Dezember 2019 für nichtig zu erklären (Bl. 2 d.A.).Randnummer6
Schon bezogen auf das vorausgegangene Geschäftsjahr 2017 hatte die Hauptversammlung – bereits am 25. September 2019 – die vollständige Gewinnthesaurierung beschlossen. Der entsprechende Überschuss war in den Bilanzgewinn zum 31. Dezember 2018 nach dem am 14. November 2018 festgestellten Jahresabschluss eingeflossen.Randnummer7
Der Kläger macht geltend,Randnummer8
der Beschluss verstoße gegen § 254 Abs. 1 AktG, weil es für den Einbehalt der gesetzlichen Mindestdividende von 4% bezogen auf das Grundkapital, also in Höhe von 2.080 EUR u.a. angesichts freier Liquidität keine Rechtfertigung gebe. Er stütze die Anfechtung auch auf die Verfolgung unzulässiger Sondervorteile i.S.d. § 243 Abs. 2 AktG durch die Aktionäre und Vorstandsmitglieder C und A und den früheren Vorstand B. Er erhebt zudem Einwendungen gegen den Jahresabschluss 2018 selbst (Bl. 5, 7 ff. d.A.).Randnummer9
Er beantragt (Bl. 2, 134 d.A.):Randnummer10
„Der Beschluss der Hauptversammlung der Beklagten vom 19. Dezember 2019 zu Tagesordnungspunkt Nr. 5, betreffend die Verwendung des Bilanzgewinns des Geschäftsjahres 2018, der wie folgt zur Beschlussfassung angekündigt war,Randnummer11
‚TOP 5 Verwendung des Bilanzgewinns / Jahresüberschuss des Geschäftsjahres 2018 Der Jahresüberschuss des Geschäftsjahres 2018 beträgt 1.779,39 EUR. Damit erhöht sich der Bilanzgewinn auf 214.687,13 EUR. Vorstand und Aufsichtsrat schlagen vor, folgenden Beschluss zu fassen: Der Bilanzgewinn in Höhe von 214.687,13 EUR wird vollständig auf neue Rechnung vorgetragen‘, und den die Hauptversammlung mit der erforderlichen Mehrheit beschloss,Randnummer12
wird für nichtig erklärt.Randnummer13
Die Beklagte beantragt,Randnummer14
die Klage abzuweisen.Randnummer15
Sie behauptet,Randnummer16
von einer Ausschüttung der gesetzlichen Mindestdividende habe zur Sicherung der „Lebens- und Widerstandsfähigkeit“ der Gesellschaft abgesehen werden müssen. Die Gesellschaft habe nicht über freie Liquidität in der für drei Monate benötigten Größenordnung verfügt (zum Ganzen Bl. 21 ff., 44 ff., 80 ff. zu 31 O 4/20 KfH sowie Bl. 73, 26 Rs., 27 Rs., 76 d.A. zu 31 O 41/19 KfH).Randnummer17
Im Parallelverfahren 31 O 41/19 KfH, das u.a. den Gewinnverwendungsbeschluss für das Geschäftsjahr 2017 betrifft, hat der Kammervorsitzende mit Verfügung vom 30. Januar 2020 ausführliche Hinweise erteilt (31 O 41/19 KfH, Bl. 59), auf die in der Verfügung vom 19. Februar 2020 zum vorliegenden Verfahren ausdrücklich Bezug genommen wurde (Bl. 19 d.A.).Randnummer18
In der mündlichen Verhandlung am 12. Mai 2020 hat die Kammer die Zeuginnen Z1 und Z2 vernommen (Bl. 120 ff. d.A.). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung, die gerichtlichen Hinweise und die bis zum Termin gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.Randnummer19
Im Termin war der Beklagten wie beantragt eine Frist zur nachterminlichen Stellungnahme zur Beweisaufnahme eingeräumt worden (Bl. 134 d.A.). Der innerhalb der gesetzten Frist eingegangene Schriftsatz der Beklagten vom 25. Mai 2020 enthält allerdings Tatsachenvortrag (Bl. 138 ff. d.A.). Der Kläger rügte diesen Vortrag als gemäß §§ 296, 296a ZPO verspätet.Randnummer20
Über die Klage im Verfahren 31 O 41/19 KfH hat die Kammer durch am selben Tag verkündetes Urteil entschieden.
Entscheidungsgründe
I. Unbegründetheit der Klage gegen den Gewinnverwendungsbeschluss 2018Randnummer22
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.Randnummer23
1. BeschlussinhaltRandnummer24
Laut Niederschrift zur Hauptversammlung am 19. Dezember 2019 zu TOP 5 verkündete der Aufsichtsratsvorsitzende nach Abstimmung den mit einer Dreiviertelmehrheit gefassten Beschluss, dass der Bilanzgewinn in Höhe von 214.687,13 EUR vollständig auf neue Rechnung vorgetragen wird, wie vom Vorstand und Aufsichtsrat vorgeschlagen (Anl. K 3 Seite 8). Dies bezog sich auf den im Jahresabschluss zum 31. Dezember 2018 ausgewiesenen Bilanzgewinn (Anl. B 4 Seite 18).Randnummer25
2. Unbehelflichkeit des Einwands der Falschbilanzierung u.a.Randnummer26
Der Kläger erhebt im Rahmen der Anfechtung des Gewinnverwendungsbeschlusses Einwände gegen den Jahresabschluss. Er meint, eine Forderung der Beklagten gegen die Tochtergesellschaft … GmbH wegen einer Zahlung, die im Zusammenhang mit erbrachten, von der Tochtergesellschaft aber noch nicht abgerechneten Leistungen von der Beklagten an die Tochtergesellschaft geleistet wurde, sei zu Unrecht als Darlehensforderung „falsch bilanziert“ worden (Bl. 8 d.A. und Anl. K 3 Seite 5). Die auf diesen Einwand gestützte Anfechtungsklage gegen den Gewinnverwendungsbeschluss hat keinen Erfolg.Randnummer27
Denn die Hauptversammlung war bei der Fassung des Gewinnverwendungsbeschlusses vom 19. Dezember 2019 an den am 14. November 2019 vom Aufsichtsrat festgestellten (vgl. Anl. K 1 Seite 2) Jahresabschluss 2018 gebunden (§§ 172 Satz 1, 174 Abs. 1 Satz 2 AktG). Richtig ist zwar, dass ein Gewinnverwendungsbeschluss dann nichtig ist, wenn die Feststellung des JahresabschlussesBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Feststellung
Feststellung des Jahresabschlusses
, auf dem die Gewinnverwendung beruht, nichtig ist (§ 253 Abs. 1 Satz 1 AktG). Der Kläger hat aber seine Bedenken gegen den Ausweis einer Darlehensforderung im Jahresabschluss schon nicht hinreichend substantiiert. Den Angaben des Vorstands in der Hauptversammlung zufolge hat der Zahlung ein Darlehen zugrunde gelegen, weil die Gegenforderung mangels Abrechnung der Tochtergesellschaft noch nicht fällig war (Anl. K 3 Seite 5). Rückstellungen wegen noch nicht abgerechneter Fremdleistungen wurden passiviert (vgl. Anl. B 3 Seite 21 und Anl. B 4 Seite 27). Gründe, die zur Nichtigkeit eines Jahresabschlusses führen, sind in § 256 AktG abschließend aufgezählt. Dass in Bezug auf den Jahresabschluss 2018 ein solcher Nichtigkeitsgrund (insbesondere § 256 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2, § 256 Abs. 3 AktG) vorliegt, ist nicht ersichtlich. Eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Jahresabschlusses (§ 256 Abs. 7 AktG) ist nicht erhoben.Randnummer28
Die in § 58 Abs. 2 AktG geregelte Festlegung des nach Einstellung in die Gewinnrücklage verbleibenden Bilanzgewinns durch die Verwaltung kann ebenfalls nicht Gegenstand der Anfechtungsklage sein (BeckOGK/Stilz, Stand 15.1.2020, AktG § 254 Rn. 4).Randnummer29
Selbst wenn – wofür hier keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte genannt sind – der Jahresabschluss unter einem sonstigen Mangel leiden würde, bliebe der festgestellte und damit für die Gesellschaft und ihre Aktionäre verbindlich gewordene Jahresabschluss Grundlage des Gewinnverwendungsbeschlusses (§ 174 Abs. 1 Satz 2 AktG).Randnummer30
3. Keine Anfechtbarkeit wegen Nichtausschüttung der MindestdividendeRandnummer31
Im Ergebnis ohne Erfolg beruft sich der Kläger darauf, der am 19. Dezember 2019 gefasste Gewinnverwendungsbeschluss verstoße gegen § 254 Abs. 1 AktG, weil er nicht die Ausschüttung der Mindestdividende von 4% bezogen auf das Grundkapital vorsehe (das wären bezogen auf alle Aktionäre 2.080 EUR) und der Gewinnvortrag wirtschaftlich nicht notwendig im Sinne der Norm sei.Randnummer32
a. Der Kläger ist zur Anfechtung bezogen auf diesen Kritikpunkt berechtigt, weil er eine Beteiligung von ¼ und damit mehr als 1/20 des Grundkapitals hält (§ 254 Abs. 3 Satz 3 AktG). Er ist auch nach den zusätzlich anwendbaren allgemeinen Regeln (§ 254 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 245 Nr. 1 AktG) zur Anfechtung befugt, denn er hatte die Aktien schon vor Einberufung der HauptversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Einberufung
Einberufung der Hauptversammlung
Hauptversammlung
