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BGH, Urteil vom 19. November 2019 – II ZR 53/18

§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 15a Abs. 1, 17 InsO – Deliktische Haftung des GeschäftsführersBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Haftung
Haftung des Geschäftsführers
einer GmbH wegen Verletzung der Insolvenzantragspflicht

1. Der Geschäftsführer einer GmbH haftet deliktisch, wenn er es trotz Insolvenzreife der Gesellschaft unterlässt, einen Eröffnungsantrag zu stellen, Kunden mit der unerkannt insolvenzreifen Gesellschaft in Vertragsbeziehungen getreten und für ihre Abschlagszahlungen auf Strom und Gas keine Gegenleistungen erhalten. (Rn.15) In diesem Fall hat der seine Insolvenzantragspflicht verletzende Geschäftsführer einem vertraglichen Neugläubiger den Schaden zu ersetzen, der ihm dadurch entsteht, dass er infolge des Vertragsschlusses mit der insolvenzreifen Gesellschaft im Vertrauen auf deren Solvenz dieser noch Geld- oder Sachmittel als Vorleistungen zur Verfügung stellt und dadurch Kredit gewährt, ohne einen entsprechend werthaltigen Gegenanspruch oder eine entsprechende Gegenleistung zu erlangen.

2. Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.

3. Die rechnerische ÜberschuldungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
rechnerische Überschuldung
Überschuldung
ist grundsätzlich basierend auf einer Überschuldungsbilanz festzustellen, in der die stillen Reserven aufzudecken und Vermögenswerte der Gesellschaft mit ihren aktuellen Liquidationswerten auszuweisen sind. Eine Handelsbilanz, aus der sich ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag ergibt, kann indiziell für eine rechnerische ÜberschuldungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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sein.

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Bremen vom 20. Dezember 2017 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht die Anschlussberufung des Klägers zu 2 gegen den Beklagten zu 1 zurückgewiesen und das Urteil des Amtsgerichts Bremerhaven vom 1. Juni 2016 abgeändert und die Klage gegen den Beklagten zu 1 abgewiesen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

Die Klägerin schloss am 9. Februar 2010 einen Vertrag über Strom- und einen Vertrag über Gaslieferung mit der T. M. GmbH (im Folgenden: M. GmbH), der Kläger am 20. Oktober 2010. Die M. GmbH übertrug diese Verträge mit Zustimmung der Kläger auf die T. E. GmbH (im Folgenden: E. GmbH), die Strom und Gas liefern sollte. Den Forderungseinzug und die Anforderung von Abschlägen für die E. GmbH übernahm die T. S. GmbH (im Folgenden: S. GmbH).

Die Beklagten waren Vorstandsmitglieder der T. H. AG (im Folgenden: H. AG), die wiederum Gesellschafterin der E. GmbH und der S. GmbH, nicht aber der M. GmbH war. Der Beklagte zu 1 war zugleich Geschäftsführer der E. GmbH, der Beklagte zu 2 war Geschäftsführer der S. GmbH.

Im Jahr 2009 wurde gegen die E. GmbH eine Stromsteuernachzahlung in Höhe von rund 19 Mio. € festgesetzt. Zudem wurden monatliche Steuervorauszahlungen auf etwas über 3 Mio. € erhöht. Die E. GmbH konnte diese Verbindlichkeiten nicht begleichen. Ebenfalls im Jahr 2009 erfuhren die Beklagten von Wirtschaftsprüfern von einer Deckungslücke von 24 Mio. € und dass der Konzern illiquide sei. Noch im Jahr 2009 informierten die Beklagten den Aufsichtsrat der H. AG darüber, dass unter anderem die H. AG, die E. GmbH und die S. GmbH über die Hälfte ihres Grund- bzw. Stammkapitals verloren hätten oder ein negatives Stammkapital aufwiesen. ln der 25. Kalenderwoche habe man den Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit festgestellt. Eine positive FortführungsprognoseBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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könnten Wirtschaftsprüfer nicht stellen.

