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BGH, Urteil vom 18. Oktober 2010 – II ZR 151/09

Fleischgroßhandel

GmbHG § 64; InsO § 19 a. F.

a) Macht der Insolvenzverwalter gegen den Geschäftsführer einer GmbH einen Ersatzanspruch nach § 64 Abs. 2 GmbHG a. F. (= § 64 Satz 1 GmbHG n. F.) geltend und beruft er sich dabei auf eine Überschuldung der Gesellschaft i.S. des § 19 InsO in der bis zum 17. Oktober 2008 geltenden Fassung, hat er lediglich die rechnerische ÜberschuldungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
rechnerische Überschuldung
Überschuldung
anhand von Liquidationswerten darzulegen. Die Darlegungs- und Beweislast für eine positive FortführungsprognoseBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Fortführungsprognose
positive Fortführungsprognose
– mit der Folge einer Bewertung des Vermögens zu Fortführungswerten – obliegt dem Geschäftsführer (Bestätigung von BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2006 – II ZR 303/05, ZIP 2006, 2171 Rn. 3; BGH, Urteil vom 27. April 2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rn. 11).

Es kann von der Fortführungsprognose abhängen, ob Verbindlichkeiten aus schwebenden – d.h. zum Stichtag der Überschuldungsbilanz noch von keiner Vertragspartei vollständig erfüllten – Verträgen, zu denen insbesondere auch Mietverträge gehören können (Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 19 Rn. 98; K. Schmidt/Bitter in Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl., Vor § 64 Rn. 43), im Überschuldungsstatus zu passivieren sind (vgl. K. Schmidt/Bitter in Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl., Vor § 64 Rn. 43; Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 19 Rn. 125, Temme, Die Eröffnungsgründe der Insolvenzordnung, 1997, S. 173 f. mwN; Hachenburg/Ulmer, GmbHG, 8. Aufl., § 63 Rn. 45).

Das Berufungsgericht hat weiter zu Unrecht offengelassen, ob die nach seinen Feststellungen per 1. Juli 2007 bestehende rechnerische Unterdeckung in Höhe von 1.169,98 € bei zutreffender Bewertung des Mietkautionsguthabens beseitigt wird. Die Begründung, es könne dem Beklagten jedenfalls nicht vorgeworfen werden, wenn er die von ihm geleistete Mietsicherheit in Höhe von 9.400 € jedenfalls mit einem geringen Teil als Vermögen der Schuldnerin angesetzt habe, weil er am 1. Juli 2007 nicht damit habe rechnen müssen, dass „die Insolvenz in Zukunft wegen einer unbefriedigenden Geschäftslage unabänderlich eintreten und das Kautionsguthaben dann durch Verrechnung mit offenen Mieten vollständig aufgezehrt werden würde“, verkennt wiederum die Darlegungs- und Beweislast. So genügt für den subjektiven Tatbestand des § 64 Abs. 1 und Abs. 2 GmbHG aF die Erkennbarkeit der InsolvenzreifeBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Erkennbarkeit der Insolvenzreife
Insolvenzreife
für den Geschäftsführer, wobei ein Verschulden vermutet wird (BGH, Urteil vom20. November 1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184, 185 mwN; BGH, Urteil vom 14. Mai 2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 Rn. 15). Entsprechende Feststellungen, die eine Widerlegung der Verschuldensvermutung rechtfertigen könnten, hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Es hat vielmehr seiner Entscheidung den unzutreffenden Rechtssatz zugrunde gelegt, der klagende Insolvenzverwalter müsse darlegen und beweisen, dass der Beklagte mit dem unabänderlichen Eintritt der Insolvenz wegen einer unbefriedigenden Geschäftslage, mithin mit einer negativen Fortführungsprognose habe rechnen müssen.

