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BGH, Urteil vom 5. November 2020 – VII ZR 188/19

HGB § 89b Abs. 1, Abs. 3; Richtlinie 86/653/EWG Art. 17, 18

§ 89b Abs. 3 HGB ist im Lichte von Art. 18 der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (ABl.EG Nr.L382 vom 31.Dezember 1986 S.17) so auszulegen, dass diese Vorschrift, insbesondere § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB, nicht analogiefähig ist, soweit eine analoge Anwendung sich in Gegensatz zu dem bei Art. 18 der Richtlinie 86/653/EWG maßgebenden Analogieverbot setzen würde (Aufgabe von BGH, Urteil vom 28. Februar 2007 – VIII ZR 30/06, BGHZ 171, 192; Urteil vom 28. April 1999 – VIII ZR 354/97, BGHZ 141, 248; Urteil vom 13. Dezember 1995 – VIII ZR 61/95, NJW 1996, 848).

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteildes 16.Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 25.Juli 2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

Die Klägerin macht gegen die Beklagte einen Handelsvertreterausgleichsanspruch gemäß § 89b HGB geltend.

Die Klägerin, eine GmbH, war auf der Grundlage eines im Jahr 2002 geschlossenen Agenturvertrags nebst Nachträgen ab dem 1. Juni 2002 als Handelsvertreterin für die Beklagte tätig. Sie führte die seit dem Jahr 1968 bestehende „Generalagentur“ des H.-H.H. fort, deren Versicherungsbestände ihr zum Zwecke der Betreuung und des weiteren Ausbaus der Kundenbeziehung übertragen wurden. Gesellschafter mit einem Gesellschaftsanteil von je 50% und alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer der Klägerin waren T.H. und dessen Ehefrau, S.H.. Beide waren langjährige Mitarbeiter in der „Generalagentur“ und wünschten, diese in der Rechtsform einer GmbH fortzuführen. Die Beklagte wollte keinen Handelsvertretervertrag mit einer GmbH abschließen, deren Gesellschafter und/oder Geschäftsführer künftig beliebig würden ausgewechselt werden können; nach Vorstellung der Beklagten sollte das Vertragsverhältnis ungeachtet der Rechtsform als GmbH an die Gesellschaftergeschäftsführer – S.H. und T.H.- gebunden sein.

Der Nachtrag Nr. 4 zum Agenturvertrag enthält unter anderem folgende Regelungen:

„6. Der Vertrag ist auf unbestimmte Zeit abgeschlossen. Er endet jedoch spätestens

a) …,

b) …,

c)…,

d) mit Ausscheiden eines Geschäftsführers bzw. Gesellschafters aus der Gesellschaft,

e) ….

7. Zugunsten der Gesellschaft besteht ein Ausgleichsanspruch, wenn der Agenturvertrag beendet wird und die sonstigen Voraussetzungen des § 89 b HGB vorliegen. …“

Ab dem Jahr 2012 begann die Klägerin die Geschäftspraxis der Beklagten zu monieren und Abrechnungsfehler zu beanstanden.

Am 5. April 2017 beschlossen die Gesellschafter der Klägerin, dass S.H. mit Wirkung zum 7. April 2017 als Geschäftsführerin ausscheidet. Mit notariellem Vertrag vom 7. April 2017 übertrug diese ihre Geschäftsanteile ohne Gegenleistung auf ihren Ehemann, T.H., den jetzigen Alleingeschäftsführer und Alleingesellschafter. Die Parteien sind sich darüber einig, dass der im Jahr 2002 geschlossene Agenturvertrag mit dem Ausscheiden von S.H. endete.

Das Landgericht hat die auf Zahlung eines Handelsvertreterausgleichs in Höhe von 459.498,20 € nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Ausgleichsanspruch weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Der Klägerin stehe gegenüber der Beklagten kein Ausgleichsanspruch gemäß § 89b HGB in Verbindung mit § 92 Abs. 2 HGB zu.

Die Vorschrift des § 89b HGB finde auf das Vertragsverhältnis der Parteien Anwendung. Der Hinweis im Nachtrag Nr. 4 Ziffer 7 des Vertrages, wonach zugunsten der Gesellschaft ein Ausgleichsanspruch besteht, wenn der Agenturvertrag beendet wird und die sonstigen Voraussetzungen des § 89b HGB vorliegen, habe nur klarstellende Funktion.

