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BGH, Urteil vom 27. September 2011 – II ZR 279/09

BGB §§ 133, 157; GmbHG § 3

Bei der Auslegung der Bestimmungen über die Abfindung eines ausscheidenden Gesellschafters im Gesellschaftsvertrag einer GmbH ist zu berücksichtigen, dass die am Gesellschaftsvertrag beteiligten Personen im Zweifel eine auf Dauer wirksame und die Gesellschafter gleichbehandelnde Berechnung der Abfindung gewollt haben.

Das Recht eines Gesellschafters, bei Ausscheiden aus der Gesellschaft eine Abfindung zu erhalten, gehört zu seinen Grundmitgliedsrechten. Da es die gegenwärtigen und künftigen Gesellschafter betrifft und auch für Gesellschaftsgläubiger von Bedeutung ist, kommt ihm körperschaftsrechtlicher Charakter zu. Die Auslegung von Abfindungsregeln ist daher anhand objektiver Umstände vorzunehmen und unterliegt der freien Nachprüfung durch das Revisionsgericht (BGH, Urteil vom 16. Dezember 1991  II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 364).

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts durfte nicht offen bleiben, ob die nach § 12 Abs. 1 GV

„(1) Ein nach § 11 der Satzung ausscheidender Gesellschafter wird für seine Ansprüche in Geld abgefunden. Die Abfindung des ausscheidenden Gesellschafters besteht in einem nach dem Verhältnis der Stammeinlagen zu berechnenden Anteil am nominellen Eigenkapital der Gesellschaft im Sinne von § 266 Abs. 3 lit. A HGB i. V. m. § 272 HGB, soweit dies gesetzlich zulässig ist. Maßgebend ist das nominelle Eigenkapital am letzten Bilanzstichtag vor dem Ausscheiden des betreffenden Gesellschafters.

(2) In den Fällen, in denen die Anwendbarkeit der Bestimmung des Absatzes 1 Satz 2 gesetzlich nicht zulässig ist, bemisst sich die Abfindung des ausscheidenden Gesellschafters nach dem gemeinen Wert seines Anteils, der sich unter Anwendung des sog. Stuttgarter Verfahrens nach den Bestimmungen der Abschnitte 76 f Vermögenssteuerrichtlinien zum letzten vor dem Ausscheiden liegenden Bilanzstichtag errechnet.“

bemessene Abfindung in einem groben Missverhältnis zum Verkehrswert des Anteils des Klägers im Zeitpunkt seines Ausscheidens aus der Beklagten steht. Denn der Gesellschaftsvertrag der Beklagten ist dahin auszulegen, dass in diesem Fall die Regelung des § 12 Abs. 2 GV zur Anwendung kommen soll.

Der zweite Absatz des § 12 GV ist, wie sich aus der Regelung in einem Paragrafen und dem einleitenden Wortlaut des Absatzes „In den Fällen, in denen die Anwendbarkeit der Bestimmung des Absatzes 1 Satz 2 gesetzlich nicht zulässig ist“ ergibt, als Auffangtatbestand konzipiert. Er erfasst aber nicht nur  wie das Berufungsgericht wohl meint  den Fall, dass sich die Bemessung der Abfindung nach Absatz 1 von Anfang an als unzulässig erweist. Absatz 2 soll vielmehr eine Berechnungsmöglichkeit für alle Fälle bieten, in denen sich die nach Absatz 1 berechnete Abfindung im Einzelfall als gesetzlich unzulässig erweist und zwar unabhängig davon, ob die Abfindung zum Nominalwert von Anfang an sittenwidrig zu gering ist oder ob sie aufgrund der Geschäftsentwicklung der Beklagten mit der Zeit in gesetzwidriger Weise unangemessen wird. Für diese Auslegung spricht die in beiden Absätzen verwendete Formulierung „gesetzlich zulässig“, in der eine dauerhafte Verknüpfung der Abfindungsalternativen zum Ausdruck kommt. Nach § 12 Abs. 1 Satz 2 GV erhält der ausscheidende Gesellschafter eine nach dem Verhältnis seiner Stammeinlage am nominellen Eigenkapital der Gesellschaft berechnete Abfindung, soweit dies gesetzlich zulässig ist. In den Fällen, in denen die so berechnete Abfindung gesetzlich nicht zulässig ist, ordnet § 12 Abs. 2 GV eine Abfindung nach dem Stuttgarter Verfahren an. Die aufeinander bezogenen Bestimmungen der Absätze 1 und 2 des § 12 GV stellen ersichtlich eine einheitliche Regelung der Abfindung dar, die als Gesamtregelung rechtlich unbedenklich ist, so dass schon aus diesem Grunde eine entsprechende Anwendung von § 242 Abs. 2 AktG nicht in Betracht kommt. Dadurch, dass das Berufungsgericht den Anwendungsbereich des § 12 Abs. 2 GV nur dann eröffnet sieht, wenn sich die Regelung in Absatz 1 isoliert betrachtet und von Anfang an in jedem Fall als gesetzlich unzulässig erweist, haftet es in unzulässiger Weise zu sehr am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks „Anwendbarkeit der Bestimmung des Absatzes 1 Satz 2“ und verkennt die Verknüpfung der beiden Absätze zu einer einheitlichen Regelung der Bemessung der Abfindung des ausscheidenden Gesellschafters.

