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BGH, Urteil vom 9. Juni 2016 – IX ZR 174/15

InsO § 133 Abs. 1 Satz 2, § 17 Abs. 2 Satz 2

Indizien für eine Zahlungseinstellung sind gegeben, wenn der Schuldner selbst erteilte Zahlungszusagen nicht einhält oder verspätete Zahlungen nur unter dem Druck einer angedrohten Liefersperre vornimmt.

Die Kenntnis des Benachteiligungsvorsatzes wird gemäß § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte. Kennt der Anfechtungsgegner die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, so weiß er auch, dass Leistungen aus dessen Vermögen die Befriedigungsmöglichkeit anderer Gläubiger vereiteln oder zumindest erschweren und verzögern. Mithin ist der Anfechtungsgegner regelmäßig über den Benachteiligungsvorsatz im Bilde (BGH, Urteil vom 29. September 2011 – IX ZR 202/10, WM 2012, 85 Rn. 15; vom 25. April 2013 – IX ZR 235/12, WM 2013, 1044 Rn. 28 mwN; vom 7. Mai 2015, aaO Rn. 17). Der Kenntnis der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit steht die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf eine drohende oder bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit hinweisen. Es genügt daher, dass der Anfechtungsgegner die tatsächlichen Umstände kennt, aus denen bei zutreffender rechtlicher Bewertung die (drohende) Zahlungsunfähigkeit zweifelsfrei folgt (BGH, Urteil vom 10. Januar 2013 – IX ZR 13/12, WM 2013, 180 Rn. 24 f; vom 7. Mai 2015, aaO; vom 17. Dezember 2015 – IX ZR 61/14, WM 2016, 172 Rn. 23). Eine Zahlungseinstellung kann aus einem einzelnen, aber auch aus einer Gesamtschau mehrerer darauf hindeutender, in der Rechtsprechung entwickelter Beweisanzeichen gefolgert werden. Sind derartige Indizien vorhanden, bedarf es einer darüber hinaus gehenden Darlegung und Feststellung der genauen Höhe der gegen den Schuldner bestehenden Verbindlichkeiten oder einer Unterdeckung von mindestens zehn v.H. nicht (BGH, Urteil vom 18. Juli 2013 – IX ZR 143/12, WM 2013, 1993 Rn. 10 mwN; vom 8. Januar 2015 – IX ZR 203/12, WM 2015, 381 Rn. 16; vom 7. Mai 2015, aaO Rn. 13; vom 17. Dezember 2015, aaO Rn. 18).

Das Berufungsgericht hat erhebliche Indizien nicht berücksichtigt, die aus der Sicht der Beklagten auf eine Zahlungseinstellung der Schuldnerin und damit auf einen Benachteiligungsvorsatz hindeuteten (§ 133 Abs. 1 Satz 2  InsO).

Das Berufungsgericht hat angenommen, an die Kenntnis des Benachteiligungsvorsatzes seien erhöhte Anforderungen zu stellen, weil es sich hier um eine kongruente Zahlung handele. Es beachtet damit nicht ausreichend, dass von einem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und dessen Kenntnis bei dem Gläubiger ausgegangen werden kann, wenn beide Teile über die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners unterrichtet sind, weil der Schuldner dann weiß, nicht sämtliche Gläubiger befriedigen zu können, und dem Gläubiger bekannt ist, dass infolge der ihm erbrachten Leistung die Befriedigungsmöglichkeit anderer Gläubiger vereitelt oder zumindest erschwert wird. Dieser Grundsatz gilt auch dann, wenn – wie im Streitfall – eine kongruente Leistung angefochten wird (BGH, Beschluss vom 6. Februar 2014 – IX ZR 221/11, ZInsO 2014, 496 Rn. 3 mwN).

