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BGH, Urteil vom 9. November 1987 – II ZR 100/87

Abberufung einfache Mehrheit

BGB §§ 709, 712, 242; HGB § 161; GmbHG § 50

a) Sieht der Gesellschaftsvertrag einer Publikumspersonengesellschaft vor, dass der (Gesellschafter-)Geschäftsführer nur mit Zustimmung aller Gesellschafter abberufen werden kann, so ist dieses Erfordernis auf Grund einer Inhaltskontrolle nach § 242 BGB nichtig; es genügt die einfache Mehrheit.

Das Berufungsgericht ist der Ansicht, daß die Gesellschafter, obwohl formgerecht zu den Versammlungen geladen, die Kündigungen gleichwohl nicht wirksam beschlossen hätten, weil hierzu nach § 24 der Verträge die Zustimmung des – mangels Kapitalbeteiligung zwar von der Abstimmung ausgeschlossenen, aber – im Gesellschaftsregister eingetragenen Gesellschafters M. erforderlich gewesen wäre, die dieser in allen drei Gesellschaften verweigert hatte. Dieses Zustimmungserfordernis sei – so das Berufungsgericht – nicht unwirksam; die Rechtsstellung des Klägers als Gesellschafter und Treuhänder werde entscheidend geschwächt, wenn ihn die Gesellschaftermehrheit – ohne diese Zustimmung – allein schon wegen tiefgreifender Differenzen abberufen könnte; zudem läge darin ein einschneidender Eingriff in die Rechte der Minderheit, die ihn im Amt halten wollte. Gegen diese Ausführungen wendet sich die Revision mit Recht.

Der Geschäftsführer einer Gesellschaft oder der Treuhänder, der – wie in diesem Falle – im wesentlichen die Geschäfte führt, hat kein Recht, in diesem Amt zu verbleiben, wenn er für die Gesellschaft untragbar geworden ist und deshalb in seiner Person ein wichtiger Grund vorliegt, der seine Abberufung rechtfertigt. Wird über diese – einstimmig oder mehrheitlich – abgestimmt, so kann er daran nicht mitwirken, ist vielmehr mit seinem Stimmrecht ausgeschlossen. Liegt ein wichtiger Grund vor, so hat aber auch kein (Mehrheits-)Gesellschafter das Recht, den untragbaren Geschäftsführer im Amt zu halten; kommt es auf die Stimme des Gesellschafters an, weil die Abberufung aus wichtigem GrundBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Abberufung
Abberufung aus wichtigem Grund
nur einstimmig oder mit einer bestimmten Mehrheit des Gesellschaftskapitals beschlossen werden kann, so gebietet jenem in der Regel seine gesellschaftliche Treuepflicht, der Ablösung zuzustimmen (vgl. BGHZ 64, 253, 257ff.; 68, 81, 82; Sen.Urt. v. 15.4.1983 – II ZR 170/82, WM 1983, 750); werden die Beschlüsse laut Gesetz oder Satzung mit der (einfachen oder qualifizierten) Mehrheit, nicht des vorhandenen Kapitals, sondern der abgegebenen Stimmen gefaßt, so wäre die Stimme, die trotz Vorliegens wichtiger Gründe gegen die Abberufung abgegeben wird, regelmäßig wegen Mißbrauchs nichtig und jene mit den Stimmen der übrigen Gesellschafter wirksam beschlossen. Die Erfordernisse der Einstimmigkeit oder einer bestimmten Kapitalmehrheit schließen mithin die Abberufung nicht schlechthin aus, falls sich (über die Sperrminorität verfügende) Gesellschafter ihr widersetzen, sondern bewirken lediglich, daß der Streit, ob wichtige, die Abberufung rechtfertigende Gründe vorliegen, nicht erst nach der Beschlußfassung, wenn es um deren Rechtmäßigkeit geht, sondern schon vorher im Rechtsstreit um die Zustimmung ausgetragen wird; solange diese nicht vorliegt oder (falls erforderlich), durch ein Zustimmungsurteil ersetzt ist, bleibt der Geschäftsführer im Amt. Eine in diesem Sinne übereinstimmende Mitwirkung aller Gesellschafter (mit Ausnahme des Betroffenen) ist, falls nach dem Gesellschaftsvertrage nicht ausnahmsweise die Mehrheit der Stimmen entscheidet, wegen der engen persönlichen Bindung in der auf Selbstorganschaft angelegten Personengesellschaft regelmäßig erforderlich, um einen Gesellschafter die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis zu entziehen (§§ 117, 127 HGB, § 712 Abs. 1, 715 BGB).

