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BGH, Urteil vom 11. Juli 1983 – II ZR 114/82

Rechtsstreit mit sich selbst

GmbHG § 35; ZPO §§ 171, 185

Die Zustellung eines Vollstreckungsbescheides an den (Mitgeschäftsführer) Geschäftsführer einer GmbH ist nicht deshalb unwirksam, weil dem Vollstreckungsbescheid eine Forderung des Geschäftsführers gegen die GmbH zugrunde liegt, die er an den Gläubiger des Vollstreckungsbescheids (zur Abdeckung eigener Kreditverbindlichkeiten) abgetreten hat.

Tatbestand

Anfang April 1981 trat der damalige Mitgeschäftsführer W der verklagten GmbH persönliche Forderungen in Höhe von 520.221,86 DM gegen die Kurhotelgesellschaft Sch mbH & Co. KG (nachfolgend: KG) an die klagende Kreissparkasse zur Abdeckung eigener Kreditverbindlichkeiten ab. Über den genannten Forderungsbetrag erwirkte die Klägerin am 27. April 1981 zwei Vollstreckungsbescheide (über 450.211,86 DM und 70.000 DM) gegen die Beklagte „als Komplementärin der KG“. Diese wurden der Beklagten am 28. April 1981 zu Händen W zugestellt. Gegen sie legte die Beklagte in zwei von dem Mitgeschäftsführer G unterzeichneten Schreiben am 18. Mai 1981 Einspruch ein. In dem Schreiben führte sie aus, daß sie die Zustellungen „nicht als rechtmäßig anerkennen“ könne, weil W mit der Gläubigerin „konspiriert“ habe; hilfsweise beantragte sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; G habe von den Vollstreckungsbescheiden erst am 18. Mai 1981 Kenntnis erhalten. Im weiteren Verfahren hat die Beklagte vorgetragen, daß sie zu keiner Zeit Komplementärin der KG gewesen sei; auch sei das Verhalten der Klägerin und W von vornherein darauf angelegt gewesen, gegen sie einen Vollstreckungstitel für nicht bestehende Forderungen Ws zu beschaffen.

Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag für unbegründet erachtet und den Einspruch der Beklagten gegen die Vollstreckungsbescheide als unzulässig verworfen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Ferner hat es eine von der Beklagten im Berufungsrechtszug hilfsweise erhobene Widerklage abgewiesen. Mit ihr hatte die Beklagte beantragt, die Klägerin zu verurteilen,

a) die Zwangsvollstreckung aus den Vollstreckungsbescheiden
zu unterlassen,
b) die Vollstreckungsbescheide an die Beklagte
herauszugeben,
c) 520.000 DM nebst Zinsen an die Beklagte zu zahlen.

Mit der Revision verfolgt die Beklagte den Antrag, die Vollstreckungsbescheide aufzuheben und die Klage abzuweisen, sowie die Hilfswiderklage weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision hat keinen Erfolg.

I. Zutreffend hat das Berufungsgericht den Einspruch der Beklagten vom 18. Mai 1981 gegen die ihr am 28. April 1981 zugestellten Vollstreckungsbescheide für verspätet angesehen.

1. Zu Gunsten der Revision kann davon ausgegangen werden, daß die Mahnbescheide vom 6. und 7. April 1981 der Beklagten nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sind und deshalb die Vollstreckungsbescheide nicht hätten erlassen werden dürfen. Jedoch steht auch ein zu Unrecht ergangener Vollstreckungsbescheid einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Versäumnisurteil gleich (Stein/Jonas ZPO 20. Aufl. § 700 Rnr. 2). Deshalb muß gegen einen solchen Bescheid fristgerecht Einspruch eingelegt werden, damit er nicht rechtskräftig wird (Zöller ZPO 13. Aufl. § 700 Anm. II 1 a; Stein/Jonas a.a.O.). Das hat nichts, wie die Revision meint, mit einer Verkürzung von Rechten des Schuldners oder mit der Frage des rechtlichen Gehörs zu tun.

