§ 138 Abs 1 BGB, Art 12 Abs 1 GG
Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung klargestellt, daß die Grundrechte nicht nur Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat sind, sondern auch als objektive Normen ein Wertsystem statuieren, das als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts Geltung beansprucht (BVerfGE 7, 198, 205; 35, 79, 114; 42, 143, 148). Dieses Wertsystem beeinflußt auch das bürgerliche Recht; keine bürgerlichrechtliche Vorschrift darf in Widerspruch zu ihm stehen, jede muß in seinem Geiste ausgelegt werden (BVerfGE 7, 198, 205). Der Einfluß grundrechtlicher Wertmaßstäbe wird sich vor allem bei denjenigen Vorschriften des Privatrechts geltend machen, die zwingendes Recht enthalten und so einen Teil des ordre public – im weiten Sinne – bilden, d.h. der Prinzipien, die aus Gründen des gemeinen Wohls auch für die Gestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen den einzelnen verbindlich sein sollen und deshalb der Herrschaft des Privatwillens entzogen sind. Der Rechtsprechung bieten sich zur Realisierung dieses Einflusses vor allem die „Generalklauseln“, die zur Beurteilung menschlichen Verhaltens auf Maßstäbe wie die „guten Sitten“ verweisen (BVerfGE 7, 198, 206).
Der Bundesgerichtshof geht demgemäß in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß der Wertordnung des Grundgesetzes, wie sie insbesondere in den Grundrechten niedergelegt ist, bei der Auslegung einfachrechtlicher Normen, insbesondere der „Generalklauseln“, wesentliche Bedeutung zukommt (vgl. z.B. BGHZ 13, 334, 338; 20, 345, 351 f.; 24, 72, 76 ff.; 26, 349, 353; 70, 313, 324; BGH, Urt. v. 26. April 1972 – IV ZR 18/71, NJW 1972, 1414, 1415). Dies gilt auch für das Verständnis dessen, was heute unter „guten Sitten“ im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB zu verstehen ist (BGHZ 70, 313, 324; BGH, Urt. v. 26. April 1972 – IV ZR 18/71 aaO.). Daraus folgt, daß die in dem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) zum Ausdruck kommende Wertentscheidung des Grundgesetzes für die Freiheit des Berufes bei der Prüfung der Frage, ob Verträge, durch die sich ein Vertragspartner verpflichtet, seinen Beruf auf Zeit oder sogar auf Dauer aufzugeben, gegen die guten Sitten verstoßen, hinreichend beachtet werden muß (BGHZ 91, 1, 6 f. m.w.N.; noch offen gelassen in BGHZ 36, 91, 95).
Nach der Wertentscheidung des Art. 12 Abs. 1 GG greift ein auf gesetzlicher Grundlage ergangenes und lebenslang wirkendes Berufsverbot in seiner Härte tief in das Grundrecht der freien Berufswahl und zugleich in die private und berufliche Existenz ein. Es macht den Lebensplan des Betroffenen zunichte; dieser wird auf Dauer von dem Beruf ausgeschlossen, für den er sich ausgebildet und den er für sich und seine Angehörigen zur Grundlage der Lebensführung gemacht hat. Deshalb ist eine solche gesetzliche Einschränkung der Berufsfreiheit nur statthaft, wenn und solange sie zum Schutz überragender Gemeinschaftsgüter unerläßlich ist (BVerfGE 19, 330, 337; 59, 302, 315; 66, 337, 359) und der Betroffene jedenfalls die Chance erhält, sich später wieder in seinem Beruf zu betätigen (BVerfGE 66, 337, 360 ff. – betr. lebenslangen Ausschluß eines Rechtsanwaltes).
Diese den Gesetzgeber und die Verwaltung bindende verfassungsrechtliche Grundentscheidung für die Freiheit des Berufes muß auch im Privatrecht hinreichend beachtet werden. Zwar umfaßt die in Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Handlungsfreiheit auch die Vertragsfreiheit (BVerfGE 12, 341, 347; 65, 196, 210; BGHZ 70, 313, 324), doch ist die Freiheit des rechtsgeschäftlichen Handelns durch die „verfassungsmäßige Ordnung“ begrenzt, so daß Einschränkungen dieses Freiheitsrechts keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegen, soweit sie den Grundentscheidungen des Grundgesetzes entsprechen (BVerfGE 65, 196, 210).
