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BGH, Urteil vom 30. Juni 2020 – II ZR 8/19

§ 147 Abs 1 S 1 AktG, § 147 Abs 2 S 1 AktG, § 309 AktG, § 317 AktG

1. Ein selbständiger Beschluss über die Bestellung eines besonderen Vertreters, dem ein wirksamer oder als wirksam zu behandelnder Beschluss zur Geltendmachung der Ersatzansprüche zugrunde liegt, ist nicht wegen des Fehlens von Anhaltspunkten für das Bestehen von Ersatzansprüchen anfechtbar.

2. Konzernrechtliche Haftungsansprüche nach §§ 309, 317 AktG gehören zu den Ersatzansprüchen gemäß § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG.

Tenor

Auf die Revision der Nebenintervenientin zu 1 wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 20. Dezember 2018 aufgehoben und wie folgt neu gefasst:

Auf die Berufungen der Nebenintervenienten zu 1 und 2 wird das Anerkenntnisurteil der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf vom 23. September 2016 abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der durch die Nebenintervention der Nebenintervenienten zu 1 bis 7 verursachten Kosten.

Tatbestand

Die Beklagte ist eine börsennotierte Aktiengesellschaft mit Sitz in D.    . Gegenstand des Unternehmens ist u.a. der Betrieb von Hotels im In- und Ausland. Größte Aktionärin ist die Klägerin mit einem Anteil von 52,16 %, welche der ebenfalls in der Hotellerie- und Touristikbranche tätigen L.     -Gruppe angehört. Zweitgrößte Aktionärin ist die Nebenintervenientin zu 1 und Revisionsklägerin mit einem Anteil von 33,80 % der Aktien.

Nach mit den Stimmen der Klägerin gefasster Zustimmung der Hauptversammlung vom 16./17. Juli 2015 erwarb die Beklagte die Gesellschaftsanteile an der C.     Hotel        S.A., die ihrerseits Eigentümerin des Hotels C.      auf G.         war, zu einem Kaufpreis von 34 Mio. €. Gesellschafter der C.      Hotel             S.A. war mit 99 % die ebenfalls der L.      -Gruppe angehörende C.     Hotel            S.A.U., deren Mehrheitsaktionärin wiederum die Klägerin ist. In derselben Hauptversammlung wurde zu Tagesordnungspunkt 11 b) cc) auf ein Ergänzungsverlangen der Nebenintervenientin zu 1 gemäß § 147 AktG die „Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Geltendmachung von Ersatzansprüchen
gegen die C.     Hotel               S.A.U. und die L.     Touristik S.A. und die jeweiligen Obergesellschaften im Zusammenhang mit dem Erwerb der Anteile an der C.    Hotel        S.A.“ durch die Beklagte beschlossen und Dr. K.     zum besonderen Vertreter bestellt. Eine Sonderprüfung des Kaufs der Gesellschaftsanteile an der C.   Hotel        S.A. (Tagesordnungspunkt 10) lehnte die Hauptversammlung ab.

Zur Begründung des Antrags zu Tagesordnungspunkt 11 (Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Geltendmachung von Ersatzansprüchen
und besonderer Vertreter) war ausgeführt:

„Die geltend zu machenden Ersatzansprüche bestehen insbesondere im Folgenden:

(…)

c) Vorstand und Aufsichtsrat haben offensichtlich, veranlasst durch den herrschenden Mehrheitsaktionär der auf den 16./17. Juli 2015 einberufenen Hauptversammlung, den Erwerb der C.    Hotel      S.A. zum Kaufpreis von € 34 Mio. vorgeschlagen. Der Kaufpreis ist deutlich überhöht. Dadurch soll dem herrschenden Mehrheitsaktionär auf dessen Veranlassung verdeckt Vermögen der Gesellschaft zugewendet werden. … Die aus der Vorbereitung und Umsetzung des Hauptversammlungsbeschlusses ergebenen [gemeint: ergebenden] Ersatzansprüche der Gesellschaft insb. wegen des Über-Wert-Erwerbes sind geltend zu machen.“

Im Übrigen wurde auf die Begründung zum Antrag auf Bestellung eines Sonderprüfers Bezug genommen, in dessen Begründung u.a. die eingeholte Unternehmensbewertung angezweifelt wurde.

Der Geltendmachungsbeschluss ist Gegenstand einer Anfechtungsklage vor dem Landgericht Düsseldorf, über die noch nicht entschieden ist.

In der Hauptversammlung der Beklagten vom 21. Juli 2016 wurde mit den Stimmen der Klägerin zu Tagesordnungspunkt 7 die Abberufung des besonderen Vertreters Dr. K.     beschlossen. Der Beschluss ist Gegenstand einer Anfechtungsklage vor dem Landgericht Düsseldorf. Zu Tagesordnungspunkt 9 beschloss die Hauptversammlung aufgrund eines Ergänzungsverlangens der Nebenintervenientin zu 1 unter Ausschluss der Stimmrechtsausübung durch die Klägerin die „Bestellung eines besonderen Vertreters zur Geltendmachung der von der Hauptversammlung am 17.07.2015 zur Geltendmachung beschlossenen Ersatzansprüche“ in Person von erneut Dr. K.     .

