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BGH, Urteil vom 15. Januar 2016 – V ZR 278/14

§ 138 BGB

1. Ein gegenseitiger Vertrag ist als wucherähnliches Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis besteht und außerdem mindestens ein weiterer Umstand hinzukommt, der den Vertrag bei Zusammenfassung der subjektiven und der objektiven Merkmale als sittenwidrig erscheinen lässt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten hervorgetreten ist. Ist das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besonders grob, lässt dies den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten zu (Senat, Urteil vom 19. Januar 2001 – V ZR 437/99, BGHZ 146, 298, 301 ff.; Urteil vom 24. Januar 2014 – V ZR 249/12, NJW 2014, 1652 Rn. 5). Ausgehend von dem für die Annahme eines besonders groben Äquivalenzmissverhältnisses bestehenden Erfordernis, dass der Wert der Leistung knapp doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung, ist diese Voraussetzung grundsätzlich erst ab einer Verkehrswertüber- oder -unterschreitung von 90 % erfüllt (Senat, Urteil vom 24. Januar 2014 – V ZR 249/12, NJW 2014, 1652 Rn. 8).

Bei der Frage, ob zwischen Leistung und Gegenleistung ein besonders grobes Missverhältnis besteht, das die Vermutung einer verwerflichen Gesinnung iSd § 138 Abs. 1 BGB begründet, ist eine wirtschaftliche Betrachtungsweise angezeigt. Wenn der Verkäufer zusätzliche Leistungen übernimmt, muss dies auch im Rahmen des Wertevergleichs von Leistung und Gegenleistung berücksichtigt werden. Liegt beispielsweise der zwischen den Parteien vereinbarte Kaufpreis mehr als 90 % über dem Verkehrswert der Immobilie, verpflichtet sich der Verkäufer aber, anderweitige Verbindlichkeiten des Käufers zu tilgen, reduziert sich – wirtschaftlich gesehen – der Aufwand des Käufers entsprechend. Ist dies in einem Umfang der Fall, dass die 90-Prozentgrenze unterschritten wird, ist es nicht mehr gerechtfertigt, von einer verwerflichen Gesinnung des Verkäufers auszugehen.

Nicht anders ist es, wenn der Verkäufer die Erwerbsnebenkosten – hierzu gehört auch die Grunderwerbssteuer (Senat, Urteil vom 11. Juni 2010  – V ZR 85/09, NJW 2010, 2873 Rn. 21) – trägt. Fehlt es an einer Vereinbarung der Kaufvertragsparteien, sind diese Kosten gemäß § 448 Abs. 2 BGB im Innenverhältnis von dem Käufer zu tragen. Entsprechend dieser gesetzlichen Regelung ist es auch in der Praxis üblich, in notariellen Grundstückskaufverträgen eine – deklaratorische – Klausel des Inhalts aufzunehmen, dass der Käufer die mit dem Vertrag und dessen Ausführung verbundenen Kosten und Abgaben (Grunderwerbsteuer sowie Notar‐ und Gerichtskosten) allein trägt (vgl. Beck´sches Notar-Handbuch/Krauß, 6. Aufl., A I.IX.1., S. 119 f.; Würzburger Notarhandbuch/Hertel, 4. Aufl., Teil 2 Kap. 2, 4. Rn. 484 ff.). Verpflichtet sich abweichend von dieser üblichen Kostentragungsregel der Verkäufer zur Zahlung der Erwerbsnebenkosten, reduziert sich der Aufwand des Käufers entsprechend. Deshalb sind bei der Prüfung, ob bei einem Immobilienkaufvertrag ein auffälliges bzw. besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht, die von dem Verkäufer übernommenen, üblicherweise von dem Käufer zu tragenden Erwerbsnebenkosten von dessen Leistung abzuziehen (vgl. zu den Auswirkungen auf die Berechnung der Grunderwerbssteuer in diesem Fall BFH, ZNotP 2013, 436 Rn. 16).

2. Besteht – wie hier bei einer Verkehrswertüberschreitung von 79,18 % – zwar kein besonders grobes, aber jedenfalls ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, kommt die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB zwar in Betracht, wenn weitere Umstände hinzutreten, die in Verbindung mit einem auffälligen Missverhältnis den Vorwurf der sittenwidrigen Übervorteilung begründen (vgl. Senat, Urteil vom 24. Januar 2014 – V ZR 249/12, NJW 2014, 1652 Rn. 10; BGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – XI ZR 508/12, NJW-RR 2014, 653 Rn. 16). Dies verhilft der Klage aber nicht zum Erfolg, weil es an entsprechenden Feststellungen des Berufungsgerichts fehlt.

Schlagworte: Berufung auf Sittenwidrigkeit, Grobes Missverhältnis, Sittenwidrigkeit