Die M. GmbH forderte von der Klägerin im Februar und April 2010 und vom Kläger im Oktober 2010 Abschlagszahlungen, die in der Folgezeit abgebucht wurden. Die S. GmbH forderte im November 2010 und im Januar 2011 weitere Abschläge, die der Kläger bezahlte.

Im März 2011 erfuhren die Kläger vom örtlichen Grundversorger und Netzbetreiber, dass die E. GmbH schon 2010 nur schleppend die geschuldeten Entgelte für die Netzdurchleitung gezahlt habe. Als die E. GmbH in 2011 erneut nicht zahlte, kündigte der örtliche Netzbetreiber fristlos, weswegen die Belieferung der Kläger mit Ablauf des 24. März 2011 endete. Über das Vermögen der E. GmbH wurde das Insolvenzverfahren eröffnet.

Die Kläger behaupten, die H. AG, die M. GmbH, die S. GmbH und die E. GmbH seien spätestens Mitte 2009 zahlungsunfähig, spätestens seit Anfang 2010 auch überschuldet gewesen.

Das Amtsgericht hat der Klage auf Schadensersatz wegen gegenleistungslos gebliebener Abschlagszahlungen auf Strom- und Gaslieferungen nebst Zinsen sowie Erstattung und Freistellung von Anwaltshonorarforderungen überwiegend stattgegeben. Das Berufungsgericht hat das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen sowie die Anschlussberufung des Klägers, mit der er weiteren Schadensersatz gefordert hat, zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstreben die Kläger im Wesentlichen die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils im Verhältnis zum Beklagten zu 1 sowie die weitergehende Verurteilung des Beklagten zu 1 auf die Anschlussberufung des Klägers hin.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kläger gegen den Beklagten zu 1 hat Erfolg.

I.

Der Senat kann über die Revision der Kläger im Verhältnis zum Beklagten zu 1 abschließend entscheiden, obwohl der Beklagte zu 2 am 10. März 2018 nach Einlegung der Revision verstorben ist und ein Prozessbevollmächtigter für ihn für die Revisionsinstanz noch nicht bestellt war. Danach ist das Verfahren im Verhältnis zu ihm gemäß § 239 Abs. 1 ZPO zwar unterbrochen (RGZ 71, 155, 158; BGH, Beschluss vom 29. Mai 1951 – IV ZR 83/50, BGHZ 2, 227, 228 f.; BFH, Beschluss vom 27. August 2008 – II R 23/06, FamRZ 2009, 113 Rn. 3 mwN; vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 1965 – V ZB 12/64, BGHZ 43, 135, 139). Der Senat hat jedoch mit Beschluss vom 8. Oktober 2019 das Verfahren gemäß § 145 Abs. 1 ZPO von Amts wegen abgetrennt, soweit es die Revision der Kläger gegen den Beklagten zu 2 betrifft. Im Verhältnis eines Klägers zu zwei Beklagten, bei denen es sich um einfache StreitgenossenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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handelt, ist auch im Revisionsverfahren eine Abtrennung zulässig (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2018 – VIII ZR 156/16, ZNER 2019, 126 Rn. 6).

II.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Eine deliktische Haftung der Kläger wegen Insolvenzverschleppung sei nicht gegeben, da im maßgeblichen Zeitraum des Vertragsabschlusses der Kläger, im Jahr 2010, keine Insolvenzantragspflicht der Beklagten mehr bestanden habe.

