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BGH, Urteil vom 10. Oktober 1994 – II ZR 18/94

HGB §§ 119, 161

Solange nicht zur Verfügung stehende weniger belastende Mittel ausgeschöpft sind, vermag auch die Aufnahme einer erlaubten Konkurrenztätigkeit eines Kommanditisten nicht die völlige Entziehung des ihm gesellschaftsvertraglich zustehenden Informationsrechts durch eine von der Gesellschaftermehrheit beschlossene Änderung des Gesellschaftsvertrages zu rechtfertigen.

Wie der Senat schon in seiner Entscheidung vom 19. November 1984 – II ZR 102/84, WM 1985, 256, 257 (für eine Publikumskommanditgesellschaft) ausgeführt hat, sind auch außerhalb des Geltungsbereiches des Bestimmtheitsgrundsatzes vertragsändernde Mehrheitsentscheidungen, die in die Rechtsstellung des Gesellschafters eingreifen, nicht unbegrenzt zulässig. Auch wenn der Gesellschaftsvertrag in Abkehr von dem das Recht der Personengesellschaften beherrschenden Einstimmigkeitsgrundsatz die Möglichkeit der Vertragsänderung durch Mehrheitsbeschluß generell vorsieht, muß dem einzelnen Gesellschafter ein Kernbereich von Rechten verbleiben, der nicht zur beliebigen Disposition der Mehrheit steht. Dies folgt jedenfalls daraus, daß die im voraus außerhalb eines konkreten Anlasses erklärte Unterwerfung unter den Mehrheitswillen typischerweise nicht in ihrer vollen Tragweite erfaßt wird und angesichts der Unvorhersehbarkeit späterer Entwicklungen auch regelmäßig gar nicht erfaßt werden kann. Von der Mehrheit beschlossene Eingriffe in den Kernbereich der Mitgliedschaft bedürfen deshalb auch bei Unanwendbarkeit des Bestimmtheitsgrundsatzes einer zusätzlichen Legitimation, die nicht schon durch die im Gesellschaftsvertrag allgemein vorgesehene Geltung des Mehrheitsprinzips für Vertragsänderungen vermittelt werden kann. Diese Legitimation kann sich, wenn nicht schon der Gesellschaftsvertrag eine im voraus erteilte („antizipierte“) Zustimmung zu ganz bestimmten, mit Stimmenmehrheit möglichen Vertragsänderungen enthält, wobei an dieser Stelle nicht über den Grad der erforderlichen Konkretisierung einer solchen Ermächtigung zu befinden ist (vgl. dazu MüKo/Ulmer aaO § 709 Rdn. 77 ff.; Schlegelberger/Martens, HGB 5. Aufl. § 119 Rdn. 24 ff., 28, jew. m.w.N.; siehe ferner Löffler, NJW 1989, 2656 mit umfangr. Nachw. zum Diskussionsstand), aus der Verpflichtung des Gesellschafters ergeben, die in Frage stehende Maßnahme aus dem Gesichtspunkt seiner Treuepflicht im Gesellschaftsinteresse hinzunehmen (Sen.Urt. v. 19. November 1984 aaO; v. 5. November 1984 – II ZR 111/84, WM 1985, 195, 196; vgl. auch MüKo/Ulmer aaO § 705 Rdn. 188 ff., 190 ff.; Schlegelberger/Martens aaO § 119 Rdn. 45 ff. und die dortigen Nachw.). In dem letztgenannten Fall hätte der Gesellschafter der Maßnahme aber auch bei Geltung des Bestimmtheitsgrundsatzes zuzustimmen. Bei dieser Sachlage kommt es bei Mehrheitsbeschlüssen, die in den Kernbereich der mitgliedschaftlichen Rechte des überstimmten Gesellschafters eingreifen, unter materiell-rechtlichen Gesichtspunkten weniger auf die Anwendbarkeit oder Unanwendbarkeit des Bestimmtheitsgrundsatzes als vielmehr darauf an, ob im konkreten Fall die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen der Senat nach seiner inzwischen gefestigten Rechtsprechung dem Gesellschafter die Mitwirkung an einer Änderung des Gesellschaftsvertrages zumutet (vgl. Sen.Urt. v. 20. Oktober 1986 – II ZR 86/85, WM 1987, 133 u. BGHZ 98, 276, 279: für eine personalistische GmbH; beide mit zahlr. weiteren Nachw.; siehe auch den entsprechenden Hinweis in der Entscheidung vom 19. November 1984 aaO).