Die Klägerin erhob gegen den Bestellungsbeschluss der Hauptversammlung vom 21. Juli 2016 zu Tagesordnungspunkt 9 Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage. Das Landgericht hat den Bestellungsbeschluss durch Anerkenntnisurteil für nichtig erklärt. Gegen das Anerkenntnisurteil legten die Nebenintervenienten zu 1 und 2 unter gleichzeitiger Erklärung ihres Beitritts auf Seiten der Beklagten jeweils Berufung ein. Das Berufungsgericht hat den Beitritt der Nebenintervenienten und ihre Berufung für zulässig erklärt, die Berufung aber als unbegründet zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Nebenintervenientin zu 1 mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Nebenintervenientin zu 1 hat Erfolg. Sie führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Abweisung der Klage.

I.

Das Berufungsgericht (OLG DüsseldorfBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Düsseldorf
, ZIP 2019, 1112) hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – im Wesentlichen wie folgt begründet:

Der Bestellungsbeschluss der Hauptversammlung vom 21. Juli 2016 zu Tagesordnungspunkt 9 verstoße gegen § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG, weil ihm nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit entnommen werden könne, welche Ersatzansprüche von dem besonderen Vertreter geltend gemacht werden sollten. Ein Hauptversammlungsbeschluss, der hinsichtlich des zugrundeliegenden Sachverhalts nicht hinreichend bestimmt sei und den geltend zu machenden Ersatzanspruch nicht hinreichend konkretisiere, sei anfechtbar.

An die Bestimmtheit sowie die Konkretisierung der Ersatzansprüche seien für den Bestellungsbeschluss keine anderen inhaltlichen Anforderungen zu stellen als für den Geltendmachungsbeschluss nach § 147 Abs. 1 AktG. Die wirksame Bestellung eines besonderen Vertreters durch einen Hauptversammlungsbeschluss erfordere nach § 147 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 AktG eine Darstellung der geltend zu machenden Ersatzansprüche der Gesellschaft, die neben dem zugrundeliegenden Lebenssachverhalt erkennen lasse, welche Umstände für das Vorliegen einer anspruchsbegründenden Pflichtverletzung sprächen. Dabei sei über das Behaupten des Bestehens von Ersatzansprüchen unter, wie hier, nur auf den ersten Blick konkretem Hinweis auf eine bestimmte Geschäftsführungsmaßnahme hinaus erforderlich, dass aus tatsächlichen und/oder rechtlichen Gründen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das Bestehen von Ersatzansprüchen spreche und diese nicht mehr oder minder „ins Blaue hinein“ behauptet würden. Sei eine derartige Konkretisierung zum Zeitpunkt der Hauptversammlung nicht möglich, weil noch erheblicher Aufklärungsbedarf bestehe, sei die Bestellung eines besonderen Vertreters von dem Recht nach § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG nicht mehr gedeckt.

Der Bestellungsbeschluss bezeichne zwar – unter Berücksichtigung des Inhalts des ihm zugrunde gelegten Geltendmachungsbeschlusses vom 17. Juli 2015 – die Anspruchsgegner, die C.      Hotel              S.A.U., die L.      Touristik S.A. und die jeweiligen Obergesellschaften und den generellen Ausgangspunkt der Ersatzansprüche, den möglicherweise überhöhten Preis für den Erwerb der Anteile an der C.   Hotel        S.A.. Der Lebenssachverhalt sei aber nur vordergründig bestimmbar umrissen, solange unklar sei, ob der gezahlte Kaufpreis tatsächlich überhöht gewesen sei bzw. hierfür noch nicht einmal konkrete Umstände dargetan worden seien.

II.

Das hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand.

1. Zutreffend ist das Berufungsgericht von der Zulässigkeit der Berufung durch die Nebenintervenientin zu 1 und einer fehlenden Bindung an das Anerkenntnis der beklagten Gesellschaft ausgegangen.

Die Nebenintervenientin zu 1 ist dem Rechtsstreit wirksam auf Seiten der Beklagten durch Einlegung der Berufung beigetreten. Sie ist als Aktionärin streitgenössische Nebenintervenientin (BGH, Beschluss vom 23. April 2007 – II ZB 29/05, BGHZ 172, 136 Rn. 9) und konnte auch gegen den Widerspruch und trotz Anerkenntnis der Hauptpartei Rechtsmittel einlegen (BGH, Beschluss vom 31. März 2008 – II ZB 4/07, ZIP 2008, 942 Rn. 8 mwN).

2. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht jedoch den Bestellungsbeschluss vom 21. Juli 2016 deswegen für anfechtbar gehalten, weil keine hinreichende Tatsachengrundlage für die geltend zu machenden Ersatzansprüche bestehe. Zu Unrecht gehen das Berufungsgericht und die Revisionsbeklagte davon aus, dass ein isolierter Bestellungsbeschluss, der sich auf einen zuvor gefassten Geltendmachungsbeschluss bezieht, anfechtbar ist, wenn keine Anhaltspunkte für das Bestehen der zur Geltendmachung beschlossenen Ersatzansprüche vorliegen oder der zugrundeliegende Sachverhalt nicht hinreichend bestimmt ist. Der Beschluss über die Bestellung eines besonderen Vertreters gemäß § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG setzt lediglich einen wirksamen Geltendmachungsbeschluss voraus.

Ein Beschluss über die Bestellung eines besonderen Vertreters gemäß § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG setzt lediglich voraus, dass ein Beschluss zur Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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gemäß § 147 Abs. 1 AktG bereits gefasst wurde oder zeitgleich gefasst wird (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 250; OLG KarlsruheBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Karlsruhe
, ZIP 2018, 627, 634; KK-AktG/O. Rieckers/J. Vetter, 3. Aufl., § 147 Rn. 302, 331, 456; MünchKommAktG/Arnold, 4. Aufl., § 147 Rn. 87; Hüffer, ZHR 174 (2010), 642, 652 f., 666; Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 237). Eine weitergehende „Glaubhaftmachung“ der Ersatzansprüche kann für den Bestellungsbeschluss mithin nicht gefordert werden (so auch Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., § 147 Rn. 10). Setzt aber der Bestellungsbeschluss einen Geltendmachungsbeschluss voraus, so bestimmt dieser die geltend zu machenden Ersatzansprüche, während der Bestellungsbeschluss einer näheren Bestimmung nur bedarf, wenn nicht alle zur Geltendmachung beschlossenen Ersatzansprüche vom besonderen Vertreter geltend gemacht werden sollen. Entsprechend genügt im Bestellungsbeschluss eine Bezugnahme auf den Geltendmachungsbeschluss (vgl.KK-AktG/O. Rieckers/J. Vetter, 3. Aufl., § 147 Rn. 311; MünchKommAktG/Arnold, 4. Aufl., § 147 Rn. 88; Hüffer, ZHR 174 (2010), 642, 666). Bei einer erneuten Prüfung der tatsächlichen Grundlagen der zur Geltendmachung beschlossenen Ersatzansprüche wäre nicht die gleiche, sondern dieselbe Rechtsfrage erneut zu beurteilen, nämlich die, ob der Geltendmachungsbeschluss hinreichend bestimmt ist.

3. Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Der im Bestellungsbeschluss in Bezug genommene Geltendmachungsbeschluss ist nicht nichtig und damit jedenfalls bis zur Entscheidung über die gegen ihn erhobene Anfechtungsklage als wirksam zu behandeln.

a) Der Geltendmachungsbeschluss vom 16./17. Juli 2015 ist nicht deshalb nichtig, weil das Bestehen von Ersatzansprüchen unwahrscheinlich ist.

aa) Es ist umstritten, ob ein Geltendmachungsbeschluss nichtig ist, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für das Bestehen der Ersatzansprüche fehlen.

Von einer Ansicht wird bei einem Fehlen tatsächlicher Anhaltspunkte für das Bestehen von Ersatzansprüchen ein mit dem Wesen der Aktiengesellschaft nicht zu vereinbarender Eingriff in das aktienrechtliche Kompetenzgefüge angenommen, was zu einer Nichtigkeit des Geltendmachungsbeschlusses gemäß § 241 Nr. 3 AktG führe (vgl. OLG KarlsruheBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Karlsruhe
, ZIP 2018, 627, 629, 632; Kocher/Lönner, ZIP 2016, 653, 657; KK-AktG/O. Rieckers/J. Vetter, 3. Aufl., § 147 Rn. 261 ff.).

Eine andere Ansicht nimmt hingegen in einem solchen Fall nur einen Anfechtungsgrund gemäß § 243 Abs. 1 AktG an (OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG München
, ZIP 2008, 1916, 1917, 1919; OLG KölnBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Köln
, ZIP 2015, 2470, 2471; LG Heidelberg, ZIP 2016, 471; LG Duisburg, ZIP 2016, 1970, 1972; Butzke, Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft, 5. Aufl., Teil M Rn. 40; Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., § 147 Rn. 8; Hüffer, ZHR 174 (2010), 642, 667; Spindler, Festschrift Vetter, 2019, S. 763, 777 f.; differenzierend: Beneke, Der besondere Vertreter nach § 147 AktG, 2017, S. 116 f.; Humrich, Der besondere Vertreter, 2013, S. 62 f.).

bb) Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Ansicht an. Ein Geltendmachungsbeschluss ist nur nichtig, wenn die Ersatzansprüche nicht hinreichend individualisierbar sind.

