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BFH, Urteil vom 09.11.2010 – IX R 24/09

EStG § 17; GmbHG §§ 55, 57c; HGB §§ 266, 272; KapErhStG §§ 1, 3; UmwG §§ 5, 55 UmwG; UmwStG §§ 11, 12, 13

1. Eine nicht den realen Wertverhältnissen entsprechende Verschmelzung, zu deren Durchführung das Kapital der aufnehmenden Kapitalgesellschaft um den Nominalwert der Anteile der übertragenden Kapitalgesellschaft erhöht wird, kann –anteilig– zu einer nach § 17 Abs. 1 Satz 2 EStG steuerbaren verdeckten Einlage des Wirtschaftsguts „Geschäftsanteil“ zugunsten neuer, im Zuge der Verschmelzung gewährter Geschäftsanteile führen, wenn die steuerpflichtige natürliche Person sowohl am Übernehmenden wie auch an der Anteilseignerin der übertragenden Kapitalgesellschaft maßgebend beteiligt ist.

2. Anteile an einer Kapitalgesellschaft im Sinne des § 17 Abs. 1 S. 1 EStG sind auch abspaltbare Teile des Wirtschaftsguts „Geschäftsanteil“ (s. dazu eingehend BFH-Urteil vom 21. Januar 1999 IV R 27/97, BFHE 188, 27, BStBl II 1999, 638, unter II. 2.).

3. Wird das Kapital der aufnehmenden Kapitalgesellschaft zur Durchführung der Verschmelzung gemäß § 55 Abs. 1 des Umwandlungsgesetzes (UmwG) erhöht, so entstehen keine Bezugsrechte. Denn eine Kapitalerhöhung nach § 55 UmwG zur Durchführung der Verschmelzung ist nur zulässig, soweit neue Anteile benötigt werden, um sie den Anteilsinhabern des übertragenden Rechtsträgers zu gewähren. Der verschmelzungsdurchführenden Kapitalerhöhung ist mithin ein Bezugsrechtsausschluss immanent (vgl. § 69 Abs. 1 UmwG i.V.m. § 186 des Aktiengesetzes –AktG–; einhellige Auffassung, vgl. Winter in Lutter, Umwandlungsgesetz, 4. Aufl. 2009, § 55 Rz 25; Reichert in Semler/Stengel, Umwandlungsgesetz, 2. Aufl., § 55 Rz 20; Mayer in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 55 UmwG Rz 51).

4. Nach § 57j GmbHG stehen die neuen Geschäftsanteile den Gesellschaftern –ipso iure– im Verhältnis ihrer bisherigen Geschäftsanteile zu (vgl. dazu Lutter in Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl., § 57j Rz 1). Zwar schließt § 55 Abs. 1 UmwG die Anwendbarkeit dieser Vorschrift nicht ausdrücklich aus. Sie gilt nach § 57c Abs. 4 GmbHG aber nur bei Kapitalerhöhungen aus Gesellschaftsmitteln. Wenn dort im Rahmen eines Umbuchungsvorgangs offene Rücklagen in gezeichnetes Kapital umgewandelt werden, sich also nicht die Höhe, sondern nur die Zusammensetzung des Eigenkapitals ändert (vgl. dazu BFH-Urteil vom 25. Februar 2009 IX R 26/08, BFHE 224, 504, BStBl II 2009, 658, m.w.N.), so ist die Situation bei der Kapitalerhöhung zur Durchführung der Verschmelzung eine völlig andere: Das Kapital des übernehmenden Rechtsträgers wird durch Einlage (§ 56 Abs. 1 GmbHG) des gesamten Vermögens des übertragenden Rechtsträgers tatsächlich erhöht (vgl. dazu Stratz in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, Umwandlungsgesetz, Umwandlungssteuergesetz, 5. Aufl., § 55 UmwG Rz 3; Winter in Lutter, a.a.O., § 55 Rz 2).

5. Eine Anwartschaft auf die durch Kapitalerhöhung entstehenden Geschäftsanteile (§ 57h Abs. 1 GmbHG) ergibt sich auch nicht aus einer Art „wirtschaftlichem“ Bezugsrecht. Wenn der BFH eine derartige Anwartschaft in seinem Urteil vom 8. April 1992 I R 128/88 (BFHE 167, 424, BStBl II 1992, 761) erwogen hat, so in einem Fall, in dem der Berechtigte über sein Bezugsrecht jedenfalls wirtschaftlich (durch Teilnahme am Kapitalerhöhungsbeschluss, durch Verzicht oder durch Übertragung) zugunsten eines anderen verfügt hat. So verhält es sich aber bei einer Kapitalerhöhung zur Durchführung der Verschmelzung gerade nicht. Hier ist ein Bezugsrecht der Gesellschafter der aufnehmenden Gesellschaft kraft Gesetzes von vornherein ausgeschlossen (§ 69 Abs. 1 UmwG, § 186 AktG), so dass Überlegungen, der Gesellschafter des aufnehmenden Rechtsträgers könne z.B. durch seine Teilnahme am Verschmelzungsbeschluss über eine Anwartschaft verfügt haben, nicht weiter führen.