Die Gesellschaften, die der Kläger und M. gegründet haben, sind jedoch insofern atypisch ausgestaltet worden, als ihnen – wenn auch bis zur Höhe eines bestimmten Gesamtkapitals – weitere, erst noch zu werbende Gesellschafter mit Einlagen in Höhe von mindestens 20.000 can. Dollars beitreten sollten, während für die Gründungsgesellschafter keine finanzielle Beteiligung vorgesehen war. Bei derartigen Gesellschaften stellt sich die Frage, ob die an der Ausgestaltung des Vertragswerks nicht beteiligten, weil später beigetretenen Gesellschafter den Treuhänder/Geschäftsführer, den sie ebenfalls nicht ausgewählt, sondern schon vorgefunden haben, mehrheitlich aus wichtigem Grunde mit sofortiger Wirkung abberufen können oder ob sie, bevor ein solcher Beschluß gefaßt werden kann, den widersprechenden (möglicherweise nicht finanziell beteiligten und deshalb mit seiner Weigerung kein Risiko eingehenden Gründungs-)Gesellschafter erst auf Zustimmung verklagen müssen mit der Folge, daß der untragbar gewordene Geschäftsführer (sofern nicht durch einstweilige Verfügung Abhilfe geschaffen werden kann) bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens die Geschäfte weiterführt. Mit der Revision ist diese Frage zu verneinen.

Das Vertragswerk der drei Gesellschaften ist das einer körperschaftlich strukturierten Publikumsgesellschaft und unterliegt deshalb der Inhaltskontrolle nach § 242 BGB (vgl. BGHZ 64, 238; 84, 11; Sen.Urt. v. 22.3.1982 – II ZR 74/81, WM 1982, 583, 584; v. 10.10.1983 – II ZR 213/82, WM 1983, 1407). Die Eigenschaft als Publikumsgesellschaft fehlt den Gesellschaften nicht deshalb, weil ihnen später nur drei bzw. vier Gesellschafter beigetreten sind. Auf die später tatsächlich erreichte Gesellschafterzahl kommt es nicht an; vielmehr ist entscheidend, daß die Gesellschaften vom gesetzlichen Leitbild insofern abweichen als sie nach dem Gesellschaftsvertrage auf die Mitgliedschaft einer Vielzahl erst noch zu werbender Gesellschafter angelegt sind, die sich nur kapitalistisch beteiligen und mehr oder weniger zufällig zusammengeführt werden. Nach § 4 der Gesellschaftsverträge haben die Gesellschafter den Treuhänder bevollmächtigt, nach seiner Wahl weitere Gesellschafter aufzunehmen. Die Mitgesellschafter haben demgemäß keinen Einfluß auf die personelle Zusammensetzung der Gesellschaft. Die für das Projekt erst später gewonnenen Kapitalanleger können, wenn sie beitreten, nur einen Gesellschaftsvertrag unterzeichnen, der fertig vorformuliert ist, so daß sie auf dessen Inhalt keinen irgendwie gearteten, ihre Interessen wahrenden Einfluß ausüben können. Ähnlich wie bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Formularverträgen ist deshalb der Gesellschaftsvertrag der gerichtlichen Inhaltskontrolle unterworfen.