inne, hat sich dort vertreten und Widerspruch gegen den Beschluss einlegen lassen.Randnummer33
b. Nach § 254 Abs. 1 AktG kann der Beschluss über die Verwendung des Bilanzgewinns außer nach § 243 AktG auch angefochten werden, wenn die Hauptversammlung aus dem Bilanzgewinn Beträge in Gewinnrücklagen einstellt oder als Gewinn vorträgt, die nicht nach Gesetz oder Satzung von der Verteilung unter die Aktionäre ausgeschlossen sind, obwohl die Einstellung oder der Gewinnvortrag bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung nicht notwendig ist, um die Lebens- und Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft für einen hinsichtlich der wirtschaftlichen und finanziellen Notwendigkeiten übersehbaren Zeitraum zu sichern und dadurch unter die Aktionäre kein Gewinn in Höhe von mindestens vier vom Hundert des Grundkapitals abzüglich von noch nicht eingeforderten Einlagen verteilt werden kann.Randnummer34
Durch den angefochtenen Mehrheitsbeschluss, den Bilanzgewinn zum 31. Dezember 2018 von 214.687,13 EUR „vollständig“ auf neue Rechnung vorzutragen, wurde die Ausschüttung der Mindestdividende von 4% des Grundkapitals verhindert. Diese hätte insgesamt 2.080 EUR betragen (von denen 520 EUR an den Kläger ausgeschüttet worden wären).Randnummer35
Nach Auffassung der Kammer beruft sich die Beklagte jedoch zu Recht darauf, dass die Schaffung von „Rücklagen“ – also der Verzicht auf eine Teilausschüttung in Höhe der Mindestdividende – nach Lage der Dinge am 19. Dezember 2019 erforderlich war, um die Lebens- und Widerstandsfähigkeit der Beklagten zu sichern (Bl. 21 ff. d.A.).Randnummer36
Die in § 254 Abs. 1 AktG thematisierte Notwendigkeit der Gewinnthesaurierung zur Erhaltung der „Lebens- und Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft“ ist nicht auf eine statische und vergangenheitsbezogene Betrachtung und auf die absolute Substanzerhaltung beschränkt. Die Nichtausschüttung der Mindestdividende ist vielmehr auch dann gerechtfertigt, wenn dies im Entscheidungszeitpunkt – also zum Zeitpunkt der Beschlussfassung der Hauptversammlung über die Gewinnverwendung – “zur Erhaltung des gegenüber Wettbewerbern erreichten Stands“, d.h. zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens erforderlich ist (Stilz in Spindler/Stilz, 4. Aufl. 2019, AktG § 254 Rn. 11; auch Koch, in MüKo AktG 4. Aufl. 2016, § 254 Rn. 15). Es geht dabei auch um die Sicherung der nachhaltigen wirtschaftliche Überlebensfähigkeit der Gesellschaft.Randnummer37
Dabei ist nach dem Gesetzeswortlaut eine Planung des Unternehmens für einen „übersehbaren Zeitraum“ zugrunde zu legen, dessen Dauer gesetzlich nicht geregelt ist. In der Literatur plädiert man für einen Betrachtungszeitraum von bis zu 5 Jahren (Drescher, in Henssler/Strohn GesR, 4. Aufl. 2019, AktG § 254 Rn. 5; Hüffer/Koch, 14. Aufl. 2020, AktG § 254 Rn. 7).Randnummer38
Nach Auffassung der Kammer ist der Betrachtungszeitraum durch den individuellen Planungshorizont des jeweiligen Unternehmens begrenzt (wie bei der Unternehmensbewertung in Spruchverfahren, vgl. IDW S1 von 2008, Tz. 5.3 Rz. 77, wonach ein Zeitraum von drei bis fünf Jahren als „überschaubar“ genannt wird). Eine schematische Festlegung durch die Gerichte verbietet sich bei der Anwendung des § 254 Abs. 1 AktG, und der bei Anwendung der Norm relevante Betrachtungszeitraum kann im Einzelfall kürzer sein als der Zeitraum, für den unternehmerische Planungsrechnungen vorhanden sind; das ist etwa dann der Fall, wenn bereits bei Betrachtung eines kurzen in der Zukunft liegenden Zeitraums deutlich wird, dass es bei Ausschüttung der Mindestdividende zur Illiquidität des Unternehmens käme.Randnummer39
Dass der Gewinnvortrag „bei vernünftiger kaufmännischer Betrachtung notwendig“ sein muss, um das Absehen von der gesetzlichen Mindestausschüttung rechtfertigen zu können, erfordert nach der Literatur mehr als nur, dass der Gewinnvortrag ökonomisch „bloß zweckmäßig“, „wünschenswert“ oder „sinnvoll“ ist (vgl. Stilz, in Spindler/Stilz, 4. Aufl. 2019, AktG § 254 Rn. 10; Grigoleit/Ehmann, 1. Aufl. 2013, AktG § 254 Rn. 6). „Die Notwendigkeit muss sich bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung ergeben“ (BeckOGK/Stilz, 15.1.2020, AktG § 254 Rn. 10). Je höher der Bilanzgewinn und die bereits ausgewiesenen Rücklagen, desto strenger sollen die Anforderungen an die Annahme sein, dass eine Ausschüttung „aufgrund konkreter Anhaltspunkte bei plausibler Einschätzung die Lebens- und Widerstandsfähigkeit des Unternehmens beeinträchtigen würde“ (Schwab in: Schmidt, K./Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 254 AktG, Rn. 5).Randnummer40
Während sich das Landgericht Frankfurt in einer Entscheidung von 2016 gegen eine „kaufmännische Einschätzungsprärogative“ und gegen ein „Recht zum Irrtum“ der Mehrheitsaktionäre zulasten der Minderheit ausgesprochen hat (LG Frankfurt, Urteil vom 15. Dezember 2016 – 3-05 O 154/16 –, Rn. 93, juris), wird überwiegend ein Beurteilungsspielraum der Gesellschaft und der dem Gewinnverwendungsvorschlag von Vorstand und Aufsichtsrat folgenden Aktionärsmehrheit bejaht (OLGR Hamm, Urteil vom 03. Juli 1991, 8 U 11/91, OLGR 1991, 10, 12; Stilz, in Spindler/Stilz, 4. Aufl. 2019, AktG § 254 Rn. 10; J. Koch in MüKo AktG, 4. Aufl. 2016, AktG § 254 Rn. 14; Hüffer/Koch, 14. Aufl. 2020, AktG § 254 Rn. 7). Dabei ist wiederum streitig, ob dieser Beurteilungsspielraum ein Unterfall der „Business Judgement Rule“ darstellt (dafür u.a. Stilz, in Spindler/Stilz a.a.O. BeckOGK/Stilz, 15.1.2020, AktG § 254 Rn. 10), die ihren Niederschlag in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG gefunden hat (insbesondere: Handeln auf der Grundlage angemessener Informationen, ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse, zum Wohle der Gesellschaft), oder ob die gerichtliche Kontrolle eines Gewinnverwendungsbeschlusses am Maßstab des § 254 Abs. 1 AktG anders als die Fallgruppen der „Business Judgement Rule“ eine „strengere Inhaltskontrolle“ des Beschlusses „enger an den legislatorischen Zielen“ erfordert (so Hüffer/Koch, 14. Aufl. 2020, AktG § 254 Rn. 7; vgl. auch Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, AktG § 254 Rn. 7). Nach Auffassung mancher ist bei Nichtgewährung bzw. Unterschreitung der Mindestausschüttung „die Anfechtbarkeit … die Regel, die Erforderlichkeit bzw. der Vorbehalt wirtschaftlich notwendiger Thesaurierung die Ausnahme“ (Schwab in: Schmidt, K./Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 254 AktG, Rn. 5; Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, AktG § 254 Rn. 7, beck-online).Randnummer41
Wenn die Aktionäre entscheiden, ob eine Gewinnthesaurierung nach § 254 Abs. 1 AktG zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens erforderlich, also nicht einmal die Mindestdividende auszuschütten ist, so sind dieser Entscheidung prognostische Elemente immanent. Das muss bei der gerichtlichen Beschlusskontrolle berücksichtigt werden.Randnummer42
Nach Auffassung der Kammer kann sich eine wirtschaftliche Notwendigkeit der Thesaurierung i.S.d. § 254 Abs. 1 AktG unter dem Gesichtspunkt der Eigenkapitalausstattung (Verschuldung) oder der Liquidität ergeben. Beurteilungsgrundlage kann in der Regel nur eine unternehmerische Planungsrechnung sein, sofern eine solche existiert. Dem Hauptversammlungsbeschluss über die Gewinnverwendung geht regelmäßig ein Gewinnverwendungsvorschlag des Vorstands voraus (§ 170 Abs. 2 AktG), den der Aufsichtsrat geprüft hat (§ 171 Abs. 1 AktG). Muss der Gewinnverwendungsbeschluss der Hauptversammlung mit Blick auf § 254 Abs. 1 AktG überprüft werden, so liegt auf der Hand, zunächst zu ergründen, ob und welche planerischen und prognostischen Erwägungen dem Gewinnverwendungsvorschlag zugrunde gelegen haben.Randnummer43
