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BFH, Urteil vom 27.02.2007 – VII R 67/05

§ 34 AO, § 35 AO, § 69 AO, § 823 Abs 2 BGB, § 38 EStG 1997, § 41a EStG 1997, § 42d EStG 1997, § 64 GmbHG, § 129 InsO, § 266a StGB

1. Gemäß § 69 Satz 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 und § 35 AO haften die gesetzlichen Vertreter und die Verfügungsberechtigten –unter anderem faktische Geschäftsführer– einer GmbH, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden sind. Danach trifft den Geschäftsführer einer GmbH die Pflicht, für eine fristgerechte Anmeldung und Abführung der von der GmbH geschuldeten Lohnsteuer zu sorgen (§ 41a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes –EStG–).

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats stellt die Nichtabführung einzubehaltender und anzumeldender Lohnsteuer zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten regelmäßig eine zumindest grob fahrlässige Verletzung der Geschäftsführerpflichten dar (vgl. Senatsentscheidungen vom 20. April 1982 VII R 96/79, BFHE 135, 416, BStBl II 1982, 521, und vom 9. Dezember 2005 VII B 124-125/05, BFH/NV 2006, 897, m.w.N.).

Zahlungsschwierigkeiten der GmbH ändern nach dieser Rechtsprechung weder etwas an jener Pflicht des GmbH-Geschäftsführers, noch schließen sie sein Verschulden bei Nichterfüllung der steuerlichen Pflichten der GmbH aus. Reichen die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur Befriedigung der arbeitsrechtlich geschuldeten Löhne (einschließlich des in ihnen enthaltenen Steueranteils) nicht aus, so darf der Geschäftsführer die Löhne nur entsprechend gekürzt auszahlen und muss aus den dadurch übrig bleibenden Mitteln die auf die gekürzten (Netto-)Löhne entfallende Lohnsteuer an das FA abführen (Senatsbeschluss vom 21. Dezember 1998 VII B 175/98, BFH/NV 1999, 745, m.w.N.). An diesen Grundsätzen ist –vorbehaltlich der nachstehenden Ausführungen– festzuhalten.

2. Die steuerrechtlich und die insolvenzrechtlich unterschiedliche Bewertung der Lohnsteuer-Abführungspflicht des Arbeitgebers in insolvenzreifer Zeit kann zu einer Pflichtenkollision führen. Eine solche steht der Haftung des GeschäftsführersBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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wegen Nichtabführung der Lohnsteuer aber jedenfalls dann nicht entgegen, wenn der Insolvenzverwalter die Beträge im gedachten Falle der pflichtgemäßen Zahlung der Lohnsteuer vom FA deshalb nicht herausverlangen kann, weil die Anfechtungsvoraussetzungen nach §§ 129 ff. InsO nicht vorliegen.

3. Die gesellschaftsrechtliche Pflicht des Geschäftsführers zur Sicherung der Masse i.S. des § 64 Abs. 2 GmbHG kann die Verpflichtung zur Vollabführung der Lohnsteuer allenfalls in den drei Wochen suspendieren, die dem Geschäftsführer ab Kenntnis der Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit der GmbH nach § 64 Abs. 1 GmbHG eingeräumt sind, um die Sanierungsfähigkeit der GmbH zu prüfen und Sanierungsversuche durchzuführen. Nur in diesem Zeitraum kann das die Haftung nach § 69 AO begründende Verschulden ausgeschlossen sein.

Zwar ist der Geschäftsführer nach § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Insolvenzreife der Gesellschaft geleistet werden. Die Schutzvorschrift des § 64 Abs. 2 GmbHG soll die verteilungsfähige Vermögensmasse einer insolvenzreifen GmbH im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger erhalten und eine zu ihrem Nachteil gehende bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger verhindern (BGH-Urteil vom 29. November 1999 II ZR 273/98, BGHZ 143, 184). So soll nach Auffassung des 2. Zivilsenats des BGH (Urteil vom 8. Januar 2001 II ZR 88/99, BGHZ 146, 264) bei einem dieser Norm entsprechenden Verhalten, das zur Verletzung der gemäß § 266a des Strafgesetzbuchs (StGB) strafbewehrten Pflicht zur Abführung der Sozialabgaben führt, die persönliche deliktische Haftung des GeschäftsführersBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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aus dem Gesichtspunkt des § 823 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs i.V.m. § 266a StGB gegenüber der Sozialkasse entfallen, weil in einem solchen Fall einer Pflichtenkollision das deliktische Verschulden verneint werden müsse.

