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BGH, Urteil vom 16. Juni 1997 – II ZR 154/96

§ 30 GmbHG, § 31 GmbHG, § 32a GmbHG, § 32b GmbHG, § 242 BGB, § 432 Abs 2 BGB

1. Sind an einem Unternehmenskauf auf der Veräußerer- und der Erwerberseite dieselben Personen beteiligt, so kann eine Hilfe (hier: Gebrauchsüberlassung eines Betriebsgrundstücks), die ein Gesellschafter der erwerbenden GmbH in diesem Zusammenhang gewährt, als eigenkapitalersetzende Leistung zu behandeln sein.

2. Vermieten mehrere Miteigentümer ein Grundstück an eine GmbH, an welcher nur einer als Gesellschafter beteiligt ist, und stellt die Vermietung für ihn eine eigenkapitalersetzende Gesellschafterhilfe dar, so müssen sich die Miteigentümer die mit Rücksicht auf das Eingreifen der Eigenkapitalersatzregeln fehlende Durchsetzbarkeit der Mietzinsforderung in der Höhe entgegenhalten lassen, die der internen Berechtigung des Gesellschafters an dem Mietzinsanspruch entspricht.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 9. Mai 1996 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 1. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Tatbestand

Der Beklagte ist der Konkursverwalter über das Vermögen der E. O. & Co. GmbH (im folgenden: Gemeinschuldnerin). Diese Gesellschaft war Ende Juni 1991 von der K. GmbH und der Schwester der Klägerin, Frau M. H., mit einem Stammkapital von 100.000,– DM gegründet worden, von dem Frau H. einen Geschäftsanteil von 26.000,– DM übernahm. Mit Vertrag vom 1. Juli 1991 übertrug die E. O. & Co.OHG (im folgenden: OHG) ihr Unternehmen zum in vier Raten aufzubringenden Preis von 650.000,– DM an die Gemeinschuldnerin.

Einzige Gesellschafterinnen der OHG waren Frau H. und die Klägerin. Beiden Schwestern gehörte je zur Hälfte ein von der OHG für ihren Betrieb genutztes Grundstück. Dieses vermieteten sie ab 1. Juli 1991 an die Gemeinschuldnerin auf die Dauer von mindestens fünfeinhalb Jahren für zunächst monatlich 8.000,– DM. Das Mietverhältnis ist auch nach der Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Gemeinschuldnerin (30. September 1994) nicht gekündigt worden.

Nachdem die Gemeinschuldnerin den Mietzins bis einschließlich August 1994 entrichtet hatte, hat die Klägerin mit der vorliegenden Klage die ausstehenden Mieten für die Monate Oktober 1994 bis März 1995 geltend gemacht und Zahlung von 48.000,– DM nebst Zinsen an sich und ihre Schwester verlangt.

Das Landgericht hat der Klage lediglich in Höhe von 24.000,– DM – das ist die auf die Klägerin selbst entfallende Hälfte des geforderten Betrages – entsprochen und sie im übrigen abgewiesen. Während der Beklagte diese Entscheidung hingenommen hat, hat die Klägerin Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat ihr auch die andere, auf die Schwester entfallende Hälfte des Klagebetrages zuerkannt. Hiergegen richtet sich die – zugelassene – Revision des Beklagten, der die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erstrebt.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet und führt unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Dieses hat angenommen, die Eigenkapitalersatzregeln seien entgegen der Ansicht des Landgerichts auf die Vermietung des Betriebsgrundstücks an die Gemeinschuldnerin schon deswegen nicht anwendbar, weil die Gebrauchsüberlassung integraler Bestandteil des Unternehmenskaufs sei und die Lösung des Erstgerichts zu einer „Verschiebung der Kalkulationsgrundlage“ und zu einer „nicht hinnehmbaren Preiskontrolle“ führe. Hilfsweise hat es seine Entscheidung darauf gestützt, daß der Beklagte nicht schlüssig vorgetragen habe, daß sich die Gemeinschuldnerin bei Abschluß des Unternehmenskauf- und des Mietvertrages in der zur Anwendung der Eigenkapitalersatzregeln führenden Krisensituation befunden habe. Beide Ansichten des Berufungsgerichts begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

I.

1. Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß auch eine Gebrauchsüberlassung eigenkapitalersetzenden Charakter haben kann; damit befindet es sich in Übereinstimmung mit der gefestigten und weithin im Schrifttum geteilten ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. BGHZ 109, 55 ff.; BGHZ 121, 31 ff.; BGHZ 127, 1 ff. und 17 ff.; Hachenburg/Ulmer, GmbHG, 8. Aufl., § 32 a, b Rdnr. 105 ff.; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 14. Aufl., §§ 32 a/b Rdnr. 111 ff.; Baumbach/Hueck, GmbHG, 16. Aufl., § 32 a Rdnr. 32 ff.). Es verfehlt indessen den Sinn des Eigenkapitalersatzrechts, wenn das Berufungsgericht meint, im Falle eines Unternehmenskaufs seien die von der Rechtsprechung in Anlehnung an §§ 30, 31 GmbHG entwickelten oder die in §§ 32a und b GmbHG niedergelegten Regelungen über die Behandlung eigenkapitalersetzender Gesellschafterleistungen unanwendbar. Denn auch als Folge eines Unternehmenskaufs, an dem – wie hier – teilweise dieselben Personen als Gesellschafter auf der Veräußerer- und der Erwerberseite beteiligt sind, kann sich jene Krisensituation einstellen, bei der trotz Überschuldung oder Kreditunwürdigkeit der erwerbenden Gesellschaft ihre Gesellschafter sich weder zur Liquidation entschließen noch das Unternehmen mit zusätzlichem Eigenkapital ausstatten, sondern ihr Überleben allein durch die Gewährung von Gesellschafterhilfen sicherstellen. Wollte man in einem solchen Fall an der formalen Einordnung der Gesellschafterhilfe als Drittleistung anknüpfen, bliebe unbeachtet, daß diese Leistungen fehlendes oder verloren gegangenes Eigenkapital ersetzen, und es würde den Gesellschaftern die Möglichkeit eröffnet, das mit der unzureichenden Kapitalausstattung verbundene Risiko auf die gegenwärtigen und künftigen Gläubiger der Gesellschaft abzuwälzen (st. Rspr. vgl. BGHZ 81, 252, 257; BGHZ 90, 381, 388 f.; BGHZ 105, 168, 175 f.). Zu einer sanktionslosen Verlagerung der Folgen der Finanzierungsentscheidung der Gesellschafterin H. auf die Gesellschaftsgläubiger führt es aber, wenn das Berufungsgericht die Eigenkapitalersatzregeln auf den Unternehmenskauf schlechthin nicht anwenden will. Es geht – entgegen der von dem Berufungsgericht vertretenen Ansicht – nicht darum, den vereinbarten Kaufpreis für das Unternehmen und die Zahlungsmodalitäten einer Preiskontrolle zu unterwerfen; vielmehr ist zu verhindern, daß die sowohl an der veräußernden wie an der erwerbenden Gesellschaft beteiligte Gesellschafterin das Risiko, daß die Erwerberin nach ihrer finanziellen Ausstattung außerstande ist, sowohl den vereinbarten Kaufpreis für das Unternehmen als auch den marktüblichen Mietpreis für das Betriebsgrundstück zu entrichten, jedenfalls teilweise den übrigen Gläubigern der Gesellschaft aufbürdet. Stundungen (vgl. dazu BGHZ 75, 334 f.; BGHZ 81, 252, 263; ferner Sen.Urt. v. 28. November 1994 – II ZR 77/93, ZIP 1995, 23. ff.) des Kaufpreises können deswegen, soweit die übrigen Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Eigenkapitalersatzregeln vorliegen, ebenso eine eigenkapitalersetzende Leistung der Gesellschafterin sein, wie die mietweise Überlassung des Betriebsgrundstücks. Zu einer von dem Berufungsgericht als „unerträglich“ oder „widersinnig“ bezeichneten Preiskontrolle führt dies nicht, weil durch die Heranziehung der Eigenkapitalersatzregeln nicht der Preis für das Unternehmen herabgesetzt, sondern lediglich gewährleistet wird, daß der Gesellschafter, dessen Hilfe funktionales Eigenkapital darstellt, dasselbe nicht zu Lasten des das Stammkapital deckenden Vermögens abziehen, sondern die vereinbarte Gegenleistung für die Unternehmensübertragung erst dann entgegennehmen darf, wenn dies ohne Verletzung der Kapitalerhaltungsvorschriften geschehen kann.

