§ 276 BGB
Die Grundsätze, die der Bundesgerichtshof zur Aufklärungspflicht des Vermittlers von Warentermin-Optionen entwickelt hat, finden auch auf Stillhalteroptionsgeschäfte Anwendung.
Auszugehen ist von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach die Anbieter oder Vermittler von Börsentermingeschäften ihre in die Einzelheiten der Geschäftsabwicklung nicht eingeweihten Kunden über die wirtschaftlichen Zusammenhänge und die Risiken derartiger Geschäfte sowie über Höhe und Bedeutung der börsenmäßigen Optionsprämien und etwaiger Aufschläge auf diese Prämien aufzuklären haben (vgl. BGHZ 80, 80, 81 ff.; 105, 108, 110; BGH, Urteil vom 6. Juni 1991 – III ZR 116/90 = WM 1991, 1410, 1411; jeweils m.w.Nachw.). Die genannten Grundsätze sind zunächst für Londoner Warenterminoptionen entwickelt, dann aber auch auf Aktien- und Aktienindex-Optionen (Senatsurteil vom 27. November 1990 – XI ZR 115/89 = WM 1991, 127, 128) sowie unter entsprechender Anpassung auf Warentermindirektgeschäfte (Senatsurteil vom 17. März 1992 – XI ZR 204/91 = WM 1992, 770, 771) angewandt worden.
Verletzt eine GmbH diese Aufklärungspflichten, so kann das nicht nur Schadensersatzansprüche des betroffenen Kunden gegen die GmbH zur Folge haben. Vielmehr kann auch der Geschäftsführer einer solchen Gesellschaft nach § 826 BGB zum Schadensersatz verpflichtet sein, wenn er veranlaßt oder bewußt nicht verhindert, daß die Gesellschaft die in die Einzelheiten der Geschäftsabwicklung nicht eingeweihten Kunden über die wirtschaftlichen Zusammenhänge und die Risiken des Geschäfts nicht aufklärt (BGHZ 105, 108, 109 f.). Das gilt auch dann, wenn der Geschäftsführer mit dem betreffenden Kunden keinen unmittelbaren Kontakt hatte und lediglich versäumt hat, seine Mitarbeiter zur ordnungsgemäßen Aufklärung der Kunden anzuhalten (BGH aaO S. 115).
Die genannten Rechtsgrundsätze sind auch auf die Anbieter und Vermittler von Stillhalteroptionsgeschäften anzuwenden.
Stillhalteroptionsgeschäfte sind das Gegenstück zum Erwerb von Terminoptionen. Während der Erwerber einer Option gegen Zahlung einer Prämie (und ggf. von zusätzlichen Prämienaufschlägen) das Recht erhält, zu einem bestimmten Termin Lieferung oder Abnahme einer bestimmten Menge des Basiswerts (Waren, Wertpapiere oder Währungen) zu einem bestimmten Kurs zu verlangen, erhält der Stillhalter umgekehrt eine Prämie dafür, daß er eine Option ausgibt, d.h. sich verpflichtet, zu einem bestimmten Termin eine bestimmte Menge des Basiswerts zu einem bestimmten Kurs zu liefern oder abzunehmen. Beide Geschäfte entsprechen einander in ihrer Struktur, unterscheiden sich aber sehr wesentlich hinsichtlich des Verhältnisses von Chancen und Risiken. Während der Erwerber einer Option im ungünstigsten Fall die investierte Optionsprämie verliert und im günstigsten Fall ein Vielfaches davon als Gewinn erzielen kann, verbucht der Stillhalter im für ihn günstigsten Fall – wenn der Kurs des Basiswerts sich so entwickelt, daß der Optionsinhaber die Option ungenutzt verfallen läßt – die empfangene Prämie ungeschmälert als Gewinn, muß aber im ungünstigsten Fall mit Verlusten rechnen, die ein Vielfaches der Prämie ausmachen und im Falle einer Lieferverpflichtung theoretisch sogar unbegrenzt hoch sein können. Das gilt jedenfalls dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – die Stillhalterposition von einer Person übernommen wird, die nicht im Besitz entsprechender Mengen des jeweiligen Basiswerts ist. In solchen Fällen ist die Übernahme der Stillhalterposition ein hochriskantes Geschäft, dessen Gefahren noch weit über die des Optionserwerbs hinausgehen (vgl. Wach, Der Terminhandel in Recht und Praxis, 1986, Rdn. 74 ff., insbes. Rdn. 82; Häuser/Welter in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 1990, § 16 Rdn. 410).