2. Allerdings setzt der Lauf der zweiwöchigen Einspruchsfrist (vgl. § 339 Abs. 1 ZPO) die wirksame Zustellung der Vollstreckungsbescheide an die Beklagte voraus. Diese liegt entgegen der Ansicht der Revision vor.

a) Die rein formalen Bedenken der Revision gegen die Wirksamkeit der Zustellung sind nicht berechtigt. Die beiden Postzustellungsurkunden enthalten die nach § 191 Nr. 1 ZPO anzugebende Zeit der Zustellung in Form der hierfür grundsätzlich ausreichenden Angabe des Zustellungstages (vgl. Stein/ Jonas a.a.O. § 191 Anm. II 1; Wieczorek ZPO 2. Aufl. § 191 B II a 2; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 41. Aufl. § 191 Anm. 2 A). Sie bezeugen außerdem die Übergabe der „ihrer Anschrift und ihrer Geschäftsnummer nach bezeichneten Sendung“ (§ 195 Abs. 2 ZPO). Ferner weisen sie aus, daß der „Tag der Zustellung auf der Sendung vermerkt“ worden ist (§ 212 ZPO). Auch gilt für Zustellungen von Amts wegen, wie sie hier gemäß § 699 Abs. 4 Satz 1 ZPO erfolgt sind, § 194 ZPO nicht (§§ 208, 211 ZPO). Das alles berücksichtigt die Revision bei ihren Bedenken nicht.

b) Entgegen ihren Ausführungen ergibt sich die Unwirksamkeit der Zustellung auch nicht daraus, daß sie an den Mitgeschäftsführer W der Beklagten erfolgt ist. Zwar war dessen Vertretungsmacht (vgl. § 35 Abs. 1 GmbHG) gesellschaftsvertraglich dahin beschränkt, daß er die Beklagte lediglich gemeinsam mit dem Mitgeschäftsführer G oder einem Prokuristen vertreten konnte. Jedoch genügt bei mehreren gesetzlichen Vertretern die Zustellung an einen von ihnen (§ 171 Abs. 3 ZPO). Die Zustellung an W ist auch nicht, wie die Revision meint, in sinngemäßer Anwendung des § 185 ZPO unwirksam.

Nach § 185 ZPO „hat die Zustellung an eine der in den §§ 181, 183, 184 Abs. 1 bezeichneten Personen zu unterbleiben, wenn die Person an dem Rechtsstreit als Gegner der Partei beteiligt ist, an welche die Zustellung erfolgen soll“. Die Vorschrift will die ohnehin schon riskantere Zustellung an Ersatzpersonen dort verhindern, wo wegen Interessenkollision die Gefahr der Nichtaushändigung des Schriftstücks an den Adressaten noch größer als normal ist (Zöller a.a.O. § 185 Anm. 1). Wegen dieses Zwecks wird die Vorschrift weit ausgelegt (vgl. Wieczorek a.a.O. § 185 Anm. A). Über ihren Wortlaut hinaus umfaßt sie auch die Zustellung an einen nahen Angehörigen des Prozeßgegners (Stein/Jonas a.a.O § 185 Anm. II; vgl. auch RGZ 35, 429 ff.). Ferner wird sie über den Kreis der unmittelbaren Prozeßbeteiligten hinaus auf alle Personen sinngemäß angewendet, zwischen denen eine konkrete Interessenkollision besteht (Zöller a.a.O. § 185 Anm. 2; vgl. auch BAG, Urt. v. 15. Oktober 1980 – 4 AZR 662/78, NJW 1981, 1399 f.). Allerdings kommt eine solche Anwendung wegen des streng formalen Charakters der Zustellungsvorschriften stets nur in den Fällen einer Ersatzzustellung in Betracht. Um eine solche geht es bei der Zustellung an einen gesetzlichen Vertreter einer GmbH nicht. Überdies spielt hier der Gedanke keine Rolle, daß die Gefahr der Nichtaushändigung des Schriftstücks an den Adressaten von vornherein größer als normal ist. Denn im Gegensatz zur Ersatzzustellung hat bei der Zustellung an den gesetzlichen Vertreter keine Ersatzperson das Schriftstück in den Händen, sondern der Adressat bereits selbst. Allerdings hätte W die Beklagte nicht vertreten können, wenn er selbst die den Vollstreckungsbescheiden zugrundeliegenden Forderungen gegen die Beklagte eingeklagt hätte. Das folgt aus dem Gedanken, daß es schon prozeßrechtlich nicht möglich ist, einen Rechtsstreit mit sich selbst – und zwar auch als Vertreter eines anderen – zu führen (BGH, Beschl. v. 27. November 1974 – IV ZB 42/73, LM BGB § 1796 Nr. 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann a.a.O. Grundz § 50 Anm. D; Stein/Jonas a.a.O. vor § 50 Anm. 4), und hat nichts mit der Frage der Wirksamkeit der Zustellung an den gesetzlichen Vertreter im Falle einer Interessenkollision zu tun. Handelt der Vertreter hier zu seinen Gunsten gegen die Interessen des Vertretenen, so mag er diesem aus vertraglichen oder gesetzlichen Gründen schadensersatzpflichtig sein. Hingegen bleibt die Wirksamkeit der Zustellung davon unberührt.

