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BGH, Urteil vom 13. Dezember 1988 – VI ZR 235/87

§ 823 Abs 2 BGB, § 264 Abs 1 S 1 Nr 1 StGB, § 264 Abs 3 StGB

§ 264 StGB erfüllt die Voraussetzungen eines Schutzgesetzes i.S. des § 823 Abs. 2 BGB.

a) Schutzgesetz i.S. von § 823 Abs. 2 BGB ist eine Norm, die nach Zweck und Inhalt – selbst wenn ihr auf die Allgemeinheit gerichteter Schutzzweck ganz im Vordergrund steht – wenigstens auch auf den Schutz von Individualinteressen ausgerichtet ist (vgl. Senatsurteile vom 3. Februar 1987 – VI ZR 32/86 = BGHZ 100, 13, 14f und vom 2. Februar 1988 – VI ZR 133/87 = VersR 1988, 736, 737, zur Veröffentlichung in BGHZ 103, 196f vorgesehen, m.w.N.). Zudem muß die Eröffnung eines individuellen, auf dem Zivilrechtsweg zu verfolgenden Schadensersatzanspruchs erkennbar vom Gesetz erstrebt sein oder zumindest im Rahmen des haftpflichtrechtlichen Gesamtsystems liegen (vgl. BGHZ 66, 388, 390, 391; Senatsurteil vom 18. Mai 1976 – VI ZR 241/73 = VersR 1976, 982, 983; Stoll, Kausalzusammenhang und Normzweck im Deliktsrecht, 1968, S. 14f sowie Fn. 40).

b) Nach Ansicht des Senats umfaßt § 264 StGB jedenfalls auch den Schutz staatlichen Vermögens vor mißbräuchlicher Inanspruchnahme durch die Erwirkung unberechtigter Subventionsleistungen.

Der Gesetzgeber ging von einer gewissen Verwandtschaft zwischen Betrug und Subventionsbetrug aus. Dies ergibt sich nicht nur aus der Stellung der Vorschrift im 22. Abschnitt des Strafgesetzbuches (Betrug und Untreue) und aus der Bezeichnung des Tatbestandes (Subventionsbetrug). Ausweislich der Gesetzesmaterialien war die Vorschrift auch als Straftatbestand im „Vorfeld des Betruges“ konzipiert. Die Notwendigkeit der Schaffung eines neuen Tatbestandes für den Bereich der Wirtschaftssubvention wurde damit begründet, daß die Tatbestandsmerkmale des § 263 StGB oft nur schwer festzustellen seien, die Vorschrift daher zur Bekämpfung des Subventionsschwindels unzulänglich sei (vgl. BT-Drucks. 7/3441 S. 15f; BT-Drucks. 7/5291 S. 4). Zwar ist im Gesetzgebungsverfahren die Auffassung vertreten worden, § 263 StGB als eine primär auf Vermögensschutz ausgerichtete Vorschrift treffe nicht den „Unrechtskern“ des Subventionsbetruges, da es sich bei Subventionen um staatliches Umlaufvermögen handele, das auf jeden Fall zur Ausgabe bestimmt sei; die mit der Vorschrift zu ahndende sozialschädliche Handlung sei die Fehlleitung sowie die Durchkreuzung staatlicher Planung und die (teilweise) Vereitelung des im Allgemeininteresse verfolgten Zwecks. Die bis dahin zur Einbeziehung des Subventionsbetruges in § 263 StGB entwickelte Zweckverfehlungslehre, nach der die vorsätzlich betrügerisch bewirkte Hingabe einer Subvention – ungeachtet der ohnehin vorgesehenen Verausgabung der Mittel – einen Vermögensschaden darstellt, sei für die Strafbarkeit nach § 264 StGB nicht maßgeblich. Indes wird andererseits in den Gesetzesmaterialien an anderer Stelle der Gesichtspunkt des Vermögensschutzes mehrfach hervorgehoben (BT-Drucks. 7/5291 S. 5, 8). Vor allem wäre es nicht verständlich, warum § 264 StGB nur für Wirtschaftsubventionen gilt, während der Gesetzgeber offensichtlich keine Notwendigkeit gesehen hat, bezüglich anderer staatlicher Subventionen die bisherige, auf § 263 StGB ausgerichtete Strafrechtspraxis zu ändern, und warum die Vorschrift für diese Subventionen umfassend als eine der allgemeinen Betrugsvorschrift vorgehende Sondervorschrift konzipiert ist, welche auch die Fälle erfaßt, in denen die Subvention tatsächlich aufgrund der Täuschung gewährt worden ist, wenn nicht § 264 StGB damit für seinen Regelungsbereich zugleich die vermögensschützende Aufgabe des § 263 StGB übernehmen soll (vgl. Ranft JuS 1986, 450). Von daher besteht auch kein Grund für die Annahme, der Gesetzgeber, der den Schutz der öffentlichen Hand gegen Subventionserschleichungen gerade verstärken wollte, habe diesen Schutz zivilrechtlich verschlechtern wollen, indem er das Schutzgut Vermögen bei Schaffung des neuen Spezialtatbestandes ausgeklammert habe.

