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BFH, Urteil vom 05.10.2011 – IX R 57/10

AO § 39; EStG § 17

1. Werden im Rahmen mehrerer zeitgleich abgeschlossener, korrespondierender Verträge GmbH-Anteile übertragen und deren Höhe durch eine Kapitalerhöhung auf genau 25 % reduziert, so vermittelt die der Kapitalerhöhung vorgreifliche Anteilsübertragung kein wirtschaftliches Eigentum an einer wesentlichen Beteiligung, wenn nach dem Gesamtvertragskonzept die mit der übertragenen Beteiligung verbundenen Rechte von vorneherein nur für eine Beteiligung von genau 25 % übergehen sollten.

2. Eine Beteiligung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG ist gegeben, wenn der Veräußerer an der Gesellschaft zu mehr als 25 % unmittelbar oder mittelbar beteiligt war (§ 17 Abs. 1 Satz 4 EStG). Die für die Besteuerung maßgebliche Anteilshöhe bestimmt sich nach der im Zeitpunkt der Veräußerung geltenden Gesetzeslage (s. Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 17. November 2004 VIII B 129/04, BFH/NV 2005, 540; BFH-Urteil vom 9. Oktober 2008 IX R 73/06, BFHE 223, 145, BStBl II 2009, 140, unter II.2.).

3. Eine Veräußerung i.S. von § 17 EStG wird mit der entgeltlichen Übertragung des Eigentums durch den Veräußerer auf den Erwerber verwirklicht (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil in BFHE 223, 145, BStBl II 2009, 140, unter II.2.). Notwendige und hinreichende Voraussetzung für die Zurechnung einer (weiterveräußerten) Beteiligung i.S. des § 17 EStG ist das (zumindest) wirtschaftliche Eigentum (vgl. BFH-Urteile vom 22. Juli 2008 IX R 61/05, BFH/NV 2008, 2004; vom 17. Februar 2004 VIII R 26/01, BFHE 205, 204, BStBl II 2004, 651, m.w.N.). Nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO ist die Rechtsstellung des wirtschaftlichen Eigentümers dadurch gekennzeichnet, dass er den zivilrechtlichen Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann. Ihm muss also auch der wirtschaftliche Erfolg aus der (Weiter-)Veräußerung gebühren (vgl. BFH-Urteile vom 7. Juli 1992 VIII R 54/88, BFHE 169, 49, BStBl II 1993, 331, unter 1.; vom 16. Mai 1995 VIII R 33/94, BFHE 178, 197, BStBl II 1995, 870, unter II.1.a ee; vom 18. Mai 2005 VIII R 34/01, BFHE 210, 247, BStBl II 2005, 857, unter II.1.c cc).

4. Das wirtschaftliche Eigentum an einem Kapitalgesellschaftsanteil geht auf einen Erwerber über (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO), wenn der Käufer des Anteils (1) aufgrund eines (bürgerlich-rechtlichen) Rechtsgeschäfts bereits eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann, und (2) die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen (Verwaltungs- und Vermögens-)Rechte (insbesondere Gewinnbezugsrecht und Stimmrecht) sowie (3) Risiko und Chance von Wertveränderungen auf ihn übergegangen sind (vgl. BFH-Urteile vom 11. Juli 2006 VIII R 32/04, BFHE 214, 326, BStBl II 2007, 296, m.w.N.; in BFHE 223, 145, BStBl II 2009, 140, unter II.2.). Danach erlangt wirtschaftliches Eigentum, wer nach dem Inhalt der getroffenen Abrede alle mit der Beteiligung verbundenen wesentlichen Rechte (Vermögens- und Verwaltungsrechte, insbesondere Gewinnbezugs- und Stimmrecht) ausüben und im Konfliktfall effektiv durchsetzen kann (vgl. BFH-Urteile in BFHE 210, 247, BStBl II 2005, 857; vom 8. November 2005 VIII R 11/02, BFHE 211, 277, BStBl II 2006, 253; in BFH/NV 2008, 2004).

5. Der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums ist nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen. Eine von der zivilrechtlichen Inhaberstellung abweichende Zuordnung eines Wirtschaftsguts kann deshalb auch anzunehmen sein, wenn die vorstehend genannten Voraussetzungen nicht in vollem Umfang erfüllt sind. Demgemäß ist auch bei der Bestimmung des wirtschaftlichen Eigentums nicht das formal Erklärte oder formal-rechtlich Vereinbarte, sondern das wirtschaftlich Gewollte und das tatsächlich Bewirkte ausschlaggebend (vgl. BFH-Urteile in BFHE 214, 326, BStBl II 2007, 296; in BFHE 223, 145, BStBl II 2009, 140, unter II.2., m.w.N.).

6. Soweit die frühere Rechtsprechung (BFH-Urteil vom 14. März 2006 VIII R 49/04, BFHE 213, 307, BStBl II 2006, 746) in vergleichbaren Zusammenhängen formal-rechtlichen Aspekten ein noch stärkeres Gewicht beigemessen hat, hält der Senat daran nicht mehr fest (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2011, 1935).

Schlagworte: Anteilsübertragung, Geschäftsanteil, Steuerrecht, wesentliche Beteiligung, wirtschaftliches Eigentum