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BGH, Urteil vom 7. November 1960 – KZR 1/60

§ 26 Abs 2 WettbewG, § 1 MilchFettG, § 100 Abs 8 WettbewG

1. WettbewG § 100 Abs 2 stellt die in der Milchwirtschaft und Fettwirtschaft tätigen marktbeherrschenden Unternehmen nicht von dem Diskriminierungsverbot des WettbewG § 26 Abs 2 frei.

2. Zur Anwendung des WettbewG § 26 Abs 2 auf das Verhältnis eines Milcherzeugers zu einer für ihn ausschließlich zuständigen Genossenschaftsmolkerei.

Tatbestand

Der Kläger ist Rechtsanwalt und Eigentümer eines rund 90 ha großen Hofes, den er selbst bewirtschaftet. Die auf dem Hof erzeugte Milch liefert er seit Mai 1951 an die beklagte Molkereigenossenschaft; hierzu ist er nach § 1 Abs 1 des Milch- und Fett*-gesetzes verpflichtet, da sein Hof im Einzugsgebiet der für diesen Bezirk ausschließlich zuständigen Molkerei der Beklagten liegt. Er versucht seit Jahren vergeblich, von der Beklagten als Genosse aufgenommen zu werden; seine Aufnahmegesuche sind vom Vorstand und vom Aufsichtsrat der Beklagten jeweils ohne Mitteilung von Gründen abgelehnt worden. Der Kläger will sein Ziel nunmehr mit der vorliegenden Klage erreichen. Randnummer2

Die Klage blieb in allen drei Rechtszügen ohne Erfolg.

Entscheidungsgründe

Das Berufungsgericht vermag dem Statut der Beklagten keine Verpflichtung zur Aufnahme des Klägers als Genossen zu entnehmen. Auch in den Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, insbesondere in dessen §§ 26 und 27, findet das Berufungsgericht keine Stütze für das Klagebegehren. Schließlich sieht das Berufungsgericht in der Weigerung der Beklagten, den Kläger als Genossen aufzunehmen, auch keinen Verstoß gegen die guten Sitten, so daß nach der Auffassung des Berufungsgerichts dem Klagebegehren auch nicht aus § 1 UWG oder § 826 BGB stattgegeben werden kann. Den hiergegen gerichteten Angriffen der Revision mußte der Erfolg versagt bleiben.

I. …

II. …

III. Dem Berufungsgericht ist im Ergebnis auch darin beizutreten, daß das Klagebegehren in den Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) keine Stütze findet. Randnummer5

1. Die Bestimmung des § 27 GWB, nach der die Kartellbehörde auf Antrag eines Unternehmens unter gewissen Voraussetzungen dessen Aufnahme in eine Wirtschafts- oder Berufs*-vereinigung anordnen kann, vermag im Streitfall schon deshalb nicht als Klagegrundlage zu dienen, weil die beklagte Genossenschaft nach den zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts, denen sich das Bundeskartellamt im Revisionsverfahren mit näherer Begründung angeschlossen hat, keine Wirtschafts- oder Berufs*-vereinigung im Sinne dieser Bestimmung ist. Die Revision ist auf diesen Gesichtspunkt auch nicht mehr zurückgekommen. Randnummer6

2. Das Klagebegehren kann aber auch nicht auf § 26 Abs 2 GWB gestützt werden. Nach dieser Bestimmung dürfen marktbeherrschende Unternehmen und andere dort genannte Unternehmen und Vereinigungen von Unternehmen ein anderes Unternehmen in einem Geschäftsverkehr, der gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglich ist, weder unmittelbar noch mittelbar unbillig behindern oder gegenüber gleichartigen Unternehmen ohne sachlich gerechtfertigten Grund unmittelbar oder mittelbar unterschiedlich behandeln. Der Begründung, mit der das Berufungsgericht die Anwendung des § 26 Abs 2 GWB auf den Streitfall ablehnt, kann zwar nicht überall gefolgt werden; indes ist mit dem Bundeskartellamt der Auffassung des Berufungsgerichts im Ergebnis beizutreten. Randnummer7

a) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß die Beklagte im Hinblick auf die Vorschriften der §§ 1 und 2 des Milch- und Fett*-gesetzes in ihrem Einzugs- und Absatz*-gebiet ein marktbeherrschendes Unternehmen im Sinne des § 26 Abs 2 GWB ist. Nach der gesetzlichen Begriffsbestimmung des § 22 Abs 1 GWB ist ein Unternehmen marktbeherrschend, soweit es für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen ohne Wettbewerb ist oder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist. Da nach § 1 Abs 1 des Milch- und Fett*-gesetzes alle Milcherzeuger im Einzugsgebiet der Beklagten die Milch, die sie in den Verkehr bringen, nur an die Beklagte liefern dürfen, ist die Beklagte insoweit in ihrem Einzugsgebiet ohne Wettbewerb. Daß diese Monopolstellung der Beklagten auf einer gesetzlichen Vorschrift beruht, steht der Anwendung des § 22 Abs 1 und damit auch des § 26 Abs 2 GWB ebensowenig entgegen wie der Umstand, daß die Monopolstellung der Beklagten sich räumlich auf ein eng begrenztes Gebiet beschränkt (vgl Bartholomeyczik in Müller-Henneberg/Schwartz, Komm zum GWB § 22 Anm 40ff und 29; vgl auch schon die Begründung zu § 17 – jetzt § 22 – des Regierungsentwurfs des GWB – BT-Drucks 1158/1953 – und den schriftlichen Bericht des BT-Ausschusses für Wirtschaftspolitik zum Entwurf des GWB – zu Drucksache 3644/1953 – S 26). Randnummer8

b) Das Berufungsgericht hält den § 26 Abs 2 GWB im Streitfall hauptsächlich deshalb nicht für anwendbar, weil eine im Verhalten der Beklagten gegenüber dem Kläger etwa zu erblickende Wettbewerbsbeschränkung durch das Milch- und Fett*-gesetz zugelassen sei und deshalb gemäß § 100 Abs 8 GWB den Vorrang vor dem Verbot des § 26 Abs 2 GWB habe. Dieser Ansicht vermag der erkennende Senat in Übereinstimmung mit der Revision und dem Bundeskartellamt nicht zu folgen. Fiele der Beklagten, wie das Berufungsgericht ersichtlich annimmt, ein diskriminierendes Verhalten im Sinne des § 26 Abs 2 GWB gegenüber dem Kläger zur Last, so könnte der Kläger daraus die entsprechenden Rechtsfolgen gegenüber der Beklagten herleiten, ohne daß die Beklagte sich demgegenüber auf die Bestimmung des § 100 Abs 8 GWB berufen könnte. Nach dieser Bestimmung findet das GWB keine Anwendung, soweit die sogenannten Marktordnungsgesetze, darunter das Milch- und Fett*-gesetz, eine nach dem Ersten Teil des GWB verbotene Wettbewerbsbeschränkung zugelassen. Danach bleiben also zB die Wettbewerbsbeschränkungen, die in der Festlegung von Molkerei-Einzugsgebieten und Molkerei-Absatzgebieten mit Monopolcharakter und Kontrahierungszwang nach §§ 1 und 2 des Milch- und Fett*-gesetzes liegen, von den Verboten des GWB unberührt (vgl Zipfel in Müller-Henneberg/Schwartz Komm z GWB § 100 Anm 47, 73/74; vgl auch die Begründung zum Regierungsentwurf des GWB aaO S 23 und S 56 sowie den Schriftlichen Bericht des Wirtschaftspolitischen Ausschusses aaO S 42 und 44). Dagegen stellt § 100 Abs 8 GWB die in der Milch- und Fett*-wirtschaft tätigen marktbeherrschenden Unternehmen im Sinne des § 22 Abs 1 nicht auch von dem Diskriminierungsverbot des § 26 Abs 2 GWB frei (vgl Zipfel aaO Anm 17). Es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern in einer der einschlägigen Bestimmungen des Milch- und Fett*-gesetzes die Zulassung einer Diskriminierung im Sinne des § 26 Abs 2 GWB gefunden werden könnte. Randnummer9

c) Die Beklagte hat in der mündlichen Revisionsverhandlung die Auffassung vertreten, daß § 26 Abs 2 GWB schon deshalb keine rechtliche Grundlage für  das auf Aufnahme in eine Vereinigung gerichtete Klagebegehren bilden könne, weil das GWB einen Anspruch auf Aufnahme in eine Vereinigung nur in dem Sonderfall des § 27 kenne; fehle es – wie im Streitfall – an den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 27 GWB, so könne ein Anspruch auf Aufnahme in eine Vereinigung auch nicht aus einer anderen Bestimmung des GWB und insbesondere nicht aus dessen § 26 Abs 2 hergeleitet werden. Zu dieser Auffassung braucht hier nicht des näheren Stellung genommen zu werden. Denn auch wenn entgegen dieser Auffassung angenommen wird, daß § 26 Abs 2 GWB gegebenenfalls geeignet sein kann, die rechtliche Grundlage für einen Anspruch auf Aufnahme in eine Vereinigung zu bilden, so lägen doch die dafür zu fordernden Voraussetzungen, wie sich aus dem folgenden ergibt, im Streitfall nicht vor. Randnummer10

