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BGH, Beschluss vom 02. Juli 2020 – VII ZA 3/19

§ 803 ZPO, § 835 ZPO

1. Die Überweisung einer gepfändeten Forderung zur Einziehung setzt als Hoheitsakt die öffentlich-rechtliche Beschlagnahme des Pfandgegenstandes (Verstrickung) voraus. Deshalb gehört eine wirksame Pfändung zum Tatbestand der Überweisung. Wirksam ist eine Pfändung, wenn sie nicht nichtig ist, das heißt unter einem besonders schweren und bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundigen Fehler leidet.

2. Allein in der Nichtbeachtung von Pfändungsschutzvorschriften liegt kein besonders schwerer und offenkundiger Fehler der Pfändung einer Forderung (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2008 – VII ZB 16/08, NJW-RR 2009, 211).

Tenor

Der Antrag der Schuldnerin, ihr Prozesskostenhilfe für das Verfahren der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 5. April 2019 zu bewilligen, wird abgelehnt.

Gründe

I.

Die Schuldnerin war Geschäftsführerin, zunächst Mehrheitsgesellschafterin und später Alleingesellschafterin der D.   S.                    GmbH (nachfolgend: GmbH). Der Gläubiger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der GmbH.

Mit Vereinbarung vom 8. Dezember 1995 gewährte die GmbH der Schuldnerin eine Altersrente und eine Hinterbliebenenrente. Die GmbH behielt sich vor, nach Eintritt des Versorgungsfalls anstelle einer laufenden Rente eine Kapitalabfindung zu leisten. Die GmbH behielt sich des Weiteren vor, zur Absicherung der ihr aus der Versorgungszusage erwachsenden Verpflichtungen eine Rückdeckungsversicherung abzuschließen, aus der sie allein bezugsberechtigt ist. Hierzu erteilte die Schuldnerin ihre Zustimmung. Dementsprechend vereinbarte die GmbH mit einem Lebensversicherer den Abschluss einer Kapitalversicherung mit der Schuldnerin als versicherter Person. Nach den Vereinbarungen ist die Versicherungssumme im Falle des Todes der Schuldnerin, spätestens jedoch beim vereinbarten Ablauf, dem 1. Dezember 2019, fällig; ein Rentenwahlrecht besteht nicht.

Am 12. Dezember 1995 schlossen die GmbH und die Schuldnerin in Bezug auf die Rückdeckungsversicherung eine Verpfändungsvereinbarung und zeigten diese dem Lebensversicherer an.

Auf Antrag des Gläubigers erließ das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – am 9. Februar 2016 einen Pfändungsbeschluss, wonach die Ansprüche der Schuldnerin aus der Versorgungsanzeige der GmbH vom 8. Dezember 1995 und das Pfandrecht der Schuldnerin an der vorbezeichneten Rückdeckungsversicherung einschließlich des Auszahlungsanspruchs und des Rechts zur Kündigung gepfändet wurden.

Am 6. Januar 2017 hat der Gläubiger den Erlass eines Überweisungsbeschlusses zum Pfändungsbeschluss vom 9. Februar 2016 beantragt, den das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – mit Beschluss vom 6. März 2017 erlassen hat. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Schuldnerin ist erfolglos geblieben. Das Beschwerdegericht hat die Rechtsbeschwerde zugelassen.

Die Schuldnerin begehrt die Gewährung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung der beabsichtigten Rechtsbeschwerde.

II.

Der Antrag der Schuldnerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, da die beabsichtigte Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens keine Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

1. Das Beschwerdegericht hat im Wesentlichen ausgeführt:

Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin gegen den Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts – Vollstreckungsgerichts – vom 6. März 2017 sei zulässig, allerdings nicht begründet.

Zwar sei Gegenstand des angegriffenen Beschlusses nur die Überweisung der Forderungen, gleichwohl sei zugunsten der Schuldnerin eine etwaige Unpfändbarkeit der jeweiligen Forderung zu prüfen und zu berücksichtigen. Denn eine Forderung, die unpfändbar sei, werde durch einen Pfändungsbeschluss nicht wirksam verstrickt und der Pfändungsbeschluss erzeuge ohne Anhörung des Schuldners keine materielle Wirkung.

Vorliegend seien die Ansprüche der Schuldnerin allerdings pfändbar. Die Pfändungsschutzvorschrift des § 851c Abs. 1 ZPO greife nicht ein, da die Voraussetzung des § 851c Abs. 1 Nr. 4 ZPO für einen solchen Pfändungsschutz, nämlich keine Vereinbarung einer Kapitalleistung, hier nicht erfüllt sei.

Die Rechtsbeschwerde sei wegen grundsätzlicher Bedeutung hinsichtlich der Frage zuzulassen, ob § 851c Abs. 1 Nr. 4 ZPO einen Pfändungsschutz ausschließe, wenn die Zahlung einer Kapitalleistung zwar nicht dem Wahlrecht des Bezugsberechtigten, aber dem des Anspruchsgegners unterliege, der Bezugsberechtigte jedoch Geschäftsführer und zunächst Mehrheitsgesellschafter, später sogar Alleingesellschafter des Anspruchsgegners sei.

