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BGH, Urteil vom 08. September 1997 – II ZR 55/96

§ 398 ZPO, § 133 BGB, § 157 BGB

Das Berufungsgericht darf gem ZPO § 398 auch ohne erneute Beweisaufnahme eine von einem Zeugen bekundete (Willens-)Erklärung jedenfalls dann anders als der Erstrichter auslegen, wenn deren objektiver Erklärungswert vom Empfängerhorizont (BGB §§ 133, 157) aus zu ermitteln ist und das Berufungsgericht bei der der Auslegung vorausgehenden Feststellung des Erklärungstatbestandes von demselben Beweisergebnis ausgeht wie der Vorderrichter.

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 25. Januar 1996 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Tatbestand

Die Treuhandanstalt veräußerte unter Vorbehalt der Genehmigung von Gesamtvorstand und Verwaltungsrat durch Übertragungsvertrag vom 18. Dezember 1992/19. Januar 1993 zum Zwecke der Privatisierung die aus dem VEB W. M. hervorgegangene Beklagte an ein Erwerberkonsortium, dem auch der Kläger angehörte. Durch Beschluß des Aufsichtsrats der Beklagten vom 28. Januar 1993 wurde der Kläger mit Wirkung vom 1. Februar 1993 zum Vorstandsvorsitzenden bestellt. Als der Verwaltungsrat der Treuhandanstalt Mitte März 1993 die Genehmigung des Übertragungsvertrages ablehnte, verweigerte der Kläger die von ihm verlangte Niederlegung seines Amts und kündigte gleichzeitig mit Schreiben vom 19. März 1993 die Geltendmachung dienstvertraglicher Rechte an. Noch an demselben Tag entzog ihm daraufhin die Treuhandanstalt auf einer Hauptversammlung der Beklagten als deren Alleinaktionärin das Vertrauen gemäß § 84 Abs. 3 AktG. Auf ihre Veranlassung beschloß der Aufsichtsrat der Beklagten am 24. März 1993 u.a. die Abberufung des Klägers von seinem Amt als Vorstandsmitglied. Anschließend teilte der neue Aufsichtsratsvorsitzende K. dem Kläger den Inhalt des Aufsichtsratsbeschlusses dahingehend mit, daß er als Vorstandsmitglied abberufen worden und seine Vorstandstätigkeit damit beendet sei. Die Zahlung seiner Bezüge von monatlich 25.000,– DM stellte die Beklagte mit Ablauf des Monats Mai 1993 ein.

Das Landgericht hat der auf Fortzahlung des Bruttogehalts für die Zeit vom 1. Juni 1993 bis zunächst 30. Juni 1994 in Höhe von insgesamt 325.000,– DM gerichteten Klage des Klägers stattgegeben und die Widerklage der Beklagten auf Rückzahlung einer angeblichen Gehaltsüberzahlung von 32.113,88 DM abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage mit Ausnahme eines Monatsgehalts für Juni 1993 abgewiesen und der erweiterten Widerklage insoweit entsprochen, als es die Beendigung des Anstellungsverhältnisses des Klägers zum 30. Juni 1993 festgestellt hat. Mit der Revision wendet sich der Kläger gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts, soweit sie zu seinem Nachteil ergangen ist.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist unbegründet.

I.

Das angefochtene Urteil unterliegt keinen prozessualen Bedenken mehr im Hinblick darauf, daß die Beklagte in den Vorinstanzen hinsichtlich Klage und Widerklage durch ihren Vorstand und damit nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, weil in dem Rechtsstreit über das Anstellungsverhältnis des Klägers als Vorstandsmitglied allein der Aufsichtsrat zur Vertretung der Gesellschaft befugt ist, §§ 551 Nr. 5 ZPO, 112 AktG (st. Sen.Rspr., vgl. zuletzt: Sen.Urt. v. 28. April 1997 – II ZR 282/95, ZIP 1997, 1108). Denn der von Amts wegen zu berücksichtigende Vertretungsmangel ist geheilt, nachdem der Aufsichtsrat aufgrund seines in zulässiger Weise noch in der Revisionsinstanz mitgeteilten Beschlusses vom 15. September 1995 nachträglich als gesetzlicher Vertreter in den Prozeß eingetreten ist und die bisherige Prozeßführung des Vorstands genehmigt hat (vgl. Sen.Urt. v. 13. Februar 1989 – II ZR 209/88, WM 1989, 637, 638).

II.

Das Urteil des Berufungsgerichts hält auch im übrigen revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.

