Einträge nach Montat filtern

BGH, Urteil vom 14. Mai 2012 – II ZR 130/10

GmbHG § 64 a. F. (jetzt InsO § 15a); BGB §§  249, 823

a) Wird eine GmbH zahlungsunfähig oder überschuldet, hat der Geschäftsführer nach § 15 a Abs. 1 Satz 1 InsO (Schutzgesetz nach § 823 Abs. 2 BGB), § 64 Abs. 1 GmbHG a. F. ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, einen Insolvenzeröffnungsantrag zu stellen. Diese Vorschriften sind Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB (BGH, Urteil vom 6. Juni 1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 190). Ihr Schutzzweck erfasst nicht nur Alt-, sondern auch Neugläubiger, die in Unkenntnis der Insolvenzreife der Gesellschaft noch in Rechtsbeziehungen zu ihr getreten sind (BGH, Urteil vom 16. Dezember 1958 – VI ZR 245/57, BGHZ 29, 100, 104; Ur-teil vom 5. Februar 2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 Rn. 13).

b) Für den subjektiven Tatbestand der Insolvenzverschleppung genügt die Erkennbarkeit der InsolvenzreifeBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Erkennbarkeit der Insolvenzreife
Insolvenzreife
für den Geschäftsführer, wobei die Erkennbarkeit vermutet wird (BGH, Urteil vom 14. Mai 2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 Rn. 15; Urteil vom 15. März 2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 38 beide m. w. N.).

c) Die Neugläubiger haben bei Verstoß gegen die Insolvenzantragspflicht einen Anspruch gegen die Geschäftsführer auf Ausgleich des Schadens, der ihnen dadurch entsteht, dass sie in Rechtsbeziehungen zu einer überschuldeten oder zahlungsunfähigen Gesellschaft getreten sind (BGH, Urteil vom 6. Juni 1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 198; Urteil vom 5. Februar 2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 Rn. 13; Urteil vom 27. April 2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rn. 15). Das Verbot der Insolvenzverschleppung dient nicht nur der Erhaltung des Gesellschaftsvermögens, sondern hat auch den Zweck, konkursreife Gesellschaften mit beschränktem Haftungsfonds vom Geschäftsverkehr fernzuhalten, damit durch das Auftreten solcher Gebilde nicht Gläubiger geschädigt oder gefährdet werden (BGH, Urteil vom 6. Juni 1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 194; Urteil vom 25. Juli 2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50, 60). Soweit § 64 Abs. 1 GmbHG a. F. potenzielle Neugläubiger vor der Eingehung solcher Geschäftsbeziehungen mit einer insolvenzreifen GmbH schützen soll, geschieht dies zu dem Zweck, sie davor zu bewahren, einer solchen Gesellschaft noch Geld- oder Sachkredit zu gewähren und dadurch einen Schaden zu erleiden. Anders als der Schaden der Altgläubiger, der in der durch die Insolvenzverschleppung bedingten Masse- und Quotenverminderung besteht, liegt der Schaden eines Neugläubigers darin, dass er der Gesellschaft im Vertrauen auf deren Solvenz noch Geld- oder Sachmittel zur Verfügung gestellt hat, ohne einen entsprechend werthaltigen Gegenanspruch oder eine entsprechende Gegenleistung zu erlangen (BGH, Urteil vom 25. Juli 2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50, 60; Urteil vom 5. Februar 2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 Rn. 13; Urteil vom 15. März 2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 40). Ersatzfähig sind danach nur Schäden, die durch die Insolvenzreife der Gesellschaft verursacht worden sind.

d) Bei der Frage nach den Rechtsfolgen der Insolvenzverschleppungshaftung ist zu berücksichtigen, dass es sich um einen deliktsrechtlichen Anspruch handelt (BGH, Urteil vom 15. März 2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 14 f.). Schadensersatzansprüche aus einer unerlaubten Handlung richten sich selbst dann in der Regel nur auf Ersatz des negativen oder Erhaltungsinteresses, wenn zwischen dem Geschädigten und dem Schädiger vertragliche Beziehungen bestanden haben (BGH, Urteil vom 25. November 1997 – VI ZR 402/96, NJW 1998, 983, 984; Urteil vom 30. Mai 2000 – IX ZR 121/99, NJW 2000, 2669, 2670; Urteil vom 18. Januar 2011 – VI ZR 325/09, BGHZ 188, 78 Rn. 8 f.). Davon zu unterscheiden ist der Anspruch auf Ersatz des positiven oder Erfüllungsinteresses. Dieses ist zu ersetzen, wenn der Anspruchsinhaber verlangen kann, so gestellt zu werden, als ob eine Verbindlichkeit ordnungsgemäß erfüllt worden wäre. Da die deliktische Haftung nicht an das Bestehen einer Verbindlichkeit und deren Nicht- oder Schlechterfüllung anknüpft, richtet sich der deliktische Schadensersatzanspruch allein auf das Erhaltungsinteresse (BGH, Urteil vom 18. Januar 2011 – VI ZR 325/09, BGHZ 188, 78 Rn. 8; Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearbeitung 2005, Vor §§ 249 ff. Rn. 48, § 249 Rn. 195).