Die Beklagten seien 2009 nach ihrer Selbsteinschätzung von der Zahlungsunfähigkeit der H. AG ausgegangen. Die Beklagten hätten im Jahr 2009 dem Aufsichtsrat der H. AG geschrieben, dass u.a. die H. AG, die E. GmbH und die S. GmbH über die Hälfte des Stammkapitals verloren hätten oder bereits ein negatives Stammkapital aufweisen würden. In der 25. Kalenderwoche des Jahres 2009 habe man daher den Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit festgestellt. Eine positive FortführungsprognoseBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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hätten die konsultierten Wirtschaftsprüfer nicht stellen können. Auch sei ergänzend darauf hingewiesen, dass das Landgericht B. die Beklagten wegen Insolvenzverschleppung verurteilt habe. Dabei habe es das Landgericht B. ausweislich der Pressemitteilung vom 1. März 2017 als erwiesen angesehen, dass die H. AG und die E. GmbH seit Mitte 2009 bis jedenfalls Ende 2009 zahlungsunfähig gewesen seien. Für die Beklagten habe daher 2009 die Verpflichtung bestanden, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens für die H. AG zu stellen. Für den Beklagten zu 1 habe diese Verpflichtung auch für die E. GmbH bestanden. Die Beklagten hätten diese Pflichten im Jahr 2009 verletzt. Sie hätten in ihrem Schreiben vom 9. Juli 2009 selbst eine bilanzielle Überschuldung einzelner Gesellschaften angenommen und dem Aufsichtsrat schriftlich mitgeteilt.

Die Kläger seien darlegungs- und beweisbelastet dafür, dass der objektive Tatbestand einer haftungsbegründenden Insolvenzverschleppung, das heiße eine Überschuldung der E. GmbH im Jahr 2010, gegeben gewesen sei.

Der Tatbestand der Insolvenzverschleppung sei ein Dauerdelikt. Im Zeitraum des zum Schaden des Neugläubigers führenden Geschäftsabschlusses müsse der objektive Tatbestand des § 15a InsO noch vorliegen, um einen Schadensersatzanspruch des Neugläubigers zu begründen. Dabei habe der Bundesgerichtshof betont, dass die Feststellung einer Überschuldung im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit dem Neugläubiger nicht zwingend davon abhänge, dass für diesen konkreten (unterjährigen) Zeitpunkt aufgrund der noch verfügbaren Geschäftsunterlagen eine Überschuldungsbilanz aufgestellt werden könne. Sei die Insolvenzreife für einen früheren Zeitpunkt bewiesen, so gelte der Nachweis der im Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses noch andauernden Verletzung der Insolvenzantragspflicht jedenfalls bei relativ zeitnah erteilten Aufträgen als geführt, sofern der beklagte Geschäftsführer nicht seinerseits darlege, dass im Zeitpunkt der Auftragserteilung die Überschuldung nachhaltig beseitigt und damit die Antragspflicht entfallen sei.

Zwar habe ausweislich des Strafurteils des Landgerichts B. bis zum Ende des Jahres 2009 eine Insolvenzantragspflicht für die Beklagten bestanden, jedoch hätten die Beklagten unter Hinweis auf ein für das Strafverfahren erstelltes Gutachten dargelegt, dass für das Jahr 2010 die Antragspflicht wiederum entfallen sei. Auch das Landgericht B. habe die Beklagten nicht wegen Insolvenzverschleppung im Jahre 2010 verurteilt. Die Kläger seien dem nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

III.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann die Insolvenzreife der E. GmbH im Zeitpunkt der Begründung der Vertragsbeziehungen der Kläger mit der Gesellschaft im Februar und im Oktober 2010 und darauf aufbauend eine Haftung des Beklagten zu 1 wegen der Verletzung seiner Insolvenzantragspflicht nicht verneint werden.

1. Im Ausgangspunkt zutreffend hält das Berufungsgericht einen Anspruch der Kläger gegen den Beklagten zu 1 aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO für möglich, wenn dieser es als Geschäftsführer der E. GmbH trotz Insolvenzreife der Gesellschaft unterlassen hätte, einen Eröffnungsantrag zu stellen, die Kläger mit der unerkannt insolvenzreifen Gesellschaft in Vertragsbeziehungen getreten wären und für ihre Abschlagszahlungen auf Strom und Gas keine Gegenleistungen erhalten hätten. Denn der seine Insolvenzantragspflicht verletzende Geschäftsführer hat einem vertraglichen Neugläubiger den Schaden zu ersetzen, der ihm dadurch entsteht, dass er infolge des Vertragsschlusses mit der insolvenzreifen Gesellschaft im Vertrauen auf deren Solvenz dieser noch Geld- oder Sachmittel als Vorleistungen zur Verfügung stellt und dadurch Kredit gewährt, ohne einen entsprechend werthaltigen Gegenanspruch oder eine entsprechende Gegenleistung zu erlangen, oder er infolge des Vertragsschlusses Aufwendungen erbracht hat (BGH, Urteil vom 21. Oktober 2014 – II ZR 113/13, ZIP 2015, 267 Rn. 13, 14 mwN).