2. Unerheblich ist, aus welchen Gründen Frau H. Gesellschafterin der Gemeinschuldnerin geworden, insbesondere ob dies geschehen ist, um sicherzustellen, daß die Gemeinschuldnerin den restlichen Kaufpreis pünktlich entrichtet (vgl. BGHZ 105, 168, 176). Denn nach dem Sinn der Eigenkapitalersatzregeln knüpft die Finanzierungsfolgenverantwortung des Gesellschafters nicht etwa daran an, daß er in der Gesellschaft bestimmte unternehmerische Ziele verfolgt. Er hat vielmehr allein wegen seiner Stellung als Gesellschafter im Interesse der Gläubiger zu verantworten, daß die Gesellschaft in der Krise weder liquidiert noch mit neuem Eigenkapital ausgestattet worden ist, sondern daß ihr Überleben durch die Gewährung anderer, für den Leistenden scheinbar weniger riskanter Gesellschafterhilfen ermöglicht worden ist (BGHZ 105 aaO).

3. Eine mögliche Behandlung der Vermietung des Betriebsgrundstücks als eigenkapitalersetzende Gebrauchsüberlassung scheitert nicht daran, daß das Anwesen nicht im Alleineigentum der Gesellschafterin H. steht, sondern auch die nicht an der Gemeinschuldnerin beteiligte Klägerin Miteigentümerin ist. Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob die Klägerin deswegen als den Eigenkapitalersatzregeln unterstehende „Dritte“ (vgl. dazu Baumbach/Hueck aaO § 32 a Rdnr. 20 ff. m.w.N.) anzusehen ist, weil sie das Gewerbegrundstück nicht nur an die Gemeinschuldnerin vermietet, sondern es ihr auch im Zusammenhang mit der Veräußerung des Unternehmens als Kreditsicherheit zur Verfügung gestellt hat. Denn der Beklagte hat seine erstinstanzliche Verurteilung hinsichtlich des auf die Klägerin entfallenden Teils des Mietzinsanspruchs hingenommen. Bezüglich des verbleibenden, auf die Gesellschafterin H. entfallenden Teils der Mietzinsforderung steht § 432 Abs. 2 BGB einer Behandlung als eigenkapitalersetzende Gesellschafterhilfe nicht entgegen. Zwar können grundsätzlich Gegenrechte, die dem Schuldner nur gegenüber einem der Vermieter zustehen, der Bruchteilsgemeinschaft gegenüber nicht geltend gemacht werden (vgl. BGH, Urt. v. 29. Januar 1969 – VIII ZR 20/67, NJW 1969, 839 f.). Dies gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Ebenso wie sich die mehreren Miteigentümer im Schadensersatzprozeß wegen Beschädigung des gemeinschaftlichen Eigentums gemäß § 242 BGB den Einwand gefallen lassen müssen, daß einer von ihnen den Schaden schuldhaft mit verursacht hat (vgl. BGH, Urt. v. 7. Januar 1992 – VI ZR 17/71, LM Nr. 3 zu § 254 <Ec> BGB; Münch.Komm. z. BGB/Selb, 3. Aufl., § 432 Rdnr. 6), kann die mit Rücksicht auf die Eigenkapitalersatzregeln fehlende Durchsetzbarkeit der Mietzinsforderung auch einem nicht an der Gesellschaft beteiligten Miteigentümer jedenfalls in der Höhe entgegengehalten werden, die auf den Gesellschafter/Vermieter entfällt.

II.

Die Sache bedarf ergänzender tatrichterlicher Feststellungen. Von Rechtsirrtum beeinflußt ist nämlich auch die von dem Berufungsgericht gegebene Hilfsbegründung, mit welcher es das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für das Eingreifen der Eigenkapitalersatzregeln verneint hat.

1. Eine GmbH kann entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ohne weiteres schon bei oder kurz nach ihrer Errichtung überschuldet sein. Das ist namentlich dann der Fall, wenn sie schon zu diesem Zeitpunkt Schulden in erheblichem Umfang übernimmt, die durch das aufgebrachte Stammkapital nicht gedeckt sind, und wenn zusätzlich die bei der danach gegebenen rechnerischen Überschuldung vorzunehmende Fortbestehensprognose (vgl. BGHZ 119, 201 ff., 214) negativ ausfällt. Nach dem streitigen Vortrag der Parteien kann nicht ausgeschlossen werden, daß diese Voraussetzungen im Hinblick auf die Gemeinschuldnerin erfüllt sind.