Der zwischen der Klägerin und der Beklagten geschlossene Versicherungsvertretervertrag sei seit dem 7. April 2017 infolge des Eintritts der vereinbarten auflösenden Bedingung beendet. Die Voraussetzung der Beendigung gemäß dem Nachtrag Nr. 4 Ziffer 6 d) liege vor. Danach ende der Vertrag mit Ausscheiden eines Geschäftsführers oder Gesellschafters aus der Gesellschaft. Die Gesellschafterin S.H.habe zum 7. April 2017 ihre sämtlichen Anteile an ihren Ehemann und Mitgesellschafter T.H. übertragen; ihre Bestellung als Geschäftsführerin sowie der Anstellungsvertrag seien gemäß Protokoll der Gesellschafterversammlung vom 5. April 2017 einvernehmlich beendet worden.

Die Vertragsparteien hätten im Nachtrag Nr. 4 Ziffer 6 eine auflösende Bedingung gemäß § 158 Abs. 2 BGB vereinbart. Mit dem Eintritt eines der dort genannten Umstände habe das Vertragsverhältnis automatisch enden sollen, ohne dass es einer weiteren Willenserklärung bedurft hätte. Die vertragliche Regelung im Nachtrag Nr. 4 Ziffer 6, wonach das Ausscheiden eines GesellschaftersBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Ausscheiden
Ausscheiden eines Gesellschafters
/Geschäftsführers zur Beendigung des Versicherungsvertretervertrags der klagenden GmbH führe, sei rechtlich zulässig. Die in Rede stehende vertragliche Regelung über die auflösende Bedingung werde zulässigerweise den wechselseitigen Interessen der Parteien bei Abschluss des Versicherungsvertretervertrags gerecht.

Ein Ausgleichsanspruch der Klägerin bestehe indes nicht, weil die Beendigung des Handelsvertretervertrags der Sphäre der beiden Gesellschafter zuzurechnen sei.

Zwar liege keine der in § 89b Abs. 3 HGB ausdrücklich genannten Fallgestaltungen für einen Ausschluss des Ausgleichsanspruchs im Streitfall vor; jedoch sei eine analogeAnwendung des § 89b Abs. 3 HGB geboten.

Die Regelung in § 89b Abs. 3 HGB stelle sich als besondere Ausprägung des den gesamten § 89b HGB beherrschenden Billigkeitsgrundsatzes dar. Die Ausschlusstatbestände des § 89b Abs. 3 HGB regelten die Voraussetzungen, unter denen der Ausgleichsanspruch – aus Gründen der Billigkeit – zwingend entfalle, abschließend und seien daher eng auszulegen. Für eine analoge Anwendung der Ausschlusstatbestände bestehe in aller Regel auch kein Bedürfnis, weil besondere Umstände des Einzelfalls, die nicht die Voraussetzungen für einen zwingenden Ausschluss des Ausgleichsanspruchs nach § 89b Abs. 3 HGB erfüllten, im Rahmen der allgemeinen Billigkeitsprüfung nach § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HGB zu berücksichtigen seien und dort aufgrund einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalles im Ergebnis ebenfalls dazu führen könnten, dass der Ausgleichsanspruch zu versagen sei.

Gleichwohl sei vorliegend eine analoge Anwendung des § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB gerechtfertigt. Es liege eine Regelungslücke vor. Der Gesetzgeber habe den Fall geregelt, dass der Handelsvertreter aus in seiner Sphäre liegenden Gründen das Vertragsverhältnis beende. Er habe es selbst in der Hand zu entscheiden, ob er den Vertrag beende. Der Fall, dass der Handelsvertreter nicht kündige, das Vertragsverhältnis jedoch wegen des Eintritts einer auflösenden Bedingung gemäß § 158 Abs. 2 BGB ende, wobei die Bedingung durch den Handelsvertreter aus in seiner Sphäre liegenden Gründen herbeigeführt werde, sei gesetzlich nicht geregelt.

