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BGH, Urteil vom 28. Januar 2021 – IX ZR 54/20

§ 54 InsO, § 55 Abs 4 InsO, § 80 InsO, § 93 InsO, § 128 HGB, § 171 Abs 2 HGB

1. Schuldner der Masseverbindlichkeiten ist der Insolvenzschuldner.

2. Der Kommanditist haftet in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Kommanditgesellschaft für Masseverbindlichkeiten, welche von der Insolvenzschuldnerin begründet worden sind.

3. Die persönliche haftung des Gesellschafters für Masseverbindlichkeiten in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft scheidet grundsätzlich nicht bereits aus insolvenzrechtlichen Gründen aus (Aufgabe von BGH, Urteil vom 24. September 2009 – IX ZR 234/07, ZIP 2009, 2204).

Tenor

Auf die Rechtsmittel des Klägers werden das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe – Zivilsenate in Freiburg – vom 7. Februar 2020 aufgehoben und das Urteil der 9. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Konstanz vom 9. August 2018 abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 13.293,59 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9. Juni 2015 zu zahlen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

Der Kläger ist Verwalter in dem am 9. Oktober 2014 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der A.        GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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(fortan: Schuldnerin). Die Schuldnerin befasste sich mit dem Erwerb und dem Betrieb des Containerschiffs M.     . Der Beklagte ist Kommanditist der Schuldnerin und mit einer Hafteinlage von 100.000 DM im Handelsregister eingetragen. In den Jahren 2002 bis 2007 zahlte die Schuldnerin an den Beklagten Ausschüttungen in Höhe von insgesamt 13.293,59 €.

Die Schuldnerin wechselte im Jahr 2003 von der Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich gemäß § 4 Abs. 1, § 5 EStG zur Gewinnermittlung bei Handelsschiffen im internationalen Verkehr gemäß § 5a EStG (sogenannte Tonnagegewinnermittlung). Die gesonderte und einheitliche FeststellungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Feststellung
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des Unterschiedsbetrags zwischen Buchwert und Teilwert nach § 5a Abs. 4 EStG auf den 31. Dezember 2002 erfolgte mit Feststellungsbescheid vom 30. März 2012.

Mit Beschluss vom 2. Mai 2014 bestellte das Insolvenzgericht den Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter und ordnete an, dass Verfügungen der Schuldnerin nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam seien. Die Schuldnerin veräußerte das Schiff am 2. Juli 2014; der Kläger stimmte der Veräußerung in seiner Eigenschaft als vorläufiger Insolvenzverwalter zu. Das Finanzamt Bremen setzte mit Bescheid vom 3. Juni 2016 eine Gewerbesteuer für das Jahr 2014 in Höhe von 309.552,40 € fest. Hierbei rechnete das Finanzamt gemäß § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 EStG den fortgeschriebenen Unterschiedsbetrag dem Gewinn hinzu. Von der Gewerbesteuerforderung sind 4.994,74 € durch Verrechnung getilgt. Den verbleibenden Betrag von 304.557,66 € hat das Finanzamt als Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO eingeordnet. Die zur Insolvenztabelle festgestellten Insolvenzforderungen sind aufgrund von anderen Kommanditisten erbrachter Zahlungen vollständig gedeckt. Hingegen kann die Verbindlichkeit aus dem Steuerbescheid nicht aus der Insolvenzmasse befriedigt werden.

Der Kläger macht geltend, der Beklagte hafte als Kommanditist für die noch offene Gewerbesteuerforderung, und verlangt Zahlung von 13.293,59 €. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg gehabt. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Verurteilung des Beklagten.

I.

Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung unter anderem in NZI 2020, 641 ff veröffentlicht ist, hat ausgeführt, die haftung des Beklagten sei zwar aufgrund der Ausschüttungen gemäß §§ 171, 172 Abs. 4 HGB wieder aufgelebt. Jedoch hafte der Beklagte nicht für die Gewerbesteuerforderung des Finanzamts Bremen.

