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BGH, Urteil vom 14. November 1988 – II ZR 82/88

§ 242 Abs 2 S 2 AktG, § 270 Abs 3 ZPO vom 03.12.1976

Die Frist, nach deren Ablauf ein nichtiger Hauptversammlungsbeschluß geheilt ist, verlängert sich mit Einreichung der Nichtigkeitsklage beim Gericht, sofern die Klage demnächst zugestellt wird.

Tatbestand

Der Kläger ist Aktionär der verklagten Bank. Deren Satzung sieht in § 21 Abs. 1 vor, daß die Hauptversammlung, sofern nicht Satzung oder Gesetz zwingend Abweichendes bestimmt, Beschlüsse mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen faßt. Es heißt dort im Absatz 2 ferner:

„Wird bei der Vornahme von Wahlen durch die Hauptversammlung eine einfache Stimmenmehrheit nicht erreicht, findet eine engere wahl unter denjenigen Personen statt, denen die beiden höchsten Stimmzahlen zugefallen sind. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los.“

Nach § 9 Abs. 4 Satz 1 der Satzung kann die Hauptversammlung für die von ihr zu wählenden Aufsichtsratsmitglieder Ersatzmitglieder bestellen, die nach einer bei der wahl festzulegenden Reihenfolge Mitglieder des Aufsichtsrats werden, wenn Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner vor Ablauf der Amtszeit wegfallen. Am 13. Mai 1983 ergänzte die Hauptversammlung den § 9 Abs. 4 der Satzung, indem sie die folgende Regelung als Satz 2 einfügte.

„Ihre Stellung als Ersatzmitglied lebt wieder auf, wenn die Hauptversammlung für ein weggefallenes, durch das betreffende Ersatzmitglied ersetzte Aufsichtsratsmitglied eine Neuwahl vornimmt.“

Diese Satzungsänderung wurde am 16. Mai 1983 ins Handelsregister eingetragen.

Der Kläger klagt auf Feststellung, daß die Änderung nichtig ist. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg.

1. Das Berufungsgericht hat vom Regelungsgehalt des von der Hauptversammlung beschlossenen, in § 9 Abs. 4 der Satzung eingefügten Satzes 2 kein eindeutiges Bild gewinnen können; es schließt nicht aus, daß der Satz nicht nur die Ersatzmitgliedschaft wiederaufleben lassen soll, wenn ein in den Aufsichtsrat nachgefolgtes Ersatzmitglied wieder ausscheidet, sondern daß er zugleich anordnet, wie es zu diesem Ausscheiden kommt, nämlich durch Neuwahl eines Aufsichtsratsmitglieds anstelle desjenigen Mitglieds, dem das Ersatzmitglied in den Aufsichtsrat nachgefolgt ist. Gleichwohl hält das Berufungsgericht die Satzungsbestimmung für wirksam, weil – abweichend von § 103 Abs. 1 Satz 2 AktG – nach § 21 Satz 1 der Satzung Aufsichtsratsmitglieder mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen abberufen werden können und somit die Rechtsstellung der in den Aufsichtsrat nachgerückten Ersatzmitglieder im Vergleich zu der der übrigen Aufsichtsratsmitglieder nicht deshalb schwächer sei, weil die mit einfacher Mehrheit beschlossene Neuwahl eines ordentlichen Aufsichtsratsmitglieds zugleich ihre Abberufung einschließt; die Satzungsbestimmung enthalte keine Regelung für den Fall, daß der Nachfolger nicht durch wahl, sondern durch Los bestimmt werde und das zum Vollmitglied aufgerückte Ersatzmitglied nur dadurch aus dem Aufsichtsrat ausscheide, daß die Hauptversammlung es förmlich abberufe. Diese Beurteilung greift die Revision mit Erfolg an.