Es kommt hinzu, daß mit dem Schutz vor derartigen Einwirkungen auf die Vergabe der Subventionsmittel der Schutz der Subventionsmittel selbst zwangsläufig verbunden ist. Die staatliche Planungs- und Dispositionsfreiheit beruhen auf der vom Haushaltsgesetzgeber beschlossenen Etatisierung der Subventionsmittel. Sie ist an die Zweckbestimmung und die ordnungsgemäße Verwendung der Mittel gebunden (vgl. § 45 Abs. 1 BHO). Schon diese enge Verknüpfung der in der Ermächtigung zur Vergabe zum Ausdruck kommenden Planungs- und Dispositionsfreiheit mit der Etatisierung der Mittel zeigt, daß der Schutz zwangsläufig den der ordnungsgemäßen Mittelverwendung mit umfaßt. Eine Mißachtung der Vergabevorschriften hat nicht nur haushaltsrechtlich die ungedeckte Verwendung der Mittel, sondern gleichzeitig auch einen entsprechenden vermögensmäßigen Schaden des Staates zur Folge, weil nämlich Mittel für unberechtigte Zuwendungen etatmäßig überhaupt nicht zur Verfügung stehen. Die unter Mißachtung der Voraussetzungen für die Mittelvergabe erreichte zweckfremde Hergabe von Subventionen löst daher zwangsläufig im Staatsvermögen einen Schaden aus. Der Schutz vor der Hergabe solcher haushaltsrechtlich gar nicht zur Verfügung stehenden Mittel ist daher nicht lediglich ein Reflex aus dem Schutz der staatlichen Planungs- und Dispositionsfreiheit, sondern wegen der normativen Bindung an den öffentlichen Haushalt zwangsläufig durch deren Schutz nach § 264 StGB mit umfaßt (vgl. Eberle aaO S. 48; LK-Tiedemann aaO § 264 Rdn. 8). Deswegen kann der strafrechtliche Vermögensschutz bei der Erschleichung von Subventionen auch nicht auf die von § 264 StGB nicht erfaßten Subventionen (vgl. LK-Tiedemann aaO § 264 Rdn. 9, 10) beschränkt werden. Weil das öffentliche Vermögen bei Wirtschaftssubventionen durch die Subventionshergabe notwendig unmittelbar betroffen ist, ist daher gerade auch insoweit von einem mitgeschützten Schutzgut auszugehen.

Auch der Umstand, daß § 264 StGB als Gefährdungsdelikt konzipiert ist, steht dem Schutzgutcharakter der Norm nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 2. Februar 1988 aaO).

