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Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 12. Dezember 2016 – 4 CS 16.1324 

§ 191 AO, § 233a AO, § 159 HGB, § 160 HGB

1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 27. Juni 2016, die der Senat anhand der fristgerecht dargelegten Gründe überprüft (§ 146 Abs. 4 Satz 6 und 1 VwGO), hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Haftungsbescheid der Antragsgegnerin vom 20. Mai 2015 zu Recht abgelehnt. Das Vorbringen der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren führt zu keiner anderen Beurteilung. Das Verwaltungsgericht ist unter Zugrundelegung eines zutreffenden Prüfungsmaßstabs (dazu a) zu Recht davon ausgegangen, dass keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids bestehen (dazu b), so dass das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiegt (dazu c).

a) Zu dem von der Antragstellerin monierten Prüfungsmaßstab ist klarzustellen, dass das Verwaltungsgericht zu Recht eine im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache durchgeführt hat. Der Umstand, dass in der Hauptsache derzeit das Widerspruchsverfahren bei der Regierung von Oberbayern anhängig ist, führt zu keiner anderen Beurteilung. Vielmehr ist die (bevorstehende) Anhängigkeit eines Widerspruchs oder einer Anfechtungsklage überhaupt erst die Voraussetzung dafür, dass das Gericht der Hauptsache nach § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs gegen den – nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO kraft Gesetzes sofort vollziehbaren – Haftungsbescheid anordnen kann. Dies eröffnet den Einstieg in das von der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG geforderte gerichtliche Eilverfahren, dessen – im Vergleich zum Hauptsacheverfahren regelmäßig eingeschränkte – Kontrolldichte verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.1979 – 1 BvR 385/77 – BVerfGE 53, 30/67; B.v. 27.5.1998 – 2 BvR 378/98 – NVwZ-RR 1999, 217/218). Der summarische Charakter des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens folgt aus dem Wesen vorläufiger Rechtsschutzgewährung und steht zu Art. 19 Abs. 4 GG nicht in Widerspruch.

b) Nach summarischer Prüfung dürfte der Haftungsbescheid in der Hauptsache Bestand haben, weil die Antragstellerin als ausgeschiedene Gesellschafterin der Nachhaftung nach § 160 HGB unterliegt (aa), substantiierte Bedenken gegen die Höhe der Steuerschuld nicht geltend gemacht sind (bb) und die Sonderverjährungsfrist des § 159 HGB nicht zum Tragen kommt (cc).

aa) Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Antragstellerin dem Grunde nach als Haftungsschuldnerin gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 AO für die Gewerbesteuerschulden der KG einschließlich der Nachforderungszinsen in Anspruch genommen werden kann. Die Haftung des früheren Komplementärs einer KG ergibt sich gemäß § 191 Abs. 4 AO aus den maßgeblichen zivilrechtlichen Bestimmungen. Die Komplementäre einer KG haften für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft, unabhängig von deren Rechtsgrund, nach § 128 i.V.m. § 161 HGB persönlich. Dies gilt auch für sogenannte „Altverbindlichkeiten“, und zwar auch bei zwischenzeitlicher Änderung der Firma (§§ 128, 161, 130 HGB). Zudem haftet ein Gesellschafter weiter – zeitlich begrenzt – für alle Verbindlichkeiten, die bis zu seinem Ausscheiden begründet wurden (§ 161 i.V.m. § 160 Abs. 1 Satz 1 HGB). „Begründet“ ist eine Verbindlichkeit nicht erst dann, wenn der Anspruch des Gläubigers entstanden oder gar fällig ist; maßgeblich ist vielmehr, wann der Rechtsgrund für die Verbindlichkeit gelegt wurde (vgl. BayVGH, B.v. 2.5.2013 – 4 ZB 12.1393 – BayVBl 2014, 81/82 f. m.w.N.). Diese Haftungsbestimmungen einschließlich der Nachhaftung gelten auch für Gesellschaften in Liquidation (vgl. § 156 HGB).

