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BGH, Beschluss vom 28. Juli 2020 – II ZR 20/20

Art. 103 Abs. 1 GG

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des Einzelrichters des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 9. Januar 2020 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt im Wege einer Stufenklage Rechnungslegung, erforderlichenfalls Versicherung an Eides statt und Zahlung nach Veräußerungen von Geschäftsanteilen an einer GmbH durch den Beklagten.

Die Parteien und der Zeuge M. waren 1997 in einer GbR verbunden. Nachdem diese ihre werbende Tätigkeit beendet hatte, gründeten der Beklagte, der Zeuge M. sowie der Zeuge E. eine GmbH mit Sitz in Düsseldorf. Von 2006 bis Ende 2015 war der Kläger als selbständiger Handelsvertreter für diese GmbH tätig. In den Jahren nach 2012 veräußerten der Beklagte und der Zeuge M. nach und nach ihre Anteile an der GmbH. Im Dezember 2016 wandte sich der Kläger an den Beklagten und machte Ansprüche auf Erlösbeteiligungen an den Anteilsveräu-ßerungen geltend. Er behauptet, dass eine Vereinbarung der Parteien getroffen worden sei und dass er mit einem bestimmten Prozentsatz an den Verkaufserlösen zu beteiligen sei.

Das Landgericht hat die Parteien nach § 141 ZPO informatorisch angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen M., S.und E..

Es hat den Beklagten durch Teilurteil verurteilt, über die mit dem Verkauf und der Übertragung von ihm gehaltener Geschäftsanteile der GmbH erzielten Veräußerungsgewinne durch Vorlage einer geordneten Aufstellung der Einnahmen und Ausgaben unter Beifügung von beglaubigten Abschriften der entsprechenden notariellen Geschäftsanteilskaufverträge sowie übersichtlich zusammengestellter Belege über evtl. Ausgabenposten Rechnung zu legen.

Das Landgericht hat seine Überzeugung davon, dass eine verbindliche Vereinbarung der Parteien geschlossen wurde, auch darauf gestützt, dass der Beklagte in seiner persönlichen Anhörung erklärt habe, dass er dem Kläger gegenüber geäußert habe, er halte sich an die Abmachung, und er könne sich darauf verlassen, dass, wenn er seinen Anteil der Abmachung einhalte, man ebenfalls bereit sei, sich an seinem Wort festhalten zu lassen. Wer von der anderen Seite Vertragstreue fordere, könne sich nicht seinerseits darauf zurückziehen, er habe seine Leistungen unter den Vorbehalt der Freiwilligkeit stellen wollen.

Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers.

II.

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Nichtzulassungsbeschwerde macht zu Recht geltend, dass das Berufungsgericht das Recht des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art.103 Abs.1 GG) verletzt hat, indem es die Angaben des informatorisch angehörten Beklagten und des Klägers anders als das Landgericht gewürdigt hat, ohne diese – wie nach §529 Abs.1 Nr.1 ZPO erforderlich – selbst erneut anzuhören.

1.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass mit dem Vortrag des Klägers die Vereinbarung zwischen den Parteien in einem Vier-Augen-Gespräch getroffen worden sein soll. Ein Beweismittel für diese Vereinbarung stehe dem Kläger nicht zur Verfügung. Die Anhörung des Klägers spreche gegen einen verbindlichen Vertragsschluss, da er selbst angegeben habe, dass die von ihm behauptete Vereinbarung durch Handschlag als „Gentlemen’s Agreement“ getroffen worden sei. Damit sei jedoch keine verbindliche Vereinbarung getroffen worden. Auch wenn zugunsten des Klägers unterstellt werde, dass er unter einem „Gentlemen’s Agreement“ eine bindende Vereinbarung verstanden habe, sei angesichts der von ihm geschilderten Situation auf der Parkbank am Düsseldorfer Rheinufer nicht auszuschließen, dass lediglich er davon (subjektiv) ausgegangen sei, die per Handschlag getroffene Übereinkunft stelle einen verbindlichen, klagbaren Vertrag dar. Auch wenn man den klägerischen Vortrag als zutreffend unterstelle, folge aus diesem nicht, dass auch der Beklagte mit Rechtsbindungswillen gehandelt habe. Naheliegend erscheine vielmehr, dass zumindest der Beklagte einen lediglich moralisch bzw. gesellschaftlich bindendes „Gentlemen’s Agreement“ habe treffen wollen, womit es an einem Vertragsschluss fehle.

2.

Das Berufungsgericht hat Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszuges gebunden. Bei Zweifeln an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen ist aber eine erneute Beweisaufnahme grundsätzlich geboten. Insbesondere muss das Berufungsgericht einen bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen nochmals gemäß § 398 Abs. 1 ZPO vernehmen, wenn es dessen Aussage anders würdigen will als die Vorinstanz (BGH, Urteil vom 25. Juli 2017 – VI ZR 103/17, NJW 2018, 308 Rn. 9 mwN; Urteil vom 9. Februar 2010 – XI ZR 140/09, BKR 2010, 515). Die nochmalige Vernehmung eines Zeugen kann allenfalls dann unterbleiben, wenn sich das Rechtsmittelgericht auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit der Aussage betreffen. Diese Grundsätze gelten nach § 451 ZPO für die Parteivernehmung entsprechend. Auch von der Würdigung der Aussage der Partei darf das Rechtsmittelgericht nicht abweichen, ohne die Partei erneut vernommen zu haben. Trägt das Berufungsgericht dem nicht Rechnung, liegt darin ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG (BGH, Urteil vom 25. Juli 2017 – VI ZR 103/17, NJW 2018, 308 Rn. 9 mwN; Beschluss vom 17. September 2013 – XI ZR 394/12, NZG 2013, 1436 Rn. 10).

Diese Maßstäbe gelten auch, wenn das Erstgericht eine Partei nicht förmlich vernommen, sondern lediglich nach § 141 ZPO informatorisch angehört hat. Jedenfalls soweit die Angaben der Parteien in die Beweiswürdigung des Erstgerichts nach § 286 Abs. 1 ZPO Eingang gefunden haben und dort in ihrer Glaubhaftigkeit bewertet wurden, kann das Berufungsgericht nicht ohne eigene Anhörung von dieser Würdigung abweichen (BGH, Urteil vom 25. Juli 2017 – VI ZR 103/17, NJW 2018, 308 Rn. 10; BVerfG, NJW 2017, 3218 Rn.58).

b) Das Berufungsgericht hat die informatorische Anhörung der Parteien anders gewertet als das Landgericht und hätte diesen icht ohne erneute informatorische Anhörung der Parteien seiner Entscheidung zugrunde legen dürfen. Es hat die Anhörung der Parteien dahingehend gewertet, dass eine verbindliche Vereinbarung der Parteien nicht getroffen worden sei. Dabei hat es insbesondere darauf abgestellt, dass bei der Benutzung des Begriffs „Gentlemen’s Agree-ment“ durch den Kläger nicht klar sei, ob der Beklagte von einer verbindlichen Vereinbarung ausgegangen sei. Dieses hat das Landgericht jedoch nach der Anhörung des Beklagten festgestellt und darauf abgestellt, dass der Beklagte in seiner Anhörung angegeben hat, dass er bei Vertragstreue des Klägers ihn auch an den Veräußerungserlösen beteiligen wolle, was für einen Rechtsbi-dungswillen spreche.

c) Auf dieserVerletzung des Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs beruht auch die Entscheidung, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht nach erneuter Anhörung anders entschieden hätte

Schlagworte: Art. 103 Abs. 1 GG