Der Auslegung des Berufungsgerichts steht weiter entgegen, dass sie zu einer unpraktikablen Abfindungsregelung und zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung ausscheidender Gesellschafter führt. Der ausscheidende Gesellschafter wird bei Anwendung des vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Verständnisses der Abfindungsregelung entweder mit einem sittenwidrig zu geringen, einem nach allgemeinen Bedingungen angemessenen oder einem nach dem Stuttgarter Verfahren berechneten Betrag abgefunden, je nachdem, wie sich zum Zeitpunkt seines Ausscheidens die Geschäftsentwicklung des Unternehmens der Beklagten darstellt.

Wäre die Abfindung nach § 12 Abs. 1 GV bereits bei Errichtung der Satzung oder im Zeitpunkt ihrer Neufassung sittenwidrig gewesen, wäre die Satzungsbestimmung entsprechend § 241 Nr. 4 AktG oder nach § 138 BGB nichtig. Der Gesellschafter ist dann grundsätzlich zum vollen wirtschaftlichen Wert seines Geschäftsanteils (Verkehrswert) abzufinden (vgl. nur BGH, Urteil vom 16. Dezember 1991  II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 368 f.; MünchKomm-GmbHG/Strohn, § 34 Rn. 236 f.). Nach der Auslegung des Berufungsgerichts erhält ein ausscheidender Gesellschafter aber immer dann eine sittenwidrig zu niedrige Abfindung, wenn er später als drei Jahre nach Eintragung der  unterstellt  sittenwidrigen Satzungsbestimmung ins Handelsregister aus der Gesellschaft ausscheidet und die Nichtigkeit bis dahin nicht geltend gemacht hat (§ 242 Abs. 2 AktG; zur Anwendbarkeit BGH, Urteil vom 16. Dezember 1991  II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 368; Urteil vom 19. Juni 2000  II ZR 73/99, BGHZ 144, 365, 368). Scheidet der Gesellschafter bereits nach zwei Jahren aus, erhält er eine Abfindung nach § 12 Abs. 2 GV nach dem Stuttgarter Verfahren.

Anders ist die Lage, wenn der nach § 12 Abs. 1 GV zu bestimmende Abfindungsbetrag und der wirkliche Wert des Geschäftsanteils nicht von Anfang an, sondern erst infolge der Geschäftsentwicklung der Gesellschaft auseinander fallen. Ist in diesem Fall der Abfindungsbetrag unangemessen gering, kann die Abfindungsregelung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung an die neuen Verhältnisse angepasst werden (vgl. BGH, Urteil vom 20. September 1993  II ZR 104/92, BGHZ 123, 281, 284 f.; Urteil vom 19. Juni 2000  II ZR 73/99, BGHZ 144, 365, 369; Urteil vom 24. Mai 1993  II ZR 36/92, ZIP 1993, 1160, 1161; MünchKomm-GmbHG/Strohn, § 34 Rn. 241). Weil die Abfindungsregelung nicht nach § 12 Abs. 1 GV unwirksam ist, käme § 12 Abs. 2 GV nicht zur Anwendung.

Im Zweifel haben die am Gesellschaftsvertrag beteiligten Personen aber etwas Vernünftiges gewollt, nämlich eine auf Dauer wirksame und die Gesellschafter gleichbehandelnde Berechnung der Abfindung. Die Regelung baut nicht auf der Nichtigkeit wegen gesetzlicher Unzulässigkeit von § 12 Abs. 1 GV auf, sondern auf der Unanwendbarkeit der grundsätzlich vereinbarten, aber im konkreten Fall gesetzlich nicht zulässigen Berechnungsmethode. Immer dann, wenn sich die nach § 12 Abs. 1 GV berechnete Abfindung zum Nominalwert nach den soeben dargestellten Grundsätzen der Senatsrechtsprechung im Zeitpunkt der Abfindung als unzulässig erweist, hat der Gesellschafter Anspruch auf eine Abfindung nach § 12 Abs. 2 GV nach dem Stuttgarter Verfahren. Bei einem solchen Verständnis kann flexibel auf Schwankungen im Wert des Geschäftsanteils reagiert werden und es wird der Gleichbehandlung aller Gesellschafter Rechnung getragen, die unabhängig vom Zeitpunkt ihres Ausscheidens nach den gleichen Grundsätzen abgefunden werden.

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