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BGH, Urteil vom 25. Februar 1965 – II ZR 287/63

GmbHG §§ 45, 47

a) Der Gesellschaftsvertrag der GmbH kann Befugnisse der Gesellschafterversammlung einem „Schiedsgericht“ übertragen. Ein solches Schiedsgericht wird nicht nach Maßgabe der §§ 1025 ff. ZPO tätig. Seine Entscheidungen unterliegen wie Gesellschafterbeschlüsse der Nichtigkeitsklage und Anfechtungsklage. Die Einstimmigkeit des Schiedsspruchs schließt die Anfechtungsklage nicht aus.

b) Ein Gesellschafter, der einen Gesellschafterbeschluss mit der Nichtigkeitsklage und (oder) Anfechtungsklage angegriffen hat, kann den Rechtsstreit grundsätzlich auch nach Veräußerung seines Geschäftsanteils fortsetzen.

c) Bei Gesamtgeschäftsführungsbefugnis müssen Geschäftsführer ihre Entscheidungen einstimmig fällen. Bei Einzelgeschäftsführungsbefugnis kann jeder Geschäftsführer  der Entscheidung eines anderen Geschäftsführers entsprechend § 115 HGB widersprechen,  soweit nicht durch Gesellschaftsvertrag  oder Gesellschafterbeschluss  eine andere Regelung getroffen worden ist.

Entscheidungsgründe

I. Das von den Gesellschaftern der beklagten GmbH vorgesehene Schiedsgericht ist ein Gesellschaftsorgan. Das folgt daraus, daß es in die Organisation der Gesellschaft eingebaut ist und in gesellschaftlichen Angelegenheiten entscheiden soll, falls die in der „Vereinbarung” v. 9. 4. 1953 verlangte Einstimmigkeit in der Gesellschafterversammlung nicht erzielt werden kann.

1. Diese „Vereinbarung” ist Bestandteil der Satzungsänderung v. 9. 4. 1953 und als solche durch Eintragung ins Handelsregister wirksam geworden. Sie ist in Wirklichkeit ein Gesellschafterbeschluß. Der ausdrücklichen Eintragung ins Handelsregister bedurfte sie nicht, da sie nicht die Vertretungsbefugnis betrifft und darum zur Registereintragung der Satzungsänderung die Bezugnahme auf die beim Registergericht eingereichten Urkunden genügte (§ 54 Abs. 2 GmbHG).

Vom Zeitpunkt der Registereintragung ab galten zwei verschiedene Satzungsfassungen, von denen die eine nur für eine bestimmte Zeit und die andere nach Ablauf dieser Zeit gelten sollte. Das zu bestimmen, steht den Gesellschaftern einer GmbH frei.

2. Es ist zulässig, daß die Gesellschafter Befugnisse der Gesellschafterversammlung einem anderen Organ zuweisen. Das folgt aus der gesellschaftlichen Selbstverwaltung, der § 45 Abs. 2 GmbHG weitesten Spielraum läßt. Hierin sind sich Rechtsprechung (RGZ 137,RGZ Band 137 Seite 305, RGZ Band 137 Seite 308/RGZ Band 137 Seite 9; BGH, Betr. 61, DB Jahr 1961 Seite 468) und Literatur einig (Schmidt in Hachenburg, GmbHG, § 45 Anm. 50-52; Scholz, GmbHG, § 45 Anm. 1, § 46 Anm. 1).

Ausgenommen sind hiervon nur die Aufgaben, die der Gesellschafterversammlung zwingend zugewiesen sind (Beispiel: Satzungsänderung) oder Aufgaben, die das damit betraute Organ der Sache nach nicht wahrnehmen kann (Beispiel: Dem Geschäftsführer ist seine eigene Entlastung oder Abberufung übertragen).

Die Revision beruft sich auf Baumbach-Hueck (AktG Anm. 1 C vor § 70) dafür, daß der Gesellschafterversammlung nicht das geringste von ihren Rechten und Pflichten von einem besonders eingesetzten Organ abgenommen werden könne. Dieses Zitat besagt das zwar für den Vorstand, den Aufsichtsrat und die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft, paßt aber nicht für die der Gesellschafterversammlung einer GmbH dispositiv übertragenen Aufgaben.