Der darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat bislang nicht hinreichend substantiiert vorgetragen, dass per 1. Juli 2007 eine positive FortführungsprognoseBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Fortführungsprognose
positive Fortführungsprognose
bestand, so dass die Entscheidung des Berufungsgerichts sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Dem Vorbringen des Beklagten ist nicht zu entnehmen, dass er subjektiv den Willen zur Fortführung des Unternehmens der Schuldnerin hatte und objektiv einen Ertrags- und Finanzplan mit einem schlüssigen und realisierbaren Unternehmenskonzept für einen angemessenen Prognosezeitraum aufgestellt hatte (BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2006 – II ZR 303/05, ZIP 2006, 2171 Rn. 3; Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl., § 64 Rn. 44 ff. mwN). Es sind auch im Übrigen keine Umstände vorgetragen oder sonst ersichtlich, die in Bezug auf den Stichtag eine positive FortführungsprognoseBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Fortführungsprognose
positive Fortführungsprognose
rechtfertigen könnten. Vielmehr hat der Kläger vorgetragen, dass die Schuldnerin im gesamten Zeitraum seit jedenfalls dem 1. Juli 2007 „von der Hand in den Mund“ gelebt, d.h. die nur geringen Umsatzerlöse sofort dazu verwendet habe, neue Waren zu kaufen und einen Teil ihrer drängendsten Verbindlichkeiten zu bezahlen. Es habe weder einen Liquiditätsplan noch eine Gewinn- und Verlustrechnung noch ein Sanierungskonzept gegeben, auch keine Sanierungsbemühungen oder Sanierungsaussichten. Dem ist der Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten. Er hat vielmehr konkludent zugestanden, keinen Sanierungsplan gehabt zu haben, indem er geltend gemacht hat, solche Pläne würden von Wirtschaftsprüfern oder Wirtschaftsberatern erstellt, kosteten mindestens zwischen zehn- und zwanzigtausend Euro und seien nicht auf Knopfdruck innerhalb von drei Wochen zu haben gewesen. Der Beklagte hat im Übrigen ohne Angabe von Einzelheiten nur pauschal behauptet, ab Mitte August, als ihm die Erkenntnis gekommen sei, „dass es nicht mehr weitergehe“, Verhandlungen mit Gläubigern geführt zu haben, um eine Zahlungsvereinbarung zustande zu bringen. Außerdem habe er eine Darlehenszusage aus dem Kreise der Familie über 30.000 € unter der Voraussetzung erhalten, dass auch die Gläubiger in einen teilweisen Forderungsverzicht einwilligen würden. In der Berufungsverhandlung hat er dagegen geltend gemacht, es sei bereits im Mai oder Juni klar gewesen, dass es nicht zu einem Vergleich mit einem GroßGläubiger kommen würde. Aus dem Schreiben der G. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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GmbH & Co. KG
KG
ergibt sich lediglich, dass dieser Gläubiger (erst) am 1. Oktober 2007 einem Vergleichsvorschlag zugestimmt hat. Im Übrigen hat der Beklagte lediglich „bestritten“, dass „keine Sanierungsbemühungen stattgefunden hätten“.

b) Die Aktivierung eines Anspruchs auf Rückzahlung einer Mietkaution in der Überschuldungsbilanz setzt voraus, dass der Anspruch einen realisierbaren Vermögenswert darstellt.

Im Hinblick auf das Mietkautionsguthaben ist zu beachten, dass die Aktivierung einer Forderung in der Überschuldungsbilanz voraussetzt, dass diese durchsetzbar ist, sie muss einen realisierbaren Vermögenswert darstellen (Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 19 Rn. 77, 80). Daran fehlt es jedenfalls – wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt richtig erkannt hat -, wenn eine positive FortführungsprognoseBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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nicht besteht. Das hat der Beklagte, wie oben ausgeführt, nicht dargelegt.

Wenn im weiteren Berufungsverfahren von einer negativen Fortführungsprognose auszugehen ist, stellt sich die Frage, in welcher Höhe die zukünftig fällig werdenden Mietforderungen zu passivieren sind. In diesem Zusammenhang wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob die bis zum Ende der festen Laufzeit des Mietvertrages (30. Juni 2011) anfallende Miete anzusetzen ist oder aber – wie es der Kläger selbst vertritt – nur eine Rückstellung mit einem Teilwert angemessen ist. Für die Erforderlichkeit eines Abschlags könnte sprechen, dass wegen einer ggf. fehlenden Fortführungsmöglichkeit letztlich nur eine Kündigung durch den Insolvenzverwalter gemäß § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO realistisch war, mithin Rückstellungen für einen Schadensersatzanspruch des Vermieters zu bilden waren. Insoweit wäre zu prüfen, ob damit gerechnet werden konnte, dass der Vermieter einen Nachmieter gefunden hätte (vgl. auch Uhlenbruck/Wegener, InsO, 13. Aufl., § 109 Rn. 11).

Schlagworte: Darlegungs- und Beweislast, einstufiger Überschuldungsbegriff, Erkennbarkeit der Insolvenzreife, Ertrags- und Finanzplan, Fortführungsprognose, Fortführungswille, Geschäftsführer, GmbHG § 64 Satz 1, going concern, Innenhaftung, künftig fällig werdende Forderungen, Liquidationswert, objektive Überlebensfähigkeit, positive Fortführungsprognose, realisierbare Forderungen, rechnerische Überschuldung, Schadensersatzanspruch, schwebende Geschäfte, Teilwert, Überschuldung, Überschuldungsbilanz, Verschulden, Zahlungen nach Insolvenzreife, zweistufiger Überschuldungsbegriff