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BGH, Urteil vom 16. Oktober 2012 – II ZR 239/11

BGB § 709 Abs. 2; HGB §§ 105, 161

a) Beschlüsse in einer Personengesellschaft sind grundsätzlich einstimmig zu fassen (vgl. § 709 Abs. 1 BGB, § 105 Abs. 3, § 161 Abs. 2 HGB), wenn und soweit nicht im Gesellschaftsvertrag für den betreffenden Beschlussgegenstand das Einstimmigkeitsprinzip durch das Prinzip einfacher oder qualifizierter Mehrheit ersetzt worden ist (vgl. § 709 Abs. 2 BGB), um die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft sicherzustellen. Für die formelle Legitimation eines Mehrheitsbeschlusses genügt es grundsätzlich, dass sich aus dem Gesellschaftsvertrag – ausdrücklich oder durch Auslegung – eindeutig ergibt, dass der jeweilige Beschlussgegenstand einer Mehrheitsentscheidung unterworfen sein soll (BGH, Urteil vom 15. Januar 2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 Rn. 9 – OTTO; Urteil vom 24. November 2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 Rn. 15 – Schutzgemeinschaftsvertrag II; Urteil vom 15. November 2011 – II ZR 266/09, BGHZ 191, 293 Rn. 16).

b) Ist die Entscheidung der Mehrheit der Gesellschafter von einer Regelung im Gesellschaftsvertrag gedeckt, ist auf einer zweiten Stufe zu prüfen, ob sie sich als treuwidrige Ausübung der Mehrheitsmacht gegenüber der Minderheit darstellt und deshalb inhaltlich unwirksam ist (BGH, Urteil vom 15. Januar 2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 Rn. 10 – OTTO; Urteil vom 24. November 2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 Rn. 17 – Schutzgemeinschaftsvertrag II; Urteil vom 15. November 2011 – II ZR 266/09, BGHZ 191, 293 Rn. 16).

c) Erfordert eine Mehrheitsentscheidung ihrem Inhalt nach die Zustimmung jedes einzelnen Gesellschafters, wie es beispielsweise bei Beschlüssen über nachträgliche Beitragserhöhungen (vgl. § 707 BGB) der Fall ist, führt ungeachtet sonstiger Beschlussmängel schon die fehlende Zustimmung eines Gesellschafters dazu, dass der Beschluss ihm gegenüber unwirksam ist (BGH, Urteil vom 5. März 2007 – II ZR 282/05, ZIP 2007, 766 Rn. 15; Urteil vom 9. Februar 2009 – II ZR 231/07, ZIP 2009, 864 Rn. 16). Unerheblich ist, ob dieser Gesellschafter an der Beschlussfassung beteiligt war.

d) Gesellschaftsvertragliche Einstimmigkeitserfordernisse oder Sperrminoritäten gehören nicht zu dem Mehrheitsentscheidungen entzogenen Bereich der individuellen Mitgliedschaft des einzelnen Gesellschafters, sondern schützen die Minderheit insgesamt (MünchKommBGB/Ulmer/Schäfer, 5. Aufl., § 709 Rn. 82; vgl. auch BGH, Urteil vom 24. November 2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 Rn. 22 – Schutzgemeinschaftsvertrag II).

e) Die Zulassung von Mehrheitsentscheidungen ist jedoch für sich genommen nicht treuwidrig. Sie verfolgt den gerade in einer Publikumsgesellschaft grundsätzlich legitimen Zweck, die bei Geltung sehr hoher Mehrheitserfordernisse und erst recht des Einstimmigkeitsprinzips gefährdete Handlungsfähigkeit der Gesellschaft sicher zu stellen.

f) Sieht der Gesellschaftsvertrag einer Publikumspersonengesellschaft für bestimmte Beschlussgegenstände, zu denen auch Änderungen des Gesellschaftsvertrags gehören, eine qualifizierte Mehrheit von ¾ der anwesenden Stimmen vor und bestimmt er außerdem, dass für diese Beschlussgegenstände bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine höhere Mehrheit erforderlich ist, kann die Regelung über die höheren Mehrheitserfordernisse grundsätzlich mit ¾-Mehrheit aufgehoben werden, wenn zum Zeitpunkt der Beschlussfassung die Voraussetzungen für ihre Anwendbarkeit nicht erfüllt sind und sich dem Gesellschaftsvertrag auch nicht im Wege der Auslegung entnehmen lässt, dass die Aufhebung der höheren Mehrheitserfordernisse auch dann nur mit diesen höheren Mehrheiten möglich sein soll, wenn die Voraussetzungen, an die der Gesellschaftsvertrag ihre Geltung knüpft, nicht gegeben sind.

Schlagworte: Auslegung des Gesellschaftsvertrages, Beschlussanfechtung, Beschlussanfechtungsverfahren, Beschlussgegenstand ausdrücklich von Mehrheitsklausel erfasst, Einstimmigkeitsprinzip, Gesellschaftsvertrag, Mehrheitsklausel, Mehrheitsprinzip, Nachträgliche Beitrags- und Nachschusspflichten, Personengesellschaft, Publikumsgesellschaft, Publikumspersonengesellschaft, Sonderrechte, Treuepflicht, Treuepflicht der Mehrheit und Kernbereichslehre, Treuepflichtenkontrolle, Zustimmung aller beteiligten und stimmberechtigten Gesellschafter