2. Das Berufungsurteil kann aber deshalb keinen Bestand haben, weil sich anhand der Ausführungen des Berufungsgerichts nicht ausschließen lässt, dass es neben der Zahlungsunfähigkeit der E. GmbH auch eine Überschuldung der Gesellschaft im Jahr 2009 angenommen hat. Das Berufungsgericht hätte dann in Erwägung ziehen müssen, dass eine Überschuldung im Zeitpunkt der Begründung der Vertragsbeziehungen mit der E. GmbH nicht nachhaltig beseitigt gewesen sein könnte, so dass die Überschuldung im Jahr 2010 fortbestanden hätte.

a) Allerdings macht eine einmal gegebene, inzwischen aber durch Erholung der Gesellschaft beendete Insolvenzverschleppung den Täter oder Teilnehmer nicht deshalb für alle späteren durch die Gesellschaft verursachten Schäden haftbar, weil diese bei Erfüllung der damaligen Insolvenzantragspflicht nicht eingetreten wären. Der objektive und subjektive Tatbestand einer Insolvenzverschleppung als Dauerdelikt muss zur Zeit des zum Schaden des „Neugläubigers“ führenden Geschäftsabschlusses zwischen ihm und der Gesellschaft bzw. in der zum Schaden des Vertragspartners der Gesellschaft führenden Geschäftssituation noch vorliegen (BGH, Urteil vom 25. Juli 2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50, 56; Urteil vom 5. Februar 2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 Rn. 10; Urteil vom 15. März 2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 9).

b) Zu Recht macht die Revision geltend, dass das Berufungsgericht keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob der Eröffnungsgrund der Überschuldung im Sinne des § 19 InsO im Zeitpunkt der Begründung der Vertragsbeziehungen der Kläger mit der E. GmbH nachhaltig beseitigt worden ist.

aa) Zu Gunsten der Kläger ist für die Revisionsinstanz von einer Überschuldung der E. GmbH im Sinne des § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO im Jahr 2009 auszugehen, nachdem die Feststellungen dazu im Berufungsurteil nicht eindeutig sind.

(1) Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO liegt Überschuldung vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Für das Vorliegen der objektiven Voraussetzungen der Insolvenzantragspflicht und damit auch für die Überschuldung der Gesellschaft sind die Kläger darlegungs- und beweisbelastet (vgl. BGH, Urteil vom 27. April 2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rn. 9 mwN; Urteil vom 15. März 2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 9).

Die rechnerische ÜberschuldungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
rechnerische Überschuldung
Überschuldung
ist grundsätzlich auf der Grundlage einer Überschuldungsbilanz festzustellen, in der die stillen Reserven aufzudecken und Vermögenswerte der Gesellschaft mit ihren aktuellen Liquidationswerten auszuweisen sind (vgl. BGH, Urteil vom 27. April 2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rn. 9 mwN; Beschluss vom 26. April 2010 – II ZR 60/09, ZIP 2010, 1443 Rn. 11; Urteil vom 15. März 2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 33; Urteil vom 24. September 2013 – II ZR 39/12, ZIP 2013, 2400 Rn. 28). Eine rechnerische ÜberschuldungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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kann auch aus der Indizwirkung geschlossen werden, die einer Handelsbilanz zukommen kann, wenn sich aus ihr ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag ergibt (BGH, Urteil vom 1. April 2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rn. 9 mwN; Beschluss vom 26. April 2010 – II ZR 60/09, ZIP 2010, 1443 Rn. 11; Urteil vom 15. März 2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 33; Urteil vom 24. September 2013 – II ZR 39/12, ZIP 2013, 2400 Rn. 28).