Auf einem Missverständnis der Senatsrechtsprechung beruht die weitere Würdigung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe die Zahlungseinstellung der Schuldnerin nicht erkannt, weil „die Ende 2007/Anfang 2008 bestehende Verbindlichkeit in Höhe von 116.251 € nicht bis zur Verfahrenseröffnung offen geblieben“ sei. Haben im Zeitpunkt der angefochtenen Zahlung fällige Verbindlichkeiten anderer Gläubiger bestanden, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden sind, kann darin im Blick auf die angefochtene Zahlung ein Indiz für eine Zahlungseinstellung zu erkennen sein (BGH, Urteil vom 30. Juni 2011 – IX ZR 134/10, WM 2011, 1429 Rn. 12, 15; vom 7. Mai 2015 – IX ZR 95/14, WM 2015, 1202 Rn. 15). Das Beweisanzeichen findet seine Rechtfertigung in dem Umstand, dass eine Zahlungseinstellung naheliegt, wenn der Anfechtungsgegner Zahlung erlangte, während gleichzeitig fällige Verbindlichkeiten sonstiger Gläubiger bis zur Verfahrenseröffnung nicht befriedigt wurden. Darum wird den nach Verfahrenseröffnung rückständigen Forderungen anderer Gläubiger die zum gleichen Zeitpunkt fällige getilgte Verbindlichkeit des Anfechtungsgegners gegenübergestellt. Da die offenen Verbindlichkeiten der sonstigen Gläubiger den Vergleichsmaßstab im Verhältnis zu der beglichenen Forderung des Anfechtungsgegners bilden, kann aus ihrer Erfüllung, die gerade im Wege der Anfechtung beseitigt werden soll, kein der Zahlungseinstellung gegenläufiges Indiz gewonnen werden.

Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht der von der Schuldnerin für den 10. Januar 2008 erteilten, aber nicht eingehaltenen Zahlungszusage kein wesentliches Gewicht beigemessen. Einer auf eine Zahlungseinstellung hindeutenden Stundungsbitte stehen nicht eingehaltene Zahlungszusagen gleich (BGH, Urteil vom 18. Juni 2013 – IX ZR 143/12, WM 2013, 1993 Rn. 12, 18; Beschluss vom 24. September 2015 – IX ZR 308/14, WM 2015, 2107 Rn. 3; FK-InsO/Schmerbach, 8. Aufl., § 14 Rn. 144). Im Übrigen stellt – was das Berufungsgericht verkennt – die Bitte des Schuldners um Ratenzahlung nur dann kein Indiz für eine Zahlungseinstellung dar, wenn sie sich im Rahmen der Gepflogenheiten des üblichen Geschäftsverkehrs hält (BGH, Beschluss vom 16. April 2015 – IX ZR 6/14, WM 2015, 933 Rn. 3; Urteil vom 25. Februar 2016  – IX ZR 109/15, WM 2016, 560 Rn. 20). Diesen Gepflogenheiten entspricht es jedoch nicht, wenn eine Ratenzahlungsbitte nach fruchtlosen Mahnungen und nicht eingehaltenen Zahlungszusagen geäußert wird (vgl. BGH, Beschluss vom 24. September 2015, aaO Rn. 3; Urteil vom 25. Februar 2016, aaO Rn. 21). Einer Erfüllungsverweigerung oder eines sonstigen Verhaltens der Schuldnerin, das ihre Zahlungsunfähigkeit dokumentiert, bedurfte es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht (BGH, Urteil vom 25. Februar 2016, aaO).

Ferner hat das Berufungsgericht nicht genügend berücksichtigt, dass sich die Schuldnerin während des gesamten Laufs ihrer Geschäftsbeziehung mit der Beklagten aufgrund einer schleppenden Zahlungsweise in einem Zahlungsrückstand befand.

