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BGH, Urteil vom 11. 3. 2010 – IX ZR 104/08

ZPO §§ 138 III, 256; BGB §§ 249 II 1, 251 I; SGB VI § 187
1. Hat ein Rechtsanwalt in einem Scheidungsverbundverfahren bezifferte Ansprüche seines Mandanten auf Hausratsteilung geltend gemacht, kann er sich in einem später gegen ihn geführten Regressprozess nicht darauf beschränken, den Wert der Gegenstände unsubstantiiert zu Bestreiten.

2. Hat ein Rechtsanwalt dem Mandanten pflichtwidrig zum Abschluss eines Vergleichs geraten, der zu einem Verlust von Versorgungsausgleichsansprüchen geführt hat, kann der Mandant lediglich die Feststellung begehren, vom Zeitpunkt der Rentenberechtigung an so gestellt zu werden, als sei dieser Betrag auf sein Versicherungskonto eingezahlt worden, wenn eine die Rente erhöhende Zahlung an den Rentenversicherungsträger nach dem Sozialversicherungsrecht nicht zulässig ist.

Sachverhalt

Der Kläger wurde in dem Scheidungsverfahren gegen seine Ehefrau durch die in einer Anwaltssozietät verbundenen beklagten Rechtsanwälte vertreten. In der mündlichen Verhandlung vor dem AG schloss der Kläger am 10.1.2003 einen Scheidungsfolgenvergleich, durch den er sich unter weitgehendem Verzicht auf wechselseitige Ansprüche zur Zahlung von 28.000 € an seine Ehefrau verpflichtete. Der Kläger meint, die Beklagten hätten ihm pflichtwidrig zum Abschluss des Vergleichs geraten. Die auf Zahlung von Schadensersatz i.H.v. 74.524 € gerichtete Klage hat das LG abgewiesen. Auf die in Höhe eines Betrages von 33.600 € verfolgte Berufung des Klägers hat das OLG die Beklagten zur Zahlung von 27.591 € verurteilt. Die vom Senat zugelassene Revision der Beklagten hat teilweise Erfolg gehabt. Die Klage ist nur hinsichtlich eines Feststellungsbegehrens als begründet angesehen worden.

Aus den Gründen

… Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Beklagten verpflichtet waren, dem Kläger wegen der für ihn damit verbundenen Nachteile vom Abschluss des Vergleichs abzuraten. Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, die Interessen des Mandanten umfassend und nach allen Richtungen wahrzunehmen und ihn vor vermeidbaren Nachteilen zu bewahren. … Der Anwalt hat von einem Vergleich abzuraten, wenn er für die von ihm vertretene Partei eine unangemessene Benachteiligung darstellt (Sieg in Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung 2. Aufl. Rz. 718) und insb. begründete Aussicht besteht, im Falle einer streitigen Entscheidung ein wesentlich günstigeres Ergebnis zu erzielen (BGH, Urt. v. 14.1.1993 – IX ZR 76/92, MDR 1993, 804 = NJW 1993, 1325 [1328 f.]; v. 7.12.1995 – IX ZR 238/94, NJW-RR 1996, 567 f.; Terbille in Rinsche/Fahrendorf/Terbille, Die Haftung des Rechtsanwalts, 7. Aufl., Rz. 1724). In diesem Fall greift die Vermutung ein, dass der Mandant dem Vorschlag des Anwalts, von einem Vergleichsschluss abzusehen, gefolgt wäre (BGH v. 14.1.1993, a.a.O.). In Einklang mit diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht zu der Würdigung gelangt, die mit dem Vergleich für den Kläger verbundenen Nachteile hätten die ihm durch einen wechselseitigen Anspruchsverzicht entstandenen Vorteile so deutlich überwogen, dass der Beklagte zu 1) verpflichtet gewesen sei, dem Kläger von einem Vergleichsschluss abzuraten. …

… Vergeblich beanstandet die Revision, das OLG habe Vorbringen der Beklagten nicht berücksichtigt, wonach sich der Kläger wegen der von ihm gewünschten raschen Ehescheidung und zwecks Vermeidung weiterer trennungsbedingter Unterhaltszahlungen zum Abschluss des ihm nachteiligen Vergleichs bereit gefunden habe. Das OLG hat die Darstellung der Beklagten zur voraussichtlichen Dauer eines streitigen Verfahrens zur Kenntnis genommen und ausdrücklich gewürdigt. … Danach bestand für den Kläger kein Anlass, wegen der Befürchtung einer längeren Verfahrensdauer auf den Vergleich einzugehen. Das Berufungsgericht hat die dem Kläger durch den Vergleichsschluss – abgesehen von dem Versorgungsausgleich – entstandenen Nachteile zutreffend mit insgesamt 22.989 € bemessen. Zu Unrecht wenden sich die Beklagten gegen die dem Kläger bezogen auf Hausrat und Maklerkosten zuerkannten Schadenspositionen. Ohne Erfolg beanstanden die Beklagten, das Berufungsgericht habe im Blick auf die Werte der bei der Hausratsverteilung zu berücksichtigenden Gegenstände ihr Bestreiten nicht berücksichtigt.