(1) Der Lebenssachverhalt, auf den der geltend zu machende Ersatzanspruch gestützt wird, muss in einem Geltendmachungsbeschluss gemäß § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG ausreichend klar und konkret beschrieben sein, damit Vorstand und Aufsichtsrat bzw. der besondere Vertreter den Umfang ihres Mandats erkennen können (LG Duisburg, ZIP 2013, 1379, 1380; Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl., § 147 Rn. 9; BeckOGK AktG/Mock, Stand: 15. Januar 2020, § 147 Rn. 45; MünchKommAktG/Arnold, 4. Aufl., § 147 Rn. 36; KK-AktG/O. Rieckers/J. Vetter, 3. Aufl., § 147 Rn. 173 ff.; Bezzenberger in Großkomm. AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 19; Verhoeven, ZIP 2008, 245, 249; Binder, ZHR 176 (2012), 380, 394; Nietsch, ZGR 2011, 589, 595; Kling, ZGR 2009, 190, 194; Spindler, Festschrift Vetter, 2019, S. 763, 776; jeweils mwN) und die Gerichte – im Falle der Bestellung eines besonderen Vertreters – dessen Vertretungsmacht zu prüfen in der Lage sind (OLG FrankfurtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Frankfurt
, AG 2004, 104, 105; OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG München
, ZIP 2008, 73, 74; ZIP 2008, 1916, 1921; OLG Stuttgart, AG 2009, 169; KG, WM 2012, 694, 696; OLG KarlsruheBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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, ZIP 2018, 627, 629).

Der auf der Hauptversammlung der Beklagten am 16./17. Juli 2015 gefasste Geltendmachungsbeschluss beschreibt den Lebenssachverhalt hinreichend konkret. Die Anspruchsgegner sind entgegen der Revisionserwiderung auch im Hinblick auf die Formulierung „die jeweiligen Obergesellschaften“ bestimmbar. Im Hinblick auf die angesprochene Haftung gemäß § 317 AktG ist der Begriff entsprechend § 17 AktG auszulegen und setzt – unabhängig von der Art der Beteiligung – einen entsprechenden Einfluss voraus.

(2) Über diese Individualisierung der Ersatzansprüche hinausgehende Anforderungen an die Tatsachengrundlage führen nicht zur Nichtigkeit eines Geltendmachungsbeschlusses nach § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG.

Soweit zusätzliche Anforderungen an eine Tatsachengrundlage aus der Treuepflicht der Gesellschafter und dem Verbot des Rechtsmissbrauchs hergeleitet werden (vgl. KK-AktG/O. Rieckers/J. Vetter, 3. Aufl., § 147 Rn. 200; MünchKommAktG/Arnold, 4. Aufl., § 147 Rn. 42; BeckOGK AktG/Mock, Stand: 15. Januar 2020, § 147 Rn. 52; Hüffer, ZHR 174 (2010), 642, 657 ff.; Beneke, Der besondere Vertreter nach § 147 AktG, 2017, S. 88 ff., 95; Spindler, Festschrift Vetter, 2019, S. 763, 773 f., 776), ist Rechtsfolge eines Verstoßes gegen die Treuepflicht stets nur die Anfechtbarkeit des Beschlusses (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 1999 – II ZR 126/98, BGHZ 142, 167, 169; KK-AktG/O. Rieckers/J. Vetter, 3. Aufl., § 147 Rn. 206).

Zwar werden in Rechtsprechung und Schrifttum unter dem Erfordernis der Bestimmtheit zusätzliche Anforderungen an die Tatsachengrundlage gestellt. So wird zum Teil verlangt, dass Tatsachen vorliegen, aus denen sich ergibt, dass sich das jeweilige Organmitglied möglicherweise pflichtwidrig verhalten hat und der Gesellschaft daraus ein Schaden entstanden ist(LG Stuttgart, AG 2008, 757, 758; MünchKommAktG/Arnold, 4. Aufl., § 147 Rn. 38; Löbbe, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2016, S. 25, 45). Dabei wird teilweise zwischen Mehrheitsbeschluss und Minderheitsverlangen differenziert (Bayer, AG 2016, 637, 647 ff.). Andere verlangen schlüssigen Vortrag und konkrete Anhaltspunkte (LG Köln, ZIP 2016, 162, 163 ff.; Kocher/Lönner, ZIP 2016, 653 ff., 658; Grigoleit/Rachlitz, AktG, 2. Aufl., § 147 Rn. 12), wobei auch hier zwischen Mehrheitsbeschluss und Minderheitsverlangen unterschieden wird (Spindler, Festschrift Vetter, 2019, S. 763, 775). Wieder andere verlangen einen Anfangsverdacht für das Vorliegen einer Pflichtverletzung(LG Stuttgart, ZIP 2010, 329, 330 f.; Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl., § 147 Rn. 9; Haubold, Der Aufsichtsrat, 2017, 107, 108; Bungert in Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl., Rn. 16.83, 16.106), eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen eines Ersatzanspruches (KK-AktG/ O. Riekers/ J. Vetter, 3. Aufl., § 147 Rn. 174, 183) oder einen hinreichenden Tatverdacht (Tielmann, IWRZ 2016, 127, 129 f.). Eine weitere Ansicht fordert, dass keine Sachverhaltsaufklärung mehr erforderlich ist (OLG Stuttgart, AG 2009, 169, 170; Holzborn/Jänig in Bürgers/Körber, AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 7; Leyens, ZGR 2019, 544, 575).