Die haftung des Kommanditisten für durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder durch Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Masse begründete Masseverbindlichkeiten sei ausgeschlossen. Diese Haftungsbeschränkung erfasse auch die gemäß § 55 Abs. 4 InsO aufgrund gesetzlicher Fiktion zur Masseschuld umqualifizierte Gewerbesteuerforderung. § 55 Abs. 4 InsO erstrecke sich auf alle Steuerarten. Zwar sei die Begründung der immanenten Haftungsbeschränkung für Masseverbindlichkeiten nur eingeschränkt geeignet, eine Haftungsbeschränkung in den Fällen zu rechtfertigen, in denen die Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO auf der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters beruhe. Die von § 55 Abs. 4 InsO vorgesehene gesetzliche Gleichstellung mit den Fällen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO rechtfertige jedoch die Übertragung dieser Grundsätze. Behandle man die Steuerverbindlichkeit in Ansehung der Haftung der Kommanditisten als Insolvenzforderung und im Übrigen als Masseverbindlichkeit, laufe dies der gesetzlichen Regelung zuwider und führe zu einer systemwidrigen Aufspaltung.

Die Gewerbesteuerforderung aus der Veräußerung des Schiffes stelle eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 4 InsO dar. Maßgeblich sei die Veräußerung des Schiffs. Es handele sich um keine aufoktroyierte Verbindlichkeit, weil die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters rechtlich nicht zwingend gewesen sei.

II.

Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Der Beklagte haftet den Gläubigern der Schuldnerin als Kommanditist gemäß § 171 Abs. 1 HGB unmittelbar. Aufgrund der erhaltenen Ausschüttungen ist die haftung des Beklagten nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts gemäß § 172 Abs. 4 HGB in Höhe von 13.293,59 € wieder aufgelebt.

2. Die Gewerbesteuerforderung aus dem Bescheid vom 3. Juni 2016 stellt eine Gesellschaftsverbindlichkeit dar.

a) Eine haftung des Kommanditisten gegenüber Gläubigern der Kommanditgesellschaft setzt gemäß § 171 Abs. 1 HGB eine Verbindlichkeit der Kommanditgesellschaft gegenüber ihren Gläubigern voraus. Dies erfasst gemäß §§ 128, 161 Abs. 2 HGB unabhängig von ihrem Rechtsgrund grundsätzlich sämtliche Verbindlichkeiten der Kommanditgesellschaft gegenüber Dritten (Außenverbindlichkeit). Hierzu zählen insbesondere Gewerbesteuerforderungen aus dem Geschäftsbetrieb der Gesellschaft (vgl. Heymann/Borges, HGB, 3. Aufl., § 171 Rn. 8; MünchKomm-HGB/Schmidt, 4. Aufl., §§ 171, 172 Rn. 20; Baumbach/Hopt/Roth, 39. Aufl., HGB, § 171 Rn. 3).

Auch die Gewerbesteuerforderung aufgrund des Steuerbescheids vom 3. Juni 2016 stellt eine Verbindlichkeit der Schuldnerin und damit der Kommanditgesellschaft dar. Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG ist Steuerschuldnerin die Gesellschaft. Im Übrigen folgt dies aus dem an den Kläger als Insolvenzverwalter gerichteten bestandskräftigen und im finanzgerichtlichen Rechtsstreit bestätigten Bescheid des Finanzamts vom 3. Juni 2016, wonach es sich um eine Steuerschuld der Schuldnerin handelt.

