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BGH, Urteil vom 12. Mai 1954 – II ZR 167/53

§ 705 BGB, § 11 GmbHG

Die zur faktischen Gesellschaft entwickelten Grundsätze sind auch auf die Gründergesellschaft einer GmbH anzuwenden, wenn sie nach außen und innen ins Leben getreten ist und so viele derart gewichtige Rechtstatsachen geschaffen hat, daß Recht und Verkehrssicherheit es verbieten, ihnen die rechtliche Anerkennung zu versagen. Das gilt grundsätzlich auch für die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung; anders kann zu entscheiden sein, wenn sich ein Gesellschafter auf Grund arglistiger Täuschung einen besonders günstigen Gewinnanteil oder Liquidationsanteil zusagen läßt.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin-Charlottenburg vom 5. Mai 1953 wird zurückgewiesen. Die Kosten der Revisionsinstanz haben die Beklagten als Gesamtschuldner zu tragen.

Tatbestand

Die Parteien gründeten durch Vertrag vom 12. April 1948 die „B-Ba“ Ber Ba-Umschlag und Lagerei Gesellschaft mit beschränkter HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Haftung
. Der Kläger hat seine Einlage von 20.000 RM und weitere 10.500 RM, die zum Bau einer Lagerhalle bestimmt waren, zu Händen des Beklagten zu 1), der gleich ihm Geschäftsführer war, gezahlt. Der Kläger behauptet, noch 3.500 RM im Interesse der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
im Interesse der Gesellschaft
an die Firma Rd G & Co gezahlt zu haben. Die Gesellschaft wurde zur Eintragung ins Handelsregister angemeldet (12.4.1948), aber nicht eingetragen. Das Stammkapital wurde in Deutscher Mark nicht neu festgesetzt. Mit Schreiben vom 4. Oktober 1948 fochten die Beklagten den Gesellschaftsvertrag wegen Irrtums und arglistiger Täuschung an. Sie behaupten, von den Leistungen des Klägers seien lediglich die Kosten des Gesellschaftsvertrages bezahlt worden. Sie vertreten den Standpunkt, die danach verbleibenden 29.912,80 RM ständen dem Kläger lediglich unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung zu und seien im Verhältnis von 10 : 1 umzustellen.

Den Anfechtungsgrund sehen sie darin, daß der Kläger bei Abschluß des Gesellschaftsvertrages behauptet habe, Pächter eines Grundstücks zu sein. Der Kläger hat am Tage des Abschlusses des Gesellschaftsvertrages dieses Grundstück an die Gründergesellschaft verpachtet. Das Grundstück (Lagerplatz Nr. 2) und den Lagerplatz Nr. 1 hatte die M Speicher GmbH von der Reichsbahn gepachtet. Mit Schreiben vom 12. April 1948 bestätigte der Kläger der Reichsbahn unter Bezugnahme auf eine Unterredung, daß er den Lagerplatz Nr. 2 unter näher aufgeführten Bedingungen gepachtet habe, und erklärte sich zugleich als Geschäftsführer der M Speicher GmbH damit einverstanden, daß dieser Lagerplatz aus dem bisherigen Pachtverhältnis ausscheide. Mit Schreiben vom 13. Oktober 1948 bestätigte die Reichsbahn der M Speicher GmbH die Beendigung des Pachtverhältnisses über ein Teilstück in Größe von 1.854 qm (Lagerplatz Nr. 2) und lehnte gegenüber dem Kläger die Verpachtung dieses Geländes an ihn mit der Begründung ab, sie wolle das Grundstück an die M. R Spedition- und Schiffahrt- und Baustoff-GmbH — das ist ein Unternehmen der Beklagten — verpachten, was in der Folgezeit auch geschah. Der Kläger versuchte in zwei Rechtszügen vergeblich die Feststellung gegenüber der Reichsbahn zu erreichen, daß er den Lagerplatz Nr. 2 gepachtet habe. Er behauptet, die Beklagten hätten sich hinter seinem Rücken mit der Reichsbahn in Verbindung gesetzt und ihn um seine Pachtrechte gebracht. Er hat deshalb das Gesellschaftsverhältnis gekündigt. Die von den Beklagten erklärte Anfechtung hält er für unberechtigt, weil er sich mindestens für den Pächter des Lagerplatzes Nr. 2 gehalten habe. Er behauptet, daß sich die Gründergesellschaft bereits nach außen betätigt und Vermögen erworben habe. Auf dem Platz Nr. 2 ist bis zum Herbst 1948 eine Halle errichtet worden, deren Wert der Kläger auf über 100.000 DM beziffert. Die Beklagten behaupten, den Bau habe die M. R-GmbH aufgeführt und ihrerseits bezahlt. Der Kläger behauptet demgegenüber, die Beklagten hätten die Eintragung der mit ihm gegründeten Gesellschaft hintertrieben und den Anschein erweckt, als werde der Bau für die gemeinsame Gesellschaft aufgeführt. Er habe deshalb auch Arbeiter der M Sp GmbH für den Bau zur Verfügung gestellt. Wenn der Bau von der M. R GmbH errichtet worden sei, so hätten ihn die Beklagten hintergangen und seien ihm schadensersatzpflichtig. Der Kläger ist der Ansicht, daß die Anfechtung eines in Vollzug gesetzten Gesellschaftsvertrages nur als Kündigung wirke, und daß die Gesellschaft auf alle Fälle deshalb aufgelöst sei, weil die Absicht, die GmbH der Parteien zur Entstehung zu bringen, aufgegeben worden sei. Er beantragt, die Beklagten zu verurteilen, a) in die Auseinandersetzung zu willigen, b) über das von ihnen verwaltete Vermögen der Gründergesellschaft Rechnung zu legen, c) 6.008,72 DM als Teilbetrag des ihm zustehenden Auseinandersetzungsanspruchs zu zahlen. Die Beklagten haben um Klageabweisung gebeten und widerklagend die Feststellung begehrt, daß dem Kläger ein Zahlungsanspruch über den eingeklagten Betrag hinaus nicht zustehe.