Wie bei der gerichtlichen Überprüfung von Unternehmensbewertungen in Spruchverfahren, muss auch bei der Anwendung von § 254 Abs. 1 AktG wegen des erwähnten prognostischen Charakters der Planung gelten: Die in die Zukunft gerichteten Planungen der Unternehmen und die darauf aufbauenden Prognosen ihrer Erträge sind gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar. Zu berücksichtigen ist, dass es nicht nur eine richtige Prognose über die künftige Entwicklung eines Unternehmens gibt. In den seltensten Fällen trifft sie so wie vorhergesagt ein (OLG Stuttgart, Beschluss vom 05. November 2013 – 20 W 4/12 –, Rn. 84). Unternehmerische Planungen und Prognosen sind in erster Linie ein Ergebnis der jeweiligen unternehmerischen Entscheidung der für die Geschäftsführung verantwortlichen Personen. Diese Entscheidungen müssen auf zutreffenden Informationen und daran orientierten, realistischen Annahmen beruhen. Sie dürfen nicht in sich widersprüchlich sein. Kann die Geschäftsführung auf dieser Grundlage vernünftigerweise annehmen, ihre Planung sei realistisch, darf ihre Annahme nicht durch andere – letztlich ebenfalls nur vertretbare – Annahmen des Gutachters oder des Gerichts ersetzt werden (zu diesen im Spruchverfahren anerkannten Grundsätzen OLG Stuttgart, Beschluss vom 21. August 2018 – 20 W 2/13 –, Rn. 68, juris; Beschluss vom 27. Juli 2015 – 20 W 5/14 –, Rn. 75; Beschluss vom 02. Dezember 2014 – 20 AktG 1/14 –, Rn. 79; Beschluss vom 17. Oktober 2011 – 20 W 7/11 –, Rn. 180; Beschluss vom 14. September 2011 – 20 W 4/10 –, Rn. 71; Beschluss vom 26. Oktober 2006 – 20 W 14/05 –, Rn. 28; ebenso OLG München, Beschluss vom 14. Juli 2009 – 31 Wx 121/06 –, Rn. 12). In diesem Prüfungsschritt spiegeln sich letztlich die Überlegungen zur bereits erwähnten „Business Judgement Rule“ wider.Randnummer44
§ 254 Abs. 1 AktG verlangt allerdings, dass der planungsverantwortliche Vorstand und die Aktionärsmehrheit die interessen der Minderheitsaktionäre an der Mindestdividende berücksichtigen. Eine nicht nur auf die Erhaltung der bereits erreichten Marktposition und Wettbewerbsfähigkeit, sondern auf Expansion und den Ausbau von Marktanteilen ausgerichtete Unternehmenspolitik ist unternehmerisch legitim. Nur in besonderen Ausnahmefällen aber wird eine Expansionsstrategie zur bloßen Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit erforderlich sein. Eine Expansionsstrategie rechtfertigt es regelmäßig nicht, den Minderheitsaktionären sogar die gesetzliche Mindestdividende zu versagen mit der Begründung, die (nicht zur bloßen Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit erforderliche) Expansionsstrategie erfordere die Thesaurierung sämtlicher liquider Mittel (ebenso BeckOGK/Stilz, 15.1.2020, AktG § 254 Rn. 11).Randnummer45
Bei der Normanwendung ist der Normzweck zu beachten; es geht um den „Schutz der Minderheit vor einer ‚Aushungerung‘ durch die Mehrheit“. Denn mithilfe einer übermäßigen Gewinnthesaurierung können kurzfristig Dividendenerwartungen enttäuscht und langfristig Minderheiten von beherrschenden Großaktionären wirtschaftlich verdrängt werden (BeckOGK/Stilz, 15.1.2020, AktG § 254 Rn. 1 unter Hinweis auf die Regierungsbegründung). Letztlich ist § 254 Abs. 1 AktG eine Ausprägung der gesellschaftsrechtlichen Treupflicht, die es u.a. der Mehrheit gebietet, Rücksicht auf berechtigte Belange der Minderheit zu nehmen, die es aber auch der Minderheit gebietet, kurzfristige Renditeerwartungen und –interessen nicht auf Kosten der Existenz der Gesellschaft durchzusetzen. In einer Situation, in der durch Ausschüttung der Mindestdividende die Wettbewerbsfähigkeit und Existenz der Gesellschaft gefährdet wäre, sieht der Gesetzgeber es als der Minderheit zumutbar an, „dass sie auf die marktübliche Rendite ihrer Aktieninvestition und auf eine Risikoprämie vorübergehend verzichtet“ (vgl. Koch, in MüKo a.a.O. § 254 Rn. 15).Randnummer46
Soweit eine realistische unternehmerische Planung an der bloßen Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit orientiert ist und soweit die Unternehmensstrategie auch die interessen der Minderheitsaktionäre nicht außer Betracht lässt, muss das Interesse des Minderheitsaktionärs an der Ausschüttung der Mindestdividende zurücktreten, wenn etwa eine auf dieser planerischen Grundlage erstellte Liquiditätsplanung des Unternehmens, die den oben beschriebenen Anforderungen genügt, die also widerspruchsfrei ist und auf zutreffenden Informationen und realistischen Annahmen beruht, ergibt, dass im Falle einer Ausschüttung der Mindestdividende in einem überschaubaren Zeitraum die Insolvenz drohen würde oder dass die Existenz des Unternehmens gefährdet wäre.Randnummer47
Unter diesen Prämissen (Planung mit realistischen Erwartungswerten; an der Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit orientierte, das Interesse der Minderheitsaktionäre an der Dividendenausschüttung berücksichtigende Unternehmensstrategie) ist eine Gesellschaft jedenfalls dann nicht nach § 254 Abs. 1 AktG zur Ausschüttung der gesetzlichen Mindestdividende verpflichtet, wenn eine hypothetische Ausschüttung des entsprechenden Betrages an alle Aktionäre unmittelbar zur Zahlungsunfähigkeit führen oder wenn ihr die Zahlungsunfähigkeit drohen würde. Von drohender Zahlungsunfähigkeit spricht man, wenn die Gesellschaft voraussichtlich nicht in der Lage wäre, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen (§ 18 Abs. 2 InsO). Die „Notwendigkeit“ der Gewinnthesaurierung im Sinne des § 254 Abs. 1 AktG greift nicht erst dort, wo eine (fiktive) Ausschüttung im Umfang der Mindestdividende innerhalb des Planungszeitraums vorhersehbar zur Insolvenzreife (§ 17, 19 Abs. 1 InsO: Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) führen würde. Träte infolge der Ausschüttung im Planungszeitraum vorhersehbar Insolvenzreife ein, kann nur sicher davon ausgegangen werden, dass die Nichtausschüttung „bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung“ zwingend notwendig ist, um die „Lebens- und Widerstandsfähigkeit“ der Gesellschaft zu erhalten. Das bedeutet indes nicht, dass jede Ausschüttung, die nach der Unternehmensplanung „nur“ in die Nähe der Insolvenzreife, aber (nach den Planzahlen) nicht zur Unterschreitung dieser Linie führt, „bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung“ unbedenklich wäre und deshalb im Interesse der Minderheitsaktionäre vorgenommen werden müsste. Schon aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG folgt die Verpflichtung des Vorstandes, dafür Sorge zu tragen, dass bestandsgefährdende Entwicklungen rechtzeitig erkannt und Maßnahmen zur Bestandssicherung ergriffen werden. Vor diesem Hintergrund hat er gemäß § 91 Abs. 2 AktG ein umfassendes Risikomanagement-System zur Früherkennung bestandsgefährdender Entwicklungen und Risiken einzurichten, das im Konzern auch bestandsgefährdende Risiken bei Tochtergesellschaften erfassen muss (dazu LG Stuttgart, Urteil vom 19. Dezember 2017 – 31 O 33/16 KfH –, Rn. 253 ff., juris). Diese Verpflichtung würde ad absurdum geführt, wenn die Aktionärsmehrheit durch § 254 Abs. 1 AktG gezwungen wäre, durch Ausschüttung der Mindestdividende „sehenden Auges“ eine bestandsgefährdende Entwicklung herbeizuführen.Randnummer48
Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Prognose und für die Rechtfertigung des Absehens von der Ausschüttung selbst der gesetzlichen Mindestdividende bleibt der Zeitpunkt, zu dem die Hauptversammlung den Gewinnverwendungsbeschluss fasst. Das entspricht dem Bewertungsstichtag für die Unternehmensbewertung bei aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. September 2015 – II ZB 23/14 –, BGHZ 207, 114-135, Rn. 40). In Anlehnung an die aus aktienrechtlichen Spruchverfahren bekannte „Wurzeltheorie“ gilt auch hier: Nach dem Stichtag tatsächlich eingetretene Entwicklungen können berücksichtigt werden, wenn sie am Stichtag „schon angelegt“, erkennbar und vorhersehbar waren (dazu BGH, Beschluss vom 29. September 2015 – II ZB 23/14 –, BGHZ 207, 114-135, Rn. 40; BGH, Beschluss vom 04. März 1998 – II ZB 5/97 –, BGHZ 138, 136-142, Rn. 11; BGH, Urteil vom 17. Januar 1973 – IV ZR 142/70 –, Rn. 17, juris; vgl. dazu OLG Stuttgart, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 20 W 2/12 –, Rn. 133, juris OLG Stuttgart, Beschluss vom 01. Oktober 2003 – 4 W 34/93 –, Rn. 21, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 24. November 2011 – 21 W 7/11 –, Rn. 97, juris; Zwirner/Zimny/Lindenmayr, in Petersen/Zwirner a.a.O. C.4 Fn. 62 Seite 288; kritisch zur „Wurzeltheorie“ u.a. Hüttemann/Mayer, in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, Seite 340 ff.).Randnummer49
Die Beweislast für das Vorliegen der Ausnahme, die trotz Unterschreitens der gesetzlichen Mindestdividende eine Gewinnthesaurierung durch Gewinnvortrag zulässt (§ 254 Abs. 1 AktG), liegt in jedem Fall bei der Gesellschaft (Hüffer, in Hüffer/Koch a.a.O. § 254 AktG Rn. 7; Drescher, in Henssler/Strohn GesR, 4. Aufl. 2019, AktG § 254 Rn. 5). Beim Beweismaß bedarf es aber keiner Gewissheit, sondern nur „hinreichend konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte und eines vernünftigen Plausibilitätsurteils“ (J. Koch in MüKo AktG, 4. Aufl. 2016, AktG § 254 Rn. 16).Randnummer50
c. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall festzustellen:Randnummer51
§ 254 Abs. 1 AktG greift vorliegend nicht unter dem Gesichtspunkt einer etwaigen Gefahr der Überschuldung (unten aa.). Die vollständige Thesaurierung des Bilanzgewinns war hier jedoch unter dem Gesichtspunkt der Liquiditätserhaltung gerechtfertigt (unten bb.). Überdies gibt es vorliegend keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Aktionärsmehrheit bei der Abstimmung treuwidrig über berechtigte Belange der Aktionärsminderheit hinweggesetzt hätte (unten cc.). Aus diesen Gründen hat die Berufung des Klägers auf einen vermeintlichen Verstoß des Beschlusses gegen § 254 Abs. 1 AktG keinen Erfolg.Randnummer52
aa. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Ausschüttung der gesetzlichen Mindestdividende für das Geschäftsjahr 2018 und/oder für die beiden Geschäftsjahre 2017 und 2018, die jeweils 2.080 EUR für alle Aktionäre betragen hätte, und der damit hypothetisch verbundene Abfluss von Eigenkapital aus der Perspektive am Tag des Gewinnverwendungsbeschlusses in absehbarer Zeit zur Überschuldung der Gesellschaft geführt hätte oder führen würde.Randnummer53
bb. Die Kammer ist aber aufgrund des bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gehaltenen Parteivortrags und des Ergebnisses der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass eine vollständige Thesaurierung des Bilanzgewinns zum 31. Dezember 2018 (einschließlich des verhältnismäßig geringen Betrags der Mindestdividende nach § 254 Abs. 1 AktG von 2.080 EUR) zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 19. Dezember 2019 zur Erhaltung und Sicherung der existenznotwendigen Liquidität der Gesellschaft unabdingbar war.Randnummer54
aaa. Die Gesellschaft erbringt als Fachingenieurbüro (Bl. 123 d.A.) Ingenieur- und Architektenleistungen im Bereich …planung und … (Anl. B 4 Seite 10) und beschäftigt sich mit Großprojekten im Zusammenhang mit der Sanierung oder Erweiterung von … (Bl. 123 d.A.). Aufgrund der Fokussierung auf diese Nische ist der Kreis potentieller Auftraggeber sehr begrenzt, mit denen sie überhaupt Geschäfte macht und machen kann. Zudem werden entsprechende Aufträge regelmäßig nach Durchführung eines Vergabeverfahrens und getrennt für bestimmte Leistungsphasen der HOAI, „nach Beauftragungsblöcken gestaffelt“ erteilt (Bl. 123 d.A.), so dass die Gesellschaft für den wirtschaftlichen Erfolg auch darauf angewiesen ist, in solchen Vergabeverfahren zu reüssieren. Die Beauftragung mit bestimmten Leistungsphasen nach der HOAI bietet keine Gewähr, später auch bei den weiteren Beauftragungsblöcken im Rahmen der Anschlussbeauftragung zum Zuge zu kommen (Bl. 123, 124 d.A.). Hinzu kommt, dass es nicht in der Hand der Beklagten liegt, wenn sich eine Anschlussbeauftragung für dasselbe Großprojekt etwa aufgrund entsprechender Entscheidungen der …betreiber verzögert. Der Vorstand der Beklagten Herr C hat das in der mündlichen Verhandlung am 12. Mai 2020 anhand der Beispiele xxx und des Projekts xxx plastisch erläutert (Bl. 124 d.A.). Wie die Erwähnung des Ingenieurbüros xxx in xxx durch den Vorstand der Beklagten zeigt (Bl. 123 d.A.), ist die Gesellschaft zudem auf ihrem Gebiet nicht konkurrenzlos tätig.Randnummer55
Soweit sich die Beklagte im Schriftsatz vom 15. April 2020 auf die massiven Auswirkungen der aktuellen „Corona“-Krise beruft (Bl. 45 d.A.), kann mit diesem Argument das Absehen von einer Dividendenausschüttung durch den angefochtenen Beschluss vom 19. Dezember 2019 allerdings nicht begründet werden, denn zum damaligen Zeitpunkt waren die „Corona“-Krise und ihre massiven wirtschaftlichen Folgen für die Luftfahrt und für die Gesellschaft in Deutschland und Europa weder erkennbar noch bereits vorhersehbar. Auf die obigen Ausführungen zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt und zur „Wurzeltheorie“ wird Bezug genommen. Hierauf hat der Kammervorsitzende mit Verfügung vom 21. April 2020 hingewiesen (Bl. 51 d.A.).Randnummer56
Aus demselben Grund ist auch die erst im Februar 2020 mitgeteilte Zurückstellung bzw. „Pausierung“ von Projekten der US-Streitkräfte nicht entscheidungserheblich (Bl. 45 d.A.). Zum Zeitpunkt des Gewinnverwendungsbeschlusses bekannt und deshalb auch zu berücksichtigen waren hingegen die finanziellen Auswirkungen der Entscheidung des Auftraggebers beim Projekt yyy, die ursprünglich für September 2019 avisierte Beauftragung der 2. Projektstufe zunächst auf Ende 2019 zu verschieben, sowie die Mitteilung des Auftraggebers vom November 2019, dass die weitere Beauftragung nicht vor April 2020 erfolgen werde (Bl. 44, 124 d.A.). Entscheidend ist, dass die Gesellschaft am hier relevanten Stichtag (19. Dezember 2019) nicht sicher davon ausgehen konnte, überhaupt beauftragt zu werden, geschweige denn kalkulieren konnte, wann die Beauftragung erfolgen würde und wann sich daraus etwaige Honorar- oder Abschlagszahlungen an sie ergeben könnten.Randnummer57
bbb. Anhaltspunkte für eine Expansionsstrategie oder für die Erschließung neuer Geschäftsfelder zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit gibt es nicht. Die fortdauernde Existenz der Gesellschaft ist zur Überzeugung der Kammer in hohem Maße davon abhängig, dass sie auch künftig kontinuierlich gewinnbringende Aufträge akquiriert und qualifiziertes Personal vorhalten (also auch bezahlen) kann, um diese Aufträge zuverlässig abzuarbeiten.Randnummer58
ccc. Nicht nur die Auftragsakquisition, sondern auch der Faktor „Personal“ stellt sich aus Sicht der Kammer beim Geschäftsmodell der Beklagten als ein Aspekt dar, der den möglichen wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg prägt. 2019 beschäftigte die Gesellschaft neben den beiden Vorständen einen Ingenieur, drei technische Zeichner (davon einen in Teilzeitanstellung) und eine Assistentin der Geschäftsführung in Teilzeit. Bereits bei der vorausgegangenen Hauptversammlung (25. September 2019) hatte der Vorstand im Zusammenhang mit dem krankheitsbedingten Ausfall einer Mitarbeiterin von einer „Stabilisierung der Gesellschaft“ trotz „großer Herausforderungen“ gesprochen, und am 19. Dezember 2019 hatte er angesichts eines „langzeitigen krankheitsbedingten Ausfalls“ sowie des Ausscheidens eines freien Mitarbeiters die personelle Situation als „sehr angespannt“ bezeichnet und ausgeführt, dass „dringend personelle Verstärkung benötigt“ würde, die „aber bei derzeitiger Marktlage für qualifiziertes Personal äußerst schwer zu finden“ sei (Anl. K 2 Seite 6 zu 31 O 41/19 KfH und Anl. K 3 Seite 7 zu 31 O 4/20 KfH).Randnummer59