2. a) Obwohl der Sachvortrag der Parteien hierzu Anlaß gegeben hätte, hat das Berufungsgericht ferner nicht erwogen, ob die Gemeinschuldnerin – wenn schon nicht, wie von dem Beklagten vorgetragen, bei Abschluß des Mietvertrages überschuldet – zu diesem Zeitpunkt kredit- bzw. überlassungsunwürdig (vgl. z.B. BGHZ 81, 252 ff.; BGHZ 81, 311 ff.; BGHZ 109, 55 ff.; BGHZ 127, 1 ff. und 17 ff.) gewesen ist. Überlassungsunwürdig ist eine Gesellschaft dann, wenn sie von dritter Seite ein Investitionsdarlehen nicht hätte erhalten können, um die Immobilie selbst zu erwerben und zu bezahlen, oder wenn ein vernünftig handelnder Dritter, der sich an den üblichen Bonitätskriterien des betreffenden Marktes orientiert, den Gegenstand der Gesellschaft nicht überlassen hätte (vgl. BGHZ 109, 55, 64).

b) Nach dem übereinstimmenden Sachvortrag der Parteien spricht nichts dafür, daß der mit einem Stammkapital von lediglich 100.000,– DM versehenen Gemeinschuldnerin von dritter Seite ein Kredit zum Erwerb des Betriebsgrundstückes hätte zur Verfügung gestellt werden können, nachdem die Gesellschafterinnen der veräußernden OHG nicht nur den Preis für die Unternehmensübertragung teilweise stunden und der Gemeinschuldnerin das Grundstück zu einem unter den Marktbedingungen liegenden Preis vermieten, sondern ihr Grundeigentum obendrein als Sicherheit für einen von der Mieterin aufgenommenen Kredit zur Verfügung stellen mußten.

c) Nach dem gegenwärtigen Stand des Rechtsstreits kann auch nicht ausgeschlossen werden, daß ein außenstehender Dritter der Gemeinschuldnerin das Betriebsgrundstück nicht zu denselben Bedingungen wie die Klägerin und ihre an der Gemeinschuldnerin beteiligte Schwester überlassen hätte. Dafür kann schon der deutlich unter dem Marktpreis liegende Mietzins von monatlich 8.000,– DM für ein Objekt von mehr als 3.300 m2 sprechen, der nach den getroffenen Abreden frühestens nach drei Jahren auf den für Gewerbeimmobilien üblichen Preis heraufgesetzt werden konnte. Die Auswirkung dieses niedrigen Mietpreises wurde ferner dadurch verstärkt, daß das Dach sanierungsbedürftig war und die Vermieterinnen für eine Teilreparatur bereits rund 120.000,– DM aufwenden mußten, die durch die hereinkommenden Mieten nicht gedeckt waren. Wenn schließlich in diesem Zusammenhang berücksichtigt wird, daß das vermietete Grundstück der Gemeinschuldnerin als Kreditsicherheit zur Verfügung gestellt werden mußte, so deuten alle diese Umstände darauf hin, daß die Gebrauchsüberlassung von Anfang an krisenfinanzierenden Charakter hatte. Ein außenstehender Dritter hätte sich schwerlich in gleicher Weise verhalten, weil er nicht nur die allgemeinen Lasten und die von ihm selbst aufgewandten Kosten für die Instandhaltung des Gebäudes durch die Mietzahlungen nicht erwirtschaften, sondern auch keinen angemessenen – im übrigen auch die Aufwendungen für eine anderweite Vermietung notwendigen Umbau (vgl. BGHZ 109, 55, 64) deckenden – Ertrag aus der Gebrauchsüberlassung erzielen konnte.

3. Entgegen der Meinung der Revision treffen die Ausführungen des Berufungsgerichts zum sog. „Stehenlassen“ das Richtige. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Senats setzt die Anwendung der Eigenkapitalersatzregeln bei nach der Gewährung der Gesellschafterhilfe eintretender Krise voraus, daß der Gesellschafter die Leistung zurückfordern oder die Gesellschaft zumindest liquidieren kann (vgl. BGHZ 121, 31, 36 f.; BGHZ 127, 1, 6). Beide Möglichkeiten standen der lediglich mit 26 % am Stammkapital der Gemeinschuldnerin beteiligten Schwester der Klägerin nicht zu Gebote.

III.

Damit das Berufungsgericht die – von seinem abweichenden Standpunkt folgerichtig – nicht getroffenen tatsächlichen Feststellungen nachholen kann, ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

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