… Die erklärungsbelastete Partei hat – soll ihr Vortrag beachtlich sein – auf die Behauptungen ihres Prozessgegners grundsätzlich „substantiiert” (d.h. mit näheren positiven Angaben) zu erwidern (BGH, Urt. v. 11.6.1985 – VI ZR 265/83, MDR 1986, 309 = NJW-RR 1986, 60). … Die Verpflichtung zu einem substantiierten Gegenvortrag setzt … voraus, dass ein solches Vorbringen der erklärungsbelasteten Partei möglich ist. Dies ist in der Regel der Fall, wenn sich die behaupteten Umstände in ihrem Wahrnehmungsbereich verwirklicht haben (BGH, Urt. v. 6.10.1989 – V ZR 223/87, NJW-RR 1990, 78 [81]). Dieser prozessualen Obliegenheit haben die Beklagten durch das bloß pauschale Bestreiten sämtlicher Einzelpositionen nicht genügt. … Die Prozessvertretung hat den Beklagten ausweislich ihrer eigenen Darlegung umfassende Einblicke in die Vermögensverhältnisse des Klägers verschafft, die es ihnen ermöglichten, Aussagen zum Wert des Hausrats zu treffen. Vor diesem Hintergrund war von den Beklagten zu erwarten, dass sie sich zu den insoweit verfolgten Schadenspositionen jeweils substantiiert äußern (vgl. BGH v. 6.10.1989, a.a.O.). Sie standen infolge ihrer Vorbefassung den Geschehnissen nicht so fern, dass sie sich auf einfaches Bestreiten beschränken durften (vgl. BGH v. 11.6.1985, a.a.O.). Soweit die Beklagten beanstanden, das Berufungsgericht habe den Vortrag, ein zum Hausrat der Eheleute gehörendes Bild im Wert von 10.000 € habe aufgrund einer Schenkung im Alleineigentum der Ehefrau gestanden, nicht berücksichtigt, ist die Verfahrensrüge nicht ordnungsgemäß ausgeführt (§ 551 Abs. 3 Nr. 2b ZPO). …

… Schließlich hat das Berufungsgericht zum Ausgleich für mögliche Unsicherheiten bei der Bewertung einzelner geltend gemachter Positionen des Hausrats im Wege einer Schadensschätzung (§ 287 ZPO) zugunsten der Beklagten einen deutlichen Abschlag vorgenommen (vgl. BGH, Urt. v. 8.11.2001 – IX ZR 64/01, MDR 2002, 179 = NJW 2002, 292 [294]). Damit hat es zugleich auch dem Umstand Rechnung getragen, dass nach dem Vortrag der Beklagten einzelne Gegenstände des Hausrats bereits vor der Eheschließung vorhanden gewesen bzw. zum Zeitpunkt der Scheidung nicht mehr vorhanden gewesen sein sollen. In Bezug auf die Maklerkosten hat das OLG … in revisionsrechtlich unbedenklicher tatrichterlicher Würdigung angenommen, dass die Ehefrau nachträglich die Beauftragung der Maklerin gebilligt hat. Jedoch kann der Kläger von den Beklagten nicht Zahlung i.H.v. 27.591 € verlangen. Dieser von dem Berufungsgericht zutreffend ermittelte Schadensrestbetrag betrifft nur noch den dem Kläger durch den Vergleich entgangenen Versorgungsausgleich. Der Kläger kann insoweit lediglich die im Leistungsbegehren enthaltene unbeschränkte Feststellung verlangen, dass die Beklagten verpflichtet sind, an den Kläger vom Zeitpunkt der Erlangung der Rentenberechtigung in der gesetzlichen Rentenversicherung fortlaufend die Beträge zu bezahlen, die erforderlich sind, um ihn so zu stellen, als hätten die Beklagten am 1.7.2003 den Betrag von 27.591 € auf sein Versicherungskonto bezahlt. …