ddd. Die Steuerung und Sicherung der Liquidität stellt eine Herausforderung für die Gesellschaft dar. Das hängt mit ihrem Geschäftsmodell zusammen. Dass es sich um eine Projektgesellschaft handelt, die ihre Leistungen jedenfalls überwiegend nach HOAI abrechnet, ist unstreitig (Bl. 34 d.A.).Randnummer60
Wie von der Beklagten bereits im Schriftsatz vom 21. Februar 2020 vorgetragen, sind ihrem Geschäftsmodell lange Zeitfenster ohne Zahlungseingänge immanent, und die Gesellschaft muss mehrere Monate überbrücken, bis ein neuer Geldeingang kommt (Bl. 22 d.A.). Das ist nachvollziehbar, denn gemäß § 15 Abs. 1 HOAI wird das Honorar (erst) fällig, wenn die Leistung abgenommen und eine prüffähige Honorarschlussrechnung überreicht worden ist, es sei denn, es wurde etwas anderes schriftlich vereinbart. Nach § 15 Abs. 2 HOAI können Abschlagszahlungen zu den schriftlich vereinbarten Zeitpunkten oder in angemessenen zeitlichen Abständen für nachgewiesene Grundleistungen gefordert werden. Bei schwerpunktmäßiger Bearbeitung von Großprojekten, die sich in der Regel über mehrere Jahre erstrecken (Bl. 123 d.A.), liegen deshalb zwischen der Leistungserbringung – die für die Gesellschaft nachvollziehbar bereits mit Kosten verbunden sind (etwa für Personal, fremdbezogene Leistungen, Fixkosten) – und dem Geldeingang aufgrund der erbrachten Leistung nach Schlussrechnungsreife und Stellung der Schlussrechnung zwangsläufig längere Zeiträume. Die anfallenden Kosten muss die Gesellschaft daher mit anderweitig gewonnener Liquidität „vorfinanzieren“, sei es über liquide Mittel aus Zahlungseingängen für andere zuvor abgewickelte Projekte, sei es über Abschlagsrechnungen, sei es mithilfe von Krediten.Randnummer61
Der Vorstand der Beklagten Herr C hat in der mündlichen Verhandlung plausibel dargelegt, dass die Honorare für die mehrjährigen Großprojekte auf Basis der HOAI nach erbrachter Leistung (für die jeweilige Leistungsphase) abgerechnet werden und dass Rechnungen erst nach erbrachter Leistung und nachgewiesenem Leistungsstand gestellt werden. Abschlagsrechnungen vor Abschluss der Leistungserbringung in der jeweiligen Leistungsphase sind nach seiner Darstellung oft auftraggeberseitig nicht durchsetzbar, teils sehr umfangreich (beispielsweise 50 Seiten Rechnungstext) oder erfordern einen verhältnismäßig hohen Darstellungsaufwand (wegen der zwingenden Berücksichtigung von Zusatzbeauftragungen, Nachträgen und notwendigen Planungswiederholungen). Regelmäßig werden Honorarzahlungen erst nach Rechnungsprüfung durch den Auftraggeber geleistet, und nicht immer stößt eine Abschlagsanforderung auf einen verständnisvollen Auftraggeber (Bl. 123 f. d.A.).Randnummer62
Auch in der Zeit zwischen den Geldeingängen hat die Gesellschaft laufende fällige Zahlungsverpflichtungen, für die sie laufend liquide Mittel benötigt. Solche Zahlungsverpflichtungen ergeben sich etwa aus Miet- und Arbeitsverträgen, aber auch aus fremdbezogenen Leistungen. Aus dem Erläuterungsbericht zum Jahresabschluss 2018 ergeben sich für 2017 Aufwendungen für bezogene Fremdleistungen von rund 420.000 EUR, für 2018 Aufwendungen von rund 305.000 EUR (Anl. B 4 Seite 30). Der Personalaufwand lag bei rund 472.000 EUR (2017) bzw. 462.000 EUR (2018). Auch viele sonstige betriebliche Aufwendungen wie etwa Raumkosten, Versicherungsbeiträge, Wartungs- oder Fahrzeugkosten sind zahlungswirksam (Anl. B 4 Seite 31 f.).Randnummer63
Die Gesellschaft geht in doppelter Hinsicht in Vorleistung: Zum einen erbringt sie regelmäßig Leistungen, für die sie erst viel später Honorare nach der HOAI vereinnahmen kann. Zum andern trägt sie bei von ihr selbst fremdvergebenen Leistungen zur Abwicklung der Aufträge das Vergütungsrisiko. Selbst in Zeiten kontinuierlicher, nicht stockender Auftragsvergabe durch die begrenzte Zahl potentieller Auftraggeber hat die Gesellschaft einerseits Zahlungseingänge nur in unregelmäßigen Abständen zu verzeichnen, die zudem für das Unternehmen angesichts zahlreicher Abhängigkeiten von externen Faktoren nur schwer terminlich exakt vorhersehbar sind. Andererseits hat die Gesellschaft aber laufende Ausgaben, für die sie ständig Liquidität benötigt. Bereits hieraus erschließt sich, dass es bei der Gesellschaft zwangsläufig erhebliche Liquiditätsschwankungen gibt. Von einer – aufgrund des Geschäftsmodells für die Kammer nachvollziehbar – stark schwankenden Liquidität hat die Beklagte bereits im Schriftsatz vom 21. Februar 2020 gesprochen (Bl. 25 d.A.). Herr C hat in der mündlichen Verhandlung – für die Kammer nachvollziehbar – von „temporären Notlagen“ gesprochen (Bl. 132 d.A.).Randnummer64
eee. Der Kammervorsitzende hatte im Parallelverfahren 31 O 41/19 KfH, das u.a. die Anfechtung des Gewinnverwendungsbeschlusses für das Geschäftsjahr 2017 zum Gegenstand hatte, mit Verfügung vom 30. Januar 2020 darauf hingewiesen, dass die Beklagte konkreten Vortrag zur Liquiditätsplanung halten müsse, wenn sie behaupten wolle, dass der Gesamtbetrag der gesetzlichen Mindestdividende unter Liquiditätsgesichtspunkten nicht ausgeschüttet werden könne (31 O 41/19 KfH, Bl. 59). Auf diesen Hinweis hatte der Kammervorsitzende auch in der Verfügung vom 19. Februar 2020 zum vorliegenden Verfahren (Bl. 19 d.A.) Bezug genommen.Randnummer65
Die Beklagte hat nach diesem Hinweis im Schriftsatz vom 21. Februar 2020 dargelegt, dass sie jeden Monat Kosten von rund 120.000 EUR habe (für drei durchschnittliche Monate also 360.000 EUR) und dass sie wegen unregelmäßiger Zahlungseingänge erfahrungsgemäß frei verfügbare Liquidität von 250.000 EUR vorhalten müsse (Bl. 23 d.A.). An anderer Stelle hat sie bezogen auf 2017 angegeben, dass rund 290.000 EUR ausgereicht hätten, um die Kosten für drei Monate zu decken (Bl. 23, 25 d.A.). Der Kläger hat den Vortrag zu den monatlichen Kosten von durchschnittlich 120.000 EUR bestritten (Bl. 35 d.A.).Randnummer66
Der Vortrag der Beklagten zu den Beträgen der monatlich bzw. in drei Monaten durchschnittlich benötigten Liquidität erscheint nicht ganz frei von Widersprüchen. Der pauschale Verweis im Schriftsatz vom 15. April 2020 auf den Jahresabschluss 2018 (Bl. 50 unter Ziff. 5) ersetzt keine schlüssige Begründung und rechnerische Herleitung des behaupteten durchschnittlichen monatlichen Mittelbedarfs. Hierauf hat der Kammervorsitzende mit Verfügung vom 21. April 2020 auch hingewiesen (Bl. 51 d.A.).Randnummer67
Auf der Grundlage des bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gehaltenen Vortrags der Parteien und des Ergebnisses der Beweisaufnahme am 12. Mai 2020 ergibt sich aber folgendes Bild zur Liquiditätssituation der Gesellschaft:Randnummer68
(1) Anhand der Zahlen des Jahresabschlusses 2018 (Anl. B 4) lassen sich folgende zahlungswirksamen Aufwendungen errechnen:Randnummer69
(… von der Wiedergabe wurde abgesehen …)Randnummer70
Die Kammer geht davon aus, dass die Gesellschaft am Tag des angefochtenen Gewinnverwendungsbeschlusses (19. Dezember 2019) auch für die Zukunft mit zahlungswirksamem Aufwand etwa für Personal und Miete in mindestens derselben Größenordnung wie in der Vergangenheit rechnen konnte. Ein Bedarf an liquiden Mitteln von im Monat durchschnittlich 92.000 EUR ist damit plausibel. Bezogen auf drei Monate sind das rund 276.000 EUR Liquiditätsbedarf. Darin eingerechnet sind die unter „Materialaufwand“ verbuchten Aufwendungen für Fremdleistungen.Randnummer71
