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BGH, Urteil vom 3. Dezember 2007 – II ZR 21/06

§ 276 BGB, § 278 BGB, § 280 BGB

a) Über die Nachteile und Risiken eines angebotenen Kapitalanlagemodells muss der Anlageinteressent in dem Emissionsprospekt zutreffend und vollständig aufgeklärt werden. Dazu gehört auch, dass er auf Risiken hingewiesen wird, die ausschließlich Altverträge betreffen, aber dazu führen können, dass die Anlagegesellschaft in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät. Ebenso ist das Bestehen eines Verlustübernahmevertrages mitzuteilen, weil dieser nicht nur die Gefahr des Verlustes der Anlage heraufbeschwört, sondern zusätzliche Zahlungspflichten auslösen kann.

Dass den für das Anlageprojekt Verantwortlichen – also auch den Beklagten – diese mit der Neufassung des § 1 KWG durch die 6. KWG-Novelle mit Wirkung ab dem 1. Januar 1998 entstandenen Bedenken bewusst gewesen sein müssen und dass sie darauf jedenfalls diejenigen Anleger haben hinweisen müssen, in deren Verträgen dennoch eine ratierliche Auszahlung vorgesehen worden ist, hat der Senat bereits mit Urteil vom 21. März 2005 – II ZR 149/03 – entschieden (ZIP 2005, 763, 765). Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese Bedenken objektiv begründet waren – was aufgrund des Einlenkens der S. AG in dem gegen die Untersagungsverfügung des Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen vom 22. Oktober 1999 eingeleiteten verwaltungsgerichtlichen Verfahren dort nicht geklärt werden konnte. Es reicht vielmehr aus, dass an der Rechtmäßigkeit ernsthafte Zweifel bestanden, da schon diese Zweifel für eine Anlageentscheidung von Bedeutung sein konnten.

Diese Hinweispflicht bestand auch gegenüber den Anlegern, die – wie der Kläger – eine Auszahlung in einer Summe wünschten. Denn das aufgrund der Gesetzesänderung entstandene Risiko wirkte sich auch auf die Verträge aus, die von dieser Gesetzesänderung nicht unmittelbar betroffen waren. Wie dem Senat aus zahlreichen Prozessen bekannt ist, hat die S. AG in den Jahren 1998 und 1999 viele Verträge abgeschlossen, in denen eine ratierliche Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens vorgesehen war, ohne dabei auf die bankrechtlichen Bedenken hinzuweisen. Dadurch entstand die nahe liegende Möglichkeit, dass sich zahlreiche Anleger – unter Hinweis auf den Aufklärungsmangel – von ihrem Vertrag lösen und Rückzahlung der schon geleisteten Einlagen verlangen würden. Damit bestand die Gefahr, dass die S. AG in ernsthafte Zahlungsschwierigkeiten geraten würde, was durch die mittlerweile erfolgte Insolvenzeröffnung bestätigt wird. Für einen Anleger war es von erheblichem Interesse zu erfahren, ob die Gesellschaft derartige „Altlasten“ zu gewärtigen hatte. Denn davon hing die Sicherheit seiner Kapitalanlage ab.

Weiter hätten unter der Voraussetzung, dass der Kläger den rückdatierten Zeichnungsschein erst nach dem 22. September 1999 unterzeichnet hat, die Beklagten – etwa in Form einer Prospektberichtigung – auf den an diesem Tage geschlossenen Verlustübernahmevertrag der S. AG mit dem Bankhaus P. hinweisen müssen.

Nach der Senatsentscheidung vom 6. Oktober 1980 (BGHZ 79, 337, 345) ist aufzuklären über kapitalmäßige und personelle Verflechtungen zwischen dem Unternehmen, an dem sich der Anlageinteressent beteiligen soll, und einem Unternehmen, in dessen Hand das durchzuführende Vorhaben ganz oder teilweise gelegt wird. Das gleiche gilt bei einer – hier vorliegenden – Verflechtung des Anlageunternehmens mit einem Kreditinstitut, das an der Finanzierung von Beteiligungen mitwirkt. Dieser Aufklärungspflicht ist die S. AG insoweit nachgekommen, als sie in dem Prospekt auf ihre Beteiligung an der S. Bank AG und dem Bankhaus P. sowie dessen persönlich haftender Gesellschafterin hingewiesen hat. Weiter hat sie darin eine Bürgschaft i.H.v. 14 Mio. DM, eine Verpfändung von Kapitalbriefen im Wert von 8,942 Mio. DM und Grundschulden i.H.v. 33,5 Mio. DM, jeweils zugunsten der S. Bank AG, erwähnt. Die Verpflichtung aus dem Verlustübernahmevertrag, auf die nicht hingewiesen wird, geht aber darüber deutlich hinaus. Das damit verbundene Risiko war nicht schon durch die – z.T. durch andere Beteiligungen vermittelte – Mehrheitsbeteiligung der S. AG an dem Bankhaus P. und die übrigen Sicherungsmittel weitgehend abgedeckt. Auch wenn bei dem Bankhaus P. für das Jahr 1999 – wie die Beklagten behaupten – nach der Verschmelzung mit der S. Bank AG nur ein Verlust i.H.v. rund 12 Mio. DM und für die Folgejahre jeweils steigende Gewinne hätten erwartet werden können, ist das mit einer Verlustübernahme verbundene, der Höhe nach unbegrenzte Risiko gefährlicher als das Risiko, lediglich das investierte Beteiligungskapital zu verlieren und aus den der Höhe nach begrenzten Sicherheiten in Anspruch genommen zu werden. Wenn es kein darüber hinausgehendes Risiko gegeben hätte, dann hätte auch kein Anlass bestanden, überhaupt einen Verlustübernahmevertrag abzuschließen. Ob mit einer Inanspruchnahme der S. AG aus dem Verlustübernahmevertrag konkret zu rechnen war, ist unerheblich. Schon die abstrakte Gefahr, bei einem Niedergang des Bankhauses P. in eine unkalkulierbare Haftung zu geraten, stellt einen erheblichen Risikofaktor dar, der sich qualitativ auch von dem Risiko hochspekulativer Beteiligungen, auf die in dem Prospekt hingewiesen wird, unterscheidet. Anders als bei den erwähnten Sicherheiten drohte aufgrund des Verlustübernahmevertrages nicht nur der Verlust des zur Sicherheit eingesetzten Vermögens, sondern eine darüber hinausgehende unbegrenzte Zahlungspflicht.