Unter diesen Voraussetzungen hat der erkennende Senat in Bezug auf den Beruf des Wirtschaftsprüfers ausgesprochen, daß sich örtliche, zeitliche und gegenständliche Beschränkungen der Berufsausübung nur in begrenztem Umfang mit diesem Beruf vertragen und der Grundsatz der freien Berufsausübung durch Vereinbarung unter Wirtschaftsprüfern nur eingeengt werden darf, soweit besondere Umstände vorliegen, die ein anerkennenswertes Bedürfnis begründen, den Vertragspartner vor illoyaler Verwertung des Erfolges seiner Arbeit zu schützen (BGHZ 91, 1, 6; Urt. v. 9. Mai 1968 – II ZR 158/66, NJW 1968, 1717 = WM 1968, 893 = LM BGB § 138Bitte wählen Sie ein Schlagwort:
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, C f Nr. 5). Diese Grundsätze, die auch der Kartellsenat herangezogen hat (Urt. v. 13. März 1979 – KZR 23/77, NJW 1979, 1605, 1606), müssen für den Beruf des Rechtsanwalts entsprechend gelten. Dieser Beruf ist dadurch gekennzeichnet, daß seine Angehörigen aufgrund ihrer Befähigung zum Richteramt unabhängige Organe der Rechtspflege sind und einen freien Beruf als unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten ausüben (§§ 1 – 4 BRAO). Mit diesem Berufszweck verträgt es sich nur in begrenztem Umfange, örtliche, zeitliche oder gegenständliche Beschränkungen der Berufsausübung zuzulassen. Wie bei den Wirtschaftsprüfern darf der Grundsatz der freien Berufsausübung durch Vereinbarungen in vertretbarer Weise nur eingeengt werden, soweit auch hier besondere Umstände zu dem anerkennenswerten Bedürfnis führen, den einen Teil davor zu schützen, daß der andere die Erfolge seiner Arbeit illoyal verwertet oder sich in sonstiger Weise zu seinen Lasten die Freiheit der Berufsausübung mißbräuchlich zunutze macht. Mandatsschutzklauseln, wie sie bei dem Ausscheiden aus einer Kanzlei oder der Übernahme einer Rechtsanwaltspraxis vereinbart werden, fallen in diesen Rahmen, wenn mit ihnen unter angemessenen Bedingungen verhindert werden soll, daß der Ausscheidende oder Übergeber Mandanten abzieht. Diesen Anforderungen entspricht zwar die – allerdings unpräzise – Regelung über die Übernahme der Klientel in dem von den Parteien geschlossenen Kaufvertrag, nicht jedoch das in der Ergänzungsvereinbarung vom 28. Juni 1982 niedergelegte umfassende und auf Dauer gerichtete Wettbewerbsverbot. Einerseits greift dieses tief in die berufliche und private Existenz des Beklagten ein. Das gilt ungeachtet der damaligen Absicht des Beklagten, sich aus Altersgründen aus dem Beruf zurückzuziehen. Denn mit dem umfassenden und auf Dauer angelegten Wettbewerbsverbot würde dem Beklagten für den Rest seines Lebens die Rückkehr in das berufliche Leben ohne Rücksicht auf spätere gegenteilige Entschlüsse verwehrt. Andererseits gebieten die Belange des Klägers ein so umfassendes WettbewerbsverbotBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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nicht. Ihnen hätte ein örtlich und zeitlich maßvoll begrenztes Wettbewerbsverbot genügend Rechnung getragen.
Es ist nicht rechtsmißbräuchlich, daß der Beklagte sich auf die Sittenwidrigkeit der Vereinbarung vom 28. Juni 1982 beruft. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß sich auch die Berufung auf die Nichtigkeit nach § 138 BGB ausnahmsweise als unzulässige Rechtsausübung darstellen kann, doch muß dies auf besonders gelagerte Ausnahmefälle beschränkt bleiben, sollen nicht sittenwidrige Geschäfte auf dem Umweg über den Grundsatz von Treu und Glauben im praktischen Ergebnis wieder Wirksamkeit erlangen (BGH, Urt. v. 23. Januar 1981 – I ZR 40/79, NJW 1981, 1439, 1440). Ein solcher besonders gelagerter Ausnahmefall liegt nicht vor.