Der Kreis der danach auch außerhalb und folglich auch bei Aufgabe des Bestimmtheitsgrundsatzes nicht ohne weiteres durch Mehrheitsbeschluß entziehbaren Rechte läßt sich nicht abstrakt und ohne Berücksichtigung der konkreten Struktur der jeweiligen Personengesellschaft und der besonderen Stellung des betroffenen Gesellschafters umschreiben (ähnl. Ulmer, NJW 1990, 73, 80). Abgesehen von den wenigen überhaupt unverzichtbaren und schon deshalb unentziehbaren Rechten (zum Kreis dieser Rechte vgl. Schlegelberger/Martens aaO, § 119 Rdn. 25) müssen dazu grundsätzlich auch die individuellen, dem Gesellschafter nach Gesetz und Gesellschaftsvertrag zustehenden wesentlichen Gesellschafterrechte, die seine Stellung in der Gesellschaft maßgeblich prägen, gezählt werden. Eingriffe in die individuelle Rechtsstellung des Gesellschafters, d.h. seine rechtliche und vermögensmäßige Position in der Gesellschaft (Sen.Urt. v. 19. November 1984 aaO), bedürfen damit auch außerhalb der Geltung des Bestimmtheitsgrundsatzes besonderer Rechtfertigung (ähnl. die ganz überwiegende Meinung des Schrifttums, vgl. MüKo/Ulmer aaO, § 709 Rdn. 83; Schlegelberger/Martens aaO § 119 Rdn. 27; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht 2. Aufl. § 16 III. 3. b) bb) S. 387). Auch wenn im Schrifttum in diesem Zusammenhang zumeist als Beispiele nur das Stimm-, das Gewinn-, das Geschäftsführungs- sowie das Recht auf Beteiligung am Liquidationserlös etc. genannt werden (vgl. dazu MüKo/Ulmer aaO und ders. in Hachenburg/Ulmer, GmbHG 8. Aufl. § 53 Rdn. 59; K. Schmidt aaO; aber etwa auch Wiedemann, Gesellschaftsrecht I § 7 II. 2. a) S. 374), muß dazu angesichts der Bedeutung dieses Rechts auch das Informationsrecht des Gesellschafters gerechnet werden.

Danach kann es keinem ernstlichen Zweifel unterliegen, daß die im vorliegenden Fall von der Gesellschaftermehrheit beschlossene Verkürzung dieses Rechts auch bei Unanwendbarkeit des Bestimmtheitsgrundsatzes nicht von der Mehrheitsklausel des § 11 Abs. 4 d des Gesellschaftsvertrages gedeckt wäre. Dies gilt vor allem auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die von der Mehrheit beschlossene Einschränkung dieses Rechts nicht für alle Gesellschafter gleichermaßen gelten soll, sondern bewußt und gewollt einen Eingriff in die bisherige Rechtsstellung allein des Klägers zum Ziel hat. Mindestens angesichts des zuletzt genannten Umstandes ist es in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, daß dem Kläger nach allerdings streitiger Auslegung der Beklagten auch künftig die gesetzlichen Rechte aus § 166 HGB verbleiben sollen. Entscheidend für die Beurteilung des Eingriffs unter dem bisher erörterten Gesichtspunkt ist allein die Tatsache, daß der angegriffene Mehrheitsbeschluß in der beschriebenen Weise unmittelbar darauf zielt, die dem Kläger nach dem Gesellschaftsvertrag zustehende Rechtsposition in einschneidender Weise zu verkürzen.

Schlagworte: Auskunfts-/Einsichts-/Informations-/Kontrollrechte, Bestimmtheitsgrundsatz, Gesellschaftsvertragsänderung, Konkurrenztätigkeit, Relativ unentziehbare Mitgliedschaftsrechte, Satzungsänderung, Schlechthin unverzichtbare Mitgliedschaftsrechte