3. Die Wirkung des Schiedsspruchs eines als Gesellschaftsorgan tätigen Schiedsgerichts hängt nicht wie die Vollstreckungswirkung eines auf Grund der §§ 1025 ff. ZPO ergangenen Schiedsspruchs davon ab, daß er niedergelegt und für vollstreckbar erklärt ist (§ 1039, § 1042 Abs. 1, § 794 Abs. 1 Nr. 4 a ZPO), sondern tritt mit seiner Verlautbarung ein, da ein solches Schiedsgericht an Stelle des sonst berufenen Gesellschaftsorgans tätig wird.

4. Aus diesem Grunde ist auch nicht die Aufhebungsklage (§ 1041 ZPO), sondern entweder, nämlich wenn entsprechende Akte des sonst zuständigen Gesellschaftsorgans (z.B. Aufsichtsratsbeschlüsse) nicht anfechtbar sind, überhaupt nicht oder, wenn der Schiedsspruch einen Beschluß der Gesellschafterversammlung ersetzt oder vervollständigt, mit der Nichtigkeits- oder mit der Anfechtungsklage angreifbar (Schmidt, aaO, § 45 Anm. 52, § 46 Anm. 13; Scholz, § 42 Anm. 21, § 45 Anm. 1). So liegt es hier.

II. Solange die Kläger Gesellschafter der GmbH waren, fehlte ihnen entgegen der Ansicht der Beklagten weder das Feststellungsinteresse für die Nichtigkeitsklage noch das Rechtsschutzinteresse für die Anfechtungsklage.

1. Die Nichtigkeitsklage eines Gesellschafters erfordert keinen besonderen Nachweis des Feststellungsinteresses. Denn das Interesse des Gesellschafters an der Nichtigkeit eines Gesellschafterbeschlusses ergibt sich aus seiner Zugehörigkeit zur Gesellschaft.

2. Die Anfechtungsklage steht dem Gesellschafter auch dann zu, wenn er kein persönliches Interesse an der Vernichtung des angefochtenen Beschlusses hat. Dies zeigt sich daran, daß das ihr stattgebende Urteil für und gegen alle Gesellschafter wirkt (§ 200 Abs. 1 AktG). Jeder Gesellschafter hat ein Recht darauf, daß die Gesellschafterversammlung nur solche Beschlüsse faßt, die mit Gesetz und Gesellschaftsvertrag in Einklang stehen. Dies durchzusetzen, ist Aufgabe des Anfechtungsrechts. Ein Gesellschafter, der einen Gesellschafterbeschluß anficht, braucht darum kein besonderes Rechtsschutzinteresse darzutun (RGZ 77, RGZ Band 77 Seite 255, RGZ Band 77 Seite 257; 145, RGZ Band 145 Seite 336, RGZ Band 145 Seite 338; 146, RGZ Band 146 Seite 385, RGZ Band 146 Seite 395; BGH, WM 64, WM Jahr 1964 Seite 1188, WM Jahr 1964 Seite 1191).

III. Es fragt sich, ob die Kläger nach Aufgabe ihrer Mitgliedschaft noch ein rechtliches Interesse an der Fortsetzung des Rechtsstreits haben. Das hängt mit der Frage zusammen, ob die Kläger nach Veräußerung ihrer Geschäftsanteile noch das Prozeßführungsrecht haben. Rechtsschutzbedürfnis und Prozeßführungsbefugnis sind Prozeßvoraussetzungen. Sie sind auch in der Revisionsinstanz zu prüfen, mag auch die Fortdauer der Anfechtungsberechtigung zugleich die Aktivlegitimation und damit die materielle Berechtigung der Klage betreffen.