3. Zu Recht hat das Berufungsgericht den Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für unbegründet erachtet. Wiedereinsetzung wäre der Beklagten nur zu gewähren gewesen, wenn sie ohne Verschulden die Einspruchsfrist versäumt hätte (§ 233 ZPO). Das ist nicht der Fall. Denn W, dessen Verschulden dem der Beklagten gleichsteht (§ 51 Abs. 2 ZPO), hat es offenbar absichtlich unterlassen, für eine rechtzeitige Einlegung des Einspruchs zu sorgen. Dabei gilt auch hier, daß das Verhalten W nur das Innenverhältnis zwischen ihm und der Beklagten berührt, hingegen nicht einen Wiedereinsetzungsgrund zu Gunsten der Beklagten abgeben kann. Die gegenteilige Ansicht der Revision geht auch insoweit von der nicht zutreffenden Auffassung aus, daß W wie eine für die Beklagte tätige Ersatzperson zu betrachten sei.

II. Die Abweisung der Widerklage durch das Berufungsgericht ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Mit Recht geht es davon aus, daß die Beklagte die Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB, der allein als Anspruchsgrundlage für die Widerklage in Betracht kommt, nicht schlüssig dargetan hat. Auch die Revision vermag aus dem Vortrag der Beklagten in den Vorinstanzen nicht die Behauptung zu entnehmen, die Klägerin habe vor Erlaß der Vollstreckungsbescheide Kenntnis davon gehabt, daß die von W an sie abgetretenen Forderungen gegen die Beklagte nicht bestanden hätten. Ferner verkennt sie, daß sich die Klägerin ein etwaiges vorsätzliches und sittenwidriges Verhalten W nicht schon wegen der Abtretung der Klageforderungen als eigenes zurechnen lassen muß. Für ein doloses Zusammenspiel zwischen der Klägerin und W hat die Beklagte keine unter Beweis gestellten Tatsachen vorbringen können, sondern nur Vermutungen. Wieso die Klägerin eine Nachforschungspflicht hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der an sie von W abgetretenen Forderungen gehabt haben soll, ist nicht ersichtlich. Dafür genügt nicht schon der Umstand, daß W Mitgeschäftsführer der Beklagten gewesen ist. Unrichtig ist, daß die Klägerin in dem jeweiligen Antrag auf Erlaß der Mahnbescheide „in erster Linie“ W als Geschäftsführer der Beklagten bezeichnet hat. Vielmehr hat sie die gesetzlichen Vertreter der Beklagten so angegeben, wie sie im Handelsregister eingetragen waren. Daß ferner die Klägerin gegen die Beklagte aus Titeln vollstreckt, die durch das absichtliche Verhalten ihres Kreditschuldners rechtskräftig geworden sind, läßt die Vollstreckung noch nicht als unerträglich erscheinen, auch wenn es sich bei der Klägerin als Kreissparkasse um ein öffentliches Unternehmen handelt. Immerhin ist noch jetzt zweifelhaft, ob die Beklagte nicht doch vorübergehend persönlich haftende Gesellschafterin der KG gewesen ist.

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