Schon eine dauerhaft schleppende Zahlungsweise, die sich hier seit Aufnahme der Geschäftsbeziehung im Verhältnis der Schuldnerin zu der Beklagten ausgeprägt hat, kann Indizwirkung für eine Zahlungseinstellung haben (BGH, Urteil vom 18. Juli 2013 – IX ZR 143/12, WM 2013, 1993 Rn. 12; vom 7. Mai 2015 – IX ZR 95/14, WM 2015, 1202 Rn. 19). Zur Schonung ihrer schwindenden Liquidität hatte sich die Schuldnerin zunächst auf eine Teilzahlung beschränkt (BGH, Urteil vom 7. Mai 2015, aaO Rn. 21). Die Schuldnerin hatte infolge der ständigen verspäteten Begleichung ihrer Verbindlichkeiten gegenüber der Beklagten einen Forderungsrückstand vor sich hergeschoben. Diese Gegebenheiten trugen auch aus der Sicht der Beklagten zu dem Gesamtbild eines Schuldners bei, dem es auf Dauer nicht gelingt, bestehende Liquiditätslücken zu schließen, sondern der nur noch darum bemüht ist, trotz fehlender Mittel den Anschein eines funktionstüchtigen Geschäftsbetriebs aufrecht zu erhalten (BGH, Urteil vom 7. Mai 2015, aaO Rn. 21).

Insoweit fällt weiter ins Gewicht, dass es sich bei der Beklagten um eine wichtige, zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs unentbehrliche Lieferantin der Schuldnerin handelte (vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 2009 – IX ZR 173/07, WM 2009, 2229 Rn. 14; vom 6. Dezember 2012 – IX ZR 3/12, WM 2013, 174 Rn. 23). Ohne die von der Beklagten erbrachten Kühlmittel hätte die Klägerin ihren Betrieb nicht fortsetzen können. Insoweit ist es ohne Bedeutung, dass die Beklagte keinen Monopolbetrieb zur Daseinsvorsorge unterhält. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass die Schuldnerin im Falle einer Abschaltung und eines Abbaus der Anlage durch die Beklagte eine schwerwiegende Betriebsunterbrechung hätte hinnehmen müssen. Angesichts der seit Geschäftsaufnahme fortlaufend zutage getretenen Zahlungsschwäche bestanden aus Sicht der Beklagten keine Anhaltspunkte dafür, dass die Schuldnerin die Ausschöpfung einer Kreditlinie oder die Aufnahme eines weiteren Kredits zu vermeiden suchte. Vielmehr musste die Beklagte, weil die Schuldnerin gewerblich tätig war, mit weiteren Gläubigern, deren Ansprüchen ungedeckt waren, rechnen (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012, aaO Rn. 15).

Überdies hat das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet, dass bei einer durch die Androhung einer Liefersperre erwirkten Zahlung für den Empfänger die eingetretene Zahlungsunfähigkeit regelmäßig unübersehbar ist (BGH, Urteil vom 8. Oktober 2009 – IX ZR 173/07, WM 2009, 2229 Rn. 14). In dieser Weise verhält es sich im Streitfall, weil die Beklagte der Schuldnerin wiederholt bei fehlendem Zahlungseingang die Abschaltung und den Abbau der Anlage in Aussicht stellte. Insoweit ist es ohne Bedeutung, ob die Beklagte tatsächlich entschlossen war, diese Maßnahmen durchzuführen. Es reicht, dass die Schuldnerin aus ihrer objektivierten Sicht ernsthaft damit rechnen musste (vgl. BGH, Urteil vom 7. März 2013 – IX ZR 216/12, WM 2013, 806 Rn. 13).

Schließlich kann der Würdigung des Berufungsgerichts nicht beigetreten werden, soweit es für den Zeitraum nach dem 24. Januar 2008 mit Rücksicht auf die durchgängig um einen Monat verspäteten Zahlungen eine schleppende Zahlungsweise der Schuldnerin ablehnt. Ist die Schuldnerin nicht in der Lage, sich innerhalb von drei Wochen die zur Begleichung der fälligen Forderungen benötigten finanziellen Mittel zu beschaffen, so handelt es sich nicht mehr um eine rechtlich unerhebliche Zahlungsstockung (BGH, Urteil vom 12. Oktober 2006 – IX ZR 228/03, WM 2006, 2312 Rn. 22, 24). Die Vorschrift des § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO zeigt, dass das Gesetz eine Ungewissheit über die Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit einer GmbH längstens drei Wochen hinzunehmen bereit ist (BGH, Urteil vom 24. Mai 2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134, 140). Eine bloße Zahlungsstockung scheidet mithin aus, weil die Schuldnerin außer Stande war, die offenen Forderungen der Beklagten binnen drei Wochen zu tilgen (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 – IX ZR 3/12, WM 2013, 174 Rn. 31). Die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts von der Schuldnerin in Anspruch genommenen Zahlungsfristen von jeweils rund einem Monat bildeten mithin ein Indiz für eine Zahlungseinstellung.