(2) Diesem voraussichtlichen Liquiditätsbedarf standen am 19. Dezember 2019 ein Bankguthaben von nur 65.858,08 EUR und ein Kassenbestand von 422,47 EUR gegenüber, in Summe 66.280,55 EUR. Die Beträge hat die Zeugin Z1, die als Mitarbeiterin des Steuerbüros STB die Buchhaltung für die Gesellschaft erledigt hat, glaubhaft bestätigt (Bl. 127 d.A.).Randnummer72
Die Beklagte hatte bezogen auf den 15. Dezember 2019 einen Kontostand von 123.949,32 EUR angegeben (Bl. 49 d.A.; Anl. B 2 Seite 3), den der Vorstand Herr C im Termin auch bestätigt hat (Bl. 126 d.A. unter Korrektur des in Anl. B 2 Seite 1 angegebenen, auf einem Übertragungsfehler beruhenden höheren Betrages). Der für den 15. Dezember 2019 angegebene höhere Betrag stimmt mit dem von der Zeugin Z1 für diesen Tag angegebenen Kontostand überein (Bl. 128 d.A.). Die Reduzierung des Kontostandes auf unter 66.000 EUR am 19. Dezember 2019 wurde von der Zeugin Z1 mit zwischen dem 13. und dem 19. Dezember 2019 geleisteten Zahlungen, etwa für Lohnsteuer und an die … GmbH, erklärt (Bl. 128 d.A.).Randnummer73
Der Verweis des Klägers auf die vormals – am 31. Dezember 2018 – vorhandene freie Liquidität (Bl. 7 d.A.) überzeugt schon wegen der notwendigen Stichtagsbetrachtung nicht. Die Summe des Kassenbestandes und des Guthabens bei Kreditinstituten zum 31. Dezember 2018 hatte sich freilich in der Tat auf nur rund 75.676 EUR belaufen, nach rund 290.772 EUR im Vorjahr. Die aktivierten Forderungen aus Lieferung und Leistung betrugen nur rund 5.877 EUR, nach rund 18.436 EUR im Vorjahr (Anl. B 4 Seite 16). Den Rückgang des Kassenbestandes hatte der Vorstand auf Nachfrage des anwaltlichen Bevollmächtigten des Klägers bereits vorprozessual damit erklärt, dass der Kassenbestand von den Zahlungen der Kunden abhänge und unterschiedlich hoch sei, je nachdem, ob die Gesellschaft die mithilfe ihrer Einnahmen zu leistenden Zahlungen an Dritte bereits geleistet hat oder nicht. Die Versicherungsaufwendungen seien umsatzabhängig. Infolge der Meldung der Umsatzzahlen der Jahre 2015 bis 2017 im Jahr 2018 hätten sich Nachzahlungen ergeben, was den Anstieg von 17.150 EUR (2017) auf 54.700 EUR (2018) erkläre (Anl. K 3 Seite 6).Randnummer74
(3) Die bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Zahlen und die glaubhaften Angaben der Zeuginnen in der mündlichen Verhandlung erlauben folgende Liquiditätsanalysen:Randnummer75
Ausgehend von den oben errechneten Monatsdurchschnitten an bestimmten zahlungswirksamen Aufwendungen in einer Größenordnung von rund 92.000 EUR, hatten schon zum 31. Dezember 2018 die liquiden Mittel (hier im Sinne von Kasse und Bankguthaben) nicht einmal ausgereicht, um die durchschnittlichen Kosten eines einzigen Monats zu decken, während ein Jahr zuvor die liquiden Mittel noch ausgereicht hatten, die durchschnittlichen Kosten für drei Monate zu decken. Angesichts dessen ist plausibel, dass die Beklagte von einer erheblich verschlechterten Liquiditätslage spricht (Bl. 25 d.A.).Randnummer76
Mithilfe der Zahlen belegt ist auch eine weitere Verschlechterung der Liquiditätslage im Jahr 2019. Bei der betriebswirtschaftlichen Liquiditätsanalyse unterscheidet man verschiedene Liquiditätsgrade. Die Liquidität 1. Grades (Cash Ratio) gibt das Verhältnis der liquiden Mittel zu den kurzfristigen Verbindlichkeiten eines Unternehmens an und ermöglicht eine Analyse, inwieweit ein Unternehmen seine derzeitigen kurzfristigen Zahlungsverpflichtungen allein durch seine liquiden Mittel erfüllen kann. Kurzfristige Forderungen des Unternehmens werden dabei nicht liquiditätserhöhend berücksichtigt. Die „Cash Ratio“ bei der Beklagten verschlechterte sich wie folgt:Randnummer77
(… von der Wiedergabe wurde abgesehen …)Randnummer78
Die Liquidität 2. Grades („Einzugsliquidität“) ist ein Gradmesser dafür, ob ein Unternehmen in der Lage ist, seine kurzfristigen Verbindlichkeiten zu bezahlen. Sie errechnet sich als Summe des Geldvermögens zuzüglich Wertpapierbestand und kurzfristiger Forderungen, dividiert durch die kurzfristigen Verbindlichkeiten eines Unternehmens. Im Unterschied zur Liquidität 1. Grades werden hier also die kurzfristigen Forderungen im Zähler addiert. Eine Einzugsliquidität von kleiner 1,0 bedeutet, dass ein Teil der kurzfristigen Verbindlichkeiten nicht durch kurzfristig zur Verfügung stehendes Vermögen gedeckt ist. Dadurch entsteht ein Liquiditätsengpass.Randnummer79
Die Zeuginnen Z1 und Z2 haben übereinstimmend und glaubhaft angegeben, dass am 19. Dezember 2019 in der Buchhaltung offene Forderungen aus Honorarrechnungen von 5.512,03 EUR verbucht waren (Bl. 129, 130 d.A.). Aus dieser Angabe und den zuvor bereits erläuterten Zahlen ergibt sich bezogen auf den 19. Dezember 2019 eine – bereits auf einen deutlichen Liquiditätsengpass deutende – Liquidität zweiten Grades von nur 0,26:Randnummer80
(… von der Wiedergabe wurde abgesehen …)Randnummer81
(4) Richtig ist zwar, dass die Gesellschaft am Stichtag nicht nur auf die Realisierung der offenen Forderungen hoffen durfte, sondern grundsätzlich auch auf die Vereinnahmung von Abschlagszahlungen. Letztere werden aber erst nach Geldeingang verbucht, nicht bereits mit Stellung der Abschlagsrechnung als Forderung, wie von der Zeugin Z2 angegeben (Bl. 131 d.A.). Die Zeugin Z2 hat folgende Beträge und Daten der tatsächlichen Zahlungseingänge genannt, die jedoch am Betrachtungsstichtag 19. Dezember 2019 nicht sicher vorhersehbar waren und deshalb auch nicht als Erwartungswerte im Rahmen einer Liquiditätsplanung zum Stichtag angesetzt werden können (Bl. 131 d.A.):Randnummer82
(… von der Wiedergabe wurde abgesehen …)Randnummer83
Mithilfe dieser Berechnung lässt sich jedoch der bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gehaltene Vortrag der Beklagten zu den Liquiditätsschwankungen und -problemen verplausibilisieren. Addiert man das am 19. Dezember 2019 vorhandene Geldvermögen, die kurzfristigen Forderungen (beides in Summe rund 71.800 EUR) und die o.g. tatsächlichen Zahlungseingänge zu 100%, so ergibt sich eine Summe von rund 293.000 EUR. Bereits wenn man wegen nicht sicherer Zahlungseingänge von den tatsächlichen Zahlungseingänge einen Abschlag von nur 10% vornimmt und daher als Erwartungswert zum Stichtag insoweit nur rund 199.200 EUR ansetzt, reduziert sich die rechnerische Summe auf nur noch rund 271.000 EUR. Das reichte nur annähernd aus, um die voraussichtlichen durchschnittlichen und kurzfristigen Zahlungsverpflichtungen für einen Dreimonatszeitraum (rund 276.000 EUR, vgl. oben) zu decken.Randnummer84
Bezieht man in die Stichtagsbetrachtung nur die bis Ende 2019 gestellten Abschlagsrechnungen ein, nicht aber die Abschlagsrechnungen, die erst 2020 gestellt wurden, so wäre nach den glaubhaften Angaben der Zeugin Z2 sogar nur ein einziger Zahlungseingang von 27.600 EUR liquiditätserhöhend zu berücksichtigen – derjenige vom 29. Januar 2020, der auf einer Rechnung von Ende 2019 beruhte (Bl. 131 d.A.).Randnummer85
(5) Die Periodenliquidität ergibt sich aus notwendigen Zahlungsausgängen und zu erwartenden Zahlungseingängen der betreffenden Periode. Eine Analyse der Periodenliquidität bei einer Monatsbetrachtung anhand der Angaben der Zeugin Z1 (Bl. 128 ff. d.A.) führt zu folgendem Negativsaldo – also einer absehbaren Liquiditätsunterdeckung:Randnummer86
(… von der Wiedergabe wurde abgesehen …)Randnummer87
(6) Die Liquidität 3. Grades („Current Ratio“) gibt das Verhältnis des Umlaufvermögens zu den kurzfristigen Verbindlichkeiten eines Unternehmens an. Nach der sogenannten „Banker’s rule“ (Two-to-One-Rule) sollte diese Kennzahl mindestens 2,0 betragen. Bereits zum 31. Dezember 2018 betrug diese Kennzahl bei der Gesellschaft nur 1,46 (vgl. Anl. B 4 Seite 16, 21 und folgende Berechnung):Randnummer88
(… von der Wiedergabe wurde abgesehen …)Randnummer89
