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BGH, Urteil vom 6. Dezember 1993 – II ZR 102/93

GmbHG §§ 11, 19

a) Bei der Vorbelastungsbilanz handelt es sich nicht um eine (laufende) Jahresbilanz, sondern um eine Vermögensbilanz. Dies bedeutet aber lediglich, daß sie im Hinblick auf ihre besondere Zweckbestimmung außerhalb des Bilanzzusammenhanges steht, indem das Gesellschaftsvermögen grundsätzlich nach Fortführungsgrundsätzen mit seinen wirklichen Werten so zu bewerten ist, als würde es im Zeitpunkt der Eintragung der Gesellschaft (erstmals) als Einlage eingebracht (vgl. Schulze- Osterloh § 41 Rdn. 44; ähnl. Hachenburg/Ulmer, GmbHG 8. Aufl. § 11 Rdn. 89; Scholz/Crezelius Anh. § 42 a Rdn. 46). Die Vorbelastungsbilanz steht damit der Eröffnungsbilanz nahe, auf die nach ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung (§ 242 Abs. 1 Satz 2 HGB) die auf die Bilanz bezüglichen für den Jahresabschluß geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden sind. Auch unter materiell-rechtlichen Gesichtspunkten müssen für die Vorbelastungsbilanz hinsichtlich der Pflicht zur Passivierung eigenkapitalersetzender Gesellschafterdarlehen als Verbindlichkeiten die gleichen Grundsätze gelten wie für die Jahresbilanz. Denn obwohl sie Vermögens- und nicht Erfolgsbilanz ist, unterscheidet sie sich ihrer Zweckbestimmung nach wesentlich von der Überschuldungsbilanz, bei der nach einer Minderheitsmeinung im Schrifttum, zu der hier nicht Stellung zu nehmen ist, von einem Ansatz eigenkapitalersetzender Darlehen als Verbindlichkeiten auch bei Fehlen einer Rangrücktrittsvereinbarung abzusehen sein soll (so insbes. Hachenburg/Ulmer aaO § 63 Rdn. 46 a m.w.N. u. Fleck aaO S. 322 f.; a.A. allerdings der Regierungsentwurf zur GmbH-Novelle und die Begründung dazu, BT-Drucks. 8/1347 S. 40 u. die bisher ganz überwiegende Meinung, vgl. dazu die Nachw. bei Fleck aaO Fn. 98 u. bei Hachenburg/Ulmer aaO Fn. 121 sowie Schulze-Osterloh aaO § 63 Rdn. 15 m. umfangr. w.N.).

b) Der Zweck der Überschuldungsbilanz erschöpft sich in der Feststellung, ob die Gläubiger der Gesellschaft (noch) aus dem am Stichtag vorhandenen verwertbaren Gesellschaftsvermögens befriedigt werden können oder ob zur Vermeidung einer weiteren Verschlechterung ihrer Befriedigungsaussichten umgehend die Durchführung eines Insolvenzverfahrens beantragt werden muß (Hachenburg/Ulmer aaO § 63 Rdn. 29; Fleck aaO S. 313, 321). Die Vorbelastungs- oder Unterbilanzhaftung soll dagegen gewährleisten, daß der Gesellschaft das ihr von ihren Gesellschaftern versprochene, in ihrer Satzung verlautbarte Stammkapital wenigstens im Augenblick ihrer Eintragung tatsächlich seinem Werte nach unversehrt zur Verfügung steht (BGHZ 80, 129, 136 f.; Sen.Urt. v. 23. November 1981 – II ZR 115/81, WM 1982, 40).

c) Dementsprechend ist der Anspruch aus der Unterbilanz grundsätzlich wie ein Anspruch auf Leistung fehlender Bareinlagen zu behandeln und unterliegt deshalb denselben strengen Regeln der Kapitalaufbringung wie die ursprüngliche Einlageschuld (Hachenburg/Ulmer aaO § 11 Rdn. 84, Scholz/K. Schmidt aaO § 11 Rdn. 128; Lutter/Hommelhoff aaO § 11 Rdn. 12; die Geltung der kurzen fünfjährigen Verjährungsfrist, vgl. BGHZ 105, 300, 304 ff. beruht auf andersartigen Erwägungen).

