1. Es verstößt weder gegen die guten Sitten noch sonst gegen AktG § 195, wenn der Mehrheitsaktionär den Aufsichtsrat ausschließlich mit Personen seiner wahl besetzt und hiermit den Zweck verfolgt, das Anstellungsverhältnis eines Vorstandsmitglieds, das selbst eine größere Zahl Aktien besitzt, fristgemäß auslaufen zu lassen und die Wiederbestellung dieses Vorstandsmitglieds zu verhindern, um im Vorstand aufgetretene Spannungen zu beseitigen. Im allgemeinen ist es allerdings üblich, sachgerecht und wünschenswert, bei der Besetzung des Aufsichtsrats auf die Interessen der Minderheit Rücksicht zu nehmen und der Minderheit eine angemessene Vertretung im Aufsichtsrat zu überlassen. Das Aktiengesetz verwehrt es der Mehrheit aber nicht, ihre Stimmenmacht zu gebrauchen und die wahl des Aufsichtsrats so vorzunehmen, daß sie eine von ihr gewünschte Änderung in der Besetzung des Vorstandes erreicht.
2. An den wichtigen Grund zur Abberufung eines Vorstandsmitglieds sind auch dann keine geringeren Anforderungen zu stellen, wenn sich die Amtszeit des Vorstandsmitgliedes, das abberufen wird, ohnedies ihrem Ende nähert. Denn die Auswirkungen des Widerrufs einer Bestellung zum Vorstandsmitglied gehen über den Betrieb und das Anstellungsverhältnis weit hinaus. Der Betroffene wird im allgemeinen in seinem Fortkommen gehindert, für ihn ist es schwer, anderweit unterzukommen, er gerät in den Verdacht der Unfähigkeit, der Unverträglichkeit oder Ungeeignetheit und muß diesen Verdacht bei anderen Bewerbungen entkräften.
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 29. März 1961 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es nicht schon der Klage stattgegeben hat.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der Kammer für Handelssachen des Landgerichts in Flensburg vom 20. Januar 1960 auch insoweit abgeändert, als dies nicht bereits durch das Berufungsurteil geschehen ist.
Es wird festgestellt, daß die vom Aufsichtsratsvorsitzenden der Beklagten mit Schreiben vom 9. Mai 1959 abgegebenen Erklärungen insoweit unwirksam sind, als sie die Abberufung des Klägers aus dem Vorstand, seine sofortige Beurlaubung und die an ihn gerichtete Aufforderung betreffen, alle in seinem persönlichen Besitz befindlichen, der Beklagten gehörenden Gegenstände unverzüglich herauszugeben.
Der Kläger hat die durch die Anrufung des Landgerichts Kiel entstandenen Kosten zu tragen. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Tatbestand
An der beklagten Aktiengesellschaft sind der Kläger zu rund 41 % und sein Bruder Christian zu 51 % beteiligt. Der Kläger war seit 1929 im Unternehmen tätig, zunächst als Angestellter, dann als Prokurist und seit 1939 als Vorstandsmitglied. Sein letzter Anstellungsvertrag lief vom 1. Juni 1954 bis zum 31. Mai 1959. Zwischen beiden Brüdern bestanden Spannungen. In der Hauptversammlung vom 17. März 1959 besetzte Christian K gegen die Stimmen der übrigen Aktionäre den Aufsichtsrat ausschließlich mit Personen seiner wahl. Am 10. April 1959 beschloß der Aufsichtsrat, den Anstellungsvertrag des Klägers und dessen Bestellung zum Vorstandsmitglied nicht zu erneuern. Dadurch verschärften sich die zwischen den beiden Brüdern bestehenden Spannungen. Der Kläger richtete durch einen Anwalt unter dem 22. April 1959 drei Briefe an seinen Bruder. In dem einen (BL. 27/28 d. A.) warf er seinem Bruder vor, durch dessen Briefe vom 26. Januar und 10. März 1959 beleidigt worden zu sein; zugleich teilte er mit, deswegen Strafantrag gestellt zu haben, diesen aber bei Zurücknahme der beanstandeten Äußerungen und bei schriftlicher Entschuldigung zurücknehmen, anderenfalls jedoch Privatklage erheben zu wollen. In einem anderen der drei Briefe (Bl. 29 – 31 d. A.) machte er geltend, die Aufsichtsratswahl vom 17. März 1959 sei nichtig, weil Christian K unter