Auch im Aktienrecht stellt sich die Frage, ob der Nichtigkeits- und (oder) Anfechtungskläger das Prozeßführungsrecht dadurch verliert, daß er seine Gesellschafterstellung während der Dauer des Rechtsstreits aufgibt oder verliert. Sie wird vom aktienrechtlichen Schrifttum einhellig bejaht (Schilling in Großkomm. AktG § 198 Anm. 6; von Godin-Wilhelmi, AktG § 198 II 1; Schlegelberger-Quassowski, AktG § 198 Anm. 2; Baumbach-Hueck, AktG § 198 Anm. 2 A; Teichmann-Koehler, AktG § 198 Anm. 1 b). Von dieser Auffassung geht auch das RG in seinem Urteil v. 13. 5. 1907 – I 35/06 – (RGZ 66, RGZ Band 66 Seite 134) aus. Es meint, dieser Standpunkt könne wegen der grundlegenden Verschiedenheit von Aktiengesellschaft und Genossenschaft aber nicht ins Genossenschaftsrecht übernommen werden. Grundsätzlich dauere die Anfechtungsbefugnis des ausgeschiedenen Genossen fort. Eine Ausnahme sei nur für den Fall zu machen, daß der Anfechtungskläger kein Interesse mehr an der Vernichtung des angefochtenen Generalversammlungsbeschlusses habe (RGZ, 66, 134, 138; 119, 97, 99).

Dasselbe muß auch gelten, wenn ein GmbH-Gesellschafter, der einen Gesellschafterbeschluß mit der Nichtigkeits- und (oder) Anfechtungsklage angreift, seinen Geschäftsanteil veräußert.

Mit der Veräußerung des Geschäftsanteils geht das Anfechtungsrecht auf den Erwerber über. Es kann nicht dem Veräußerer verbleiben, da es wie alle Herrschafts-(Verwaltungs-)Rechte eines GmbH-Gesellschafters nicht von der Mitgliedschaft ablösbar ist. Der BGH hat bereits mehrfach ausgesprochen, daß bei OHG und KG das Stimmrecht des Gesellschafters nicht losgelöst vom Gesellschaftsanteil übertragen werden kann (BGHZ 3, BGHZ Band 3 Seite 354 = NJW 52, NJW Jahr 1952 Seite 178; BGHZ 20, BGHZ Band 20 Seite 363 = NJW 56, NJW Jahr 1956 Seite 1198; BGH, LM Nr. 6 zu § 105 HGB). Er hat dies aus der Gesamthandsbeteiligung hergeleitet. Für die Verwaltungsrechte des Gesellschafters einer GmbH kann nichts anderes gelten. Das folgt bei einer juristischen Person jedoch aus der Einheitlichkeit der Mitgliedschaft.

Der Senat hat in seinem Urteil v. 11. 2. 1960 – II ZR 198/59 – (LM Nr. 7 zu § 265 ZPO = NJW 60, NJW Jahr 1960 Seite 964) den Standpunkt vertreten, daß ein Kommanditist, der einen gesellschaftsvertraglichen Anspruch gegen seinen Mitgesellschafter gerichtlich geltend macht, diesen Anspruch auch nach Abtretung seines Gesellschaftsanteils an einen Dritten weiterverfolgen kann (§ 265 ZPO). Ganz entsprechend ist zu entscheiden, wenn ein GmbH-Gesellschafter, der einen Gesellschafterbeschluß mit der Nichtigkeits- und (oder) Anfechtungsklage angegriffen hat, seine Gesellschafterstellung während der Dauer des Prozesses aufgibt oder verliert.

Sowohl das Anfechtungsrecht wie das Recht, ohne persönliches Interesse die Nichtigkeit eines Gesellschafterbeschlusses feststellen zu lassen, ist Ausfluß des Mitgliedschaftsrechts. Daher findet auf die Abtretung des Geschäftsanteils des Nichtigkeits- und Anfechtungsklägers die Vorschrift des § 265 ZPO Anwendung (Schmidt in Hachenburg, GmbHG § 45 Anm. 21 a). Dies bedeutet, daß die Abtretung des Geschäftsanteils auf den Prozeß keinen Einfluß hat (§ 265 Abs. 2 ZPO).