d) Das GWB verbietet in § 26 Abs 2 den Kartellen, marktbeherrschenden Unternehmen und preisbindenden Unternehmen um ihrer tatsächlichen oder vermuteten Machtstellung willen gewisse Verhaltensweisen, die es anderen Unternehmen grundsätzlich nicht verbietet. Aus dieser Anknüpfung des Diskriminierungsverbotes an eine Machtstellung ist mit dem Bundeskartellamt zu folgern, daß das Verbot nur für den Markt gelten kann, auf dem die Machtstellung besteht oder sich auswirkt. Das Diskriminierungsverbot wird also durch ein marktbeherrschendes Unternehmen nur dann verletzt, wenn die marktbeherrschende Stellung des diskriminierenden Unternehmens gerade auf dem Markt besteht oder sich auswirkt, auf dem das betroffene Unternehmen behindert oder unterschiedlich behandelt wird. Mit dem Bundeskartellamt ist ferner davon auszugehen, daß unter dem „Markt“, auf dem ein Unternehmen beherrschend sein kann, nach der Begriffsbestimmung des § 22 Abs 1 GWB ein Markt „für Waren oder gewerbliche Leistungen“ zu verstehen ist und daß auch der „Geschäftsverkehr“ im Sinne des § 26 Abs 2 GWB nur ein Verkehr mit Waren oder Leistungen sein kann. Es wäre jedoch eine zu formale Betrachtungsweise, wenn die Anwendbarkeit des § 26 Abs 2 GWB auf den Streitfall schon mit der Begründung verneint würde, daß einerseits als der Markt, auf dem die Beklagte – als Abnehmerin – ohne Wettbewerb dasteht, nur der Verkehr mit Milch von der Erzeugungsstätte ab in Betracht kommt, dieser Geschäftsverkehr aber nicht Gegenstand des Klageantrags ist, und daß andererseits der den Gegenstand des Klageantrags bildende körperschaftsrechtliche Vorgang der Aufnahme in eine Genossenschaft weder unter den Begriff des „Geschäftsverkehrs“ fällt noch eine Angelegenheit ist, bei der die Beklagte „marktbeherrschend“ sein könnte. Die Eigenart des Streitfalles liegt darin, daß der Kläger sich durch die Nichtaufnahme in die beklagte Genossenschaft in einem Geschäftsverkehr, für den diese marktbeherrschend ist, gegenüber den anderen Milcherzeugern, die Mitglieder der Beklagten sind, benachteiligt fühlt. Unter der Voraussetzung, daß § 26 Abs 2 GWB überhaupt die rechtliche Grundlage für einen Anspruch auf Aufnahme in eine Vereinigung und insbesondere auf Aufnahme in eine Genossenschaft bilden kann, wäre bei der hier gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise die Frage daher dahin zu stellen, ob die Verweigerung der Aufnahme des Klägers in die beklagte Genossenschaft im wirtschaftlichen Ergebnis eine unter das Verbot des § 26 Abs 2 GWB fallende Behinderung oder (gegenüber den als Genossen aufgenommenen anderen Milcherzeugern) unterschiedliche Behandlung des Klägers in seinem Milchgeschäft darstellt, die nur durch seine Aufnahme in die Genossenschaft behoben werden kann. Diese Frage ist jedoch zu verneinen. Randnummer11

aa) Der Kläger erhält für die an die Molkerei der Beklagten gelieferte Milch unstreitig den gleichen Preis gezahlt wie die anderen Milcherzeuger, die Mitglieder der Beklagten sind. Er nimmt unstreitig auch an der Jahresrückvergütung aus den Gewinnen der Beklagten teil und erhält seinen Anteil daran voll ausgezahlt, während die Mitglieder der Beklagten, soweit sie ihre Geschäftsanteile noch nicht voll eingezahlt haben, nur die Hälfte der Rückvergütung in Geld ausgezahlt erhalten und die andere Hälfte zur Auffüllung ihrer Geschäftsanteile stehen lassen müssen. Daß die Beklagte ihre Mitglieder durch die Erstattung von Milchanfuhrkosten besser stelle als den Kläger, wird von der Revision nicht mehr geltend gemacht. Es braucht daher hier nicht erörtert zu werden, ob der Kläger, wenn er beim Milchpreis, bei der Jahresrückvergütung oder bei der Erstattung von Milchanfuhrkosten als Nichtgenosse schlechter gestellt würde als die Genossen der Beklagten, daraus überhaupt einen Anspruch auf Aufnahme in die beklagte Genossenschaft oder nicht vielmehr nur einen Anspruch auf Erhöhung der ihm zu leistenden Zahlungen herleiten könnte. Randnummer12