Nach Auffassung des Senats kann die Transformierung des § 264 StGB in den zivilrechtlichen Deliktsschutz auch nicht daran scheitern, daß die Vorschrift ganz auf den Staatshaushalt zugeschnitten ist. Zwar setzt, wie gesagt, § 823 Abs. 2 BGB Individualschutz als Normaufgabe des Schutzgesetzes voraus; der Schutz von Allgemeininteressen ist nicht Sache des Deliktsschutzes, sondern des öffentlichen Rechts. Daß staatliche interessen als Vermögensinteressen zu qualifizieren sind, macht sie noch nicht dem Deliktsschutz zugänglich. Erforderlich ist vielmehr, daß die Schutznorm diese staatlichen Vermögensinteressen erkennbar ebenso wie diejenigen eines Bürgers in rechtlicher Gleichordnung mit diesen schützen will (vgl. RGRK-BGB, 12. Aufl., § 823 Rdn. 542f). In aller Regel werden eigens auf die Sicherung des staatlichen Mittelaufkommens zugeschnittene Vorschriften, sofern sie nicht ein fiskalisches Sondervermögen bilden, für einen auf der Ebene bürgerlich-rechtlicher Gleichordnung mit zivilrechtlichen Mitteln zu verfolgenden Deliktsschutz kaum in Betracht kommen. Für § 264 StGB indes muß auch insoweit seine enge Beziehung zu § 263 StGB ausschlaggebend sein. Daß fiskalische Vermögensinteressen nicht anders als private gegen Betrügereien durch § 263 StGB geschützt sind und dieser strafrechtliche Vermögensschutz über § 823 Abs. 2 BGB für das Deliktsrecht übernommen wird, ist allgemein anerkannt. Diesem Vermögensschutz werden auch die Subventionsmittel der öffentlichen Hand zugeordnet (vgl. Senatsurteil vom 12. Oktober 1971 – VI ZR 87/69 = NJW 1972, 210, 212). In dieser Beziehung wollte der Gesetzgeber durch § 264 StGB für die von ihm erfaßten Wirtschaftssubventionen nichts ändern, sondern insoweit den Schutz gegen Subventionserschleichungen für bestimmte Subventionen lediglich verstärken. Die Vermögensinteressen der öffentlichen Subventionsgeber sind zwar durch § 264 StGB wirksamer, nicht aber auf einer anderen Ebene als die privaten Vermögensinteressen durch § 263 StGB geschützt. Der Staat als öffentlicher Subventionsgeber ist deswegen auch zivilrechtlich nicht anders zu behandeln als ein privater Subventionsgeber, und zwar unabhängig davon, ob er die Subventionen unmittelbar oder über Vergabestellen auf privatrechtlichem Weg vergibt.

c) Entgegen der Ansicht der Revision ist auch die Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte habe die unrichtigen Angaben leichtfertig gemacht, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Die tatrichterliche Würdigung, dem Schädiger sei der Vorwurf der Leichtfertigkeit zu machen, ist mit der Revision nur beschränkt angreifbar. Der Nachprüfung unterliegt nur, ob der Tatrichter den Begriff der Leichtfertigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat (vgl. Senatsurteile vom 12. Januar 1988 – VI ZR 158/87 = VersR 1988, 474f und vom 18. Oktober 1988 – VI ZR 15/88 – zur Veröffentlichung vorgesehen).

Das Berufungsgericht geht davon aus, daß der strafrechtliche Begriff der Leichtfertigkeit eine gesteigerte Form der Fahrlässigkeit bezeichnet, die in etwa der groben Fahrlässigkeit des Zivilrechts entspricht. Dieser in Rechtsprechung und Literatur weitgehend vertretenen Begriffsbestimmung ist zuzustimmen (vgl. BGHSt 14, 240, 255; 33, 67; Dreher/Tröndle, StGB, 44. Aufl., § 15 Rdn. 20 m.w.N.).

Demgemäß hat das Berufungsgericht zutreffend geprüft, ob der Beklagte bei Abgabe der Erklärungen die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt und dabei dasjenige unbeachtet gelassen hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (vgl. BGHZ 89, 153, 161 sowie Senatsurteile vom 12. Januar 1988 und vom 18. Oktober 1988 aaO).

