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BGH, Urteil vom 2. Juni 2008 – II ZR 210/06

§ 276 BGB, § 311 Abs 2 Nr 2 BGB, § 311 Abs 3 BGB, § 13 VerkaufsprospektG vom 09.09.1998

Treten organschaftliche Vertreter einer kapitalsuchenden Gesellschaft Anlageinteressenten persönlich mit dem Anspruch gegenüber, sie über die für eine Anlageentscheidung wesentlichen Umstände zu informieren, so haften sie für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit ihrer Angaben nach den Grundsätzen des Verschuldens bei Vertragsschluss (c.i.c.).

Entgegen der Ansicht der Revision kommt es auf die in Einzelheiten umstrittenen und in Rechtsprechung und Schrifttum noch nicht abschließend geklärten Kriterien des Prospektbegriffs (vgl. dazu Assmann in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts 3. Aufl. § 6 Rdn. 66 ff.; Ehricke in Hopt/Voigt, Prospekt- und Kapitalmarktinformationshaftung S. 195 ff.; Siol in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch 3. Aufl. § 45 Rdn. 47 ff.) hier nicht an. Die Beklagten trifft nicht nur eine „Prospekthaftung i.e.S.“ nach den Grundsätzen, welche an ein typisiertes Vertrauen des Anlegers auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der von den Prospektverantwortlichen gemachten Angaben anknüpfen (vgl. dazu BGHZ 71, 284 u. st. Rspr.). Das hat auch das Berufungsgericht nicht richtig erfasst. Denn abgesehen davon, dass die von dem Berufungsgericht als haftungsbegründend unrichtig angesehenen Angaben der Beklagten anhand des bei der Präsentation gezeigten Businessplans gar nicht in der „Equity-Story“ als etwaigem Prospekt enthalten waren und daher schwerlich eine „Prospekthaftung“ auslösen konnten, haben die Beklagten im Rahmen der von ihnen als Vorständen der S-AG selbst geleiteten, dreistündigen Informationsveranstaltung nicht nur das durch einen Prospekt vermittelte und sie als etwaige Prospektverantwortliche treffende typisierte Vertrauen, sondern ein darüber hinausgehendes persönliches Vertrauen der potentiellen Anleger auf die Richtigkeit und Vollständigkeit ihrer Informationen über das Anlageobjekt in Anspruch genommen. Die Beklagten haften deshalb jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen (c.i.c.).

Die Verpflichtungen aus dem durch die Anbahnung von Vertragsverhandlungen eines Vertreters begründeten gesetzlichen Schuldverhältnis treffen zwar grundsätzlich den Vertretenen. Anders ist es aber und war es auch schon vor Inkrafttreten des § 311 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 BGB, wenn der Vertreter in besonderem Maße persönliches Vertrauen in Anspruch genommen und der Verhandlungsgegner ihm das auch entgegengebracht hat. Dann muss der Vertreter selbst für die Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten einstehen (vgl. BGHZ 56, 81, 83; 74, 103, 108). Der erkennende Senat hat diesen allgemeinen – normalerweise auf Erklärungen im Vorfeld einer Garantiezusage des Vertreters zugeschnittenen (vgl. BGHZ 126, 181, 189 m.Nachw.) – Grundsatz für den Bereich der bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung i.e.S. dahin weiterentwickelt, dass Grundlage einer derartigen Vertrauenshaftung nicht nur das von einem bestimmten Menschen ausgehende persönliche, sondern auch ein typisiertes Vertrauen sein kann, das sich aus einer Garantenstellung der für die Geschicke der kapitalsuchenden Gesellschaft und damit ggf. auch für die Herausgabe eines Anlageprospekts verantwortlichen Personen herleitet. Zu diesen gehören insbesondere die Initiatoren, Gründer und Gestalter der Gesellschaft, soweit sie das Management bilden oder beherrschen (BGHZ 71, 284, 287 ff.; 72, 284, 287; 79, 337, 340 f.; 83, 222, 223 f.; 123, 106, 109 f.). Von ihnen darf ein Anlageinteressent erwarten, dass sie den Prospekt mit der erforderlichen Sorgfalt geprüft haben und ihn über alle Umstände informieren werden, die für seine Anlageentscheidung von wesentlicher Bedeutung sind (BGHZ 71, 284, 287 f.). Eine daran anknüpfende Haftung der genannten Garanten und Vertrauensadressaten setzt – abweichend von den sonst für die Vertrauenshaftung geltenden Regeln – nicht voraus, dass sie mit dem Anlageinteressenten bei der Vertragsanbahnung in sozialen Kontakt getreten oder ihm auch nur namentlich bekannt geworden sind; als Anknüpfungspunkt für die sie persönlich treffende Vertrauenshaftung genügt ihre Garantenstellung (vgl. BGHZ 79, 337, 342; 83, 222, 224). Entsprechende Grundsätze hat der Senat (BGHZ 123, 106) auch bei Verwendung von Prospekten angewandt, mit denen für den Erwerb von Aktien außerhalb der geregelten Aktienmärkte geworben wird.