b) Für die Frage, ob eine Verbindlichkeit der Schuldnerin vorliegt, kann dahinstehen, ob die Gewerbesteuerforderung des Finanzamts gemäß § 55 Abs. 4 InsO als Masseverbindlichkeit anzusehen ist. Die insolvenzrechtliche Einordnung der Gewerbesteuerforderung als Masseverbindlichkeit oder als Insolvenzforderung hat keinen Einfluss darauf, dass es sich bei der Steuerverbindlichkeit um eine Verbindlichkeit der Schuldnerin und damit der Kommanditgesellschaft handelt. Es entspricht allgemeiner Meinung, dass Schuldner der Masseverbindlichkeiten stets der Insolvenzschuldner ist (vgl. BGH, Urteil vom 30. Oktober 1967 – VIII ZR 176/65, BGHZ 49, 11, 13 zur Konkursordnung; vom 24. September 2009 – IX ZR 234/07, ZIP 2009, 2204 Rn. 12; Jaeger/Henckel, InsO, § 53 Rn. 10; MünchKomm-InsO/Hefermehl, 4. Aufl., § 53 Rn. 30; HK-InsO/Lohmann, 10. Aufl., § 53 Rn. 9; Schmidt/Thole, InsO, 19. Aufl., § 53 Rn. 12; ebenso BGH, Urteil vom 13. Juli 1964 – II ZR 218/61, WM 1964, 1125 unter I. zur Vergütung des Verwalters). Die Eigenschaft als Masseverbindlichkeit begründet keine besondere Qualität der Forderung, sondern betrifft ihre Einordnung in einem konkreten Insolvenzverfahren und ihre Durchsetzbarkeit (vgl. Jaeger/Henckel, aaO Rn. 8).

3. Der Beklagte haftet gemäß §§ 128, 161 Abs. 2, § 171 Abs. 1 HGB auch für die Gewerbesteuerforderung aus dem Bescheid vom 3. Juni 2016. Dies ergibt sich aus den allgemeinen Grundsätzen für die Haftung eines Kommanditisten. Rechtsfehlerhaft meint das Berufungsgericht, dass die haftung des Kommanditisten für Verbindlichkeiten der Gesellschaft in der Insolvenz der Gesellschaft ausgeschlossen sei, wenn die Ansprüche des Gläubigers Masseverbindlichkeiten darstellen. Vielmehr ist die Kommanditistenhaftung nicht auf zur Insolvenztabelle angemeldete Forderungen beschränkt.

a) Auch wenn es sich bei Masseverbindlichkeiten stets um Verbindlichkeiten des Schuldners handelt, kann allerdings die haftung des Schuldners für bestimmte Masseverbindlichkeiten gegenständlich beschränkt sein.

aa) Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters nach § 80 InsO erstreckt sich nur auf das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen des Schuldners (BGH, Urteil vom 25. November 1954 – IV ZR 81/54, NJW 1955, 339; vom 16. Februar 1961 – III ZR 71/60, BGHZ 34, 293, 295 f; vom 24. September 2009 – IX ZR 234/07, ZIP 2009, 2204 Rn. 12 mwN). Dabei ist Bestandteil der Masse gemäß § 35 Abs. 1 InsO auch das Vermögen, das der Schuldner während des Insolvenzverfahrens erlangt.

bb) Aufgrund der beschränkten Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters ist eine haftung des Schuldners für solche Verbindlichkeiten, welche erst der Insolvenzverwalter aufgrund seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis begründet hat, auf diejenigen Gegenstände beschränkt, die zur Insolvenzmasse gehören. Diese Beschränkung der haftung des Schuldners greift bereits während des Verfahrens ein (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 1954, aaO; vom 24. September 2009, aaO; MünchKomm-InsO/Hefermehl, 4. Aufl., § 53 Rn. 30 f; Jaeger/Henckel, InsO, § 53 Rn. 13; Schmidt/Thole, InsO, 19. Aufl., § 53 Rn. 12; Uhlenbruck/Sinz, InsO, 15. Aufl., § 53 Rn. 10; Bähr/Lau in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 4. Aufl., § 53 Rn. 9; Mohrbutter/Ringstmeier/Mohrbutter, Handbuch der Insolvenzverwaltung, 9. Aufl., Kapitel 6 Rn. 503).