(2) Das Berufungsgericht hat sich in seinen Ausführungen mit einer Überschuldung der E. GmbH in 2009 befasst. So hat das Berufungsgericht die Angaben der Beklagten in ihrer Mitteilung an den Aufsichtsrat wiedergegeben, konsultierte Wirtschaftsprüfer hätten keine positive FortführungsprognoseBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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stellen können. Eine rechnerische ÜberschuldungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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hat es zwar nicht ausdrücklich festgestellt. Es hat aber angegeben, dass die Beklagten dem Aufsichtsrat eine bilanzielle Überschuldung einzelner Gesellschaften der T. -Gruppe, von der eine Indizwirkung für die insolvenzrechtliche Überschuldung ausgehen könnte, mitgeteilt hätten. Die Beklagten schrieben nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in ihrer Eigenschaft als Vorstandsmitglieder der H. AG im Jahre 2009 dem Aufsichtsrat, dass u.a. die H. AG, die E. GmbH und die S. GmbH über die Hälfte des Stammkapitals verloren hätten oder bereits ein negatives Stammkapital aufweisen würden und die Wirtschaftsprüfer keine positive FortführungsprognoseBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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positive Fortführungsprognose
stellen könnten. Danach kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei seinen weiteren Erörterungen zur Insolvenzreife jedenfalls auch vom Vorliegen des Eröffnungsgrunds der Überschuldung ausgegangen ist, was insbesondere seine Ausführungen in diesem Zusammenhang zur Pflicht der Beklagten, einen Insolvenzantrag im Jahr 2009 für die E. GmbH und die S. GmbH zu stellen, und zur nachhaltigen Beseitigung dieses Eröffnungsgrunds nahelegen.

bb) Das Vorliegen des Eröffnungsgrunds der Überschuldung im Jahr 2009 vorausgesetzt, kann nach den bisherigen Feststellungen nicht von einer nachhaltigen Beseitigung dieses Eröffnungsgrunds im Jahr 2010 ausgegangen werden.

(1) Das Berufungsgericht führt zutreffend aus, dass die Feststellung einer Überschuldung im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit einem Neugläubiger nicht zwingend davon abhängt, dass für diesen konkreten unterjährigen Zeitpunkt aufgrund der noch verfügbaren Geschäftsunterlagen eine Überschuldungsbilanz aufgestellt werden kann. Ist die Insolvenzreife für einen früheren Zeitpunkt bewiesen, so gilt nach der Rechtsprechung des Senats der Nachweis der im Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses noch andauernden Verletzung der Insolvenzantragspflicht jedenfalls bei relativ zeitnah erteilten Aufträgen als geführt, sofern der beklagte Geschäftsführer nicht seinerseits darlegt, dass im Zeitpunkt der Auftragserteilung die Überschuldung nachhaltig beseitigt und damit die Antragspflicht – wieder – entfallen war (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 2007 – II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060 Rn. 15; Urteil vom 15. März 2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 10). Diesen zeitlichen Zusammenhang hat der Bundesgerichtshof bei einem Zeitraum von neun Monaten bis zu einem Jahr zwischen der festgestellten Überschuldung und den nachfolgenden Geschäftsabschlüssen als gegeben angesehen (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 2007 – II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060 Rn. 15; Urteil vom 15. März 2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 10; Urteil vom 19. Juni 2012 – II ZR 243/11, ZIP 2012, 1557 Rn. 19), so dass bei festgestellter Überschuldung in 2009 der Nachweis der Überschuldung der E. GmbH im Zeitpunkt der Begründung der Vertragsbeziehungen mit den Klägern im Februar und im Oktober 2010 als geführt angesehen werden könnte.

(2) Für eine nachhaltige Beseitigung der ÜberschuldungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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der E. GmbH ist aus den bisherigen Feststellungen nichts ersichtlich.