Außerdem beruht die tatsächliche Würdigung des Berufungsgerichts, der zufolge die Beklagte einen Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin nicht erkannt hat, auf einer Verletzung von § 286 Abs. 1 ZPO. Nach dieser Vorschrift hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Diese Würdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. An dessen Feststellungen ist das Revisionsgericht nach § 559 ZPO gebunden. Revisionsrechtlich ist lediglich zu überprüfen, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2012 – VI ZR 314/10, NJW 2013, 790 Rn. 16). Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet. Das Berufungsgericht meint, eine Kenntnis der Beklagten von einer Zahlungseinstellung könne nicht aus dem Umstand hergeleitet werden, dass die am 26. Dezember 2007 fälligen Verbindlichkeiten von 116.251 € erst am 24. Januar 2008 ausgeglichen worden seien, weil es sich um einen erstmaligen Zahlungsrückstand zu Beginn der Aufnahme der Geschäftsbeziehungen gehandelt habe. Diese Würdigung ist mit dem unstreitigen Sachverhalt nicht zu vereinbaren. Die Beklagte erteilte der Schuldnerin am 2. November 2007 eine Rechnung über den am 3. Dezember 2007 fälligen Betrag von 59.500 €. Außerdem war am 14. Dezember 2007 ein Betrag über 5.283,60 € zur Zahlung fällig. Ferner ergingen Rechnungen der Beklagten vom 19. Dezember 2007 über den am 26. Dezember 2007 fälligen Betrag von 81.467,40 € und vom 31. Dezember 2007 über den am 7. Januar 2008 fälligen Betrag von 4.046 € an die Schuldnerin. Schließlich stellte die Beklagte der Schuldnerin am 8. Januar 2008 jeweils gesondert Beträge über 81.467,40 € und 14.875 € mit Fälligkeit zum 15. Januar 2008 in Rechnung. Am 16. Januar 2008 war ein weiterer Rechnungsbetrag von 1.252,36 € fällig. Bei dieser Sachlage hatte die Beklagte der Schuldnerin bereits im Jahre 2007 vier über den Jahreswechsel von 2007 auf 2008 hinaus überwiegend offene Rechnungen erteilt. Bis zum Ausgleich der Rückstände am 25. Januar 2008, auf den das Berufungsgericht als erste angefochtene Rechtshandlung zutreffend abstellt, waren weitere drei Rechnungen hinzugekommen. Das Berufungsgericht hat selbst darauf hingewiesen, dass einzelne von der Schuldnerin im Dezember 2007 vorgenommene Zahlungen nicht den Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits bilden. Bei dieser Tatsachengrundlage kann von einem „Zahlungsrückstand zu Beginn der Aufnahme der Geschäftsbeziehungen“ nicht die Rede sein. Ebenfalls durch eine lückenhafte Würdigung des unstreitigen Sachverhalts ist die Annahme beeinflusst, aus dem Umstand, dass die Schuldnerin den 10. Januar 2008 als von ihr selbst vorgeschlagenen Termin zur Erbringung einer Teilzahlung nicht eingehalten habe, könne eine Kenntnis der Beklagten von der Zahlungseinstellung nicht hergeleitet werden, weil es sich um „den ersten Fall einer verspäteten Zahlung“ gehandelt habe.

Schlagworte: drohende Zahlungsunfähigkeit, Indizien der Zahlungsunfähigkeit, Verursachung Zahlungsunfähigkeit, Zahlungseinstellung, Zahlungsunfähigkeit