In welchem Umfang eine Nachhaftung des Schuldners nach Beendigung des Insolvenzverfahrens für Masseverbindlichkeiten noch in Betracht kommt, kann dahinstehen. Soweit es um vom Insolvenzverwalter im Laufe des Insolvenzverfahrens durch Rechtshandlungen nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründete Masseverbindlichkeiten geht, gilt nach überwiegender Meinung für die Zeit nach Beendigung des Insolvenzverfahrens eine gegenständlich beschränkte HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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(vgl. MünchKomm-InsO/Hefermehl, aaO Rn. 34a; HK-InsO/Lohmann, 10. Aufl. § 53 Rn. 9; Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2011, § 53 Rn. 45; Uhlenbruck/Sinz, aaO Rn. 11; HmbKomm-InsO/Jarchow, 7. Aufl., § 53 Rn. 27; Bähr/Lau, aaO Rn. 10; MünchKomm-InsO/Hintzen, 4. Aufl., § 201 Rn. 15 f mwN; Uhlenbruck/Wegener, InsO, 15. Aufl., § 201 Rn. 17; aA Schmidt/Thole, InsO, 19. Aufl., § 53 Rn. 12; Windel, KTS 2011, 25, 27 ff). Auch wenn die Nachhaftung des Schuldners nach Beendigung des Insolvenzverfahrens für Masseverbindlichkeiten gegenständlich beschränkt sein sollte, folgt daraus nicht, dass es sich bei Masseverbindlichkeiten nicht um Verbindlichkeiten des Schuldners handelt.

Unabhängig davon scheidet eine gegenständliche Beschränkung der haftung des Schuldners jedenfalls bei solchen Masseverbindlichkeiten aus, welche er durch sein Handeln selbst begründet hat. Demgemäß beschränkt sich bei sogenannten oktroyierten Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 90 InsO, die vom Schuldner bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden waren, die haftung des Schuldners gegenständlich nicht auf die ihm überlassene restliche, das heißt nicht verwertete Masse (BGH, Urteil vom 28. Juni 2007 – IX ZR 73/06, NZI 2007, 670 Rn. 14 für Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 InsO). Gleiches gilt für Masseverbindlichkeiten, deren Entstehung auf eine freie Entscheidung des Schuldners zurückzuführen ist. Daher trifft den Schuldner für Steuerforderungen aus der Zeit einer schwachen vorläufigen Insolvenzverwaltung, die von § 55 Abs. 4 InsO kraft Gesetzes zu Masseverbindlichkeiten erklärt werden, eine uneingeschränkte Nachhaftung, weil das Verwaltungs- und Verfügungsrecht für die die Steuerforderungen begründenden Rechtshandlungen beim Schuldner liegt (vgl. Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2011, § 53 Rn. 45; für eine Einordnung als oktroyierte Masseverbindlichkeit MünchKomm-InsO/Breuer/Flöther, 4. Aufl., § 90 Rn. 9).

b) Die gegenständlich beschränkte HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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des Schuldners für bestimmte Masseverbindlichkeiten gebietet jedoch nicht, die haftung des Gesellschafters für Gesellschaftsverbindlichkeiten in der Insolvenz der Gesellschaft aus insolvenzrechtlichen Gründen einzuschränken.

aa) Allerdings hat der Bundesgerichtshof ausgesprochen, dass die Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft nicht persönlich für die von dem Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft begründeten Masseverbindlichkeiten haften (BGH, Urteil vom 24. September 2009 – IX ZR 234/07, ZIP 2009, 2204; kritisch etwa Schmidt, ZHR 174 (2010), 163, 172 ff; Windel, KTS 2011, 25, 40 ff; Zimmer, ZInsO 2011, 1081, 1083 ff; Heitsch, ZInsO 2019, 1649, 1654 ff). Die Entscheidung betraf durch Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters nach der Verfahrenseröffnung begründete Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Fall 1 InsO; vgl. BGH, Urteil vom 24. September 2009, aaO Rn. 12) und zudem die Kosten des Insolvenzverfahrens (§ 54 InsO; vgl. BGH, Urteil vom 24. September 2009, aaO Rn. 19 ff; kritisch hinsichtlich der Verfahrenskosten Berger, EWiR 2009, 775, 776), enthielt jedoch keine Entscheidung für andere Masseverbindlichkeiten, insbesondere nicht für Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO oder für Masseverbindlichkeiten bei einer Eigenverwaltung. Auch mit Urteil vom 17. Dezember 2015 (IX ZR 143/13, BGHZ 208, 227 Rn. 11) hat der Bundesgerichtshof nur- obiter – ausgesprochen, dass die Gesellschafter nicht für sämtliche Masseverbindlichkeiten haften.