Es kann aber offen bleiben, ob derartige zusätzliche Anforderungen an die Tatsachengrundlage eines Geltendmachungsbeschlusses gemäß § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG zu stellen sind oder ob nicht vielmehr die mit Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20. Januar 1986 zu § 46 Nr. 8 GmbHG entwickelten Grundsätze auf § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG zu übertragen sind (BGH, Urteil vom 20. Januar 1986 – II ZR 73/85, BGHZ 97, 28, 36). Danach reicht es grundsätzlich aus, dass der die Abstimmung beantragende Gesellschafter im Einzelnen umreißt, worin die Pflichtverletzung und der Tatbeitrag der einzelnen Mitgesellschafter besteht; „ähnlich wie bei der von einer Minderheit nach § 147 AktG zu erzwingenden Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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gegen Gründer, Vorstandsmitglieder etc. …“ kommt es im GmbH-Recht nicht darauf an, ob der prozess Aussicht auf Erfolg hat.

Das Fehlen tatsächlicher Anhaltspunkte oder einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit führt jedenfalls nicht zu einer Nichtigkeit des Geltendmachungsbeschlusses. § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG weist der Hauptversammlung gerade das Recht zu, die Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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zu beschließen. Ein Beschluss, der auf unzureichenden Verdachtsmomenten beruht, greift nicht derart in das Kompetenzgefüge der Aktiengesellschaft ein, dass dies mit dem Wesen der Aktiengesellschaft nicht zu vereinbaren wäre. Gleiches gilt für die Bestellung eines besonderen Vertreters. Obwohl dessen Bestellung das Kompetenzgefüge der Aktiengesellschaft ausschnittsweise ändert, führt nicht automatisch jeder einfache Rechtsfehler zu einem gemäß § 241 Nr. 3 AktG mit dem Wesen der Aktiengesellschaft nicht zu vereinbarenden Eingriff in dieses Kompetenzgefüge.

b) Der Geltendmachungsbeschluss ist auch nicht deswegen nach § 241 Nr. 3 AktG nichtig, weil von ihm auch konzernrechtliche Ansprüche, nämlich Ansprüche gegen die Klägerin als das im faktischen Konzern herrschende Unternehmen und deren gesetzliche Vertreter gemäß § 317 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 AktG, mitumfasst sind.

aa) Ob Ansprüche gegen das im faktischen Konzern herrschende Unternehmen und dessen gesetzliche Vertreter gemäß § 317 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 AktG von § 147 Abs. 1 AktG erfasst sind, ist umstritten.

(1) Teilweise wird vertreten, § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG gelte nicht für Ansprüche aus §§ 309, 317 AktG (Hölters/Hirschmann, AktG, 3. Aufl., § 147 Rn. 3; Kling, ZGR 2009, 190, 202 ff.; Fett in Bürgers/Körber, AktG, 4. Aufl., § 309 Rn. 22 und § 317 Rn. 16; KK-AktG/Koppensteiner, 3. Aufl., § 309 Rn. 45 und § 317 Rn. 35), da der Wortlaut des § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG die Ansprüche nach §§ 309, 317 AktG nicht erwähne. Aus der Gesetzesbegründung zu § 309 Abs. 4 AktG von 1965 ergebe sich, dass § 309 Abs. 4 AktG den § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG nicht ergänze, sondern an dessen Stelle trete. In § 309 Abs. 4 AktG und § 317 Abs. 4 AktG sei ein Individualklagerecht der Aktionäre vorgesehen, wonach jeder einzelne Aktionär berechtigt sei, Leistung an die Aktiengesellschaft zu verlangen und dies gerichtlich durchzusetzen. Ein Bedürfnis für die Anwendung des § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG bestehe somit nicht. Die konzernrechtliche Aktionärsklage sei insoweit abschließend.

(2) Andere gehen hingegen davon aus, dass § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG auch Ansprüche nach §§ 309, 317 AktG erfasst, mithin ein Nebeneinander der Einzelklagebefugnis des Aktionärs und des Klageerzwingungsrechts nach §§ 147 f. AktG besteht (OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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, ZIP 2008, 73, 75; OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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, ZIP 2008, 1916, 1918 f.; OLG KölnBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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, ZIP 2017, 1211, 1217 f.; Emmerich in Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 9. Aufl., § 309 AktG Rn. 48; Habersack in Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 9. Aufl., § 317 AktG Rn. 27; BeckOGK AktG/Mock, Stand: 15. Januar 2020, § 147 Rn. 24; MünchKommAktG/Arnold, 4. Aufl., § 147 Rn. 26 f.; MünchKommAktG/Altmeppen, 4. Aufl., § 309 Rn. 124 und § 317 Rn. 61 ff.; Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl.; § 147 Rn. 3; Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl., § 147 Rn. 4; J. Vetter in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl., § 317 Rn. 26; Bezzenberger in Großkomm. AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 13; KK-AktG/O. Rieckers/J. Vetter, 3. Aufl., § 147 Rn. 142 ff.; Kropff, Festschrift Bezzenberger, 2000, S. 233, 244 ff.; H.-F. Müller, Der Konzern 2006, 725, 728 ff.; Nietsch, ZGR 2011, 589, 597 f.; Bernau, AG 2011, 894, 900; Bayer, AG 2016, 637, 641 f.; Mörsdorf, ZHR 183 (2019), 695, 700). Der Wortlaut des § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG sei nicht abschließend. Aus der Begründung zu § 309 Abs. 4 AktG im Regierungsentwurf von 1965 könne abgeleitet werden, dass das Individualklagerecht gerade eine Erweiterung oder Ergänzung und keine Beschränkung der Minderheitenrechte darstellen solle. Auch das Haftungssystem, der Schutzzweck der Norm und die besondere Konstellation bei einem faktischen Konzern spreche für die Anwendung des § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG auf Ansprüche aus §§ 309, 317 AktG.