Das Landgericht hat den Klageanträgen zu a) und b) durch Teilurteil stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Mit der Revision streben sie die Abweisung der Klage, soweit nach ihr erkannt ist, an, während der Kläger um Zurückweisung der Revision bittet.

Entscheidungsgründe

Das Kammergericht hat festgestellt, daß die Gründergesellschaft im Außen- und im Innenverhältnis ins Leben getreten sei. Diese Annahme ist rechtlich nicht zu beanstanden und wird von der Revision nicht angegriffen. Nach den Feststellungen des Kammergerichts hat die Gründergesellschaft Rechtsgeschäfte mit Dritten abgeschlossen. Hat es sich dabei selbst nur um vorbereitende Geschäfte gehandelt, so genügte das, um den Gesellschaftsvertrag als nach außen in Vollzug gesetzt anzusehen (RG DR 1941, 1943 m.w. Nachw.; 1943, 1221). Die Parteien haben die Gründergesellschaft aber auch im Innenverhältnis vollzogen (RGZ 166, 51 (59); DR 1943, 1221), da sie unstreitig ihre Einlagen geleistet und auf diese Weise Gesamthandsvermögen gebildet haben.

Deshalb, so meint das Kammergericht weiter, habe der Gesellschaftsvertrag nicht mehr mit der Wirkung des § 142 BGB angefochten werden können; die Parteien hätten die Gründergesellschaft dadurch, daß sie das in Reichsmark festgesetzte Stammkapital in Deutscher Mark nicht neu festgesetzt hätten und die GmbH nicht hätten eintragen lassen, aufgelöst. Das Gesellschaftsverhältnis sei darum auseinanderzusetzen, gleichviel ob die Gründergesellschaft als Offene Handelsgesellschaft oder als bürgerlich-rechtliche Gesellschaft zu beurteilen sei. Im weiteren verneint das Kammergericht das Vorliegen eines Anfechtungsgrundes; es führt aus, daß der Kläger insbesondere keine arglistige Täuschung begangen habe; sein Rechtsstreit gegen die Reichsbahn zeige, daß er sich jedenfalls für den Pächter des Lagerplatzes Nr. 2 gehalten habe.

Soweit die Revision die diesbezüglichen tatsächlichen Erwägungen angreift, braucht ihren Rügen nicht nachgegangen zu werden, da sie auch dann keinen Erfolg haben kann, wenn man eine arglistige Täuschung unterstellt. Die Revision meint Werde ein in Vollzug gesetzter Gesellschaftsvertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten, so müsse § 142 BGB angewendet werden, da es ungerechtfertigt sei, die bürgerlich-rechtliche Folge einer arglistigen Täuschung auszuschalten und die Lösung allein auf Grund der durch das Gesellschaftsverhältnis entstandenen Rechtstatsachen zu suchen. Sie verkennt nicht, daß sich der Senat in seinem Urteil vom 24. Oktober 1951 — II ZR 18/51 — (BGHZ 3, 285); vgl. auch das Senatsurteil vom 29. November 1952 — II ZR 15/52 — (BGHZ 8, 157 (166) der neueren Rechtsprechung des Reichsgerichts dahin angeschlossen hat, daß für die Frage nach der Nichtigkeit oder Vernichtbarkeit eines Gesellschaftsvertrages sowohl für das Außenverhältnis wie für das Verhältnis der Gesellschafter zueinander grundsätzlich auf die zur sogen. faktischen Gesellschaft entwickelten Rechtsgrundsätze zurückgegriffen werden muß. Die Revision meint jedoch, im Falle der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ständen der rechtlichen Anerkennung des faktischen Verhältnisses besonders schutzwürdige Belange des Anfechtenden entgegen, wenn die Arglist auf den Abschluß eines Gesellschaftsvertrages gerichtet sei, der ohne Täuschung nicht geschlossen worden wäre, und das sei hier der Fall.