Der zu beurteilende Sachverhalt sei in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem gesetzlichen Tatbestand vergleichbar, dass angenommen werden könne, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen wie bei Erlass der Gesetzesvorschrift hätte leiten lassen, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen. Ein vergleichbarer Sachverhalt liege vor, wenn der Handelsvertreter über die Fortsetzung oder Beendigung des Vertrags frei, insbesondere unbeeinflusst vom Unternehmer entscheide und damit das wirtschaftliche Risiko der Vertragsbeendigung übernehme. Dies treffe hier zu. Der Umstand, dass nicht die Klägerin als Vertragspartnerin der Beklagten das Ende der Vertragsbeziehung willentlich herbeigeführt habe, sondern die Vertragsbeendigung eine Konsequenz des Handelns der Gesellschafter gewesen sei, stehe dem nicht entgegen. Den Eintritt der auflösenden Bedingung hätten die Gesellschafter einvernehmlich aus freien Stücken in Kenntnis des Umstandes herbeigeführt, dass hierdurch der Handelsvertretervertrag zwischen der von ihnen gehaltenen Gesellschaft und der Beklagten beendet werde. Besondere Bedeutung komme dabei dem Umstand zu, dass es der einheitliche Entschluss beider Gesellschafter gewesen sei, den Bedingungseintritt gemäß § 158 Abs. 2 BGB herbeizuführen. Dieser allein in der Sphäre der Klägerin gefasste freie Entschluss ihrer Gesellschafter sei nicht anders zu bewerten als der freie Entschluss eines Handelsvertreters zur Eigenkündigung. Beide Instrumente dienten allein dem Zweck, das Ende der Vertragsbeziehung herbeizuführen.

Für eine Analogie spreche, dass der Bundesgerichtshof diese bereits für den Fall von Kettenhandelsvertreterverträgen bejaht habe (vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 1995 – VIII ZR 61/95, NJW 1996, 848).

Das Landgericht habe zutreffend festgestellt, dass die Vertragsbeendigung nicht durch die Beklagte veranlasst worden sei. Nach § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB bleibe der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters trotz Eigenkündigung oder eines gleich zu behandelnden Beendigungstatbestandes unberührt, wenn ein Verhalten des Unternehmers dem Handelsvertreter begründeten Anlass zur Beendigung des Vertragsverhältnisses gegeben habe. Es sei nicht feststellbar, dass ein Verhalten der Beklagten der Klägerin begründeten Anlass zur Herbeiführung der auflösenden Bedingung gegeben habe. Da der Ausgleichsanspruch der Klägerin aufgrund der analogen Anwendung des § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB ausgeschlossen sei, könne offenbleiben, ob eine Begrenzung beziehungsweise ein Ausschluss des Ausgleichsanspruchs nach den allgemeinen Billigkeitserwägungen des § 89b Abs. 1 HGB in Betracht komme.

II.

Dies hält der rechtlichen Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.

1.

Soweit das Berufungsgericht angenommen hat, dass der zwischen der Klägerin und der Beklagten geschlossene Versicherungsvertretervertrag seit dem 7. April 2017 infolge Eintritts der in Ziffer 6 d) des Nachtrags Nr. 4 vereinbarten auflösenden Bedingung beendet ist, wird dies von den Parteien nicht beanstandet. Insoweit sind auch keine revisionsrechtlich beachtlichen Rechtsfehler ersichtlich.

2.

Soweit das Berufungsgericht Ziffer 7 Satz 1 des Nachtrags Nr. 4, wonach zugunsten der Klägerin ein Ausgleichsanspruch besteht, wenn der Agenturvertrag beendet wird und die sonstigen Voraussetzungen des § 89b HGB vorliegen, eine lediglich klarstellende Funktion beigemessen hat, lässt diese Auslegung keine revisionsrechtlich beachtlichen Rechtsfehler erkennen. Die in diesem Zusammenhang von der Revision erhobene Gehörsrüge hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet, § 564 Satz 1 ZPO.

3.

Der rechtlichen Nachprüfung hält es indes nicht stand, dass das Berufungsgericht einen Ausgleichsanspruch der Klägerin gemäß § 92 Abs. 2 i.V.m. § 89b HGB aufgrund einer analogen Anwendung des § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB für ausgeschlossen erachtet hat.

