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BGH, Urteil vom 6. März 1967 – II ZR 231/64

BGB § 139

a) Grundsätzlich macht § 139 BGB den Fortbestand des rechtlich einwandfreien Teils eines im Übrigen nichtigen Rechtsgeschäfts davon abhängig, dass der hypothetische Parteiwille dies ergibt, und dass derjenige, der sich auf den Fortbestand beruft, die Beweislast für die Tatsachen trägt, aus denen auf einen solchen Parteiwillen geschlossen werden kann. Nach dem Sinn und Zweck des § 139 BGB kann diese Vorschrift aber da nicht eingreifen, wo eine sachgerechte Entscheidung über die Fortgeltung des übrigen Teiles eines Rechtsgeschäfts nicht nach dem Parteiwillen, sondern aus besonderen Gründen nur nach anderen, objektiven Maßstäben getroffen werden kann.

b) Im Gesellschaftsrecht kann dem Gedanken des Vertrauensschutzes bei der Beurteilung einer Teilnichtigkeit der Vorrang gebühren (so bei den Kapitalgesellschaften gemäß §§ 75 ff. GmbHG, 275 ff. AktG).

c) Eine Entscheidung über die Folgen der Teilnichtigkeit der abstrakt-generellen Normen einer kapitalgesellschaftsrechtlichen Satzung (hier: Satzung eines Vereins) kann nicht sachgerecht getroffen werden, wollte man auf den (hypothetischen) Willen derjenigen zurückgreifen, die sie gesetzt haben. Die Satzung ist zwar zunächst ein von den Gründern geschlossener Vertrag, auf den die Regelung des § 139 BGBpasst. Mit der Entstehung der juristischen Person erlangt sie ein unabhängiges rechtliches Eigenleben, wird zur körperschaftlichen Verfassung der Gesellschaft und objektiviert fortan deren rechtliches Wollen als Zusammenfassung ihrer Mitglieder. Gründerwillen und -interessen treten zurück; an ihrer Stelle gewinnen der Gesellschaftszweck und die Mitgliederinteressen die rechtsgestaltende Kraft, auf die es allein noch ankommen kann. Diese Wandlung der Rechtslage ist die innere Rechtfertigung für die seit langem anerkannte Rechtsprechung, dass eine Satzung lediglich aus ihrem Inhalt heraus ausgelegt werden kann und dass hierzu Willensäußerungen oder interessen der Gründer und sonstige Vorgänge aus der Entstehungsgeschichte nicht verwertet werden dürfen (RG HRR 1932 Nr. 1287). Etwaige Willensmängel der Gründer können die Satzung in ihrem Bestand nicht mehr beeinträchtigen (RG DR 1943, 801).

d) Daher ist es nicht möglich, die Fortgeltung der Satzung nach dem Willen der Gründer zu beurteilen, wenn sich einzelne Satzungsbestimmungen als nichtig erweisen, nachdem die juristische Person entstanden ist. Der Gedanke des § 139 BGB, für den Fortbestand eines teilnichtigen Rechtsgeschäfts solle der Wille der Erklärenden ebenso Gestaltungskraft besitzen wie für den Abschluss dieses Rechtsgeschäfts, ist die Grundlage entzogen, wenn der Gründerwille hinter dem in der Satzung objektivierten Gesellschaftswillen zurückgetreten ist. Damit ist der objektive Inhalt der Satzung der sachgerechte Anknüpfungspunkt, nach dem allein entschieden werden kann, ob die teilnichtige Satzung im Übrigen fort gilt. Kann aus dem Satzungsinhalt, insbesondere aus dem Gesellschaftszweck und den satzungsmäßigen Mitgliederbelangen geschlossen werden, der verbleibende Teil der Satzung werde auch ohne den nichtigen Teil diesen Zwecken und Belangen gerecht und bleibe eine in sich sinnvolle Regelung des Gesellschaftsleben, dann hat es bei der Teilnichtigkeit sein Bewenden und die Satzung ist im übrigen rechtswirksam.

Schlagworte: Gesellschaftsvertrag, Gründung, Kapitalgesellschaft, Kapitalgesellschaftsrecht, Nichtigkeitsgründe