voller Ausnutzung seiner Stimmenmacht einer Minderheit von 49 % keinen einzigen Aufsichtsratssitz zugestanden habe und deshalb in dieser Weise vorgegangen sei, um über einen Aufsichtsrat ausschließlich seiner wahl die Nichterneuerung des Anstellungsvertrages und der Bestellung des Klägers zum Vorstandsmitglied zu erreichen; zugleich wurde Christian K Gelegenheit gegeben, seinen Einfluß auf den neuen Aufsichtsrat dahin auszuüben, daß Anstellung und Bestellung des Klägers erneuert werden, widrigenfalls Schadensersatzansprüche erhoben werden würden. In dem dritten Schreiben (Bl. 32/33 d. A.) hieß es, der Kläger sei zur Versöhnung bereit, wenn Christian K dafür Sorge trage, daß er, Kläger, weiter im Vorstand der Beklagten verbleibe. Am 27. April 1959 reichte der Kläger gegen seinen Bruder die angedrohte Privatklage ein. Mit zwei Anwaltsschreiben vom 6. Mai 1959 wandte er sich an den Vorsitzer und die Mitglieder des Aufsichtsrats der Beklagten; in dem einen verlangte er die Änderung des Beschlusses vom 10. April 1959, in dem anderen die Abberufung seines Bruders.
Unter dem 9. Mai 1959 teilte der Aufsichtsratsvorsitzende dem Kläger mit, der Aufsichtsrat habe beschlossen,
1. ihn mit sofortiger Wirkung als Vorstandsmitglied der Beklagten abzuberufen,
2. ihn mit sofortiger Wirkung zu beurlauben,
3. ihm zu verbieten, sich in der Firma und für sie weiterhin zu betätigen und die Büro- und Betriebsräume der Firma zu betreten,
4. ihn aufzufordern, alle in seinem persönlichen Besitz befindlichen Gegenstände, die Firmeneigentum seien, unverzüglich der Gesellschaft herauszugeben.
Zugleich forderte der Aufsichtsratsvorsitzende den Kläger auf, sich nach diesem Beschluß zu richten.
Der Kläger hält den Beschluß für rechtsunwirksam, weil er von einem unter Verstoß gegen die guten Sitten gewählten Aufsichtsrat gefaßt worden sei und mangels Vorliegens eines wichtigen Grundes gegen § 75 Abs. 3 Satz 1 AktG verstoße. Er hat beantragt,
festzustellen, daß der ihm mit Schreiben vom 9. Mai 1959 mitgeteilte Aufsichtsratsbeschluß in allen vier Punkten rechtsunwirksam sei. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben, soweit dem Kläger das Betreten der Büro- und Betriebsräume verboten worden ist. Im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen.
Mit der Revision verfolgt der Kläger den Klageantrag, soweit nicht nach ihm erkannt wurde, weiter, während die Beklagte um Zurückweisung der Revision gebeten hat.
Entscheidungsgründe
I.
Der mit Schreiben vom 9. Mai 1959 mitgeteilte Aufsichtsratsbeschluß ist nicht unwirksam.
1. Die Aufsichtsratswahl vom 17. März 1959 ist nicht nichtig.
Es verstößt weder gegen die guten Sitten noch sonst gegen § 195 AktG, wenn der Mehrheitsaktionär den Aufsichtsrat ausschließlich mit Personen seiner wahl besetzt und hiermit den Zweck verfolgt, das Anstellungsverhältnis eines Vorstandsmitglieds, das selbst eine größere Zahl Aktien besitzt, fristgemäß auslaufen zu lassen und die Wiederbestellung dieses Vorstandsmitglieds zu verhindern, um im Vorstand aufgetretene Spannungen zu beseitigen. Im allgemeinen ist es allerdings üblich, sachgerecht und wünschenswert, bei der Besetzung des Aufsichtsrats auf die Interessen der Minderheit Rücksicht zu nehmen und der Minderheit eine angemessene Vertretung im Aufsichtsrat zu überlassen. Das Aktiengesetz verwehrt es der Mehrheit aber nicht, ihre Stimmenmacht zu gebrauchen und die wahl des Aufsichtsrats so vorzunehmen, daß sie eine von ihr gewünschte Änderung in der Besetzung des Vorstandes erreicht. Im vorliegenden Fall liegt auch keine sittenwidrige, insbesondere keine mißbräuchliche Ausübung des Stimmrechts vor, da es bereits wiederholt zu Mißhelligkeiten zwischen dem Kläger und Mitgliedern der Verwaltung der Beklagten und nun erneut zu Spannungen zwischen den Brüdern im Vorstand gekommen war.