bb) Der Bundesgerichtshof hält an dieser Rechtsprechung nicht fest, soweit eine Beschränkung der Haftung der Gesellschafter damit begründet wird, dass die Gesellschaft als Schuldnerin aus insolvenzrechtlichen Gründen für bestimmte Masseverbindlichkeiten nur gegenständlich beschränkt hafte. Insoweit hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass hinsichtlich solcher Masseverbindlichkeiten eine dem Verfahren immanente Haftungsbeschränkung bestehe. Da die Verfügungsmacht des Insolvenzverwalters bei der Begründung solcher Masseverbindlichkeiten auf die Gegenstände der Masse beschränkt sei, komme eine Haftung der Gesellschafter für solche Masseverbindlichkeiten bereits aus insolvenzrechtlichen Gründen nicht in Betracht (BGH, Urteil vom 24. September 2009, aaO Rn. 13 ff).

Aus den Grenzen der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters folgt zwar, dass der Verwalter nicht über das massefreie Vermögen der Gesellschaft als Schuldnerin verfügen kann (BGH, Urteil vom 24. September 2009, aaO Rn. 12; Schmidt, ZHR 174 (2010), 163, 172). Ob ein Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft als Schuldnerin haftet, welche durch Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters begründet worden sind, ist damit jedoch nicht beantwortet. In welchem Umfang Massegläubiger das Vermögen des Schuldners nach Beendigung des Insolvenzverfahrens in Anspruch nehmen können, hat auf die Einordnung einer Verbindlichkeit als Verbindlichkeit des Schuldners keinen Einfluss. Die haftung des Gesellschafters für Verbindlichkeiten der Gesellschaft beruht auf den gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen der §§ 128, 161 Abs. 1, §§ 171, 172 HGB.

Auch wenn die Gesellschaft als Schuldnerin für bestimmte Masseverbindlichkeiten nur gegenständlich beschränkt haftet, rechtfertigt dies allein nicht, dass eine Haftung der Gesellschafter für solche Verbindlichkeiten der Gesellschaft von vornherein ausscheidet. Vielmehr ist es eine Frage der die Haftung der Gesellschafter anordnenden Norm, ob, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang die Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft in der Insolvenz ausnahmsweise eingeschränkt werden kann. Hängt die haftung des Gesellschafters von den gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen ab, kann nicht angenommen werden, dass die aus dem Amt des Insolvenzverwalters folgenden Befugnisse erweitert würden, wenn die Gesellschafter in der Insolvenz der Gesellschaft über § 128 HGB auch für die durch Handlungen des Insolvenzverwalters begründeten Verbindlichkeiten haften. Soweit aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 24. September 2009 (IX ZR 234/07, ZIP 2009, 2204 Rn. 14) etwas anderes entnommen werden kann, wird daran nicht festgehalten.

c) Der Beklagte haftet als Kommanditist für solche Masseverbindlichkeiten, welche die Schuldnerin begründet hat. Dies trifft auf die Gewerbesteuerforderung des Finanzamts aus dem Bescheid vom 3. Juni 2016 zu. Es besteht kein Anlass, die Haftung eines Kommanditisten nach §§ 128, 161 Abs. 2, §§ 171, 172 Abs. 4 HGB für Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO einzuschränken, welche vom Schuldner begründet worden sind (Zimmer, ZInsO, 2011, 1081, 1086 f).

aa) Ob die Haftung eines Gesellschafters für Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu begrenzen ist, richtet sich nicht nach der Einordnung der Verbindlichkeit als Masseverbindlichkeit im Sinne der §§ 54, 55 InsO. Es ist nicht geboten, die haftung des Kommanditisten im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft auf Insolvenzforderungen zu beschränken. Maßgeblich ist vielmehr die Reichweite der gesellschaftsrechtlichen Haftung.