Satzungsbestimmungen, die die wahl, Abberufung und Rechtsstellung von Mitgliedern und Ersatzmitgliedern des Aufsichtsrats betreffen, haben körperschaftlichen Charakter und können deshalb vom Revisionsgericht selbständig ausgelegt werden. Danach enthält der konditionale Nebensatz der beschlossenen Regelung nicht nur die Bedingung für das Wiederaufleben der Ersatzmitgliedschaft; er regelt vielmehr zugleich eigenständig, daß in den Aufsichtsrat nachgerückte Ersatzmitglieder dadurch abberufen werden, daß die Hauptversammlung für das Aufsichtsratsmitglied, dem sie nachgefolgt sind, ein anderes wählt. In den Aufsichtsrat nachgefolgte Ersatzmitglieder können durch Neuwahl eines ordentlichen Mitglieds nur dann wirksam abberufen werden, wenn ihre Rechtsstellung von vornherein in diesem Sinne auflösend bedingt war. Fehlt eine dahingehende Regelung und wird das nachgefolgte Ersatzmitglied auch nicht vor einer Neuwahl nach § 103 Abs. 1 Satz 1 AktG ausdrücklich abberufen, wäre diese nach § 250 Abs. 1 Nr. 3 AktG nichtig, weil sie nicht zum Ausscheiden eines Aufsichtsratsmitglieds führt und durch sie deshalb regelmäßig die gesetzliche Höchstzahl der Aufsichtsratsmitglieder überschritten wird. An anderer Stelle als in dem beanstandeten Halbsatz findet sich in der Satzung keine Regelung, die von einer Abberufung durch Neuwahl handelt. Soll es nicht von vornherein rechtlich unmöglich sein, daß die Ersatzmitgliedschaft – wie beschlossen – infolge Neuwahl eines ordentlichen Aufsichtsratsmitglieds wiederauflebt, kann die im Konditionalsatz enthaltene Regelung nur so verstanden werden, daß die Neuwahl zugleich die Abberufung des nachgefolgten Ersatzmitglieds einschließen soll.

Nach Ansicht des Berufungsgerichts kann von einer „wahl“ aber nur dann gesprochen werden, wenn die Hauptversammlung das Aufsichtsratsmitglied durch Abstimmung bestimmt; keine wahl sei die für den Fall der Stimmengleichheit in § 21 Abs. 2 Satz 2 der Satzung vorgesehene Entscheidung durch Los. Auch diese Beurteilung greift die Revision mit Recht an.

Nach § 133 Abs. 2 AktG kann von dem Grundsatz, daß die Hauptversammlung Beschlüsse grundsätzlich mit einfacher Stimmenmehrheit faßt, für Wahlen abgewichen und in der Satzung insoweit etwas anderes geregelt werden. Aufgrund dieser Ermächtigung ist in § 21 Abs. 2 der Satzung für den Fall, daß keinem der beiden Kandidaten die Mehrheit der Stimmen zufällt, geregelt, daß das Los darüber entscheidet, wer von beiden gewählt ist. Der Losentscheid stellt somit nur ein besonderes Wahlverfahren dar, das stattfindet, wenn das übliche Verfahren, die Bestimmung des Aufsichtsratsmitglieds mit Stimmenmehrheit, zu einer Pattsituation führt, weil keiner der beiden Kandidaten die Mehrheit erhält. Um wahl geht es in beiden Fällen. Folgerichtig wird in § 9 der Satzung – ähnlich wie in § 101 AktG – nicht zwischen wahl und Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder in anderer Weise unterschieden, ist vielmehr einheitlich von wahl die Rede.

Eine Satzungsbestimmung, die bei Wahlen für den Fall der Stimmengleichheit das Los darüber entscheiden läßt, wer von den beiden Kandidaten gewählt ist, ist rechtlich unbedenklich. Rechtlich unzulässig ist es dagegen, an eine solche wahl die Abberufung eines in den Aufsichtsrat nachgefolgten Ersatzmitglieds zu koppeln. Nach der Rechtsprechung des Senats erfordert es der Grundsatz der individuell gleichen Berechtigung und Verantwortung aller Aufsichtsratsmitglieder, daß nach der Satzung alle von den Anteilseignern gewählten Aufsichtsratsmitglieder die gleiche sichere Rechtsstellung haben, also nicht mit unterschiedlichen Mehrheiten abberufen werden können (BGHZ 99, 211, 216). Gegen diesen Grundsatz verstößt die beschlossene Ergänzung des § 9 Abs. 4 der Satzung, weil nach ihr das in den Aufsichtsrat nachgerückte Ersatzmitglied nicht – wie die übrigen Aufsichtsratsmitglieder – mit mindestens einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen, sondern schon bei Stimmengleichheit durch Los abberufen werden soll. Die hierin liegende Verletzung des Grundsatzes der für alle Aufsichtsratsmitglieder gleichen Rechtsstellung führt nach § 241 Nr. 3 AktG zur Nichtigkeit des Beschlusses (vgl. Sen.Urt. v. 29. Juni 1987 – II ZR 242/86, WM 1987, 1070).