Nach dem in der Revisionsinstanz zu unterstellenden Vortrag der Kläger hätten die Beklagten sich vielmehr im Sommer 2010, so wie auch schon zuvor im Sommer 2008 und im Sommer 2009, kurzfristige Liquidität beschafft, damit aber die Situation der T. -Gruppe langfristig weiter verschärft, indem sie für Neukunden Strompakete mit einem bestimmten Stromvolumen zur Abnahme innerhalb eines Jahres zum Festpreis bei Zahlung im Voraus angeboten hätten. Die E. GmbH habe die Erlöse für diese Strompakete in Höhe von mehr als 25 Mio. € zur Tilgung der Stromsteuerverbindlichkeiten aus den Jahren 2008 und 2009 verwendet. Die von beiden Beklagten zweifellos vorausgesehene Folge sei gewesen, dass keine Reserven bestanden hätten, um bis zum Ablauf des Jahres, innerhalb dessen der Paketstrom geliefert habe werden müssen, den Strom einzukaufen, die Netzentgelte zu zahlen und die erneut per Vorauskasse zu entrichtende Stromsteuer zu entrichten. Die Beklagten hätten zudem Strom unter dem Gestehungspreis angeboten, was zu einer weiteren Verschlimmerung dieser Situation habe führen müssen, so dass nach Art eines Schneeballsystems immer neue und immer mehr Kunden hätten geworben werden müssen, um die alten Löcher zu stopfen. Die Kläger hätten darüber hinaus darauf hingewiesen, dass die Beklagten diesen Vortrag nicht bestritten hätten. Die Kläger hätten ferner vorgetragen, dass sich die Situation der T. -Gesellschaften im Jahre 2010 nicht verbessert habe, sondern im Gegenteil immer bedrohlicher geworden sei und immer weitere Botschaften von Wirtschaftsprüfern und Rechtsanwälten eingegangen seien, nach denen Zahlungsunfähigkeit bestanden oder zumindest gedroht habe, ja dass sogar das weitere Schließen von Liquiditätslücken durch das erneute Auflegen von Saisonpaketen zur Abwendung einer Zahlungsunfähigkeit nicht ausreichend sei, sondern vielmehr als strafrechtlich relevantes Schneeballsystem zu qualifizieren sei.

Dieses Vorbringen spricht gegen eine Verbesserung der Vermögenslage der E. GmbH im Jahr 2010 bei unterstellter Überschuldung im Jahr 2009. Zudem legt die Behauptung, die Beklagten hätten die Geschäfte der E. GmbH in der Art eines Schneeballsystems geführt, drohende ZahlungsunfähigkeitBitte wählen Sie ein Schlagwort:
drohende Zahlungsunfähigkeit
Zahlungsunfähigkeit
nahe (vgl. BGH, Urteil vom 8. Januar 2015 – IX ZR 198/13, ZIP 2015, 279 Rn. 14). Der Eröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 18 InsO begründet zwar keine Insolvenzantragspflicht für den Geschäftsführer einer GmbH nach § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO, so dass auf diesen Eröffnungsgrund eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO nicht gestützt werden kann. Die drohende ZahlungsunfähigkeitBitte wählen Sie ein Schlagwort:
drohende Zahlungsunfähigkeit
Zahlungsunfähigkeit
schließt aber objektiv eine positive Fortbestehensprognose der Gesellschaft im Sinne des § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO aus.

(3) Soweit das Berufungsgericht annimmt, dass die Beklagten unter Vorlage eines für das Strafverfahren erstellten Gutachtens dargelegt haben, dass die Insolvenzantragspflicht im Jahr 2010 wieder entfallen war, bezieht sich dies auf den Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 InsO, der dem vor dem Landgericht B. geführten Strafverfahren gegen die Beschuldigten zugrunde lag.

IV.

Die Berufungsentscheidung ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, weil sie noch nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1 Satz 1 und 3 ZPO). Das Berufungsgericht wird sich, gegebenenfalls nach ergänzendem Vortrag der Parteien, damit befassen müssen, ob die E. GmbH im Zeitpunkt der Begründung der Vertragsbeziehungen mit den Klägern überschuldet im Sinne des § 19 InsO war.

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