Im Streitfall scheidet aus Rechtsgründen ein Ersatz im Wege der Naturalrestitution aus. … Nach den Vorschriften des Sozialversicherungsrechts kann das Rentenkonto des Klägers um die durch den anwaltlichen Beratungsfehler entgangenen Rentenanwartschaften nicht erhöht werden. In § 187 Abs. 1 SGB VI werden die Fälle, in denen im Rahmen des Versorgungsausgleichs Beiträge gezahlt werden können, abschließend aufgeführt (BGH v. 9.10.1997 – III ZR 4/97, BGHZ 137, 11 [26] = FamRZ 1998, 89 = MDR 1998, 45; Gürtner in KasselerKomm/SozialversR, § 187 SGB VI Rz. 2). … Eine Begründung von Rentenanwartschaften im Wege des Schadensersatzes kommt …r rentenrechtlich nicht in Betracht, wenn infolge des zum Ersatz verpflichtenden Ereignisses versäumt wurde, zugunsten des Geschädigten durch eine Entscheidung des Familiengerichts Rentenanwartschaften in der ihm nach der materiellen Rechtslage zustehenden Höhe zu begründen … .

Scheidet eine Naturalrestitution aus … (§ 249 Abs. 1 BGB) und ist ein Anspruch aus § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht gegeben, hat der Ersatzpflichtige den Gläubiger in Geld zu entschädigen (§ 251 BGB). Zu ersetzen ist hierbei die Differenz zwischen dem Wert des Vermögens, wie es sich ohne das schädigende Ereignis darstellen würde und dem durch das schädigende Ereignis verminderten Wert (Staudinger/Schiemann, BGB, Neuberarb. 2005, § 251 Rz. 3; Oetker in MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 251 Rz. 14; Gehrlein in Budewig/Gehrlein/Leipold, Der Unfall im Straßenverkehr, 2008, 20. Kap., Rz. 72).

Ohne das schädigende Ereignis hätte der Kläger eine gesicherte Anwartschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung erlangt, die einen auf das hypothetische Ende der Ehezeit (1.7.2003) bezogenen Wert von monatlich 162,61 € gehabt hätte. Der Vermögenswert dieser Anwartschaft ist nicht mit dem zu ihrer Erlangung erforderlichen Geldbetrag von 34.989 € zu bemessen. Eine derartige Betrachtungsweise ließe außer Acht, dass die Anwartschaft zweckgebunden gewesen wäre und für den Kläger nach dem Rentenversicherungsrecht – abgesehen von dem hier nicht vorliegenden Sonderfall des § 210 SGB VI – keine Möglichkeit bestanden hätte, sich diesen Betrag auszahlen zu lassen oder die Rentenanwartschaft gegen Entgelt zu veräußern. Den in ihr verkörperten Wert hätte sich der Kläger vor Eintritt in das Rentenalter in keiner Weise zunutze machen können. Eine Schadensberechnung nach einem Vergleich mit einem ähnlichen Objekt – das könnten hier die für den Abschluss einer privaten Versicherung erforderlichen Mittel oder entsprechende Rücklagen sein – scheidet aus. Es ist unmöglich, das eigenständige System der gesetzlichen Pflichtversicherungen auf die von diesem wesensverschiedenen, dem Deckungsprinzip verhafteten Systeme privater Existenzvorsorge umzusetzen, was zur Bemessung der für einen solchen Ausgleich erforderlichen Aufwendungen nötig wäre (BGH v. 12.4.1983 – VI ZR 126/81, BGHZ 87, 181 [189] = MDR 1983, 742). … Der Kläger ist daher auf die Schadensberechnung bei Eintritt des Versicherungsfalls angewiesen. Derzeit kann er folglich lediglich Feststellung der aus § 251 Abs. 1 BGB folgenden Ersatzpflicht beanspruchen. …

Vorliegend ist mithin die Verpflichtung der Beklagten auszusprechen, an den Kläger vom Zeitpunkt der Erlangung der Rentenberechtigung in die gesetzliche Rentenversicherung fortlaufend die Beträge zu bezahlen, die erforderlich sind, um ihn so zu stellen, als wäre mit Rechtskraft des Urteils in dem Scheidungsverbund eine entsprechende Versorgungsanwartschaft begründet worden (BGH v. 24.5.2007 – IX ZR 142/05, MDR 2007, 1071 ff. = WM 2007, 1425 [1428], Rz. 26). Dieser Zeitpunkt ist entsprechend den Feststellungen des Berufungsgerichts auf den 1.7.2003 festzusetzen, weil bei Fortsetzung des streitigen Verfahrens zu diesem Zeitpunkt ein Scheidungsurteil ergangen wäre. …

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