d) Infolgedessen würde der mit der Vorbelastungsbilanz verfolgte Zweck festzustellen, ob der Gesellschaft das ihr zugesagte Stammkapital am Eintragungsstichtag tatsächlich seinem Werte nach effektiv zur Verfügung steht, verfehlt, wenn als Fremdkapital gewährte Gesellschafterleistungen nur deshalb keiner Passivierungspflicht als Verbindlichkeiten der Gesellschaft unterlägen, weil sie aufgrund ihres Eigenkapitalersatzcharakters unter bestimmten Voraussetzungen vom Gesetz ähnlich wie haftendes Eigenkapital zusätzlich zu diesem in der Gesellschaft gebunden werden. Denn da der Umfang der UnterbilanzhaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Umfang der Unterbilanzhaftung
Unterbilanzhaftung
durch die Vermögensverhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Eintragung fixiert wird, auch wenn er möglicherweise erst nachträglich durch die Aufstellung einer inhaltlich zutreffenden Bilanz ermittelt wird, hätte das Unterbleiben der Passivierung eigenkapitalersetzender Gesellschafterdarlehen als Verbindlichkeiten in der Vorbelastungsbilanz zwangsläufig zur Folge, daß sich die Gesellschafter von ihrer Verpflichtung, der Gesellschaft wenigstens im Zeitpunkt der Eintragung das satzungsmäßige Stammkapital ungeschmälert zur Verfügung zu stellen, durch Hingabe eines Darlehens befreien könnten und die Gesellschaft ihr Stammkapital nicht in Gestalt der ihr zugesagten Bareinlagen (oder auch einer etwaigen im Gesellschaftsvertrag vereinbarten Sacheinlage), sondern mindestens teilweise nur in Form eines Darlehens erhielte. Dies verstieße gegen zwingende Grundsätze des Kapitalaufbringungsrechts. Da beide Ansprüche unter diesem Gesichtspunkt, wie dargelegt, denselben strengen Regeln unterliegen müssen, kann die Verbindlichkeit aus der Unterbilanzhaftung ebensowenig durch die Hingabe eines Darlehens erfüllt werden wie die ursprüngliche Einlageschuld. Andernfalls würde das der als selbständige juristische Person ins Leben tretenden Gesellschaft zustehende Stammkapital unter Verstoß gegen den Grundsatz der realen Kapitalaufbringung endgültig nicht aufgebracht. Dies liegt auf der Hand, wenn der Gesellschafter bei zwischenzeitlichem Fortfall der eigenkapitalersetzenden Bindung das Darlehen später aus der Gesellschaft abzieht. Da in diesem Falle seine Verpflichtung zur Leistung oder Auffüllung des im Zeitpunkt der Eintragung fehlenden Stammkapitals selbst bei einer späteren Verschlechterung der Vermögensverhältnisse der Gesellschaft nicht wieder aufleben könnte, hätte sich der Gesellschafter seiner Verbindlichkeit zur Leistung seiner Einlage durch die vorübergehende Gewährung eines Darlehens endgültig entledigt. Bei dieser Sachlage macht schon allein der Umstand, daß sich die Gesellschafter auch bei der Hingabe von eigenkapitalersetzenden Darlehen deren späteren Abzug zumindest bei Besserung der Vermögenslage der Gesellschaft offenhalten, die Berücksichtigung solcher Darlehen als Verbindlichkeiten in der auf den Eintragungszeitpunkt als Stichtag aufzustellenden Vorbelastungsbilanz der Gesellschaft unumgänglich.

e) Jedenfalls bei Fehlen einer Rangrücktrittsvereinbarung sind eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen auch in der zum Zwecke der Ermittlung einer etwaigen Vorbelastungs- oder Unterbilanzhaftung (BGH, 1981-03-09, II ZR 54/80, BGHZ 80, 129) der Gesellschafter aufzustellenden Vorbelastungsbilanz der GmbH als Verbindlichkeiten zu passivieren.

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