Hieran gemessen haftet die Antragstellerin, die vom 10. November 2004 bis 2. Mai 2012 als persönlich haftende Gesellschafterin der KG im Handelsregister eingetragen war, dem Grunde nach für deren Gewerbesteuerschulden aus den Jahren 2006 bis 2010. Die Gewerbesteuer entsteht nach § 18 GewStG mit Ablauf des Erhebungszeitraums, also des Kalenderjahres (§ 14 Satz 2 GewStG). Der Zeitpunkt der (endgültigen) Festsetzung ist nach §§ 37, 38 AO irrelevant. Die Fünf-Jahres-Frist des § 160 Abs. 1 Satz 1 HGB, die mit der Handelsregistereintragung des Ausscheidens der Antragstellerin am 2. Mai 2012 zu laufen begonnen hat, hat die Antragsgegnerin durch Erlass der Gewerbesteuerbescheide am 31. Oktober 2013 bzw. 27. Februar 2014 ersichtlich gewahrt. Die Haftung erstreckt sich auch auf die steuerlichen Nebenleistungen in Gestalt der Nachforderungszinsen nach § 233a AO. Zwar ist der Zinsanspruch selbst – anders als der zugrunde liegende Anspruch aus der Gewerbesteuer als Jahressteuer – nicht schon mit Ablauf des Steuerjahres entstanden, sondern erst im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung. Seine rechtliche Grundlage hat der Anspruch auf Nachzahlungszinsen aber ebenfalls in dem im streitgegenständlichen Zeitraum bestehenden Steuerrechtsverhältnis zwischen der Steuerschuldnerin und der Antragsgegnerin. Darauf, dass die Zinshöhe beim Ausscheiden der Antragstellerin aus der KG noch nicht bekannt war, kommt es nicht an (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 2.5.2013 – 4 ZB 12.1393 – BayVBl 2014, 81/83 m.w.N.).

bb) Das Verwaltungsgericht ist nach summarischer Prüfung weiter davon ausgegangen, dass die Gewerbesteueransprüche 2006 bis 2010 in der von der Antragsgegnerin festgesetzten Höhe entstanden sind. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bestand für das Gericht kein Anlass, an der rechtlichen Beurteilung des Betriebsprüfers hinsichtlich Grund und Höhe des Bestehens der Primärschuld zu zweifeln. Diese Beurteilung hat die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren nicht, wie es die Anforderungen des § 146 Abs. 4 VwGO gebieten, substantiiert in Zweifel gezogen. Insbesondere hat sie nicht näher dargelegt und glaubhaft gemacht, warum der aus der Veräußerung des Immobilienobjekts erzielte Gewinn als steuerbegünstigter Veräußerungs- bzw. Betriebsaufgabegewinn einzustufen sein sollte bzw. warum die anderweitige – von der Steuerschuldnerin akzeptierte – rechtliche Beurteilung des Betriebsprüfers falsch sein sollte. Die Betriebsprüfung kam angesichts eindeutiger Belege, insbesondere mit Blick auf die spezifische Konzernstruktur, zu dem Ergebnis, dass von Beginn an eine Veräußerungsabsicht gegeben war. Daher hat sie die Veräußerung des Objekts unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs als nicht tarifbegünstigten gewerblichen Grundstückshandel eingestuft. Soweit die Antragstellerin in diesem Zusammenhang eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör rügt, ist dieses Vorbringen nach Aktenlage nicht nachvollziehbar. Die Antragstellerin hatte sowohl im behördlichen als auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Gelegenheit zur Stellungnahme, im Rahmen derer sie auch ein förmliches Gesuch um Akteneinsicht hätte anbringen können.

cc) Die bei Gesellschaftsauflösungen geltende Sonderverjährungsfrist des § 159 HGB, die mit der Nachhaftungsbegrenzung des § 160 HGB zusammentreffen kann (vgl. Hillmann in Ebenroth u.a., HGB, 3. Aufl. 2014, § 159 Rn. 4), kommt der Antragstellerin nicht zugute. Nach § 191 Abs. 4 AO kann ein Haftungsbescheid ergehen, solange die Haftungsansprüche nach dem jeweils maßgeblichen Recht noch nicht verjährt sind. Gemäß § 159 Abs. 1 HGB unterliegt die persönliche HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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der Gesellschafter für Gesellschaftsverbindlichkeiten einer Verjährung von fünf Jahren nach Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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. Mit dieser Sonderverjährungsfrist wollte der Gesetzgeber einen Ausgleich zwischen den Interessen der Gesellschaftsgläubiger an der Durchsetzung ihrer im Zuge der Liquidation nicht befriedigten Forderungen einerseits und den Interessen der GesellschafterBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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an der zeitlichen Begrenzung ihrer fortdauernden persönlichen Haftung andererseits erzielen. § 159 Abs. 2 HGB knüpft für den Beginn der Verjährungsfrist an den Zeitpunkt der Eintragung der Auflösung ins Handelsregister an; § 159 Abs. 3 HGB regelt den Neubeginn der Verjährung bei späterer Fälligkeit des Anspruchs des Gläubigers gegen die Gesellschaft. Vorliegend wurden die Steueransprüche der Antragsgegnerin gegen die KG erst zum 4. Dezember 2013 (Bescheid vom 31.10.2013: Steuerjahre 2006 und 2007) bzw. zum 3. April 2014 (Bescheid vom 27.2.2014: Steuerjahre 2008, 2009 und 2010) zur Zahlung fällig gestellt, so dass die Verjährungsfrist nach § 159 Abs. 3 HGB erst zu diesen Zeitpunkten zu laufen begann. Sie war bei Erlass des Haftungsbescheids am 20. Mai 2015 nicht verstrichen.