Der in die Einzelheiten der Geschäftsabwicklung nicht eingeweihte Kunde bedarf daher beim Stillhaltergeschäft einer gleich intensiven Aufklärung über die wirtschaftlichen Zusammenhänge und über die Funktionsweise der jeweils in Betracht kommenden Terminmärkte wie beim Optionserwerbsgeschäft und muß auf die besonders großen Stillhalter-Risiken eher noch nachdrücklicher hingewiesen werden. Ähnlich wie beim Optionserwerbsgeschäft Prämienzuschläge, die der Kunde an einen gewerblichen Vermittler zahlen muß, das Verhältnis von Chancen und Risiken aus dem Gleichgewicht bringen und den Kunden häufig im Ergebnis praktisch chancenlos machen (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juni 1991 – III ZR 116/90 = WM 1991, 1410, 1411 m.w.Nachw.), tritt dieser Effekt beim Stillhaltergeschäft dann ein, wenn der Stillhalter die erhaltenen Prämien mit dem gewerblichen Vermittler teilen muß. In solchen Fällen muß der Kunde über diesen Punkt besonders eingehend aufgeklärt werden.
Die Beklagte zu 1) war daher zur Aufklärung des Klägers über die Einzelheiten der angebotenen Stillhaltergeschäfte verpflichtet. Für die Einhaltung dieser Pflicht war die Beklagte zu 2) als Geschäftsführerin der Beklagten zu 1) verantwortlich.
Die dem Kläger geschuldete Aufklärung hatte ihn über die Einzelheiten der Funktionsweise der Terminmärkte und der auf ihnen möglichen Optionsgeschäfte ins Bild zu setzen und dabei speziell die Position des Stillhalters sowie die mit ihr verbundenen besonders hohen Risiken zu erläutern. Diese Risiken waren für den Kläger zwar ihrer Höhe nach dadurch begrenzt, daß nach § 1 Abs. 4 und § 4 Abs. 3 des Verwaltungsvertrags mit der Beklagten zu 1) für ihn keine Nachschußpflicht und keine über die geleistete Einlage hinausgehende Haftung bestand. Das änderte jedoch an der Qualität der mit dem Stillhaltergeschäft verbundenen Risiken nichts Entscheidendes. Die bei diesem Geschäft drohenden besonders hohen Verluste konnten den Kläger zwar nicht um sein gesamtes Vermögen bringen, ihn aber in kurzer Zeit die hohen Beträge kosten, die er bei der Beklagten zu 1) eingezahlt hatte.
Die Frage, ob die dem Kläger zustehenden Optionsprämien in einer Weise vermindert wurden, die ähnlich wie Prämienaufschläge beim Optionserwerbsgeschäft eine grundsätzliche Verschiebung des Chance-Risiko-Verhältnisses bewirkte und damit eine gesonderte Aufklärungspflicht auslöste, kann offen bleiben. Auf die vom Kläger nach § 5 des Verwaltungsvertrags geschuldete einmalige Verwaltungsgebühr und Beteiligung der Beklagten zu 1) an etwa anfallenden Jahresgewinnen traf dies jedenfalls nicht zu. Die dem Kläger in Rechnung gestellten Broker-Provisionen von 120 $ pro „Roundturn“ hätten nur dann eine aufklärungsbedürftige Verschiebung des Chance-Risiko-Verhältnisses bewirkt, wenn sie das Maß des an den betreffenden Terminmärkten Üblichen überschritten hätten. Zu der zwischen den Parteien umstrittenen Frage, ob das der Fall war, hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen.
Die Beklagte zu 1) ist ihrer Aufklärungspflicht gegenüber dem Kläger nicht nachgekommen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die vom Kläger bestrittene Behauptung der Beklagten zutrifft, der Mitarbeiter H. der Beklagten zu 1) habe den Kläger wiederholt fernmündlich und mündlich über alle Einzelheiten des Stillhaltergeschäfts aufgeklärt. Die hier erforderliche Aufklärung kann ebenso wie in den Fällen des Optionserwerbsgeschäfts (vgl. dazu BGHZ 105, 108, 110 f.) und des Warentermindirektgeschäfts (vgl. dazu Senatsurteil vom 17. März 1992 – XI ZR 204/91 = WM 1992, 770, 771) ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie schriftlich erteilt wird. Eine hinreichende schriftliche Aufklärung über die Einzelheiten des Stillhalteroptionsgeschäfts, seine Chancen und Risiken, hat die Beklagten zu 1) dem Kläger nicht gewährt.
Der Verwaltungsvertrag zwischen der Beklagten zu 1) und dem Kläger gibt nicht die erforderliche umfassende Aufklärung. In seinen Text sind zwar einige pauschale Hinweise auf die spekulative Natur des Geschäfts und die Möglichkeit eines Totalverlusts des eingesetzten Kapitals eingestreut. Der Vertrag enthält jedoch keine eingehenden Informationen, die zum Verständnis des Stillhaltergeschäfts und zu einer realistischen Risikobewertung beitragen könnten.