Der Senat hat in den beiden erwähnten Urteilen ausgesprochen, daß überwiegende Interessen der Allgemeinheit oder besonders schutzwürdige Belange einzelner Personen es rechtfertigen können, den geschaffenen Rechtstatsachen die rechtliche Anerkennung zu versagen und das Gesellschaftsverhältnis rückwirkend als nichtig zu behandeln. Fälle dieser Art bilden der Gesetzesverstoß (Urteil des Senats vom 11. April 1951 — II ZR 9/50 –), eine besonders grobe Sittenwidrigkeit oder der Umstand, daß sich ein Gesellschafter durch Drohung oder Täuschung einen überaus günstigen Gewinn- oder Liquidationsanteil zugestehen läßt und ein deswegen in die Auseinandersetzungsrechnung einzustellender Schadensersatzanspruch keinen genügenden Ausgleich ermöglicht. Ein solcher Fall liegt nicht vor. Die Beklagten behaupten nicht, daß der Kläger auf einen besonderen Vorteil bei der Umstellung aus gewesen sei; Art und Inhalt der Währungsreform waren zur Zeit des Abschlusses des Gesellschaftsvertrages auch nicht übersehbar. Der Vorteil aber, der im Zustandekommen des Gesellschaftsvertrages als solchem liegt, rechtfertigt es nicht, die durch die Invollzugsetzung des Gesellschaftsverhältnisses geschaffenen Rechtstatsachen rückwirkend ungeschehen zu machen und statt des Gesellschaftsrechts die allgemeinen Regeln des bürgerlichen Rechts zur Anwendung zu bringen. Denn das würde, da eine arglistige Täuschung nur dann zur Anfechtung berechtigt, wenn sie für das Zustandekommen eines Rechtsgeschäfts ursächlich war, bedeuten, daß beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 123 BGB immer die Folge des § 142 BGB eintreten und die tatsächliche Gestaltung der Verhältnisse auf Grund der Invollzugsetzung des Gesellschaftsvertrages unberücksichtigt bleiben müßte. Das geht aus Gründen des Rechts und der Verkehrssicherheit nicht an. Auch das Reichsgericht hat in Fällen der arglistigen Täuschung grundsätzlich die Wirkung des § 142 BGB versagt (DR 1943, 1221; 1941, 1943). Weil die Parteien die von ihnen gegründete Gesellschaft bereits in Vollzug gesetzt haben, kann die Lösung des Gesellschaftsverhältnisses nur im Wege der Auseinandersetzung herbeigeführt werden. Das ist auch um deswillen nicht anders, weil es sich um eine Gründergesellschaft handelt. Denn es geht dabei um die Lösung eines Gesellschaftsverhältnisses, das seines Umfangs wegen nicht mehr rückgängig gemacht, sondern nur noch auseinandergesetzt werden kann (vgl dazu RGZ 166, 51 (59)). Die Auffassung von Baumbach-Hueck (GmbHG Bem 1 B vor § 1) und Schilling (Hachenburg GmbHG § 2 Anm 12, 34), daß die Gründererklärungen vor Eintragung der Gesellschaft ins Handelsregister angefochten werden könnten, ist durch die jüngere Rechtsprechung überholt und kann nicht mehr auf RG 83, 265; 127, 191 gestützt werden. Die Grundsätze der faktischen Gesellschaft beruhen nicht darauf, daß die Gründer- oder Beitrittserklärungen an die Allgemeinheit gerichtet sind, sondern auf dem Gedanken des Verkehrsschutzes, auch unter den Gesellschaftern. Dieser Gedanke greift aber nicht erst mit der Eintragung der Gesellschaft ins Handelsregister, sondern schon dann ein, wenn die Gründergesellschaft so viele derart gewichtige Rechtstatsachen geschaffen hat, daß Recht und Verkehrssicherheit es verbieten, ihnen die rechtliche Anerkennung zu versagen. Die Anfechtung vernichtete also das Gesellschaftsverhältnis nicht rückwärts hin.

Die von den Parteien gegründete Gesellschaft ist aufgelöst worden, weil die Beteiligten davon abgesehen haben, die GmbH zur Entstehung zu bringen. Da dies zeitlich mit der Abgabe der Anfechtungserklärung in etwa zusammenfällt, kommt es nicht darauf an, ob ein Anfechtungstatbestand vorlag und auch aus diesem Grunde die Auseinandersetzung vorzunehmen ist.

Ist aber das Gesellschaftsverhältnis auseinanderzusetzen, so stehen dem Kläger die ihm zuerkannten Ansprüche zu. Randnummer10

Die Revision war darum mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.

Schlagworte: faktische Gesellschaft, Liquidation, Liquidationswert