bb) Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Konzernrechtliche Haftungsansprüche nach §§ 309, 317 AktG gehören zu den Ersatzansprüchen gemäß § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG.

(1) Der Wortlaut des § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG steht einer Einbeziehung der §§ 309, 317 AktG nicht entgegen. Zwar erstreckt sich der Wortlaut des § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG nicht auf die Ansprüche gegen das im faktischen Konzern (zum Vertragskonzern: § 308 AktG) herrschende Unternehmen und dessen gesetzliche Vertreter gemäß § 317 Abs. 1, Abs. 3 AktG. Anerkanntermaßen ist der Wortlaut der Norm aber auch hinsichtlich der Ansprüche nach §§ 310, 318 AktG nicht abschließend (MünchKommAktG/Altmeppen, 4. Aufl., § 317 Rn. 64; MünchKommAktG/Arnold, 4. Aufl., § 147 Rn. 26; Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., § 147 Rn. 3; KK-AktG/O. Rieckers/J. Vetter, 3. Aufl., § 147 Rn. 141; Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl., § 147 Rn. 4; H.-F. Müller, Der Konzern 2006, 725, 728; Kling, ZGR 2009, 190, 203; aA Humrich, Der besondere Vertreter im Aktienrecht, 2013, S. 49 ff.).

(2) Aus den Gesetzesmaterialen zum AktG 1965 ergeben sich keine konkreten Hinweise darauf, ob das Verfolgungsrecht nach §§ 147 ff. AktG auf konzernrechtliche Ansprüche aus den §§ 309, 317 AktG erstreckt werden sollte (KK-AktG/O. Rieckers/J. Vetter, 3. Aufl., § 147 Rn. 143; H.-F. Müller, Der Konzern 2006, 725, 729; Kling, ZGR 2009, 190, 203 Fn. 70). Der Wortlaut der Regierungsbegründung ist hinsichtlich des Verhältnisses des Individualklagerechts zu den Rechten aus § 147 AktG nicht eindeutig. Dort heißt es, für die Ersatzansprüche nach § 309 AktG erscheine es notwendig, über die sonst bei der Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Ersatzansprüchen
Geltendmachung von Ersatzansprüchen
der Gesellschaft bestehenden Minderheitenrechte (§ 147 AktG) hinauszugehen, weil der Einfluss des herrschenden Unternehmens häufig so stark sein werde, dass die erforderliche Minderheit nicht zusammenkomme. Ein missbrauch dieses Rechts brauche nicht befürchtet zu werden, weil der klagende Aktionär das Kostenrisiko trage (RegE AktG, BT-Drucks. 3/1915 und 4/171, jeweils S. 228 zu § 298 RegE; Kropff, AktG, 1965, S. 405). Der Regierungsbegründung lässt sich somit entnehmen, dass mit der Schaffung der konzernrechtlichen Einzelklagebefugnis durch das AktG 1965 keine Beschränkung, sondern eine Erweiterung des Minderheitenschutzes beabsichtigt wurde (KK-AktG/O. Rieckers/J. Vetter, 3. Aufl., § 147 Rn. 144; Bezzenberger in Großkomm. AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 13; BeckOGK AktG/Mock, Stand: 15. Januar 2020, § 147 Rn. 24; Stallknecht, Der besondere Vertreter nach § 147, 2015, S. 78). Dass der Gesetzgeber die Gelegenheit zu einer Klarstellung im Rahmen des UMAG ungenutzt verstreichen ließ, steht dieser Annahme nicht entgegen. In den Materialien zum UMAG findet sich kein Hinweis darauf, dass sich der Gesetzgeber überhaupt mit der Problematik auseinandergesetzt hat (H.-F. Müller, Der Konzern 2006, 725, 729). Zudem geht die Regierungsbegründung immerhin von Anspruchskonkurrenz zwischen § 117 AktG und § 317 AktG aus (RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 12).