Im Streitfall kann dahinstehen, in welchem Umfang die haftung des Kommanditisten für Masseverbindlichkeiten zu begrenzen ist. Eine teleologische Reduktion der gesellschaftsrechtlichen Haftung scheidet jedenfalls aus, wenn der Schuldner die Verbindlichkeit selbst begründet hat. Soweit eine teleologische Reduktion des § 128 HGB erwogen wird, stützt sich diese Überlegung darauf, dass mit dem Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter der Gesellschafter die Möglichkeit verliert, Einfluss auf die Entwicklung der Gesellschaft zu nehmen (vgl. insb. Schmidt, ZHR 152 (1988), 105, 114 ff; ders., ZHR 174 (2010), 163, 166 ff; MünchKomm-HGB/Schmidt, 4. Aufl., § 128 Rn. 81; Baumbach/Hopt/Roth, HGB, 39. Aufl., § 128 Rn. 46; Staub/Habersack, HGB, 5. Aufl., § 128 Rn. 73; Jaeger/Müller, InsO, § 93 Rn. 32). Diese Gründe treffen auf Verbindlichkeiten, welche die Gesellschaft selbst begründet, nicht zu. Dies gilt auch dann, wenn diese Verbindlichkeiten im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft Masseverbindlichkeiten darstellen. Damit kommt es nicht darauf an, inwieweit die Gründe für eine Beschränkung der gesellschaftsrechtlichen Haftung auf einen Kommanditisten zu übertragen sind.

Daran ändert sich nichts, wenn das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt (§ 22 Abs. 2, § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 InsO) bestellt und dieser der Verfügung des Schuldners zustimmt. Ein solcher sogenannte schwache vorläufige Insolvenzverwalter ist weder verwaltungs- noch verfügungsbefugt. Der Vorbehalt beschränkt die Verfügungsbefugnis des Schuldners nicht. Er bewirkt lediglich, dass der vorläufige Verwalter wirksame Verfügungen des Schuldners verhindern kann (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353, 361; vom 24. September 2020 – IX ZR 289/18, ZIP 2020, 2079 Rn. 20). Der schwache vorläufige Verwalter ist rechtlich nicht in der Lage, den Schuldner gegen dessen Willen zu Handlungen anzuhalten (BGH, Urteil vom 18. Juli 2002, aaO; vom 24. September 2020, aaO). Ebenso wenig kann er selbst Verfügungen mit Wirkung für und gegen die spätere Insolvenzmasse vornehmen. Der mit einem Zustimmungsvorbehalt ausgestattete vorläufige Verwalter tritt nicht an die Stelle des Schuldners, sondern an seine Seite (BGH, Urteil vom 24. September 2020, aaO; MünchKomm-InsO/Haarmeyer/Schildt, 4. Aufl., § 21 Rn. 65). Ein Zustimmungsvorbehalt ändert nichts daran, dass die Gesellschafter Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft nehmen können.

bb) Im Streitfall stellt die Gewerbesteuerforderung aus dem Bescheid vom 3. Juni 2016 eine von der Schuldnerin begründete Verbindlichkeit dar. Die Schuldnerin veräußerte das Schiff am 2. Juli 2014 und damit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Zu diesem Zeitpunkt war die Schuldnerin verwaltungs- und verfügungsbefugt. Der Kläger konnte in seiner Eigenschaft als vorläufiger Verwalter zwar die Verfügung verhindern (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353, 361; vom 24. September 2020 – IX ZR 289/18, ZIP 2020, 2079 Rn. 20). Dass der Kläger der Veräußerung in seiner Eigenschaft als vorläufiger Insolvenzverwalter zustimmte, ändert nichts daran, dass die Schuldnerin die Verfügung vornahm und die aus der Verfügung folgenden Masseverbindlichkeiten durch ein Handeln der Schuldnerin begründet worden sind. Dies gilt mithin auch für die mit Bescheid vom 3. Juni 2016 festgesetzte Gewerbesteuer. Diese beruht nach den Feststellungen des Berufungsgerichts darauf, dass das Finanzamt gemäß § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 EStG den gemäß § 5a Abs. 4 EStG fortgeschriebenen Unterschiedsbetrag dem Gewinn hinzurechnete.