Entgegen der Rechtsansicht der Antragstellerin ist § 159 Abs. 3 HGB auch im hiesigen Fall einer durch Leistungsbescheid geforderten und fällig gestellten öffentlich-rechtlichen Geldleistung anwendbar. Anhaltspunkte für die von der Antragstellerin befürwortete einschränkende Auslegung der letztgenannten Vorschrift bei öffentlich-rechtlichen Geldforderungen ergeben sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus systematisch-teleologischen Erwägungen oder aus höherrangigem Recht. Der Begriff der Fälligkeit im Sinn des § 159 Abs. 3 HGB knüpft ersichtlich an das jeweilige dem Anspruch zugrunde liegende Fachrecht, hier die Abgabenordnung, und nicht an zivilrechtliche Grundsätze an (vgl. zu § 159 Abs. 4 HGB BVerwG, U.v. 14.10.2015 – 9 C 11.14 – BVerwGE 153, 109 = NVwZ 2016, 464/466). § 159 Abs. 3 HGB soll sicherstellen, dass den Gläubigern einer aufgelösten Gesellschaft für die Geltendmachung der Gesellschafterhaftung nach § 128 HGB jedenfalls volle fünf Jahre zur Verfügung stehen. Geht es um die Haftung für steuerrechtliche Schulden der Gesellschaft, kann mit Blick auf Wortlaut und Zweck des § 159 Abs. 3 HGB nichts anderes gelten (vgl. OVG Berlin-Bbg, U.v. 29.10.2010 – 9 B 18.09 – OVGE BE 31, 177 = juris-Rn. 37). Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, unterliegen die Behörden bei dem Erlass von Grundlagen- und Steuerbescheiden den gesetzlichen Festsetzungsfristen, die einen Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen von Steuergläubigern und Steuerschuldnern schaffen. Für eine weitere Korrektur der gesetzgeberischen Wertung im Sinn einer teleologischen Reduktion des § 159 Abs. 3 HGB gibt es keinen Anlass. Ein Wertungswiderspruch zur Nachhaftung nach § 160 HGB, der an die bis zum Ausscheiden „begründeten“ Verbindlichkeiten anknüpft, besteht nicht. Im Übrigen kommt dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von Verjährungsbestimmungen ein weiter Gestaltungsspielraum zu, wie etwa die nach Dauer und Fristbeginn sehr vielfältigen öffentlich-rechtlichen und zivilrechtlichen Verjährungsbestimmungen zeigen. Dieser Gestaltungsspielraum zur Gewährleistung eines angemessenen Ausgleichs zwischen den widerstreitenden Interessen ist verfassungsrechtlich anerkannt (vgl. BVerfG, B.v. 5.3.2013 – 1 BvR 2457/08 – BVerfGE 133, 143 = NVwZ 2013, 1004/1005 f.).

c) Die übrigen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Antragstellerin, insbesondere die pflichtgemäße Ermessensausübung bei Erlass des Haftungsbescheids, sind nach den Darlegungen des Verwaltungsgerichts erfüllt und werden von der Beschwerdebegründung nicht in Zweifel gezogen. Da somit der Rechtsbehelf in der Hauptsache voraussichtlich erfolglos bleiben wird, überwiegt gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin.

Schlagworte: Kommanditist, Kommanditisten, Kommanditistenhaftung, Nachhaftung