Vermag sonach schon ein durch einen Prospekt vermitteltes, typisiertes und anonymes Vertrauen des Anlageinteressenten eine persönliche HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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der genannten Garanten bzw. Vertrauensadressaten für unrichtige oder unvollständige Informationen über das Anlageobjekt zu begründen, so muss das erst recht und in höherem Maße dann gelten, wenn solche Garanten – wie hier die Beklagten als Vorstände der S-AG – einem oder mehreren Anlegern bei Anbahnung des Vertrages persönlich gegenübertreten und etwa einen Prospekt oder sonstige Unterlagen mit der Autorität ihres Amtes und ihrer besonderen Sachkunde des Anlageobjekts erläutern oder dazu ergänzende Angaben machen (vgl. auch MünchKommBGB/Emmerich, 5. Aufl. § 311 Rdn. 210). Es wäre völlig ungereimt, wenn sie in solchem Fall nur für Prospektmängel, nicht aber für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit ihrer zusätzlichen Angaben nach vorvertraglichen Grundsätzen als Vertreter oder Sachwalter der Anlagegesellschaft haften müssten. So, wie ein Prospektverantwortlicher eine Haftung für Unrichtigkeiten eines Prospekts durch Prospektberichtigung oder auch durch entsprechende mündliche Hinweise gegenüber den Anlegern vor Abschluss des Vertrages vermeiden kann (vgl. zur Prospektberichtigungspflicht BGHZ 71, 284, 291; 123, 106, 110; Sen.Urt. v. 15. Dezember 2003 – II ZR 244/01, ZIP 2004, 312; v. 3. Dezember 2007 – II ZR 21/06, ZIP 2008, 412 f. Tz. 7; Kiethe, ZIP 2000, 216, 218 zu II 1.3; vgl. auch § 11 VerkProspG a.F. sowie nunmehr § 16 WpPG für Wertpapieremissionen), so sind umgekehrt einem aufklärungspflichtigen Garanten unmittelbar gegenüber Anlegern erteilte mündliche Informationen unrichtigen oder unvollständigen Inhalts als ein Verschulden bei Vertragsschluss (c.i.c.) persönlich anzulasten. Dies rechtfertigt sich daraus, dass er in solchem Fall als aufklärungspflichtiger Garant nicht nur ein typisiertes und für eine persönliche HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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bereits ausreichendes, sondern ein darüber hinausgehendes, im Vergleich dazu „besonderes“, persönliches Vertrauen der Anleger in Anspruch genommen hat.

Schlagworte: Anlageberatung und Prospekthaftung, Haftung aus Inanspruchnahme typisierten Vertrauens, Haftung aus Verschulden bei Vertragsschluss, Publikumsgesellschaft, Publikumspersonengesellschaft