Die sittenwidrige Bestimmung der Nr. 2 des Ergänzungsvertrages vom 28. Juni 1982 kann nicht in der Weise umgedeutet werden, daß das umfassende Wettbewerbsverbot zeitlich und örtlich beschränkt und damit auf ein erträgliches Maß zurückgeführt wird.
Die Umdeutung nach § 140 BGBBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Umdeutung nach § 140 BGB
setzt voraus, daß nicht der von den Parteien erstrebte Erfolg, sondern nur das von ihnen gewählte rechtliche Mittel von der Rechtsordnung mißbilligt wird. Denn Sinn und Zweck der Umdeutung bestehen darin, den von den Parteien erstrebten wirtschaftlichen Erfolg auch dann zu verwirklichen, wenn zwar das hierfür gewählte Mittel unzulässig ist, jedoch ein anderer, rechtlich gangbarer Weg zur Verfügung steht, der zum annähernd gleichen wirtschaftlichen Ergebnis führt (vgl. BGHZ 68, 204, 206 m.w.N.; ebenso OVG Münster, NJW 1981, 1328, 1329, zur Umdeutung einer sittenwidrigen öffentlich-rechtlichen Vereinbarung). Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit richtet sich jedoch gegen den gesamten Gehalt des jeweiligen Rechtsgeschäfts, sei es gegen den Inhalt des Vereinbarten, sei es gegen die besondere Art und Weise seines Zustandekommens, nicht aber nur gegen die Rechtsform, deren sich die Parteien bedient haben. Während sonst im Rahmen des § 140 BGB versucht werden muß, das wirtschaftliche Ziel der Parteien auf anderem rechtlichen Weg möglichst vollständig zu erreichen, müßte der wirtschaftliche Gehalt des sittenwidrigen Geschäfts selbst rechtsgestaltend verändert werden, damit der Einklang mit der Rechtsordnung hergestellt wird. Gerade das stünde aber im Widerspruch zu Sinn und Zweck des § 138 BGB. Könnte derjenige, der seinen Vertragspartner in sittenwidriger Weise übervorteilt, damit rechnen, schlimmstenfalls durch gerichtliche Festsetzung das zu bekommen, was gerade noch vertretbar und damit sittengemäß ist, verlöre das sittenwidrige Rechtsgeschäft für ihn das Risiko, mit dem es durch die vom Gesetz angedrohte Nichtigkeitsfolge behaftet sein soll. Sittenwidrige Rechtsgeschäfte können daher grundsätzlich nicht nach § 140 BGB umgedeutet werden (vgl. BGHZ 68, 204, 206 f. m.w.N.).
Auch eine Verkürzung des Wettbewerbsverbots auf ein zeitlich vertretbares Maß in entsprechender Anwendung des § 139 BGB scheidet aus. Das umfassende Wettbewerbsverbot ist eine einheitliche Regelung, die nicht in mehrere Teile zerlegt werden kann.
Da das Wettbewerbsverbot insgesamt nichtig ist, sind die darauf gestützten Klageanträge unbegründet. Das gilt nicht nur für die Anträge auf Unterlassung und auf Auskunft, einschließlich des in der Revisionsinstanz gestellten Hilfsantrages, sondern auch für den Antrag auf Zahlung von Vertragsstrafe. Der Kläger hat nicht dargetan, daß er insoweit ein schutzwürdiges Interesse hat. Er hat nur vorgetragen, daß der Beklagte in den streitigen fünf Fällen tätig geworden ist, ohne daß dies gestattet war.
Schlagworte: Berufung auf Sittenwidrigkeit, Nachvertragliches Wettbewerbsverbot, Reduktion auf zulässiges Mass, Sittenwidrigkeit hinsichtlich Ort Zeit und Gegenstand, Umdeutung nach § 140 BGB, Vertragliches Wettbewerbsverbot, Wettbewerbsverbot der Gesellschafter