Die zu erlassende Entscheidung muß aber der Veränderung der materiellen Rechtslage Rechnung tragen (Relevanz-Theorie), da ihr grundsätzlich der Sachstand am Schluß der mündlichen Verhandlung zugrunde zu legen ist. Die Kläger sind nicht mehr Gesellschafter. Sie können daher das Feststellungs- und Rechtsschutzinteresse nicht mehr aus der Gesellschafterstellung herleiten. Gleichwohl sind sie berechtigt, den Rechtsstreit fortzusetzen.

Sie haben behauptet, ihnen seien bei der Veräußerung ihrer Geschäftsanteile alle Rechte vorbehalten worden. Das kann nicht, wie die Beklagte meint, dahin verstanden werden, den Klägern habe für die Nichtigkeitsklage noch ein Rest der Mitgliedsstellung und für die Anfechtungsklage das Anfechtungsrecht vorbehalten bleiben sollen. Denn die Herrschafts-(Verwaltungs-)Rechte eines GmbH-Gesellschafters können nicht von der Mitgliedschaft abgespalten werden und ein vom Mitgliedschaftsrecht unabhängiges Schicksal haben.

Der Vorbehalt kann vielmehr nur bedeuten, daß den Klägern die wirtschaftlichen Vorteile verbleiben sollen, die sie sich aus den anhängigen Prozessen versprechen. Im vorliegenden Fall ist dabei an einen Schadensersatzanspruch zu denken. Ist der Schiedsspruch v. 5. 5. 1962 nichtig oder anfechtbar, so deckte er die Annahme des finanzamtlichen Vergleichsvorschlags so wenig, wie das ein nichtiger oder anfechtbarer Gesellschafterbeschluß getan hätte (vgl. Baumbach-Hueck, AktG § 200 Anm. 20). Aus der Annahme dieses Vergleichsvorschlags kann den Klägern ein Schaden erwachsen sein. Die schuldhafte Verletzung der Geschäftsführerpflichten führt allerdings regelmäßig nur zu einem Schadensersatzanspruch der Gesellschaft (§ 43 GmbHG). Ein Schadensersatzanspruch der Gesellschafter ist aber nicht ausgeschlossen (Scholz, GmbHG § 43 Anm. 18, 19). Wenn die Annahme des finanzamtlichen Vergleichsvorschlags zu einem Schaden geführt hat, so hat er in erster Linie die Gesellschaft getroffen. Er könnte sich aber auch auf den Erlös ausgewirkt haben, den die Kläger bei der Veräußerung ihrer Geschäftsanteile erzielt haben. Die bloße Möglichkeit eines Schadensersatzanspruchs und die Behauptung, den Klägern seien bei der Aufgabe ihrer Gesellschafterstellung alle Rechte aus den anhängigen Prozessen vorbehalten worden, reichen aus, um darzutun, daß sie auch nach ihrem Ausscheiden aus der Gesellschaft noch ein rechtliches Interesse an der Fortsetzung des Rechtsstreits haben.

Schlagworte: Abspaltung des Stimmrechts vom Mitgliedschaftsrecht, Aktivlegitimation, Aktivlegitimation des Gesellschafters, Anfechtungsklage im Sinne der §§ 243 ff AktG, Anfechtungsklage nach § 245 AktG analog, Ausübung des Stimmrechts, Beginn des Fristlaufs, Beseitigung eines gesetzeswidrigen oder satzungswidrigen Gesellschafterbeschlusses, Fristbeginn bei Beiratsbeschlüssen, Gesamt- und Einzelgeschäftsführungsbefugnis, Gesellschafter der Gesellschaft als Kläger, Gesellschafterliste bei Übertragungsvorgängen, Keine persönliche Betroffenheit des klagenden Gesellschafters, Nichtigkeitsklage nach § 249 Abs. 1 Satz 1 AktG analog, Rechtsmissbrauch sowie Treuepflichtverletzung bei Anfechtungsklage, Stimmabgabe, Übertragung von Vermögens- und Verwaltungsrechten, Zeitpunkt der Klageerhebung, Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, ZPO § 265 Abs. 2