Das Gebot der Massesicherung gemäß § 64 Abs. 1 GmbHG kann aber eine verschuldensrelevante Pflichtenkollision nicht zeitlich unbegrenzt, sondern nur in dem von § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG vorgesehenen Zeitraum begründen, der dem Geschäftsführer ab Kenntnis der Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit eingeräumt wird, um die Sanierungsfähigkeit der GmbH zu prüfen und Sanierungsversuche durchzuführen, also höchstens für einen Zeitraum von drei Wochen. Der erkennende Senat schließt sich insoweit der Rechtsauffassung des 5. Strafsenats des BGH an, dass nur innerhalb dieses Zeitraums die Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge suspendiert ist. Jedenfalls in strafrechtlicher Hinsicht, so der BGH, könne sich derjenige Verantwortliche, der bei gegebener Insolvenzreife erkenne, dass für das Unternehmen keine Sanierungsmöglichkeit mehr bestehe, und trotzdem keinen Insolvenzantrag stelle, nicht auf den Grundsatz der Massesicherung berufen, wenn er das Unternehmen dennoch weiter führe. Ihm sei nämlich ohne weiteres möglich, sich aus dieser (nur scheinbaren) Konfliktlage dadurch zu befreien, dass er seiner Pflicht aus § 64 Abs. 1 GmbHG nachkomme und den gebotenen Insolvenzantrag stelle. Selbst die Annahme einer Ersatzpflicht nach § 64 Abs. 2 GmbHG stünde einer Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 StGB –nach Ablauf der dreiwöchigen Frist– nicht entgegen. Eine unabwendbare Pflichtenkollision sei hier nämlich schon deshalb nicht gegeben, weil sich der Geschäftsführer diesen widerstreitenden Pflichten jederzeit entziehen könne, indem er einen Insolvenzantrag stelle. Habe aber der Täter selbst vorwerfbar die Pflichtenkollision herbeigeführt, könne er hieraus keinen Rechtfertigungsgrund ableiten (BGH-Beschluss vom 30. Juli 2003  5 StR 221/03, BGHSt 48, 307; in DStR 2005, 1867, ZIP 2005, 1678).

Diese Erwägungen gelten für die haftungsrechtliche Verantwortung des Geschäftsführers nach § 69 AO in ähnlicher Weise. Zwar handelt es sich bei dieser Vorschrift nicht um eine Sanktionsnorm. Gleichwohl sind die Rechtsgedanken übertragbar. Denn ebenso wie bei § 266a StGB ist das schuldhafte Fehlverhalten, durch welches die in § 69 AO benannten Personen Steuerausfälle verursacht haben, der Anknüpfungspunkt für die Haftung nach § 69 AO (Senatsurteil vom 30. August 2005 VII R 61/04, BFH/NV 2006, 232, m.w.N.). Das staatliche Interesse am Ausgleich des durch die schuldhafte Pflichtverletzung verursachten Schadens beim Fiskus muss –ebenso wie der Strafanspruch, der der Durchsetzung des Anspruchs der Sozialkasse Nachdruck verleiht– nur zurücktreten, solange der Haftungsschuldner trotz Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit der GmbH den Insolvenzantrag noch nicht zu stellen braucht.

Schlagworte: Abführung der Steuer an das Finanzamt, Abgabe der Steuererklärung, Anfechtbarkeit, faktischer Geschäftsführer, GmbHG § 64 Satz 1, Grundsatz der anteiligen Tilgung, Haftung für Steuerschulden, Lohnsteuer, Sanierungsversuche, Schuldner, Verhältnis des Steuerrechts zu § 64 Satz 1 GmbHG, Zahlungen nach Insolvenzreife, Zahlungsmöglichkeit