Im Streitfall ist eine richtlinienkonforme Auslegung von § 89b Abs. 3 HGB, insbesondere von § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB, im Lichte von Art. 18 der Richtlinie86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (ABl. EG Nr. L 382 vom 31. Dezember 1986 S. 17) geboten. Sie führt dazu, dass auch für § 89b Abs. 3 HGB das bei Art. 18 der Richtlinie 86/653/EWG maßgebende Analogieverbot gelten muss. Für die hier gegebene Konstellation, dass der Handelsvertretervertrag eine auflösende Bedingung für den Fall des Ausscheidens eines Geschäftsführers oder Gesellschafters aus der als Gesellschaft mit beschränkter HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Haftung
organisierten Handelsvertreterin enthält und dass das Vertragsverhältnis durch einen vom Handelsvertreter herbeigeführten Eintritt dieser auflösenden Bedingung beendet wird, sieht Art. 18 Buchst. b) der Richtlinie 86/653/EWG entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung keinen Ausschlusstatbestand vor. Dementsprechend scheidet auch eine analoge Anwendung von § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB zum Nachteil der Klägerin aus.

a) Gemäß Art. 18 der Richtlinie 86/653/EWG besteht der Anspruch auf Ausgleich oder Schadensersatz nach Art. 17 der Richtlinie in den drei dort tatbestandlich näher beschriebenen Fällen nicht. Danach besteht kein Anspruch, wenn der Unternehmer den Vertrag wegen eines schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters beendet hat, das aufgrund der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine fristlose Beendigung des Vertrages rechtfertigt (Buchst. a), wenn der Handelsvertreter das Vertragsverhältnis beendet hat, es sei denn, diese Beendigung ist aus Umständen, die dem Unternehmer zuzurechnen sind, oder durch Alter, Gebrechen oder Krankheit des Handelsvertreters, derentwegen ihm eine Fortsetzung seiner Tätigkeit billigerweise nicht zugemutet werden kann, gerechtfertigt (Buchst. b), oder wenn der Handelsvertreter gemäß einer Vereinbarung mit dem Unternehmer die Rechte und Pflichten, die er nach dem Vertrag besitzt, an einen Dritten abtritt (Buchst. c).

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 19. April 2018 – C-645/16, ZVertriebsR 2018, 169 = IHR 2018, 205, juris Rn. 31 m.w.N. – CMR, zur Auslegung von Art. 18 der Richtlinie 86/653/EWG ausgeführt, dass diese Richtlinienbestimmung als Ausnahme von dem Anspruch auf Ausgleich und auf Schadensersatz eng auszulegen ist und dass sie nicht in einer Weise ausgelegt werden kann, die darauf hinausliefe, dass ein dort nicht ausdrücklich vorgesehener Grund für den Ausschluss des Ausgleichs oder des Schadensersatzanspruchs hinzukommt. Damit hat der Gerichtshof der Europäischen Union die Regelung in Art. 18 der Richtlinie 86/653/EWG für nicht analogiefähig erachtet (vgl. Muhl, GWR 2018, 307).

Für die hier gegebene Konstellation, dass der Handelsvertretervertrag die Vereinbarung einer auflösenden Bedingung für den Fall des Ausscheidens eines Geschäftsführers oder Gesellschafters aus der als Gesellschaft mit beschränkter HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Haftung
organisierten Handelsvertreterin enthält und dass das Vertragsverhältnis durch Eintritt dieser auflösenden Bedingung beendet wird, sieht Art.18 Buchst. b) der Richtlinie 86/653/EWG keinen Ausschlusstatbestand vor. Diese Richtlinienbestimmung setzt voraus, dass der Handelsvertreter das Vertragsverhältnis beendet hat. Dies ist bei einer Beendigung des Vertragsverhältnisses durch Kündigung seitens des Handelsvertreters der Fall.