2. Beschließt der Aufsichtsrat die Abberufung eines Vorstandsmitglieds, ohne daß dafür ein wichtiger Grund vorliegt, so beeinträchtigt dieser Mangel nicht den gefaßten Beschluß, sondern lediglich die Wirksamkeit der Abberufungserklärung. § 75 Abs. 3 AktG handelt nicht von der Willensbildung des Aufsichtsrats, sondern von dem namens der Aktiengesellschaft erklärten Widerruf. Deshalb ist der dem Schreiben vom 9. Mai 1959 zugrunde liegende Aufsichtsratsbeschluß in den vier vom Kläger beanstandeten Punkten nicht unwirksam.
Gleichwohl kann die Klage aus diesem Grunde nicht abgewiesen werden. Der Kläger hat zwar nach dem Wortlaut seines Antrages die Feststellung der Unwirksamkeit des dem Schreiben vom 9. Mai 1959 voraufgegangenen Aufsichtsratsbeschlusses begehrt. Die Parteien haben aber der Sache nach über die Wirksamkeit der Abberufungserklärung und der damit verbundenen weiteren Erklärungen gestritten, und in dem gestellten Antrag ist der Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit dieser Erklärungen enthalten.
II.
Bei einer solchen Würdigung der gestellten Anträge muß der Revision stattgegeben werden, da es an einem wichtigen Grunde für die Abberufung des Klägers aus dem Vorstandsamt fehlt.
1. Das Berufungsgericht geht davon aus, daß der Widerruf einer Bestellung zum Vorstandsmitglied im allgemeinen berechtigt ist, wenn die Hauptversammlung dem Betroffenen das Vertrauen entzogen hat. Damit befindet es sich in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats (BGHZ 13, 192; 15, 71; 20, 246; BGH WM 1956, 1182). Es nimmt weiter an, daß Christian K dem Kläger das Vertrauen entzogen habe und daß dies dem Vertrauensentzug der Hauptversammlung nicht gleichzustellen sei. Das ist richtig.
2. Als wichtigen Grund für die Maßnahmen des Aufsichtsrats sieht das Berufungsgericht diejenige Sachlage an, die „auf dem Hintergrund des Vertrauensentzuges durch den Mehrheitsaktionär“ durch die drei Schreiben des Klägers vom 22. April 1959 entstanden sei. Es meint, die Abberufung vom 19. Mai 1959 komme in ihren Auswirkungen einer Beurlaubung für die letzten drei Wochen der Amtszeit des Klägers gleich.
a) Das ist unrichtig. Die Auswirkungen des Widerrufs einer Bestellung zum Vorstandsmitglied gehen über den Betrieb und das Anstellungsverhältnis weit hinaus. Der Betroffene wird im allgemeinen in seinem Fortkommen gehindert, für ihn ist es schwer, anderweit unterzukommen, er gerät in den Verdacht der Unfähigkeit, der Unverträglichkeit oder Ungeeignetheit und muß diesen Verdacht bei anderen Bewerbungen entkräften.
b) Von dieser falschen Bewertung der Abberufung aus stellt das Berufungsgericht geringere Anforderungen an den Abberufungsgrund. Das Landgericht sagt ausdrücklich, bei der Bemessung der Anforderungen an die Wichtigkeit des Abberufungsgrundes könne nicht außer Betracht bleiben, daß die Abberufung des Klägers nur eine geringfügige zeitliche Bedeutung gehabt habe. Dieser Gedanke liegt auch den Ausführungen des Berufungsurteils zugrunde. Wenn auch der wichtige Grund, den § 75 Abs. 3 AktG zur Wirksamkeit des Widerrufs einer Vorstandsbestellung verlangt, durch die besonderen Umstände des Einzelfalles bestimmt wird, so läßt sich doch nicht sagen, daß der Widerruf einer sich ihrem Ende nähernden Vorstandsbestellung unter leichteren Bedingungen zulässig ist als die Abberufung aus einem noch länger andauernden Amt. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Dies folgt aus den – meist nachhaltigen – Außenwirkungen der Abberufung und daraus, daß es einer Aktiengesellschaft bei auslaufendem Anstellungsvertrag eher als bei noch länger währender Amtsdauer zuzumuten ist, ein Vorstandsmitglied im Amt zu lassen, mögen sich auch gewisse Unzuträglichkeiten ergeben haben.