Auch soweit das Berufungsgericht auf dieser Grundlage es als grobes Verschulden gewertet hat, daß der Beklagte die von N. vorbereiteten Formulare ohne weitere Prüfung unterschrieben hat, ist diese Annahme aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die blindlings vorgenommene Unterzeichnung von Erklärungen, die von einer Hilfskraft vorbereitet worden sind, kann ein grob fahrlässiges Verhalten ausmachen (vgl. BayObLG DStR 1977, 226; OLG Stuttgart DStR 1985, 48, 49; Dreher/Tröndle aaO § 264 Rdn. 24). Auch die Gesetzesbegründung zu § 264 StGB geht davon aus, daß das Unterlassen jeglicher eigener Prüfung der subventionserheblichen Tatsachen als leichtfertig anzusehen ist (vgl. BT-Drucks. 7/5291 S. 8). Das Berufungsgericht hat im einzelnen dargelegt, warum es die Unterzeichnung der Formulare vorliegend jedenfalls als groben Sorgfaltsverstoß angesehen hat. Dabei hat es auch den von der Revision hervorgehobenen Umstand, daß es sich bei N. um einen sorgfältigen Buchhalter gehandelt habe, nicht außer Betracht gelassen. Es hat hierzu – rechtlich nicht angreifbar – darauf abgestellt, daß die Beantragung von Subventionen nicht zu den von N. ständig zu erledigenden Aufgaben gehörte, diese Materie für ihn vielmehr neu war, so daß eine zumindest stichprobenweise Überprüfung der vorbereiteten Unterlagen durch den Beklagten erforderlich gewesen wäre. In seinen Erwägungen hat das Berufungsgericht weiter die persönlichen Fähigkeiten und Verhältnisse des Beklagten einbezogen. Danach handelte es sich bei den Angaben, die der Beklagte unterzeichnet hat, um solche, die zu machen nicht nur in den eigentlichen Aufgabenbereich eines Geschäftsführers der GmbH fielen, sondern die ihm als Geschäftsführer der A.-GmbH auch weitgehend bekannt sein mußten und deren Unrichtigkeit er mit einem Blick bei der Unterzeichnung der Unterlagen hätte feststellen können. Dabei ist das Berufungsgericht – insoweit von der Revision nicht angegriffen – davon ausgegangen, daß die Formulierungen in dem Antragsformular eindeutig und unmißverständlich waren. Bei dieser Sachlage liegt der Schluß nahe, daß sich die Gefahr der Tatbestandsverwirklichung dem Beklagten objektiv aufdrängen mußte und er subjektiv mit besonderem Leichtsinn oder besonderer Gleichgültigkeit gehandelt hat (vgl. OLG HammBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Hamm
NStZ 1983, 459).

Insoweit geht auch die Rüge der Revision fehl, das Berufungsgericht habe außer Betracht gelassen, daß die D.-Bank, der der Tätigkeitsbereich der Gesellschaft im einzelnen bekannt gewesen sei, der A.-GmbH empfohlen habe, die hier fraglichen Subventionen zu beantragen und daß N. die Anträge nur in Abstimmung mit dem Geschäftsführer der I., dem der Tätigkeitsbereich der GmbH ebenfalls bekannt gewesen sei, ausgefüllt habe. Unabhängig davon, daß nicht behauptet ist, die genannten Stellen seien über den Umfang der bei der A.-GmbH getätigten zuschußfähigen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten unterrichtet gewesen, ändern etwaige Mitwirkungshandlungen Dritter nichts daran, daß sich der Beklagte um die Subventionsvoraussetzungen in keiner Weise gekümmert, insbesondere vor der bei der Unterzeichnung der Unterlagen auf einen Blick erkennbaren Unrichtigkeit der Angaben leichtfertig die Augen verschlossen hat.

 

Schlagworte: Außenhaftung, Haftung wegen Subventionsbetruges gemäß § 264 StGB, Leichtfertigkeit, Rechtsmissbrauch, Subventionsleistungen, Verletzung von Schutzgesetzen nach § 823 Abs. 2 BGB