Im Hinblick darauf, dass Art. 18 Buchst. b) der Richtlinie 86/653/EWG als Ausnahme von dem Anspruch auf Ausgleich und auf Schadensersatz eng auszulegen ist und dass diese Richtlinienbestimmung nicht in einer Weise ausgelegt werden kann, die darauf hinausliefe, dass ein dort nicht ausdrücklich vorgesehener Grund für den Ausschluss des Ausgleichs- oder des Schadensersatzanspruchs hinzukommt, kann die Beendigung des Vertragsverhältnisses durch Eintritt einer zwischen den Vertragsparteien vereinbarten auflösenden Bedingung hingegen nicht als Beendigung des Vertragsverhältnisses seitens des Handelsvertreters im Sinne von Art. 18 Buchst. b) der Richtlinie 86/653/EWG eingestuft werden. Dies gilt auch dann, wenn der Eintritt der auflösenden Bedingung von dem Handelsvertreter beziehungsweise dessen Organen herbeigeführt wird. Denn in derartigen Fällen wird das Vertragsverhältnis nicht unmittelbar durch rechtsgeschäftliches Handeln des Handelsvertreters, sondern ipso jure durch den Eintritt der vereinbarten auflösenden Bedingung beendet. Ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV zur Auslegung von Art. 18 der Richtlinie 86/653/EWG ist nicht veranlasst, auch wenn ein solches Ersuchen unbeschadet der Nichteröffnung des Anwendungsbereichs der Richtlinie 86/653/EWG grundsätzlich möglich wäre. Es stellt sich keine entscheidungserhebliche Frage zur Auslegung dieser Richtlinienbestimmung, die nicht bereits durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt oder nicht zweifelsfrei zu beantworten ist (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 -283/81, Slg. 1982, 3415, juris Rn. 21 – Cilfit u.a.; BGH, Urteil vom 30. April 2020 – I ZR 115/16 Rn.83 m.w.N., MDR 2020, 1136 -Metall auf Metall IV).

b) Im Streitfall ist eine richtlinienkonforme Auslegung von § 89b Abs. 3 HGB, insbesondere von § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB, im Lichte von Art. 18 der Richtlinie 86/653/EWG unter Berücksichtigung der genannten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 19. April 2018 – C‑645/16, ZVertriebsR 2018, 169 = IHR 2018, 205, juris Rn. 31 -CMR) geboten. Sie führt dazu, dass auch für § 89b Abs. 3 HGB das bei Art. 18 der Richtlinie 86/653/EWG geltende Analogieverbot gelten muss mit dem Ergebnis, dass im Streitfall eine analoge Anwendung von § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB zum Nachteil der Klägerin ausscheidet.

aa) Die Notwendigkeit einer richtlinienkonformen Auslegung ergibt sich allerdings im Streitfall nicht aus dem Unionsrecht selbst. Denn der Anwendungsbereich der Richtlinie 86/653/EWG beschränkt sich auf Warenvertreterverhältnisse (vgl. Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653/EWG). Die Richtlinie ist auf Versicherungsvertreterverhältnisse nicht anwendbar (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 2011 – VIII ZR 203/10 Rn. 25, IHR 2012, 63; Urteil vom 25. Oktober 2012 – VII ZR 56/11 Rn. 38, BGHZ 195, 207).

bb) Im innerstaatlichen Recht kann indes eine für bestimmte Sachverhalte gebotene richtlinienkonforme Auslegung auf eine nicht von der Richtlinie erfasste Konstellation zu erstrecken sein, wenn der nationale Gesetzgeber die beiden Fallgestaltungen parallel regeln wollte (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 2011 – VIII ZR 203/10 Rn. 26 m.w.N., ZVertriebsR 2012, 110 = IHR 2012, 63; Urteil vom 25. Oktober 2012 – VII ZR 56/11 Rn. 38, BGHZ 195, 207; vgl. ferner EuGH, Urteil vom 17. Mai 2017 – C-48/16, ZVertriebsR 2017, 235 = IHR 2017, 258, juris Rn. 29 – ERGO Poist’ovňa). So liegt der Fall hier bezüglich der Regelung in § 89b Abs. 3 HGB, die kraft der Verweisung in § 89b Abs. 5 HGB auch für Versicherungsvertreter gilt.