bb) Es wäre allerdings denkbar, daß den Genossen der Beklagten noch auf andere Weise Vorteile aus dem Milchgeschäft zufließen, die den Nichtgenossen nicht zuteil werden, so zB in der Weise, daß die Beklagte Gemeinschaftseinrichtungen für ihre Genossen schafft und mit Rücksicht darauf das Milchgeld oder die Jahresrückvergütung niedriger festsetzt als es sonst möglich wäre. Dem könnte nicht schon mit dem Hinweis der Beklagten darauf begegnet werden, daß der von ihr gezahlte Milchpreis ohnehin weit über dem Landesdurchschnitt liege. Der Kläger hat indes nichts dafür vorgetragen, daß er auf die hier genannte Weise gegenüber den Genossen der Beklagten benachteiligt würde. Auch hinsichtlich der Kartoffeldämpfanlage der Beklagten, um deren Mitbenutzung er sich vergeblich bemüht hat, hat er nicht geltend gemacht, daß sie aus Mitteln angeschafft worden sei, die ohne diese Anschaffung zu einer Erhöhung des Milchgeldes oder der Jahresrückvergütung verwendet worden wären. Die Revision hat diese Angelegenheit nur noch unter dem Gesichtspunkt des § 826 BGB behandelt. Es kann daher auch hier unerörtert bleiben, ob eine etwaige Schlechterstellung des Klägers einen Anspruch auf Aufnahme in die beklagte Genossenschaft oder nicht vielmehr nur einen Anspruch auf gleiche Behandlung bei der Benutzung solcher Gemeinschaftseinrichtungen begründen würde. Randnummer13

cc) Der Revision ist zwar zuzugeben, daß der Kläger als Nichtgenosse kein Mitspracherecht bei der Willensbildung der beklagten Genossenschaft und damit, soweit ein einzelner Genosse darauf überhaupt Einfluß nehmen kann, auch kein Mitspracherecht bei der Gestaltung der Milchlieferbedingungen hat, und daß er auch nicht am wachsenden Wohlstand der Beklagten teilnimmt. Damit macht die Revision aber Interessen des Klägers geltend, die über den durch § 26 Abs 2 GWB geschützten Bereich hinausgehen. Es kann insoweit nicht mehr von einer „Behinderung“ oder „unterschiedlichen Behandlung“ des Klägers bei seinem Geschäftsverkehr mit der von ihm erzeugten Milch gesprochen werden. Der Kläger kann mit Hilfe des § 26 Abs 2 GWB nur bei seiner Betätigung auf seiner Marktseite als milchliefernder Erzeuger geschützt werden. Er kann aus § 26 Abs 2 GWB aber nicht einen Anspruch darauf herleiten, auch auf der anderen Marktseite, also auf der Molkereiseite, beteiligt zu werden. Es ist daher, wie auch das Bundeskartellamt anerkennt, im Ergebnis richtig, wenn das Berufungsgericht in einer Hilfserwägung darauf hingewiesen hat, daß kein einleuchtender Grund vorhanden sei, warum die Vertragspartner einer Molkereigenossenschaft in die Unternehmerstellung der Verarbeitungsstufe sollten einrücken können, während dieses Vorrecht solchen Milcherzeugern verschlossen bleibe, die mit einer in anderer Form betriebenen Molkerei zu tun haben. Randnummer14

e) Die Revision hat den Anspruch des Klägers auf Gleichbehandlung mit den anderen Milcherzeugern im Einzugsgebiet der Beklagten auch noch ausdrücklich auf den Gleichheitssatz des Art 3 des Grundgesetzes gestützt. Liegt aber, wie dargelegt, im Verhalten der Beklagten gegenüber dem Kläger kein Verstoß gegen § 26 Abs 2 GWB, so könnte, weil § 26 Abs 2 GWB eine konkrete Ausgestaltung des Gleichheitssatzes für die dort geregelten Sachverhalte darstellt, auch nicht ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz bejaht werden. Es braucht daher hier nicht näher auf die Frage eingegangen zu werden, ob dem Art 3 GG überhaupt eine unmittelbare privatrechtliche Wirkung in dem von der Revision gemeinten Sinne zukommt.

IV. …

Schlagworte: Nichtigkeit Genossenschaftsbeitritt