b) Ein Prospektfehler ist auch dann ursächlich für die Anlageentscheidung, wenn der Prospekt entsprechend dem Vertriebskonzept der Anlagegesellschaft von den Anlagevermittlern als alleinige Arbeitsgrundlage für ihre Beratungsgespräche benutzt wird. Es kommt bei dieser Sachlage nicht darauf an, ob der Prospekt dem Anlageinteressenten übergeben worden ist.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat der Prospekt hier bei dem Vertragsschluss mit dem Kläger Verwendung gefunden. Mit der Anwerbung von stillen Gesellschaftern hatte die S. AG Vermittlungsgesellschaften beauftragt. Die Mitarbeiter dieser Gesellschaften wurden auf der Grundlage des jeweils gültigen Emissionsprospekts der S. AG geschult. Sie waren daher von vornherein darauf festgelegt, die Anlage nur mit den Informationen aus dem Emissionsprospekt zu vertreiben. Auf Risiken, die in dem Prospekt nicht erwähnt waren, konnten sie die Anleger nicht hinweisen. Die Maßgeblichkeit des Prospekts für die Anwerbung der Anleger kommt auch in dem Zeichnungsschein der S. AG zum Ausdruck. Dort heißt es, der Vermittler sei allein befugt, die Beteiligung auf der Grundlage des Zeichnungsscheins, des Gesellschaftsvertrages und des Emissionsprospekts zu vermitteln. Bei dieser Sachlage ergibt sich aus einem Prospektfehler, anders als das Berufungsgericht gemeint hat, nicht nur eine Haftung nach den Grundsätzen des Verschuldens bei Vertragsschluss (jetzt §§ 280, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB n.F.) i.V.m. § 278 BGB, die für die Beklagten als nicht an dem Vertrag Beteiligte nur unter eingeschränkten Voraussetzungen in Betracht käme (§ 311 Abs. 3 Satz 2 BGB n.F.). Vielmehr wird dieser Fall auch von dem Anwendungsbereich der Prospekthaftung im engeren Sinne erfasst. Dafür reicht aus, dass der Prospekt – wie hier – entsprechend dem Vertriebskonzept der Fondsgesellschaft von den Anlagevermittlern als Arbeitsgrundlage verwendet wird (BGH, Urt. v. 14. Juli 2003 – II ZR 202/02, ZIP 2003, 1651, 1653).

Das ist hier geschehen, auch wenn das Berufungsgericht festgestellt hat, der Prospektinhalt sei dem Kläger nicht „mitgeteilt“ worden. Dies darf entgegen der Ansicht des Beklagten zu 1 nicht dahin verstanden werden, der Prospekt habe überhaupt keine Rolle bei der Anwerbung gespielt. Sollen die Anleger bestimmungsgemäß auf der Grundlage des herausgegebenen Prospekts geworben werden, fließt notwendigerweise der Prospektinhalt in das einzelne Werbegespräch ein. Dementsprechend ist der Kläger, dem im Übrigen nicht irgendeine Anlage, sondern eine Beteiligung an dem Unternehmenssegment VII der S. AG vermittelt worden ist, über die in dem Prospekt verschwiegenen Risiken unstreitig nicht unterrichtet worden. Auch wenn der Vermittler dem Kläger nicht alle in dem Prospekt aufgenommenen Einzelheiten „mitgeteilt“ hat, war doch dieser Prospekt dem Vertriebskonzept entsprechend die Grundlage des Beratungsgesprächs. Der Prospektmangel setzte sich damit in das Beratungsgespräch hinein fort und wirkte genauso, wie wenn dem Kläger der Prospekt rechtzeitig übergeben worden wäre und er kein Gespräch mit dem Anlagevermittler geführt, sondern sich allein aus dem Prospekt informiert hätte.

Schlagworte: Anlageberatung und Prospekthaftung, Haftung aus Inanspruchnahme typisierten Vertrauens, Haftung aus Verschulden bei Vertragsschluss, Publikumsgesellschaft, Publikumspersonengesellschaft