(3) Auch die Gesetzessystematik spricht dafür, Ansprüche aus §§ 309, 317 AktG in den Anwendungsbereich des § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG einzubeziehen. Nach nahezu einhelliger Ansicht sind die konzernrechtlichen Haftungstatbestände der §§ 310, 318 AktG, welche sich auf Pflichtverletzungen der „eigenen“ Verwaltungsmitglieder der abhängigen Gesellschaft beziehen, von § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG erfasst, obwohl auch diese dort nicht aufgeführt sind (MünchKommAktG/Altmeppen, 4. Aufl., § 317 Rn. 64; MünchKommAktG/Arnold, 4. Aufl., § 147 Rn. 26; BeckOGK AktG/Mock, Stand: 15. Januar 2020, § 147 Rn. 24; Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., § 147 Rn. 3; KK-AktG/O. Rieckers/J. Vetter, 3. Aufl., § 147 Rn. 141; Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl., § 147 Rn. 4; H.-F. Müller, Der Konzern 2006, 725, 728; Kling, ZGR 2009, 190, 203; aA Humrich, Der besondere Vertreter im Aktienrecht, 2013, S. 49 ff.). Gelten aber die §§ 147, 148 AktG für Ersatzansprüche aus durch die Abhängigkeit bedingten Geschäftsführungsverstößen, so spricht bereits das in § 318 AktG für sie angeordnete Gesamtschuldverhältnis mit dem Ersatzpflichtigen nach § 317 AktG dafür, dass die §§ 147, 148 AktG auch auf Ersatzansprüche nach § 317 AktG anzuwenden und diese in einheitlicher Art und Weise prozessual geltend zu machen sind (KK-AktG/O. Rieckers/J. Vetter, 3. Aufl., § 147 Rn. 148; J. Vetter in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl., § 317 Rn. 26; MünchKommAktG/ Altmeppen, 4. Aufl., § 317 Rn. 65; MünchKommAktG/Arnold, 4. Aufl., § 147 Rn. 27; Kropff, Festschrift Bezzenberger, 2000, S. 233, 244 f.; Stallknecht, Der besondere Vertreter nach § 147 AktG, 2015, S. 80). Dem steht nicht entgegen, dass § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG die Ansprüche aus § 117 AktG ausdrücklich erfasst, welche insbesondere Vorsatz erfordern und daher im Verhältnis zu §§ 309, 310, 317, 318 AktG wesentlich strengere Voraussetzungen haben. Vielmehr spricht das Verhältnis von § 317 AktG zu § 117 AktG gerade für eine Anwendbarkeit des § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG auf die §§ 309, 317 AktG. § 318 AktG lässt sich als konzernrechtliche Präzisierung des allgemeinen Schädigungsverbots des § 117 AktG verstehen. Bei faktischer Beherrschung decken sich die Haftungstatbestände der § 117 AktG und § 317 AktG, die eine vergleichbare Zielrichtung haben, weitgehend. Nach beiden Vorschriften haften das herrschende Unternehmen und seine gesetzlichen Vertreter bei unzulässiger Einflussnahme. Ansprüche aus § 117 AktG bestehen zwar neben denen aus § 317 AktG. Die den Vorsatz erfordernde Haftung aus § 117 AktG hat allerdings kaum praktische Bedeutung, weil die strengere Haftung nach § 317 AktG sie einschließt (vgl. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 12). Im Hinblick auf diesen engen dogmatischen Zusammenhang ist nicht davon auszugehen, dass § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG nur Ansprüche aus § 117 AktG, nicht jedoch die im Ansatz gleichartige, aber schärfere Haftung des herrschenden Unternehmens nach § 317 AktG erfassen will (MünchKommAktG/Altmeppen, 4. Aufl., § 317 Rn. 65; MünchKommAktG/Arnold, 4. Aufl., § 147 Rn. 27; J. Vetter in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl., § 317 Rn. 26; KK-AktG/O. Rieckers/J. Vetter, 3. Aufl., § 147 Rn. 147; Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., § 147 Rn. 3; Kropff, Festschrift Bezzenberger, 2000, S. 233, 245; Stallknecht, Der besondere Vertreter nach § 147 AktG, 2015, S. 80).

(4) Weiterhin sprechen Sinn und Zweck des § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG dafür, seinen Anwendungsbereich auch auf konzernrechtliche Ansprüche zu erstrecken. § 147 AktG will die tatsächliche Geltendmachung bestimmter Ersatzansprüche sichern und soll so dem das pflichtgemäße Verhalten bewirkenden Haftungsdruck für die Organe Nachdruck verleihen. Zudem sollen die §§ 147 ff. AktG verhindern, dass Ersatzansprüche der Gesellschaft auf Grund einer Befangenheit der Mitglieder der Verwaltungsorgane nicht durchgesetzt werden. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs zum UMAG könne typischerweise nicht erwartet werden, dass derjenige Ansprüche verfolge, der dem Ersatzpflichtigen kollegial oder geschäftlich verbunden oder ihm für seine eigene Bestellung zu Dank verpflichtet sei, oder Gefahr laufe, dass im Verfahren seine eigenen Versäumnisse aufgedeckt würden (RegE UMAG,BT-Drucks. 15/5092, S. 20). Diese Interessenkollision besteht aber bei den Organmitgliedern einer abhängigen Gesellschaft zum herrschenden Unternehmen in gleichem Maße. Zudem ist die Gefahr, dass der Vorstand unter dem Einfluss des herrschenden Unternehmens Ansprüche gegen dieses nicht geltend macht, besonders groß, so dass eine Ausweitung der §§ 147 ff. AktG auf konzernrechtliche Ersatzansprüche auch unter diesem Gesichtspunkt sachgerecht erscheint (J. Vetter in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl., § 317 Rn. 26; MünchKommAktG/Arnold, 4. Aufl., § 147 Rn. 27; Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., § 147 Rn. 3; Kropff, Festschrift Bezzenberger, 2000, S. 233, 246).

