Einträge nach Montat filtern

BGH, Urteil vom 11. November 2009 – XII ZR 210/05

BGB §§ 745, 2038, 2040

a) Gemäß § 2038 BGB steht die Verwaltung des Nachlasses den Erben grundsätzlich gemeinschaftlich zu. Jeder Miterbe ist den anderen gegenüber allerdings verpflichtet, an Maßregeln mitzuwirken, die zur ordnungsgemäßen Verwaltung erforderlich sind. Gemäß § 745 Abs. 1 BGB, der nach § 2038 Abs. 2 Satz 1 BGB zur Anwendung gelangt, kann durch Stimmenmehrheit eine der Beschaffenheit des gemeinschaftlichen Gegenstands entsprechende ordnungsgemäße Verwaltung und Benutzung beschlossen werden. Fügt sich der überstimmte Miterbe dem Mehrheitsbeschluss nicht, so können ihn die übrigen Miterben etwa auf Abgabe der für die Verfügung erforderlichen Willenserklärung verklagen. Die zur Erhaltung des Nachlasses notwendigen Maßregeln kann jeder Miterbe ohne Mitwirkung des anderen treffen. Nach § 2040 Abs. 1 BGB können die Erben über einen Nachlassgegenstand jedoch nur gemeinschaftlich verfügen.

b) § 2038 i.V.m. § 745 Abs. 1 BGB ermöglicht den Erben, aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses wirksam Verpflichtungsgeschäfte zum Zwecke ordnungsgemäßer Verwaltung abzuschließen (s. nur BGHZ 56, 47, 52). Die Nachlassverwaltung umfasst sowohl Geschäftsführung wie Vertretung, betrifft also sowohl das Innen- wie das Außenverhältnis (h.M.; BGHZ 56, 47, 52; Staudinger/Werner aaO § 2038 Rdn. 40 m.w.N. zum Meinungsstand; siehe auch Schopp ZMR 1967, 193, 195). Wenn aber die Erben durch Mehrheitsbeschluss im Rahmen der Nachlassverwaltung verbindlich Verträge mit Dritten abschließen und damit obligatorische Rechtspositionen begründen können, dürfen sie diese- ebenfalls mehrheitlich – auch wieder aufzuheben (s. dazu auch Schopp ZMR 1967, 193, 195). Die Kündigung ist ein, bezogen auf das Schuldverhältnis unselbständiges, akzessorisches Gestaltungsrecht (vgl. BGHZ 95, 250, 254; Senatsurteil vom 10. Dezember 1997 – XII ZR 119/96 – NJW 1998, 896, 897 m.w.N.).

c) Die Kündigung eines Pachtvertrages über ein Nachlassgrundstück durch eine Erbengemeinschaft als Verpächterin stellt eine Verfügung i.S. des § 2040 Abs. 1 BGB dar (BGH Urteil vom 28. April 2006 – LwZR 10/05 – FamRZ 2006, 1026). Eine solche Kündigung ist zwar keine Verfügung über das verpachtete Grundstück, wohl aber eine Verfügung über die Rechte aus dem Pachtvertrag wie die ebenfalls zu dem Nachlass gehörende Pachtzinsforderung. Auch sie gehört zu den Rechten, auf die sich eine Verfügung i.S. von § 2040 Abs. 1 BGB beziehen kann. Durch die Kündigung des Vertrags wird das Recht aufgehoben, denn damit erlischt der Anspruch der Erbengemeinschaft auf Zahlung des Pachtzinses (BGH aaO).

d) Die Erben können ein Mietverhältnis über eine zum Nachlass gehörende Sache wirksam mit Stimmenmehrheit kündigen, wenn sich die Kündigung als Maßnahme ordnungsgemäßer Nachlassverwaltung darstellt; § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BGB verdrängt insoweit § 2040 BGB (AnwK-BGB/Ann 2. Aufl. § 2040 Rdn. 13; ders. Anm. MittBayNot 2007, 133, 134 f.; Jauernig/Stürner BGB 12. Aufl., § 2040 Rdn. 2; Soergel/M. Wolf BGB 13. Aufl. § 2038 Rdn. 5; Frank Erbrecht 4. Aufl. § 19 Rdn. 19; Leipold Erbrecht 17. Aufl. Rdn. 736; Muscheler ZEV 1997, 222, 230 f.; Schopp ZMR 1967, 193, 195; Kipp/Coing Erbrecht 14. Aufl. S. 613 f.; vgl. auch Palandt/Edenhofer BGB 68. Aufl. § 2038 Rdn. 5; ähnlich BGH, Urteil vom 28.09.2005 – IV ZR 82/04; entgegen BGH, Urteil vom 24.10.1962 – V ZR 1/61; noch offen gelassen von BGH Urteil vom 28. April 2006 – LwZR 10/05).

e) Verfügungen der Erbenmehrheit über den Nachlassgegenstand, die den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Verwaltung nicht genügen, sind unwirksam und vermögen damit eine Rechtsänderung nicht zu begründen. Dass eine etwa notwendig werdende Rückabwicklung mitunter Schwierigkeiten bereiten kann, muss im Interesse der Verkehrsfähigkeit des Nachlasses hingenommen werden, zumal Schadensersatzansprüche gegen die Mehrheitserben hinreichenden Schutz gewähren (vgl. BGHZ 164, 181, 184; Muscheler ZEV 1997, 222, 231).

f) Zur Nachlassverwaltung gehören alle Maßregeln zur Verwahrung, Sicherung, Erhaltung und Vermehrung sowie zur Gewinnung der Nutzung und Bestreitung der laufenden Verbindlichkeiten (BGHZ 164, 181, 184; Palandt/Edenhofer aaO § 2038 Rdn. 3). Die Ordnungsmäßigkeit einer Maßnahme ist aus objektiver Sicht zu beurteilen. Entscheidend ist der Standpunkt eines vernünftig und wirtschaftlich denkenden Beurteilers (BGHZ 6, 76, 81; 164, 181, 188; Palandt/Edenhofer aaO § 2038 Rdn. 6). Gemäß § 2038 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 745 Abs. 3 BGB kann eine wesentliche Veränderung des Gegenstandes, also des gesamten Nachlasses (BGHZ 164, 181, 186), nicht beschlossen werden.

g) Geschützt ist allerdings nur das Interesse der Erben, eine Entwertung des Nachlasses zu vermeiden. Darüber hinaus gehende Interessen bleiben außer Betracht. Denn nach §§ 2038, 745 BGB muss der einzelne Miterbe den Entzug der konkreten Nutzungsmöglichkeit hinnehmen, weil die vorgenannten Normen nur die Nutzungsquote, nicht aber die reale Eigennutzung gewährleisten (BGHZ 164, 181, 188).

h) Die Beschlussfassung in der Erbengemeinschaft bedarf nicht der Einhaltung eines bestimmten Verfahrens (BGH, Urteil vom 24. Oktober 1990 – XII ZR 34/89), sodass sie auch konkludent erfolgen kann (Muscheler ZEV 1997, 169, 173).

Schlagworte: Erbengemeinschaft, Kündigung, Mehrheitsklausel, ordnungsgemäße Verwaltung