Die Neufassung der §§ 84 ff. HGB durch das Gesetz vom 23. Oktober1989 zur Durchführung der EG-Richtlinie zur Koordinierung des Rechts der Handelsvertreter (BGBl. 1989 I S. 1910, 1911), mit dem die genannte Richtlinie (Richtlinie 86/653/EWG) ins deutsche Recht umgesetzt wurde, gilt grundsätzlich für alle Arten von Handelsvertretern (vgl. BT-Drucks. 11/3077 S. 6). Der vorstehenden Beurteilung steht nicht entgegen, dass der Bundesgerichtshof in dem Urteil vom 23. November 2011 – VIII ZR 203/10 Rn. 26 ff., IHR 2012, 63 sowie in dem Beschluss vom 21. Februar 2013 – VII ZA 14/12 Rn. 2 zu § 89b HGB a.F. ausgeführt hat, ein Wille des Gesetzgebers, Ausgleichsansprüche von Handelsvertretern und solche von Versicherungsvertretern gleich zu behandeln, existiere nicht. Diese Ausführungen des Bundesgerichtshofs betreffen nur die unterschiedliche dogmatische Konzeption des Ausgleichsanspruchs von Versicherungsvertretern gemäß § 89b Abs. 5 HGB im Vergleich zum Ausgleichsanspruch anderer Handelsvertreter gemäß § 89b Abs. 1 HGB, nicht hingegen die Regelung der Ausschlusstatbestände in § 89b Abs. 3 HGB.

cc) Entsprechend der vorstehend vorgenommenen Auslegung von Art. 18 Buchst. b) der Richtlinie 86/653/EWG scheidet eine analoge Anwendung von § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB zum Nachteil der Klägerin aus.

c) Soweit der Bundesgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung die Ausschlusstatbestände des § 89b Abs. 3 HGB für – begrenzt – analogiefähig erachtet hat (vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 2007- VIII ZR 30/06 Rn. 15 m.w.N., BGHZ 171, 192; Urteil vom 28. April 1999 – VIII ZR 354/97, BGHZ 141, 248, juris Rn.11 i.V.m. Rn.10, zu § 89b Abs. 3 Satz 1 HGB in der bis zum 31. Dezember 1989 geltenden Fassung, der Vorläufervorschrift von § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB; Urteil vom 13. Dezember 1995 – VIII ZR 61/95, NJW 1996, 848, juris Rn. 6), hält der Senat, der nunmehr für die Rechtsstreitigkeiten über die Vertragsverhältnisse der Handelsvertreter zuständig ist, daran im Hinblick auf Art. 18 der Richtlinie 86/653/EWG und auf das zu dieser Bestimmung ergangene Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. April 2018 – C‑645/16, ZVertriebsR 2018, 169 = IHR 2018, 205, juris Rn. 31-CMR, nicht fest, soweit eine analoge Anwendung von § 89b Abs. 3 HGB sich in Gegensatz zu dem bei Art. 18 der Richtlinie 86/653/EWG maßgebenden Analogieverbot setzen würde. Für eine analoge Anwendung der Ausschlusstatbestände des § 89b Abs. 3 HGB besteht auch kein Bedürfnis, weil besondere Umstände des Einzelfalls, die nicht die Voraussetzungen für einen zwingenden Ausschluss des Ausgleichsanspruchs nach § 89b Abs. 3 HGB erfüllen, im Rahmen der allgemeinen Billigkeitsprüfung nach § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2HGB zu berücksichtigen sind und dort aufgrund einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalls im Ergebnis ebenfalls dazu führen können, dass der Ausgleichsanspruch zu versagen ist (vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 2007 – VIII ZR 30/06 Rn. 15 m.w.N., BGHZ 171, 192; Urteil vom 13. März 1969 – VII ZR 48/67, BGHZ 52, 12, juris Rn. 13 m.w.N.).

4.

Das Urteil des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen deshalb als richtig dar (vgl. § 561ZPO), weil die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände der Billigkeit nicht entspricht (vgl. § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HGB). Denn das Berufungsgericht hat ausdrücklich offengelassen, ob eine Begrenzung oder ein Ausschluss des Ausgleichsanspruchs nach den allgemeinen Billigkeitserwägungen des § 89b Abs. 1 HGB in Betracht kommt.

5.

Das Berufungsurteil kann nach alledem nicht bestehen bleiben. Es ist aufzuheben. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da der Senat mangels hinreichender Feststellungen nicht in der Sache selbst entscheiden kann.

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