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BGH, Urteil vom 28. September 2005 – IV ZR 82/04

BGB §§ 745, 2038, 2040, 2041

a) Unter den Begriff gemeinschaftliche Verwaltung des Nachlasses im Sinne von § 2038 Abs. 1 BGB fallen alle Maßregeln zur Verwahrung, Sicherung, Erhaltung und Vermehrung sowie zur Gewinnung der Nutzungen und Bestreitung der laufenden Verbindlichkeiten (BGH, Urteil vom 22. Februar 1965 – III ZR 208/63 unter 3; Beschluss vom 29. Januar 1952 – V BLw 16/51 – LM Nr. 2 zu § 2038 BGB). Dazu zählen grundsätzlich auch Verfügungen über Nachlassgegenstände, nur muss neben der Ordnungsmäßigkeit die Erforderlichkeit einer solchen Verwaltungsmaßnahme durch besondere Umstände belegt sein, um eine Mitwirkungspflicht zu begründen.

b) § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BGB spricht sehr viel umfassender als etwa § 2040 Abs. 1 BGB, der sich nur auf Verfügungen bezieht, von „Maßregeln“. Die systematische Stellung des engeren § 2040 Abs. 1 BGB, der dem weitergehenden § 2038 Abs. 1 BGB nachfolgt, unterstützt ein solches Verständnis, das auch durch die Entstehungsgeschichte belegt wird. Nach den Motiven zum BGB umfasst die Verwaltung – ähnlich weit – die gesamte tatsächliche und rechtliche Verfügung über das verwaltete Gut, schließt also Veräußerungen, zu denen der Verwalter berechtigt ist, nicht aus (Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch V. Band S. 337 zu § 1978 Abs. 1). Auch § 180 ZVG, der jedem Erben das Recht einräumt, zur Vorbereitung der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft selbständig einen Antrag auf Teilungsversteigerung zu stellen (vgl. BGH, Urteil vom 19. November 1998 – IX ZR 284/97 – NJW-RR 1999, 504 unter II 2; MünchKomm-BGB/Heldrich, 4. Aufl. § 2042 Rn. 65) verdeutlicht, dass Verfügungen, die einer Erbauseinandersetzung vorangehen und sie eventuell vorbereiten sollen – einschließlich solcher über Nachlassgrundbesitz -, Verwaltungsmaßnahmen sein können (vgl. BGHZ 101, 24, 26 f.; 140, 63, 68 f.; ebenso Lange/Kuchinke, Erbrecht 5. Aufl. § 43 I 3 a; Staudinger/Werner, BGB [2002] § 2038 Rn. 6 f.).

c) Die Beurteilung, ob eine Veränderung wesentlich i.S. von §§ 745 Abs. 3 Satz 1, 2038 Abs. 2 Satz 1 BGB ist, richtet sich nach dem gesamten Nachlass und nicht den einzelnen davon betroffenen Nachlassgegenständen (h. M., vgl. MünchKomm-BGB/Heldrich, 4. Aufl. § 2038 Rn. 30; Ann, Die Erbengemeinschaft S. 22 f.; Brox, Erbrecht 21. Aufl. Rn. 492; Staudinger/Langhein, BGB [2002] § 745 Rn. 10, 42; Palandt/Edenhofer, BGB 64. Aufl. § 2038 Rn. 6; Muscheler, ZEV 1997, 169, 225; Lange/Kuchinke, a. a. O. § 43 I 3 b; a. A. LG Hannover NJW-RR 1990, 454; Soergel/Wolf, BGB 13. Aufl. § 2038 Rn. 9; Schlüter, Erbrecht 15. Aufl. Rn. 672; Staudinger/Werner, a.a.O. § 2038 Rn. 13); anderenfalls läge in jeder Verfügung über einen Nachlassgegenstand eine wesentliche Veränderung; derartige Maßnahmen wären mithin nie ordnungsgemäß.

d) Eine wesentliche Veränderung setzt voraus, dass durch die Verwaltungsmaßnahme die Zweckbestimmung oder Gestalt des Nachlasses in einschneidender Weise geändert werden würde (BGHZ 101, 24, 28; BGH, Urteile vom 8. März 2004 – II ZR 5/02 – BGH-Report 2004, 970 unter II 2 b; 14. November 1994 – II ZR 209/93 – NJW-RR 1995, 267 unter II 2 a aa und ständig).

e) Durch den Verkauf eines zur Erbmasse gehörenden Grundstücks tritt der an die Erbengemeinschaft zu zahlende Erlös im Wege der dinglichen Surrogation an die Stelle der Immobilie (§ 2041 Satz 1 BGB). Der Verkauf verändert also nur die Zusammensetzung des Nachlasses, ohne dessen Substanzwert zu mindern. Zweck der §§ 2038 ff., 743 ff. BGB ist es hingegen, Wertverluste des Nachlasses bis zu dessen Teilung zu vermeiden (AnwKomm-BGB/Ann, § 2038 Rn. 1). Vor diesem Hintergrund stellt sich die geplante Veräußerung eines von mehreren Nachlassgrundstücken als bloße Umstrukturierung des Gesamtnachlasses dar, mit der lediglich das ursprünglich bestehende etwa gleichwertige Verhältnis von Barvermögen und Grundbesitz zugunsten des Barvermögens verschoben werden sollte. Die wirtschaftliche Grundlage der Erbengemeinschaft bleibt davon unberührt (vgl. MünchKomm-BGB/K. Schmidt, a.a.O. §§ 744, 745 Rn. 25). Ebenso wenig wird dadurch der Charakter des gesamten Nachlasses geändert (vgl. BGHZ 140, 63, 69).

f) Den Entzug der konkreten Nutzungsmöglichkeit durch den Verkauf einer bestimmten Immobilie muss der einzelne Miterbe hinnehmen, da die §§ 2038 Abs. 2 Satz 1, 745 Abs. 3 Satz 2 BGB nur die Nutzungsquote garantierten, nicht aber die reale Eigennutzung (BGH, Urteil vom 14. November 1994 a.a.O. unter II 2 a bb).

g) Die Ordnungsmäßigkeit einer Maßnahme ist aus objektiver Sicht zu beurteilen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 1982 – II ZR 13/82 – NJW 1983, 932 unter II 4 d; KG OLGE 30, 184). Entscheidend ist der Standpunkt eines vernünftig und wirtschaftlich denkenden Beurteilers (BGH, Urteil vom 22. Februar 1965 a. a. O. unter 3).

h) Die Frage der Erforderlichkeit ist danach zu beantworten, ob ohne den beabsichtigten Verkauf eine wirtschaftliche Beeinträchtigung des Nachlasswertes zu besorgen gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 1972 – IV ZR 1206/68 – LM Nr. 2/3 zu § 2120 BGB; vgl. ferner Urteil vom 17. September 1954 – V ZR 35/54 – LM Nr. 14 zu § 1004 BGB).

Schlagworte: Erbengemeinschaft, Laufende Verwaltung, ordnungsgemäße Verwaltung, Teilungsversteigerung, Verfügungsbefugnis, wesentliche Veränderung