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BGH, Urteil vom 9. 9. 2004 – I ZR 93/02

UWG § 7 Abs. 1

Die gezielte Direktansprache von Passanten an öffentlichen Orten zu Werbezwecken ist grundsätzlich eine unzumutbare Belästigung i.S.d. § 7 Abs. 1 UWG, wenn der Werbende für den Angesprochenen nicht als solcher eindeutig erkennbar ist.

Sachverhalt

Die Parteien sind Wettbewerber beim Vertrieb von Telekommunikationsdienstleistungen. Sie streiten darüber, ob es wettbewerbsrechtlich zulässig ist, zur Werbung von Kunden für Pre-Selection-Verträge Passanten im öffentlichen Verkehrsraum gezielt und individuell anzusprechen oder ansprechen zu lassen.

Das LG hat der Unterlassungsklage stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie abgewiesen (OLG Frankfurt TMR 2002, 232).

Die Revision hat überwiegend Erfolg. Sie führt insoweit zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht. Im Übrigen bleibt die Revision erfolglos.

Aus den Gründen

… Der Unterlassungsantrag richtet sich allgemein gegen das gezielte und individuelle Ansprechen von Passanten an öffentlichen Orten zu Werbezwecken. Anders als in dem der Senatsentscheidung v. 1.4.2004 (BGH v. 1.4.2004 – I ZR 227/01, BGHReport 2004, 1243 = MDR 2004, 1249 = GRUR 2004, 699 = WRP 2004, 1160 – Ansprechen in der Öffentlichkeit I) zu Grunde liegenden Fall schließt dies Fallgestaltungen ein, in denen die Werbenden für Passanten ohne weiteres als solche erkennbar sind. …

… Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist die gezielte Direktansprache von Passanten an öffentlichen Orten durch einen Werbenden, der als solcher nicht eindeutig erkennbar ist, grundsätzlich als unzumutbare Belästigung zu beurteilen. …

Das Berufungsgericht hat allerdings rechtsfehlerfrei angenommen, dass eine gezielte individuelle Ansprache unter den heutigen Verhältnissen für sich genommen noch nicht bei einem erheblichen Teil der Angesprochenen eine psychische Zwangslage schafft, die sie geneigt machen kann, auf ein beworbenes Angebot einzugehen (BGH v. 1.4.2004 – I ZR 227/01, BGHReport 2004, 1243 = MDR 2004, 1249 = GRUR 2004, 699 [700] = WRP 2004, 1160 – Ansprechen in der Öffentlichkeit I).

Eine gezielte und individuelle Direktansprache von Passanten an öffentlichen Orten ist aber eine unerbetene Kontaktaufnahme und damit ein belästigender Eingriff in die Individualsphäre des Umworbenen. Der Passant wird dadurch in seinem Bedürfnis, auch im öffentlichen Raum möglichst ungestört zu bleiben, beeinträchtigt und unmittelbar persönlich für die gewerblichen Zwecke des werbenden Unternehmens in Anspruch genommen (BGH v. 1.4.2004 – I ZR 227/01, BGHReport 2004, 1243 = MDR 2004, 1249 = GRUR 2004, 699 [701] = WRP 2004, 1160 – Ansprechen in der Öffentlichkeit I). Wenn sich der Werbende einem Passanten zuwendet, ohne eindeutig als solcher erkennbar zu sein, macht er sich zudem den Umstand zu Nutze, dass es einem Gebot der Höflichkeit unter zivilisierten Menschen entspricht, einer fremden Person, die sich beispielsweise nach dem Weg erkundigen möchte, nicht von vornherein abweisend und ablehnend gegenüberzutreten (BGH v. 1.4.2004 – I ZR 227/01, BGHReport 2004, 1243 = MDR 2004, 1249 = GRUR 2004, 699 [701] = WRP 2004, 1160 – Ansprechen in der Öffentlichkeit I). Darin liegt ein unlauteres Erschleichen von Aufmerksamkeit für die eigenen, zunächst verdeckt gehaltenen gewerblichen Zwecke.

Die von der gezielten Direktansprache von Passanten an öffentlichen Orten ausgehende Belästigung ist für den Angesprochenen, der mit einer Kontaktaufnahme zu Werbezwecken nicht rechnet, auch unzumutbar, selbst wenn die Belästigung in der Regel als nur gering eingeschätzt wird. Ob eine Werbemaßnahme i.S.d. § 7 Abs. 1 UWG unzumutbar belästigend ist, ist nicht nur nach dem Maß der Belästigung im Einzelfall zu beurteilen. Der Begriff der unzumutbaren Belästigung ist vielmehr im Licht des Gesetzeszwecks auszulegen, dem Schutz der Mitbewerber, der Verbraucher sowie der sonstigen Marktteilnehmer vor unlauterem Wettbewerb zu dienen (§ 1 UWG).

Eine Belästigung ist deshalb umso eher als unzumutbar zu beurteilen, je mehr sie – wie im vorliegenden Fall – nicht eine ungewollte oder nur gelegentliche Nebenwirkung einer Werbemaßnahme darstellt, sondern mit der beanstandeten Werbemethode notwendig und regelmäßig verbunden ist. Eine Werbemethode, bei der ein belästigendes Verhalten bewusst und gezielt im eigenen Werbeinteresse angewandt wird, ist deshalb regelmäßig als unzumutbar belästigend einzustufen. Hinzu kommt die gerade bei einer Werbemaßnahme dieser Art nahe liegende Gefahr, dass zahlreiche Anbieter sie anwenden würden, falls sie als wettbewerbsrechtlich zulässig beurteilt würde, und sich dann auch solche Mitbewerber, die selbst an sich dieser Art von Werbung nicht zuneigen, aus Wettbewerbsgründen zu einer Nachahmung gezwungen sehen können (BGH v. 3.2.1988 – I ZR 222/85, BGHZ 103, 203 [208 f.] = MDR 1988, 555 = CR 1988, 460 – Btx-Werbung; v. 1.4.2004 – I ZR 227/01, BGHReport 2004, 1243 = MDR 2004, 1249 = GRUR 2004, 699 [701] = WRP 2004, 1160 – Ansprechen in der Öffentlichkeit I). …

… Die gezielte Direktansprache von Passanten auf öffentlichen Straßen oder Plätzen zu Werbezwecken kann dagegen nicht ohne weiteres als unzumutbare Belästigung (§ 7 Abs. 1 UWG) des Angesprochenen angesehen werden, wenn der Werbende von vornherein als solcher eindeutig erkennbar ist. …

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