(7) Hinzu kommt, dass die Kammer aufgrund des bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gehaltenen Vortrags, der Beweisaufnahme und der Parteianhörung davon überzeugt ist, dass die Gesellschaft nur wegen des Nichtausgleichs eines Teils der fälligen Verbindlichkeiten und dank der zeitweisen Überlassung privater Mittel des Vorstands und Aktionärs C überhaupt in der Lage war, übrige fällige Verbindlichkeiten am Fälligkeitszeitpunkt überhaupt zu bedienen.Randnummer90
Die Zeugin Z1 hat glaubhaft angegeben, dass am 19. Dezember 2019 noch eine Verbindlichkeit gegenüber G von 59.809,52 EUR aus einer Rechnung vom 26. September 2019 bestand, wobei die G ein Zahlungsziel von 14 Tagen in der Rechnung angegeben hatten (Bl. 129 d.A.).Randnummer91
Die Beklagte hat vorgetragen, dass der Aktionär C der Gesellschaft im Jahr 2019 als Überbrückungskredit 50.000 EUR zur Verfügung gestellt habe, damit sie liquide ist. Dieses erste Darlehen habe erst nach Zufluss erheblicher Einnahmen am 09. Dezember 2019 – wenige Tage vor der Hauptversammlung vom 19. Dezember 2019 – zurückgezahlt werden können. Die Gesellschaft habe dann einige Zeit ohne das Darlehen wirtschaften können. Ab 21. Februar 2020 habe Herr C der Gesellschaft wegen verschlechterter Liquiditätslage jedoch wieder einen Überbrückungskredit von 50.000 EUR gewährt und den Betrag auf das Konto der Beklagten einbezahlt, damit sie liquide ist (Bl. 21 Rs., 50 d.A.).Randnummer92
Die Gewährung dieses Überbrückungsdarlehens hat der Kläger zwar mit Nichtwissen bestritten und die Auffassung vertreten, das sei für die Gewinnverwendung 2018 irrelevant (Bl. 33 d.A.). Das Bestreiten mit Nichtwissen ist jedoch unverständlich. Denn die bereits der Klagerwiderung (Bl. 22 d.A.) beigefügten Auszüge zum Liquiditätsverlauf auf dem Firmenkonto enthalten Screenshots mit Umsatzanzeigen des Online-Banking bei der R Bank zum Konto mit der Nummer xxx (Anl. B 2). Die Kontonummer stimmt mit denjenigen im Erläuterungsbericht zum Jahresabschluss 2018 genannten Konto („# xxx“) überein (Anl. B 4 Seite 25), weshalb die Kammer davon überzeugt ist, dass es sich um Umsatzanzeigen vom Konto der Beklagten bei der R Bank handelt. Die von der Beklagten behauptete Rückzahlung von 50.000 EUR am 09. Dezember 2019 an Herrn und Frau C ist durch den Screenshot mit den Buchungen vom 09. Dezember 2019 bewiesen (Anl. B 2 Seite 6). Die Angaben wurden im Übrigen bei der Anhörung der Parteien in der mündlichen Verhandlung bestätigt: Herr C gab an, die 2019 bzw. 2020 von ihm gewährten Darlehen seien nicht befristet und unverzinslich gewesen. Es gebe einen von ihm (auf beiden Seiten) unterschriebenen Darlehensvertrag (Bl. 122 d.A.).Randnummer93
Auf die zivilrechtliche Wirksamkeit der Darlehensbegebung (vgl. § 112 Satz 1 AktG, wonach bei Geschäften des Vorstands mit der Gesellschaft der Aufsichtsrat diese vertritt) kommt es vorliegend nicht an. Entscheidend ist bei der Liquiditätsbetrachtung mit Blick auf § 254 Abs. 1 AktG, dass Herr C der Gesellschaft liquide Mittel zur Verfügung gestellt hat, obwohl er dazu weder als Aktionär noch als Vorstand verpflichtet gewesen wäre.Randnummer94
Trotz Bereitstellung von 50.000 EUR durch den Aktionär und Vorstand C an die Gesellschaft im Jahr 2019 (von der die Kammer überzeugt ist, vgl. oben) betrug der Kontostand am 25. September 2019 nur noch rund 39.285 EUR, wie von der Zeugin Z1 bestätigt (Anl. B 2 zu 31 O 4/20 KfH; Bl. 74 d.A. zu 31 O 41/19 KfH Bl. 128 d.A.). Ohne die vorherige Überlassung der 50.000 EUR, die dann im Dezember zurückbezahlt werden konnten, wäre das Konto deutlich überzogen und die Gesellschaft nur bei Einräumung eines Kredits der Bank oder geduldeter Kontoüberziehung weiter zahlungsfähig gewesen.Randnummer95
Selbst der tatsächliche Kontostand vom 25. September 2019 (unter Berücksichtigung der von Vorstand C zur Überzeugung der Kammer überlassenen 50.000 EUR) reichte nicht aus, die Rechnung der G von 59.809,52 EUR vom 26. September 2019 zu begleichen und die von Vorstand und Aktionär C gewährten Mittel zurückzuzahlen.Randnummer96
Erst nach Zufluss von Einnahmen konnte die Gesellschaft das Darlehen dann am 09. Dezember 2019 zurückzahlen (Bl. 75 d.A. zu 31 O 41/19 KfH), wie durch den Screenshot zur Umsatzanzeige aus dem Online-Banking-Portal (Anl. B 2) belegt.Randnummer97
Hinzu kommt, dass im Jahresabschluss zum 31. Dezember 2018 für Tantiemen zugunsten des Vorstands C aus dem Jahr 2017 eine Rückstellung von 49.150 EUR passiviert war (Anl. B 4 Seite 27). Hätte Herr C diesen Betrag aktiv eingefordert und würde man diesen Betrag in die Liquiditätsbetrachtung mit einbeziehen, so hätte sich die Unterdeckung weiter verschärft.Randnummer98
Der Vortrag der Beklagten, dass schon zum 19. Februar 2020 die Liquidität voll verbraucht und ein negativer Kontostand von rund -2.380 EUR erreicht war, so dass erneut ein Privatdarlehen des Vorstands und Aktionärs C benötigt worden sei (Bl. 74 zu 31 O 41/19 KfH; Anl. B 2 zu 31 O 4/20 KfH), ist bestritten. Auch ohne Berücksichtigung dieses Vortrags zur erneuten Darlehensgewährung ist die Kammer aufgrund der obigen Analysen davon überzeugt, dass sich die Gesellschaft am 19. Dezember 2019 in einer ernsten und andauernden Liquiditätskrise befand. Das zeigt auch folgende, im Übrigen auf der Basis der Zeugenaussagen vorgenommene Berechnung der Kammer (mangels Angaben der Zeugin ohne Verbindlichkeiten aus Sozialversicherungsbeiträgen):Randnummer99
(… von der Wiedergabe wurde abgesehen …)Randnummer100
(8) Nach alledem befand sich die Gesellschaft zum Zeitpunkt des Gewinnverwendungsbeschlusses am 19. Dezember 2019 zur Überzeugung der Kammer in einer Liquiditätskrise, die sich bei Ausschüttung der gesetzlichen Mindestdividende von 2.080 EUR für das Jahr 2018 und ggf. durch Ausschüttung desselben Betrages für das Jahr 2017 (vgl. dazu die Entscheidung der Kammer zum Verfahren 31 O 41/19 KfH) nochmals verschärft hätte. In dieser Situation war es nicht nur plausibel, sondern nach der Überzeugung der Kammer zur Erhaltung der Existenz wirtschaftlich zwingend und geboten, von jeglicher Dividendenausschüttung abzusehen.Randnummer101
cc. Wie bereits ausgeführt, ist § 254 Abs. 1 AktG Ausprägung des Gedankens der gesellschaftsrechtlichen Treupflicht. Daraus folgt, dass v.a. mit Blick auf den Schutzzweck der Norm bei auf § 254 Abs. 1 AktG gestützten Anfechtungsklagen auch geprüft werden kann (wenn nicht sogar muss), ob es Anhaltspunkte für ein treuwidriges Abstimmungsverhalten der Mehrheit gibt. Das ist im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Die drei Aktionäre, die dem Gewinnverwendungsbeschluss zugestimmt haben, halten wie der Kläger jeweils eine Beteiligung von ¼ der Aktien. Die Analyse der Liquiditätssituation durch die Kammer am 19. Dezember 2019 (vgl. oben) und der Umstand, dass der Vorstand und Mitaktionär C der Gesellschaft zeitweise und noch wenige Tage vor dem Gewinnverwendungsbeschluss zinslos liquide Mittel in einer Größenordnung von 50.000 EUR überlassen hat, um deren Zahlungsfähigkeit zu sichern, sowie die absolute Höhe der Mindestdividende von insgesamt 2.080 EUR für 2018 (und unter Einbeziehung des Jahres 2017 des doppelten Betrages), um die es hier vordergründig geht, sprechen dagegen, dass die Aktionärsmehrheit bei der Beschlussfassung überhaupt und allein das Ziel verfolgt haben könnte, den Kläger wirtschaftlich durch Vorenthalten einer Dividende „auszuhungern“.Randnummer102
d. Der Kläger führt die Entscheidung des LG Frankfurt vom 15. Dezember 2016 an, in der eine unterbliebene Kürzung von Vorstandsgehältern nach § 87 Abs. 2 AktG als Argument dafür verwendet wurde, dass es in diesem Fall auch an der Notwendigkeit der Gewinnthesaurierung im Sinne von § 254 Abs. 1 AktG fehle (LG Frankfurt, Urteil vom 15. Dezember 2016 – 3-05 O 154/16 –, Rn. 90, juris). Diese Entscheidung ist in der Literatur nicht unumstritten geblieben (Hüffer/Koch, 14. Aufl. 2020, AktG § 254 Rn. 7, auch zum Folgenden; Rieckers, DB 2017, 2786, 2790 Apfelbacher, FS Marsch-Barner, 2018, 1, 10 f.).Randnummer103