2. Diese Nichtigkeit des Beschlusses ist nicht nach § 242 Abs. 2 AktG dadurch geheilt, daß seit Eintragung des Beschlusses ins Handelsregister (16. Mai 1983) drei Jahre verstrichen sind. Die Frist ist durch Erhebung der Nichtigkeitsklage bis zum rechtskräftigen Abschluß dieses Verfahrens verlängert worden. Zwar war die Klage bei Ablauf der Frist erst anhängig und nicht – wie von § 242 Abs. 2 Satz 2 AktG gefordert – schon rechtshängig. Nach § 270 Abs. 3 ZPO gilt die durch die Zustellung der Klage zu wahrende Frist aber schon mit Einreichung der Klage beim Gericht als eingehalten, wenn die Klageschrift demnächst zugestellt wird. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Rechtshängigkeit, die nach § 242 Abs. 2 Satz 2 AktG die Dreijahresfrist verlängert, tritt durch Zustellung der Klageschrift ein (§§ 261 Abs. 1, 253 Abs. 1 ZPO). Zugestellt wurde die am 16. Mai 1986 beim Landgericht eingereichte Klage dem Vorstand am 27. Mai 1986 und dem Aufsichtsrat am 28. Mai 1986; sie ist somit als „demnächst“ erfolgt anzusehen.

Anders als im Falle der BeschlußAnfechtung, bei der auf Klageerhebung abgestellt wird, soweit es um Fristwahrung geht (§ 246 Abs. 1 AktG), hält die Beklagte § 270 Abs. 3 ZPO nicht für anwendbar, soweit es gilt, die Heilung nichtiger Beschlüsse hinauszuschieben; nach ihrer Meinung wird in § 242 Abs. 2 Satz 2 AktG deshalb auf Rechtshängigkeit abgestellt, weil es nicht – wie in § 246 Abs. 1 AktG – um die Wahrung einer Klagefrist, sondern um die Verlängerung einer materiell-rechtlichen, für und gegen jedermann wirkenden AusschlußFrist gehe. Dieser Unterschied ändert nichts an der Tatsache, daß es bei der Nichtigkeitsklage wie bei der Anfechtungsklage um die Wahrung einer Frist geht. Die unterschiedliche Formulierung hat darin ihren Grund, daß sich nur die Versäumung der Frist für die Nichtigkeitsklage rechtsändernd, nämlich heilend auf den Beschluß auswirkt, während die Versäumung der Anfechtungsfrist zwar die Anfechtungsberechtigten materiell- rechtlich mit ihren Anfechtungsgründen ausschließt, auf den rechtlichen Bestand des von Anfang an wirksamen Beschlusses aber ohne Einfluß ist. Die durch Klageerhebung begründete Verlängerung der Heilungsfrist soll ausschließen, daß ein Beschluß infolge Fristablaufs während des Prozesses wirksam wird, bevor durch Urteil seine Nichtigkeit festgestellt werden kann. Nicht die aus diesem Grunde erforderliche Verlängerung der Frist ist entscheidend, sondern die durch Zustellung der Klageschrift gleichermaßen herbeigeführte rechtswahrende Wirkung von Klageerhebung und Rechtshängigkeit; sie erhalten dem Anfechtungskläger die Anfechtungsgründe und dem Nichtigkeitskläger die Möglichkeit, die Nichtigkeit des Beschlusses feststellen zu lassen. Auch der mit den Fristen des § 246 Abs. 1 AktG und § 242 Abs. 2 AktG verfolgte Zweck rechtfertigt keine unterschiedliche Regelung; er dient in beiden Fällen der Rechtssicherheit und -klarheit. Da der Kläger infolge des Amtsbetriebes keinen Einfluß darauf hat, wie schnell die eingereichte Klage zugestellt und damit die Streitsache rechtshängig wird, ist § 270 Abs. 3 ZPO auch auf die Nichtigkeitsklage mit der Folge anwendbar, daß die Zustellungswirkung bereits mit Einreichung der Klageschrift eintritt, wenn diese demnächst zugestellt wird (ebenso Zöllner in: KKz AktG, § 242 Rdnr. 35; Hüffer in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, § 242 Rdnr. 9; a.A. Schilling in GroßKzAktG, § 242 Anm. 5).

Schlagworte: Eintragungspflichtiger Beschluss Dreijahresfrist nach § 242 Abs. 2 AktG, Klagefrist/Anfechtungsfrist, Nichtigkeitsfeststellungsklage/Nichtigkeitsklage, Verzögerung der Klagezustellung, Zustellung demnächst, Zustellung der Klage bei Gesellschaft nach Ende der Anfechtungsfrist, Zustellung der Klage bei Gesellschaft vor Ende der Anfechtungsfrist, Zustellung nicht demnächst