1. Rechtsfehlerfrei hat das Oberlandesgericht festgestellt, in dem Aufsichtsratsbeschluß vom 24. März 1993 über die Abberufung des Klägers von seinem Vorstandsamt liege zugleich die konkludente Entscheidung über die Beendigung seines Anstellungsverhältnisses. Ausgehend davon, daß schon der Bestellungsbeschluß vom 28. Januar 1993 beide Rechtsverhältnisse betraf, sollten nunmehr – gerade vor dem Hintergrund der vom Kläger mit Schreiben vom 19. März 1993 angekündigten Auseinandersetzung – auch beide Rechtsverhältnisse nach dem Willen des Aufsichtsrats beendet werden.

2. Die Verfahrensweise des Berufungsgerichts ist revisionsrechtlich nicht deshalb zu beanstanden, weil es ohne Wiederholung der erstinstanzlichen Beweisaufnahme abweichend vom Landgericht der vom Zeugen K. bekundeten Mitteilung des Aufsichtsratsbeschlusses aus der Sicht des Klägers als Erklärungsempfänger den objektiven Erklärungswert einer Kündigung seines Dienstverhältnisses beigemessen hat. Bei der Auslegung als Akt rechtlicher Würdigung ist das Berufungsgericht grundsätzlich nicht an die Ansicht des Erstrichters gebunden. Dies gilt im Anschluß an eine von ihm nach § 398 ZPO verwertete Beweisaufnahme des Erstgerichts – ohne das Erfordernis ihrer erneuten Durchführung – jedenfalls, soweit – wie hier – der objektive Erklärungswert einer Willenserklärung vom Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) aus zu ermitteln ist und das Berufungsgericht bei der der Auslegung vorausgehenden Feststellung des Erklärungstatbestandes von demselben Beweisergebnis wie der Vorderrichter ausgeht. Diese Grenzen hat das Berufungsgericht eingehalten. Das Landgericht ist in seinem Urteil hinsichtlich der Beweisfrage, welche Erklärung der Zeuge K. gegenüber dem Kläger nach der Aufsichtsratssitzung vom 24. März 1993 abgegeben hat, in vollem Umfang den im Beweisaufnahmeprotokoll niedergelegten Bekundungen des Zeugen K. gefolgt; die Glaubhaftigkeit dieser Bekundungen und die Glaubwürdigkeit des Zeugen standen außer Zweifel. Diesen erstinstanzlich festgestellten Erklärungstatbestand hat auch das Oberlandesgericht seiner Auslegung zugrunde gelegt; er wird zudem vom Kläger in den Rechtsmittelinstanzen nicht in Frage gestellt.

Die Auslegung des objektiven Inhalts dieser Erklärung durch das Berufungsgericht läßt keine sonstigen Rechtsfehler erkennen. Die Mitteilung des Zeugen, der Kläger sei als Vorstandsmitglied abberufen worden und seine Vorstandstätigkeit sei damit beendet, bezieht sich zumindest im zweiten Halbsatz auch auf das Dienstverhältnis des Klägers. Gerade wenn dieses Verhältnis nach seinem eigenen Vorbringen nur konkludent durch den Aufsichtsratsbeschluß vom 28. Januar 1993 begründet worden war, so sprach aus seiner Sicht als verständiger Erklärungsempfänger alles dafür, daß die Äußerung des Zeugen K. sich insgesamt sowohl auf die Organstellung als auch auf das Anstellungsverhältnis bezog, zumal eine sonstige Verwendung des Klägers bei der Beklagten weder vorhanden noch vorgesehen war. Da er selbst sich zuvor der geplanten Entlassung widersetzt und die Geltendmachung vertraglicher Rechte angedroht hatte, mußte er davon ausgehen, daß sich der spezielle Hinweis auf die Beendigung seiner Tätigkeit gerade auch auf das Dienstverhältnis bezog. Die weitere Bemerkung des Zeugen K., Herr L. von der Treuhandanstalt solle sich um das Weitere, nämlich die Abwicklung des Verhältnisses mit dem Kläger kümmern, bedeutet entgegen der Ansicht der Revision keine Einschränkung der Kündigungserklärung. Der „Abwicklung“ bedarf gerade ein – durch Kündigung – beendetes Dienstverhältnis; daß in derartigen Fällen auch nach einvernehmlichen Lösungen gesucht wird, soll jedenfalls nach dem Willen des Kündigenden nicht das Wirksamwerden der Erklärung vor einer etwa gefundenen anderweitigen Lösung in Frage stellen.

3. Die weiteren Verfahrensrügen des Klägers erachtet der Senat für nicht durchgreifend (§ 565 a ZPO).

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