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BFH, Urteil vom 04.12.2007 – VII R 18/06

§ 69 AO, § 34 AO, § 96 Abs 1 FGO, § 41a EStG 2002, § 130 Abs 1 InsO, § 64 Abs 1 GmbHG, § 64 Abs 2 GmbHG, § 162 AO

1. Werden fällig gewordene Steuerbeträge pflichtwidrig nicht an das Finanzamt abgeführt, kann die Kausalität dieser Pflichtverletzung für einen dadurch beim Fiskus entstandenen Vermögensschaden nicht durch nachträglich eingetretene Umstände oder durch die Annahme eines hypothetischen Kausalverlaufs beseitigt werden.

2. Die Frage, ob ein hypothetischer Kausalverlauf bei der haftungsrechtlichen Inanspruchnahme Berücksichtigung finden kann, ist im Rahmen der Schadenszurechnung unter Berücksichtigung des Schutzzwecks von § 69 AO zu beantworten.

3. Die Funktion und der Schutzzweck des in § 69 AO normierten Haftungstatbestandes schließen die Berücksichtigung von hypothetischen Kausalverläufen aus. Deshalb entfällt die Haftung eines GmbH-Geschäftsführers nicht dadurch, dass der Steuerausfall unter Annahme einer hypothetischen, auf § 130 Abs. 1 InsO gestützten Anfechtung gedachter Steuerzahlungen durch den Insolvenzverwalter ebenfalls entstanden wäre.

Der vom Gesetzgeber § 69 AO beigemessene Schutzzweck und die vom BGH geforderte wertende Beurteilung lassen es nicht geboten erscheinen, den hypothetischen Kausalverlauf im Falle einer gedachten Anfechtung nach §§ 129 ff. InsO im Rahmen der Schadenszurechnung zu berücksichtigen und infolgedessen die Haftung des von § 69 AO erfassten Personenkreises (vgl. § 34 und § 35 AO) entfallen zu lassen (im Ergebnis ebenso Urteile des Sächsischen FG vom 24. Mai 2005  1 K 2361/04, Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2005, 1238; des FG Köln vom 12. September 2005  8 K 5677/01, EFG 2006, 86, und 8 K 5395/01, EFG 2006, 241, und des Schleswig-Holsteinischen FG vom 1. Dezember 2005  2 K 174/04, EFG 2006, 321; a.A. Entscheidungen des FG Baden-Württemberg vom 28. Juli 2004  1 V 30/04, EFG 2004, 1425, und vom 30. August 2004  1 V 49/03, EFG 2005, 2; des FG des Saarlandes vom 20. Dezember 2004  2 V 385/04, EFG 2005, 680; des FG Münster vom 23. Juni 2004  7 K 5031/00, EFG 2006, 13; des FG Rheinland-Pfalz vom 13. Oktober 2005 6 K 2803/04, EFG 2006, 83, und des FG Düsseldorf vom 10. Januar 2006  10 K 4216/02 H (L), EFG 2006, 618).

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH besitzt § 69 AO Schadensersatzcharakter (Senatsentscheidungen vom 1. August 2000 VII R 110/99, BFHE 192, 249, BStBl II 2001, 271; vom 5. März 1991 VII R 93/88, BFHE 164, 203, BStBl II 1991, 678; vom 26. Juli 1988 VII R 83/87, BFHE 153, 512, BStBl II 1988, 859; vgl. auch Begründung des Entwurfs für eine Reichsabgabenordnung zu § 83 Abs. 2 bis § 86 RAO, in Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 338 Nr. 759). Ziel der Haftung ist es, Steuerausfälle auszugleichen, die durch grob fahrlässige oder vorsätzliche Pflichtverletzungen der in § 34 und § 35 AO bezeichneten Personen verursacht worden sind. Die auf § 69 AO gestützte Haftung begründet eine Sonderverbindlichkeit gegenüber dem Fiskus, die den Individualansprüchen aus rechtsgeschäftlicher Haftung, Vertrauenshaftung und unerlaubter Handlung vergleichbar ist (Senatsbeschluss vom 2. November 2001 VII B 155/01, BFHE 197, 1, BStBl II 2002, 73).

4. Liegt eine haftungsbegründende Pflichtverletzung vor dem in § 64 Abs. 1 GmbHG angesprochenen Zeitraum, kann sich der Haftungsschuldner nicht auf eine entschuldigende Kollision der Pflichten zur Steuerentrichtung und zur Masseerhaltung berufen.

5. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist bei der Haftung für Umsatz- und Körperschaftsteuer der haftungsbegrenzende Grundsatz der anteiligen TilgungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Grundsatz
Grundsatz der anteiligen Tilgung
zu beachten. Dieser besagt, dass der gesetzliche Vertreter nach § 69, § 34 AO nur in dem Umfang in Anspruch genommen werden kann, in dem er bei der Tilgung der Gesamtverbindlichkeiten das FA gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt hat (Senatsurteile vom 14. Juli 1987 VII R 188/82, BFHE 150, 312, BStBl II 1988, 172, und vom 12. Juni 1986 VII R 192/83, BFHE 146, 511, BStBl II 1986, 657, m.w.N.). Denn verlangt wird von einem GmbH-Geschäftsführer, dass er in Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zu einer in etwa anteiligen Befriedigung des FA und der übrigen Gläubiger verwendet. Wie bereits ausgeführt, entfällt der zu fordernde Kausalzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Schadenseintritt, wenn mangels ausreichender Zahlungsmittel auch bei fristgerechter Abgabe der Steueranmeldung die geschuldete Steuer nicht hätte an das FA abgeführt werden können. Inwieweit ein solcher Kausalzusammenhang besteht, haben das FA und im finanzgerichtlichen Verfahren das FG zu ermitteln, wobei sie auf die Mitwirkung des Haftungsschuldners angewiesen sind.

Im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht ist der Geschäftsführer verpflichtet, die zur Feststellung des Haftungsumfangs notwendigen Auskünfte über die anteilige Gläubigerbefriedigung im Haftungszeitraum zu erteilen; eine ungerechtfertigte Weigerung, solche in seinem Wissensbereich liegenden Auskünfte zu erteilen, können das FA bzw. das FG zu einer unter Umständen für den Geschäftsführer nachteiligen Schätzung der Haftungssumme berechtigen (BFH-Entscheidungen vom 25. Mai 2004 VII R 8/03, BFH/NV 2004, 1498; vom 31. März 2000 VII B 187/99, BFH/NV 2000, 1322, und vom 8. Juli 1982 V R 7/76, BFHE 137, 1, BStBl II 1983, 249). Es bleibt dem Haftungsschuldner unbenommen, durch entsprechende Auskünfte zu einem für ihn günstigeren Ergebnis beizutragen. Dabei kann der Geschäftsführer auf die beim Insolvenzverwalter befindlichen Buchführungsunterlagen verweisen.

Schlagworte: Anfechtbarkeit, Auskunftspflichten, Auskunftsverlangen, Grundsatz der anteiligen Tilgung, Haftung für Steuerschulden, Kausalität, Mitwirkungspflichten, Pflichtverletzung und Kausalität, Schätzungsbefugnis, Tilgungsquote, übrige Steuern und Nebenleistungen, Umsatzsteuer