e) Der Neugläubiger ist von dem wegen Verletzung der Insolvenzantragspflicht deliktisch haftenden Geschäftsführer so zu stellen, wie er stehen würde, wenn der Geschäftsleiter seiner Insolvenzantragspflicht rechtzeitig nachgekommen wäre. In diesem Fall hätte der Neugläubiger nicht mehr in vertragliche Beziehungen zur Gesellschaft treten können. Der zu ersetzende Schaden besteht deshalb nicht in dem wegen Insolvenz der Gesellschaft „entwerteten“ Erfüllungsanspruch. Auszugleichen ist vielmehr lediglich das negative Interesse, z.B. in Form von Waren- und Lohnkosten, die der Neugläubiger wegen des Vertragsschlusses mit der Schuldnerin erbracht hat (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juni 1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 201; Urteil vom 25. Juli 2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50, 60; Urteil vom 8. März 1999 – II ZR 159/98, ZIP 1999, 967; Urteil vom 5. Februar 2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 Rn. 21; Urteil vom 12. März 2007 – II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060 Rn. 23; Urteil vom 15. März 2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 20, 40), und das nur ausnahmsweise auch einen entgangenen Gewinn umfassen kann (BGH, Urteil vom 27. April 2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rn. 15).

f) Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann nach § 823 Abs. 2 BGB, § 64 Abs. 1 GmbHG a. F., § 15a InsO nur für solche Schadensfolgen Ersatz verlangt werden, die innerhalb des Schutzbereichs der verletzten Norm liegen. Es muss sich um Folgen handeln, die in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen wurde. Notwendig ist ein innerer Zusammenhang zwischen der Pflicht- oder Normverletzung und dem Schaden, nicht nur eine mehr oder weniger zufällige äußere Verbindung. Da der Schutzzweck der gesetzlichen Insolvenzantragspflicht unter anderem darin besteht, Insolvenzreife Gesellschaften mit beschränktem Haftungsfonds vom Geschäftsverkehr fernzuhalten, damit durch das Auftreten solcher Gebilde nicht Gläubiger geschädigt oder gefährdet werden, sind nur solche Schäden ersatzfähig, die mit der Insolvenzreife der Gesellschaft in einem inneren Zusammenhang stehen (BGH, Urteil vom 25. Juli 2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50, 60).

g) Der Schutzbereich der Insolvenzantragspflicht umfasst auch solche Schäden des Neugläubigers, die durch eine fehlerhafte Bauleistung der insolvenzreifen Gesellschaft am Bauwerk verursacht werden und von dieser wegen fehlender Mittel nicht mehr beseitigt werden können. Dieser Schaden beruht bei der gebotenen wertenden Betrachtung auf der Insolvenzverschleppung und ist auch vom Schutzbereich des § 64 Abs. 1 GmbHG a. F. umfasst. Der eingetretene Schaden steht mit der Insolvenzreife der Gesellschaft in einem inneren Zusammenhang. Darin, dass ein insolvenzreifes Bauunternehmen von ihm am Bauwerk verursachte Schäden aufgrund fehlender Mittel nicht mehr beseitigen kann, verwirklicht sich eine typischerweise mit dem Vertragsschluss zwischen Neugläubiger und unerkannt insolvenzreifer Gesellschaft einhergehende Gefahr. Der Schutzzweck der gesetzlichen Insolvenzantragspflicht, Insolvenzreife Gesellschaften mit beschränktem Haftungsfonds vom Geschäftsverkehr fernzuhalten, damit durch das Auftreten solcher Gebilde nicht Gläubiger geschädigt oder gefährdet werden, will die Verwirklichung solcher Gefahren gerade vermeiden.

h) Der Schutzbereich des § 64 Abs. 1 GmbHG aF umfasst auch den Ersatz solcher Kosten, die dem Neugläubiger wegen der Verfolgung seiner Zahlungsansprüche gegen die Insolvenzreife Gesellschaft entstanden sind (BGH, Urteil vom 27. April 2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rn. 19). Die Insolvenzantragspflicht soll den Vertragspartner einer GmbH auch davor schützen, dass er sich durch die Prozessführung mit der unerkannt insolvenzreifen Gesellschaft mit Kosten belastet, die er bei der Gesellschaft als Kostenschuldnerin nicht mehr realisieren kann.

i) Der Kläger hat seinen Vertrauensschaden darzulegen und zu beweisen (vgl. BGH, Urteil vom 6. April 2001 – V ZR 394/99, NJW 2001, 2875, 2877; Urteil vom 15. März 2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 42).

j) Im Wechsel von dem positiven Interesse auf den Vertrauensschaden liegt keine Klageänderung (BGH, Urteil vom 24. Januar 2002 – III ZR 63/01, BGHReport 2002, 397).

Schlagworte: Erkennbarkeit der Insolvenzreife, Geschäftsführer, Haftung wegen Insolvenzverschleppung gemäß § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO, Haftungsgrund, Insolvenz, Insolvenzverfahrensverschleppung, Neugläubiger, Neugläubigerschaden, Schadensersatzanspruch, Verletzung von Schutzgesetzen nach § 823 Abs. 2 BGB, Verschulden