Im vorliegenden Fall kommt noch hinzu, daß der Kläger rund 30 Jahre in der Firma tätig war und daß er kapitalmäßig stark an dem Unternehmen beteiligt ist. Außerdem bekam seine Abberufung dadurch einen besonderen Anstrich, daß ihm verboten wurde, sich in der Firma weiter zu betätigen und die Büro- und Betriebsräume der Gesellschaft zu betreten, und daß er aufgefordert wurde, das in seinem Besitz befindliche Firmeneigentum, einschließlich des Dienstwagens, unverzüglich herauszugeben. Die Beklagte hat nichts dafür vorgebracht, daß der Kläger zu diesen ihn herabsetzenden und kränkenden Maßnahmen Anlaß gegeben hätte. An die Berechtigung einer Abberufung diffamierenden Charakters sind besonders strenge Anforderungen zu stellen.
4. Auch wenn man lediglich in Rechnung zieht, daß die Amtszeit des Klägers mit dem 31. Mai 1959 ablief, liegt ein wichtiger Grund für den Widerruf seiner Bestellung zum Vorstandsmitglied nicht vor. Der Aufsichtsrat hatte in seiner Sitzung vom 10. April 1959 davon abgesehen, einen der beiden Brüder aus dem Vorstandsamt abzuberufen, und war den Weg der Nichterneuerung der Bestellung des Klägers gegangen. Er hat seinen Beschluß vom 9. Mai 1959 damit begründet, auf Grund der Briefe vom 22. April 1959 habe er die Überzeugung gewonnen, daß es die zwischen den Brüdern bestehenden Meinungsverschiedenheiten im Interesse der Firma nicht zuließen, daß der Kläger noch bis zum 31. Mai 1959 im Amt bleibe. Das Berufungsgericht hat diese Begründung nur unter Zuhilfenahme des Gesichtspunkts des Vertrauensentzuges für ausreichend erachtet. In der Tat genügen die Briefe vom 22. April 1959 nicht, um die schwerwiegende Maßnahme einer sofortigen Abberufung zu rechtfertigen. Durch diese Briefe wurden die Spannungen zwischen den Brüdern allerdings verschärft, und durch die Strafanzeige wegen Beleidigung und übler Nachrede wurden die bestehenden Differenzen vor einen breiteren Kreis, wenn nicht gar schon in die Öffentlichkeit, gezogen. Aber der Kläger fühlte sich durch seinen Bruder beleidigt, und dieser hatte die beanstandeten Äußerungen aufrechterhalten. Außerdem lag der weitere Anlaß der Briefe darin, daß Christian K den Aufsichtsrat ausschließlich mit Personen seiner wahl besetzt und dieser Aufsichtsrat es abgelehnt hatte, den Anstellungsvertrag und die Bestellung des Klägers zum Vorstandsmitglied zu erneuern. Diese Tatsachen durften und dürfen bei der Beurteilung des wichtigen Grundes nicht außer Betracht bleiben.
Schriftsätzlich hat die Beklagte dem Kläger noch die beiden Briefe vom 6. Mai 1959 (Bl. 34 – 36 d. A.) vorgeworfen. Der Aufsichtsrat hat aber seine Entscheidung nicht auf diese Briefe gestützt.
Da weitere Gründe nicht geltend gemacht sind, war die Abberufung des Klägers aus dem Vorstandsamt für unwirksam zu erklären.
Daraus ergibt sich zugleich die Unwirksamkeit der mit der Abberufung verbundenen Beurlaubung und des Verlangens auf sofortige Herausgabe allen Firmeneigentums.
Daher war der Klage, soweit noch nicht nach ihr erkannt ist, stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht, soweit der Kläger obgesiegt hat, auf § 91 ZPO und im übrigen auf § 276 Abs. 3 Satz 2 ZPO, da er mit der Klage zunächst ein unzuständiges Gericht (LG Kiel) angegangen hat.
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