2. Unbeschadet der für den Senat bindenden Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO) hat die von der Schuldnerin beabsichtigte Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil die Frage der Pfändbarkeit der zur Einziehung überwiesenen Forderungen nicht entscheidungserheblich ist und keine Gründe ersichtlich sind, die zur Aufhebung des angegriffenen Überweisungsbeschlusses führen könnten.

a) Gegenstand des beabsichtigten Rechtsbeschwerdeverfahrens ist ausschließlich der zugunsten des Gläubigers ergangene Überweisungsbeschluss vom 6. März 2017. Mit diesem Beschluss hat das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – die mit Beschluss vom 9. Februar 2016 gepfändeten Forderungen dem Gläubiger zur Einziehung überwiesen und damit durch staatlichen Hoheitsakt nach § 835 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 ZPO verwertet (vgl. MünchKommZPO/Smid, 5. Aufl., § 835 Rn. 1, 3; Musielak/Voith/Flockenhaus, ZPO, 17. Aufl., § 835 Rn. 1; Zöller/Herget, ZPO, 33. Aufl., § 835 Rn. 1; Hk-ZPO/Kemper, 8. Aufl., § 835 Rn. 1). Die Überweisung der gepfändeten Forderung zur Einziehung setzt als Hoheitsakt die öffentlich-rechtliche Beschlagnahme des Pfandgegenstandes (Verstrickung) voraus. Deshalb gehört eine wirksame Pfändung der Forderung zum Tatbestand der Überweisung (BGH, Urteil vom 22. September 1994 – IX ZR 165/93, BGHZ 127, 146 juris Rn. 15; MünchKommZPO/Gruber, 5. Aufl., § 803 Rn. 33; Musielak/Voith/Flockenhaus, ZPO, 17. Aufl., § 803 Rn. 9a). Wirksam ist eine Pfändung, wenn sie nicht nichtig ist, das heißt unter einem besonders schweren und bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundigen Fehler leidet (vgl. BGH, Urteil vom 22. September 1994 – IX ZR 165/93, BGHZ 127, 146 juris Rn. 14; BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2008 – VII ZB 16/08 Rn. 7 m.w.N., NJW-RR 2009, 211). Liegen derartig schwere Fehler nicht vor, ist eine Vollstreckungshandlung als staatlicher Hoheitsakt wirksam, auch wenn sie bei richtiger Sachbehandlung hätte unterbleiben müssen. Ihre Fehlerhaftigkeit führt lediglich dazu, dass sie auf entsprechenden Rechts-behelf wieder aufzuheben ist. Solange die Fehlerhaftigkeit nicht durch die dafür zuständige Stelle festgestellt ist, müssen die im Namen des Staates getroffenen Entscheidungen beachtet und befolgt werden (BGH, Urteil vom 21. Mai 1980 – VIII ZR 284/79, MDR 1980, 1016, juris Rn. 20).

Auf dieser Grundlage geht die Rechtsprechung davon aus, dass ein Pfändungsbeschluss nichtig ist, wenn der Schuldner nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegt, das unzuständige Vollstreckungsorgan gehandelt hat, schon der äußeren Form nach ein Vollstreckungstitel nicht vorliegt, wesentliche Förmlichkeiten des Vollstreckungsaktes nicht eingehalten wurden oder die gepfändete Forderung dem Schuldner gegen den Drittschuldner nicht zusteht (vgl. umfassende Nachweise bei Jurgeleit, Die Haftung des Drittschuldners, 2. Aufl., Rn. 3 ff.).

b) Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts ist kein Grund ersichtlich, warum der Pfändungsbeschluss vom 9. Februar 2016 nichtig sein sollte. Allein in der Nichtbeachtung von Pfändungsschutzvorschriften liegt kein besonders schwerer und offenkundiger Fehler des Vollstreckungsverfahrens (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2008 – VII ZB 16/08 Rn. 7 m.w.N., NJW-RR 2009, 211). Es ist deshalb für die beabsichtigte Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens unerheblich, ob, wie die Schuldnerin meint, zu ihren Gunsten § 851c ZPO Anwendung findet. Unabhängig von dieser Rechtsfrage hätte daher das Beschwerdegericht den Pfändungsbeschluss beachten müssen. Es ist deshalb für die beabsichtigte Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens ebenfalls unerheblich, ob der Schuldnerin die Möglichkeit offensteht, eine Erinnerung gegen den Pfändungsbeschluss nach § 766 Abs. 1 ZPO zu erheben.

Soweit das Beschwerdegericht unter Bezugnahme auf Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 850 Rn. 18 (insoweit identisch mit Stein/Jonas/Würdinger, ZPO, 23. Aufl., § 850 Rn. 18) darauf abstellt, dass ein ohne Anhörung des Schuldners ergangener und gegen ein Pfändungsverbot verstoßender Pfändungsbeschluss keine materielle Wirkung entfalten und deshalb nicht zur Verstrickung der Forderung führen könne, liegt diese Erwägung neben der Sache. Denn die Überweisung einer gepfändeten Forderung zur Einziehung stellt keine materielle Wirkung der Pfändung dar, sondern die im formellen Vollstreckungsverfahren erfolgende hoheitliche Verwertung der gepfändeten Forderung. Es kann deshalb im Zwangsvollstreckungsverfahren dahingestellt bleiben, ob und inwieweit in einem Einziehungsprozess des Gläubigers der Einwand einer Unpfändbarkeit berücksichtigt werden könnte (siehe dazu eingehend Jurgeleit, Die Haftung des Drittschuldners, 2. Aufl., Rn. 100 ff.).

c) Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts besteht schließlich kein Anlass zu der Annahme, dass der Überweisungsbeschluss an einem Vollstreckungsmangel leiden könnte.

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