6. Bei einer nicht verhältniswahrenden Verschmelzung kommt es zunächst zu einem Wertetransfer. Werden die Beteiligten des Verschmelzungsvertrags zwar regelmäßig ein angemessenes Umtauschverhältnis (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG) entsprechend der Relation der Unternehmenswerte zueinander (einschließlich der stillen Reserven) zugrunde legen (vgl. eingehend dazu Lutter/Drygala in Lutter, a.a.O., § 5 Rz 20 ff., m.w.N.) und auf diese Weise die notwendige Kapitalerhöhung nach § 55 UmwG berechnen (s. Stratz in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, a.a.O., § 55 UmwG Rz 14 ff.), so ist zivilrechtlich auch eine nicht verhältniswahrende Verschmelzung ebenso wie eine nicht verhältniswahrende SpaltungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Spaltung
verhältniswahrende Spaltung
(§ 128 UmwG) zulässig, wenn alle Anteilsinhaber aller beteiligten Rechtsträger zustimmen (Stratz in Schmitt/Hörtnagl/ Stratz, a.a.O., § 5 UmwG Rz 8; Lutter/Drygala in Lutter, a.a.O., § 5 Rz 20).

7. Folge einer nicht verhältniswahrenden Verschmelzung ist eine Wertverschiebung (vgl. zur Problematik eingehend Füger/Rieger, verdeckte EinlageBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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und verdeckte GewinnausschüttungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gewinnausschüttung
verdeckte Gewinnausschüttung
bei Umwandlungen – ein Problemabriss anhand typischer Fälle, in Festschrift für Widmann, S. 287 ff.).

8. Die hierin liegende Wertverschiebung führt zu einer anteiligen verdeckten Einlage des Wirtschaftsguts „Geschäftsanteil“ und damit zu einem nach § 17 Abs. 1 Satz 2 EStG steuerbaren Vorgang.

9. Eine verdeckte EinlageBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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ist –im Gegensatz zur offenen Einlage gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten– die Zuwendung eines einlagefähigen Vermögensvorteils seitens eines Anteilseigners oder einer ihm nahe stehenden Person an seine Kapitalgesellschaft ohne wertadäquate Gegenleistung, die ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis hat (BFH-Urteil vom 14. Juli 2009 IX R 6/09, BFH/NV 2010, 397; vgl. auch BFH-Beschlüsse vom 26. Oktober 1987 GrS 2/86, BFHE 151, 523, BStBl II 1988, 348, und vom 9. Juni 1997 GrS 1/94, BFHE 183, 187, BStBl II 1998, 307).

10. Im Schrifttum wird in dieser Fallkonstellationen eine steuerbare verdeckte EinlageBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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eines „vermögenswerten Vorteils“ bejaht (Füger/Rieger, a.a.O., S. 312; Rödder in Rödder/ Herlinghaus/van Lishaut, Umwandlungssteuergesetz, § 12 Rz 47, S. 649). Dem pflichtet der Senat aus folgenden Erwägungen bei:

11. Zwar können auch Werte Vermögensgegenstände sein (§ 266 Abs. 2 A.I.1. des Handelsgesetzbuches –HGB–). Ob damit „Werte“ in jedem Fall auch Wirtschaftsgüter bilden können, kann dahinstehen. Denn das Wirtschaftsgut, um das es hier geht, ist allein der Geschäftsanteil. Dessen Wert ist grundsätzlich kein selbständiges, von ihm abzusonderndes Wirtschaftsgut, sondern lediglich seine Eigenschaft.