Dem steht nicht entgegen, dass den Aktionären grundsätzlich die konzernrechtliche Einzelklage zusteht. Eine verdrängende Wirkung im Verhältnis zu den §§ 147, 148 AktG vermag dies nicht zu begründen. Im Unterschied zu §§ 309, 317 AktG räumt § 147 AktG den Aktionären kein Individualklagerecht ein, sondern begründet lediglich das Recht der Hauptversammlung, die Gesellschaft zur Klageerhebung zu zwingen. Die konzernrechtliche Individualklage ist im Verhältnis zu diesem Klageerzwingungsverfahren daher nicht spezieller, sondern ein aliud. Es erscheint im Hinblick auf das Kompetenzgefüge der Aktiengesellschaft wenig überzeugend, wenn einzelne Aktionäre Ansprüche der Gesellschaft im Wege der Prozessstandschaft nach § 309 Abs. 4, § 317 Abs. 4 AktG geltend machen könnten, die Hauptversammlung jedoch gehindert wäre, die Geltendmachung dieser Ansprüche nach § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG zu erzwingen (J. Vetter in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl., § 317 Rn. 26;KK-AktG/O. Rieckers/J. Vetter, 3. Aufl., § 147 Rn. 145; MünchKommAktG/Altmeppen, 4. Aufl., § 317 Rn. 66; Stallknecht, Der besondere Vertreter nach § 147 AktG, 2015, S. 81; H.-F. Müller, Der Konzern 2006, 725, 729; Bernau, AG 2011, 894, 899 f.). Unabhängig davon ist das Klagerecht jedes einzelnen Aktionärs nur auf den ersten Blick gleich oder sogar höherwertig. Tatsächlich ist es mit einem Prozesskostenrisiko belastet und hat daher keine große praktische Bedeutung (MünchKommAktG/Altmeppen, 4. Aufl., § 317 Rn. 66; MünchKommAktG/Arnold, 4. Aufl., § 147 Rn. 27; Kropff, Festschrift Bezzenberger, 2000, S. 233, 246).

(5) Dieses Auslegungsergebnis führt auch nicht deswegen zu einer Veränderung des Charakters der Vorschrift des § 147 AktG, weil aus einer als Mehrheitsrecht konzipierten Befugnis der Hauptversammlung im Zusammenspiel mit § 136 AktG ein Minderheitenrecht wird. Der Stimmrechtsausschluss ist vielmehr eine anerkannte Folge der eigenen Betroffenheit des Aktionärs.

III.

Die Anfechtungsklage gegen den Bestellungsbeschluss ist demnach unbegründet. Hierüber kann der Senat selbst entscheiden, da die Sache zur Endentscheidung reif ist, § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 3 ZPO.

Einer Aussetzung des Rechtsstreits gemäß § 148 ZPO im Hinblick auf das Verfahren vor dem Landgericht Düsseldorf, in dem der Geltendmachungsbeschluss angefochten wird, bedarf es nicht.

Der Bestellungsbeschluss setzt voraus, dass ein Beschluss zur Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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gemäß § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG gefasst wurde oder zeitgleich gefasst wird (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 250; OLG KarlsruheBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Karlsruhe
, ZIP 2018, 627, 634; KK-AktG/O. Rieckers/J. Vetter, 3. Aufl., § 147 Rn. 302, 331, 456; MünchKommAktG/Arnold, 4. Aufl., § 147 Rn. 87; Hüffer, ZHR 174 (2010), 642, 652 f., 666; Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 237). Fällt der Geltendmachungsbeschluss weg, verliert der Bestellungsbeschluss seine Grundlage und das Amt des besonderen Vertreters endet, ohne dass es hierfür einer Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage bedarf (KK-AktG/O. Rieckers/J. Vetter, 3. Aufl., § 147 Rn. 382, 456; MünchKommAktG/Arnold, 4. Aufl., § 147 Rn. 103; Bezzenberger in Großkomm. AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 60).

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Schlagworte: AktG § 147, Anfechtungsklage im Sinne der §§ 243 ff AktG, besonderer Vertreter, Ersatzansprüche, Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Organmitglieder, Konzernrecht