Richtigerweise unterscheiden sich die Voraussetzungen des § 87 Abs. 2 AktG für eine Absenkung von Vorstandsbezügen einerseits („Unbilligkeit“ der Weitergewährung angesichts verschlechterter Lage der Gesellschaft nach Vereinbarung der Vergütung) und des § 254 Abs. 1 AktG für eine Gewinnthesaurierung andererseits („Notwendigkeit“ der Thesaurierung eines Bilanzgewinns zur Erhaltung der „Lebens- und Widerstandsfähigkeit“). § 87 Abs. 2 AktG und § 254 Abs. 1 AktG haben eine unterschiedliche Stoßrichtung: „Während die Voraussetzungen für eine Kürzung der Vorstandsbezüge vorliegen, wenn die Gesellschaft Entlassungen oder Lohnkürzungen vornehmen muss und keinen Gewinn mehr ausschütten kann, geht es in § 254 Abs. 1 AktG darum, dass Gewinn nicht ausgeschüttet wird, um die Lebens- und Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft zu sichern. Die Nichtausschüttung der Mindestdividende begründet daher nicht automatisch die Pflicht zur Kürzung der Vorstandsbezüge. Letztere setzt voraus, dass ein völlig unangemessenes Verhältnis zwischen der Höhe der Vergütung und der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft besteht. …“ (Apfelbacher, in FS Marsch-Barner 2018, 1 ff., 10 f.).Randnummer104
e. Der Kläger meint außerdem, die Anfechtbarkeit des Gewinnverwendungsbeschlusses nach § 254 Abs. 1 AktG ergebe sich schon daraus, dass die Gesellschaft weder bei Vorbereitung noch bei Durchführung der Hauptversammlung die „unternehmensbezogenen Gegebenheiten für die Nichtausschüttung“ behauptet habe (Bl. 9 d.A.). Dem kann bereits rechtlich nicht gefolgt werden, soweit der Kläger damit zum Ausdruck bringen möchte, in rechtlicher Hinsicht sei es erforderlich, in oder vor der beschlussfassenden Hauptversammlung die Umstände darzulegen, aus denen sich die Notwendigkeit zur Gewinnthesaurierung zur Erhaltung der „Lebens- und Widerstandsfähigkeit“ der Gesellschaft ergebe (§ 254 Abs. 1 AktG). Eine gesetzliche Verpflichtung zur Darlegung in der Hauptversammlung besteht nicht, zumal viele der oben erörterten wirtschaftlichen Erwägungen sich aus dem vorliegenden Jahresabschluss 2018 und den dazu vom Vorstand gegebenen Erläuterungen ergeben. Ein etwaiges weitergehendes unerfülltes Informationsbedürfnis hat der Kläger auch nicht überzeugend dargetan.Randnummer105
4. Keine Anfechtbarkeit wegen angeblicher Verfolgung unzulässiger SondervorteileRandnummer106
Als weiteren Anfechtungsgrund beruft sich der Kläger auf die vermeintliche Verfolgung unzulässiger Sondervorteile einiger Aktionäre i.S.d. § 243 Abs. 2 AktG. Der diesbezügliche klägerische Vortrag ist unschlüssig:Randnummer107
Nach § 243 Abs. 2 Satz 1 AktG kann die Anfechtung eines Hauptversammlungsbeschlusses darauf gestützt werden, dass ein Aktionär mit der Stimmrechtsausübung für sich oder einen Dritten Sondervorteile zum Schaden der Gesellschaft oder der anderen Aktionäre zu erlangen sucht und der Beschluss geeignet ist, diesem Zweck zu dienen. Der mehrheitlich gefasste Beschluss, den Bilanzgewinn zum 31. Dezember 2018 auf neue Rechnung vorzutragen, bedeutet schon keinen (Vermögens-)Vorteil für einen oder mehrere Aktionäre und ist auch nicht geeignet, die Gesellschaft zu schädigen.Randnummer108
II. Nachterminlicher VortragRandnummer109
Die Beklagte hat nach Schluss der mündlichen Verhandlung im Schriftsatz vom 25. Mai 2020 ergänzenden und teils neuen Vortrag gehalten (Bl. 138 ff. d.A.). Der Kläger hat dazu mit Schriftsatz vom 08. Juni 2020 Stellung genommen und die Auffassung vertreten, der Vortrag der Beklagten sei präkludiert (Bl. 153 ff. d.A.).Randnummer110
Der nachterminliche Vortrag gibt keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung. Mit Schluss der mündlichen Verhandlung ist, abgesehen von der antragsgemäß der Beklagten eingeräumten Möglichkeit, schriftsätzlich noch zum Ergebnis der Beweisaufnahme vorzutragen (Bl. 134 d.A. – Protokoll Seite 15), Entscheidungsreife eingetreten. Die Kammer kommt aufgrund des bis dahin gehaltenen Sachvortrags und der Beweisaufnahme zu dem Ergebnis, dass am 19. Dezember 2019 zur Sicherung zwingend notwendiger Liquidität der Gesellschaft eine Dividendenausschüttung unterbleiben musste – auch in Höhe der Mindestdividende, die § 254 Abs. 1 AktG vorsieht – und zwar für das Jahr 2018 und auch für das Jahr 2017, dessen Überschuss im Bilanzgewinn 2018 aufgegangen war.Randnummer111
In der mündlichen Verhandlung war bereits angekündigt worden, dass die Kammer jetzt einmal „rechnen“ wolle; dies bezog sich, für die Parteien klar ersichtlich, auf die Angaben der Zeuginnen. Dass diese Angaben unvollständig oder unzutreffend sein könnten, hat keine der Parteien in der mündlichen Verhandlung auch nur angedeutet. Vor dem Hintergrund der notwendigen Berechnungen erklärt sich auch die protokollierte Ankündigung der Kammer, zu prüfen, ob zweifelsfreie Feststellungen ohne Einschaltung eines Sachverständigen möglich sind (Bl. 134 d.A.). Die seitens des Klägers aufgestellte Behauptung (Bl. 157 d.A.), die Kammer habe Tatsachenvortrag der Beklagten als unzureichend moniert, trifft so nicht zu und ergibt sich auch nicht aus der vom Klägervertreter zitierten Protokollseite 7. Richtig ist, dass die Liquiditätsanalyse leichter gefallen wäre, wenn lückenlose Kontoauszüge für einen angemessenen Zeitraum vor und nach dem 19. Dezember 2019 vorgelegt worden wären, weil es insoweit dann ggf. keiner mehrstündigen Zeugenvernehmung zur Rekonstruktion von Buchungen und Kontobewegungen bedurft hätte. Richtig ist auch, dass der Kammervorsitzende hierüber sein Bedauern zum Ausdruck gebracht hat (so auch Protokoll Seite 7, Bl. 126 d.A.), dass aber auch gesagt wurde, dass es zweifellos Sache jeder Partei ist zu entscheiden, auf welche Beweismittel (ob Urkunden oder Zeugen) sie sich im prozess berufen will.Randnummer112
Nach dem vorstehend erläuterten Ergebnis der Berechnungen der Kammer auf der Basis des Tatsachenvortrags bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung und den Erkenntnissen aus der mündlichen Verhandlung kommt es auf den ergänzenden und teils neuen Tatsachenvortrag der Beklagten nach Schluss der mündlichen Verhandlung nicht an. Die Kammer lässt deshalb ausdrücklich offen, ob der Vortrag präkludiert ist, und hat mangels Entscheidungserheblichkeit auch keinen Anlass zur Zurückweisung des Vortrags.Randnummer113
III. NebenentscheidungenRandnummer114
Der festgesetzte Streitwert von 25.000 EUR entspricht den Angaben des Klägers (Bl. 2 d.A.) und den Vorgaben des § 247 AktG. Die Streitwertfestsetzung in dieser Höhe entspricht auch der Bedeutung, den der Rechtsstreit sowohl für die Gesellschaft als auch für den Kläger selbst hat. Aus der Sicht der Gesellschaft geht es um die Verteilungsfähigkeit eines Bilanzgewinns von über 214.000 EUR, bei einer wirtschaftlichen Beteiligung des Klägers von ¼, sowie um ihre Existenzsicherung. Der Kläger verfolgt nicht lediglich das Ziel der Ausschüttung einer Mindestdividende an ihn von 520 EUR – das zeigen die weiteren Anfechtungsgründe neben § 254 Abs. 1 AktG, der im Ergebnis nicht überzeugende Vorwurf der Falschbilanzierung im Jahresabschluss 2018 und die in der Güteverhandlung genannte Wertvorstellung des Klägers für seine Beteiligung (zwischen 150.000 EUR und 210.000 EUR, Bl. 121 d.A.).Randnummer115
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 Satz 1, 2 ZPO.
Schlagworte: Aushungern des Gesellschafters, Einstellung in Rücklagen (Gewinnrücklage Thesaurierung), Gewinnausschüttung, Mindestdividende, systematisches Aushungern des Gesellschafters, Thesaurierung