4. Der Kläger kann gemäß § 171 Abs. 2 HGB die persönliche haftung des Beklagten für die Verbindlichkeit der Schuldnerin geltend machen. Für § 93 InsO ist es unerheblich, ob die Verbindlichkeit der Gesellschaft eine Masseverbindlichkeit darstellt (aA MünchKomm-InsO/Gehrlein, 4. Aufl., § 93 Rn. 20). Voraussetzung für die Sperrwirkung und die Ermächtigungswirkung des § 93 InsO (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 17. Dezember 2015 – IX ZR 143/13, BGHZ 208, 227 Rn. 10 mwN) sind eine Verbindlichkeit der Gesellschaft und eine persönliche haftung des Gesellschafters für diese Verbindlichkeit. Auf die insolvenzrechtliche Einordnung der Verbindlichkeit kommt es nicht an. § 93 InsO zielt darauf, einen Wettlauf unter den Gesellschaftsgläubigern über die haftung des Gesellschafters zu vermeiden (vgl. BT-Drucks. 12/2443 S. 140; BGH, Urteil vom 17. Dezember 2015, aaO). Die durch einen schnelleren Zugriff verschafften Sondervorteile für einen Gesellschaftsgläubiger, denen das Gesetz vorbeugen will, drohen gleichermaßen bei einem Zugriff durch einen Massegläubiger wie durch einen Insolvenzgläubiger. Das Gleiche gilt für § 171 Abs. 2 HGB.

5. Der haftung des Beklagten steht nicht entgegen, dass der Kommanditist, der eine Verbindlichkeit der Gesellschaft befriedigt, unter Umständen einen Regressanspruch gegen die Gesellschaft erwirbt (§ 110 HGB; vgl. Baumbach/Hopt/Roth, HGB, 39. Aufl., § 128 Rn. 25). Dabei kann dahinstehen, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang eine Befriedigung der Gesellschaftsverbindlichkeit eintritt, wenn der Kommanditist im Hinblick auf seine vom Insolvenzverwalter gemäß § 93 InsO, § 171 Abs. 2 HGB geltend gemachte persönliche HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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an die Insolvenzmasse leistet.

Die Leistung an den Insolvenzverwalter verschafft dem Gesellschafter auch dann keine Möglichkeit, vor Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger Regress zu nehmen, wenn die Verbindlichkeit der Gesellschaft – wie im Streitfall – eine Masseverbindlichkeit darstellt. Aus dem Zusammenwirken von § 171 Abs. 1, 2, § 172 Abs. 4 HGB folgt, dass der Kommanditist nur dann Regress gegen die Gesellschaft nehmen kann, wenn seine Haftung durch den Regressanspruch nicht mehr mit der Folge des § 171 Abs. 2 HGB aufleben kann (MünchKomm-InsO/Bitter, 4. Aufl., § 44 Rn. 37; Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl., § 44 Rn. 7; Schmidt, Einlage und haftung des Kommanditisten, 1977, S. 145, 149 ff mwN). Dies wäre aber der Fall, wenn der Kommanditist die den Regressanspruch auslösende Zahlung zuvor gerade infolge seiner Inanspruchnahme nach § 171 Abs. 2 HGB erbracht hat. In der Insolvenz der Gesellschaft läuft der Regressanspruch des nach § 171 HGB in Anspruch genommenen Kommanditisten auf eine (Teil-)Rückgewähr des Gesellschafterbeitrags hinaus, weil die Zahlung nicht aus Gewinnen der Gesellschaft erfolgen kann (vgl. auch BGH, Urteil vom 10. Dezember 1984 – II ZR 28/84, BGHZ 93, 159, 163). Erst dann, wenn die Kommanditistenhaftung infolge einer Dividendenausschüttung auf den Regressanspruch nicht mehr mit der Rechtsfolge des § 171 Abs. 2 HGB aufleben kann, ist der Kommanditist berechtigt, seinen Erstattungsanspruch gegen die Gesellschaft geltend zu machen.

III.

Der Senat hat in der Sache selbst zu entscheiden. Die Aufhebung des Berufungsurteils erfolgt nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis; nach letzterem ist die Sache zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO). Da nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die Insolvenzmasse nicht genügt, um die Forderung des Finanzamts zu erfüllen, ist der Beklagte antragsgemäß zu verurteilen. Der Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1 BGB.

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Schlagworte: Kommanditist, Masseverbindlichkeiten