12. Indes geht es bei einer Kapitalerhöhung zur Durchführung einer nicht verhältniswahrenden Verschmelzung nicht allein um einen Wertetransfer. Vielmehr führt die Kapitalerhöhung zur Durchführung der Verschmelzung (§ 55 UmwG) wie jede Kapitalerhöhung zu einer Abspaltung der durch den alten Geschäftsanteil verkörperten Substanz und damit zur Abspaltung eines Teils des „Geschäftsanteils“ i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG (vgl. zur Substanzabspaltung BFH-Urteile in BFHE 188, 27, BStBl II 1999, 638; vom 22. Mai 2003 IX R 9/00, BFHE 202, 309, BStBl II 2003, 712 –zur Kapitalerhöhung gegen Einlage–, und BFH-Urteil in BFHE 224, 504, BStBl II 2009, 658 – zur Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln). Dieser Anteil an einem selbständigen Geschäftsanteil ist steuerrechtlich -wiederum als Geschäftsanteil- ein Wirtschaftsgut, und zwar unabhängig davon, ob er zivilrechtlich wirksam von dem jeweiligen Geschäftsanteil abgetrennt wurde (BFH-​Urteil vom 6. Oktober 2009 IX R 14/08, BFHE 228, 10, BStBl II 2010, 460). Mit der Substanz werden im Zuge der Kapitalerhöhung mithin nicht nur Werte verschoben, sondern darüber hinaus die am Vermögen, am Gewinn und an den stillen Reserven beteiligten Anteilsrechte vermehrt. Auch die Mitgliedschaftsrechte gehen anteilsgemäß über (s. das BFH-Urteil in BFHE 188, 27, BStBl II 1999, 638).

13 Die solcherart vom (alten) Geschäftsanteil an der übernehmenden Kapitalgesellschaft abgespaltene Substanz geht nun nicht über ein Bezugsrecht auf den neuen Geschäftsanteil des bislang an der übertragenden Kapitalgesellschaft und infolge der Verschmelzung an der übernehmenden Kapitalgesellschaft beteiligten Anteilseigners über. Vielmehr verschiebt sich die Substanz direkt vom alten Geschäftsanteil hin zum durch die Verschmelzung geschaffenen neuen Geschäftsanteil. Damit legt der Anteilseigner durch Mitwirken an der nicht verhältniswahrenden Verschmelzung einen Teil seines Geschäftsanteils an der übernehmenden Kapitalgesellschaft in die bisher an der übertragenden Kapitalgesellschaft beteiligte und mittels Verschmelzung nun an der übernehmenden Kapitalgesellschaft beteiligten Kapitalgesellschaft ein.

14. Auch wenn die Wirtschaftsgüter der übertragenden Körperschaft mit dem Buchwert angesetzt werden (§§ 12, 11 UmwStG 1995, vgl. auch § 11 Abs. 2, § 12 Abs. 1 UmwStG 2006), hätten einander Fremde auf einer wertadäquaten Kapitalerhöhung bestanden und den Verlust von Anteilssubstanz ihrer (alten) Anteile an der aufnehmenden Gesellschaft nicht gebilligt. In einem solchen Fall hätte die dadurch entstehende Differenz zwischen dem Nominalbetrag der Kapitalerhöhung und dem Nettovermögen des übertragenden Rechtsträgers nach § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB in die Kapitalrücklage eingestellt werden müssen (vgl. Mayer in Widmann/Mayer, a.a.O., § 55 Rz 36; Winter in Lutter, a.a.O., § 55 Rz 7). Wenn stattdessen eine Nominalwertrelation gewählt wird, geschieht dies, um die wertmäßige Substanz des neuen Anteils –sozusagen als Reflex der Verschmelzungcausa societatis ohne wertentsprechende Gegenleistung zu erhöhen und auf diese Weise der Anteilseignerin der übertragenden Kapitalgesellschaft einen Anteil an einem Vermögensgegenstand zuzuwenden. Diese verdeckte EinlageBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Einlage
verdeckte Einlage
ist nach § 17 Abs. 1 Satz 2 EStG steuerbar. Im Übrigen –also soweit die Übertragung der Wertrelation entspricht– liegt demgegenüber keine verdeckte EinlageBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Einlage
verdeckte Einlage
vor. Es gilt insofern § 13 Abs. 1 UmwStG 1995.

15. Wenn der BFH in der disquotalen Einlage keine Zuwendung i.S. des § 7 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuergesetzes sieht (BFH-Urteil vom 9. Dezember 2009 II R 28/08, BFHE 228, 169, BStBl II 2010, 566), so hat dies für die ertragsteuerrechtliche Beurteilung keine Bedeutung.

16. Das Kapitalerhöhungssteuergesetz gilt, wie sich aus § 1 KapErhStG erschließt, nur bei Kapitalerhöhungen aus Gesellschaftsmitteln (vgl. Blümich/Broer, KapErhStG Vorb. Rz 7). Bei Kapitalerhöhungen gegen Einlage gilt die Gesamtwertmethode (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil in BFHE 188, 27, BStBl II 1999, 638).

Schlagworte: Abspaltung, Anteilseigner, Buchwert, causa societatis, disquotale Einlage, Erhöhung des Stammkapitals, Geschäftsanteil, Nominalwert, Steuerrecht, übernehmender Rechtsträger, übertragender Rechtsträger, verdeckte Einlage, Verschmelzung, Wertrelation