Auch die Broschüre „Termingeschäfte – Die hohe Schule der Spekulation“ verschafft dem Leser nicht die notwendige detaillierte Information über die von der Beklagten zu 1) angebotenen Stillhaltergeschäfte. Diese Broschüre war vom Zeugen H. verfaßt worden, als er noch nicht Mitarbeiter der Beklagten zu 1), sondern Inhaber eines eigenen Vermögensberatungsunternehmens war. Sie enthält neben kürzeren Ausführungen zum Wesen des Terminhandels und zum Termindirektgeschäft umfangreiche Darlegungen zum Optionsgeschäft, letztere aber ausschließlich aus der Sicht des Erwerbers von Optionen und mit Blick auf die damals vom Zeugen H. angebotenen Optionserwerbsgeschäfte. Auf die Eigenheiten des Stillhaltergeschäfts im allgemeinen und die mit ihm verbundenen speziellen Risiken sowie auf das Angebot der Beklagten zu 1) im besonderen geht die Broschüre nicht ein. Auf die zwischen den Parteien umstrittene Frage, ob der Kläger diese Broschüre überhaupt erhalten hat, kommt es daher nicht an.
Die unzureichende Unterrichtung über die Funktionsweise und Risiken des Stillhaltergeschäfts hatte zur Folge, daß der Kläger sich auf diese Geschäfte einließ und dadurch den geltend gemachten – der Höhe nach unstreitigen – Schaden erlitt. Davon ist auszugehen, weil die Beklagten die Behauptung des Klägers, er hätte bei ausreichender Information über den Charakter der Stillhalteroptionsgeschäfte die Verträge nicht abgeschlossen, nicht substantiiert bestritten haben und im übrigen eine Vermutung für ein „aufklärungsrichtiges“ Verhalten spricht (st.Rspr.; vgl. Senatsurteil vom 28. April 1992 – XI ZR 165/91 = WM 1992, 1310, 1311 m.w.Nachw.). Die Verneinung eines ursächlichen Zusammenhangs durch das Berufungsgericht beruht darauf, daß es unter Verkennung des Vortrags des Klägers einseitig auf den Inhalt der Broschüre statt auf das Fehlen ausreichender Informationen abgestellt hat. Die Annahme des Berufungsgerichts, daß der Kläger den Inhalt der Broschüre nicht zur Kenntnis genommen hat und durch ihn nicht getäuscht worden sein kann, schließt nicht aus, daß seine Geschäftsabschlüsse auf dem Fehlen ausreichender Informationen über Funktionsweise und Risiken des Stillhaltergeschäfts beruhen. Auf die Frage, ob die zur Aufklärung ohnehin ungeeignete Broschüre dem Kläger zugegangen ist und von ihm zur Kenntnis genommen wurde, kann es daher nicht ankommen.
Zu Unrecht hat das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten zu 2) für die Versäumnisse der Beklagten zu 1) aus § 826 BGB verneint.
Die Tatsache, daß der Kläger alle Tatbestandsmerkmale des § 826 BGB darzulegen und notfalls zu beweisen hat, ändert nichts daran, daß es Sache der Beklagten zu 2) war, zunächst einmal im einzelnen vorzutragen, was sie unternommen hat, um eine gehörige Aufklärung der Kunden durch die Verkäufer sicherzustellen (BGHZ 105, 108, 115). Daran fehlt es. Die Beklagte zu 2) ist deshalb dem Vortrag des Klägers, sie habe die Arbeitsweise der Verkäufer gekannt und vorsätzlich veranlaßt, daß eine ausreichende Aufklärung unterblieb, nicht substantiiert entgegengetreten. Ob sie den Inhalt der unzureichenden Broschüre kannte, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Entscheidend ist, daß sie eine Schulung und Überwachung der Verkäufer unterließ und so vorsätzlich veranlaßte oder jedenfalls nicht verhinderte, daß Interessenten, die infolge ihrer mangelnden Erfahrung in dieser Art von Geschäften die ungewöhnlich hohen Risiken nicht zutreffend einschätzen konnten und deshalb auf eine umfassende Aufklärung angewiesen waren, die Stillhalterposition übernahmen. Ein solches Verhalten ist ein grob anstößiger Mißbrauch des eigenen Wissens- und Erfahrungsvorsprungs (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 1988 – II ZR 134/87 = WM 1988, 291, 294).
Schlagworte: Anlageberatung und Warenterminoption, Haftung wegen sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB, Warenterminoptionen