Gemessen an den danach anzuwendenden Maßstäben von Treu und Glauben, ist das Einstimmigkeitserfordernis bei der Abberufung des Treuhänders unwirksam. Es verfolgt ohne ausreichenden sachlichen Grund die Belange des zum Treuhänder bestellten Gründergesellschafters und beeinträchtigt unangemessen und unbillig die berechtigten Interessen der Anlagegesellschafter. Der Senat hat bereits im Urteil vom 22. März 1982 (II ZR 74/81, WM 1982, 583, 584) ausgeführt, daß die Abberufung eines Fremdgeschäftsführers aus wichtigem Grunde in der Publikumsgesellschaft nicht durch qualifizierte Mehrheiten erschwert werden kann, weil der wichtige Grund voraussetzt, daß die Beibehaltung des Geschäftsführers der Gesellschaft nicht länger zugemutet werden kann; jede im Gründungsvertrage vorweggenommene Regelung, die eine Minderheit in die Lage versetzen soll, den Geschäftsführer der Mehrheit weiter aufzwingen, und die Anlagegesellschafter daran hindert, die Verwaltung ihres eingebrachten Kapitals einer Person zu übergeben, die das Vertrauen ihrer Mehrheit genießt, ist daher, wenn nicht ein besonderer rechtfertigender Grund vorliegt, nicht vertretbar und deshalb unwirksam. Diese die Abberufung eines Fremdgeschäftsführers betreffenden Ausführungen gelten gleichermaßen für den Gründungsgesellschafter, der zum Geschäftsführer bestellt worden ist. Wenn das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang auf die im Vergleich zu einem Fremdgeschäftsführer und selbst zum üblichen Gesellschafter- Geschäftsführer ungleich stärkere Rechtsstellung des Klägers verweist und meint, diese könne ihm nicht genommen werden, ohne daß die Gesellschafter zuvor gerichtlich geklärt hätten, ob ein wichtiger Grund vorliegt, so verkennt es, daß gerade wegen dieser starken Rechtsstellung den Kapitalanlegern ein längeres Zuwarten nicht zugemutet werden kann, wenn der das Gesellschaftsvermögen im eigenen Namen treuhänderisch verwaltende Gesellschafter-Treuhänder für die Gesellschaft untragbar geworden ist. Der Treuhänder ist durch die sofortige Abberufung nicht rechtlos gestellt; er kann gerichtlich feststellen lassen, daß der wichtige Grund fehlt und er infolgedessen im Amt geblieben ist; ferner kann er seine Mitgesellschafter, die ihn schuldhaft rechtswidrig haben abberufen wollen wegen Verletzung der gesellschaftlichen Treuepflicht auf Ersatz seines Schadens in Anspruch nehmen. Bei der Abwägung der Interessen ist einem zu Unrecht abberufenen Treuhänder und der ihn stützenden Minderheit eher zuzumuten, diesen Umstand nachträglich gerichtlich feststellen zu lassen, als der Gesellschaftermehrheit die andere Alternative, einem wegen Verfehlungen untragbar gewordenen Treuhänder auch noch solange ihr Vermögen anzuvertrauen und die damit verbundenen Geschäfte führen zu lassen, bis sie im Rechtsstreit mit der Minderheit gerichtlich geklärt hat, daß auch diese für die Abberufung stimmen muß. Aus demselben Grunde hat der Senat es im Recht der GmbH für unzulässig gehalten, daß die Bestellung eines Geschäftsführers, auch wenn er zugleich Gesellschafter ist, nur mit einer höheren als der in § 47 Abs. 1 GmbHG bestimmten einfachen Mehrheit aus wichtigem Grunde widerrufen werden kann (vgl. BGHZ 86, 177, 179). Nach alledem reichte es aus, daß die Abberufung des Klägers – wie im § 12 des Gesellschaftsvertrages vorgeschrieben – von den am Gesellschaftskapital beteiligten Gesellschaftern mit mehr als 2/3 der abgegebenen Stimmen beschlossen worden ist; die Zustimmung der übrigen Gesellschafter – insbesondere des finanziell nicht beteiligten und deshalb von der Abstimmung ausgeschlossenen Gründungsgesellschafters M. – war nicht erforderlich.

b) Zum Recht der Gesellschafter einer bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft, die Gesellschafterversammlung einzuberufen, wenn der dazu Verpflichtete eine entsprechende Aufforderung der Gesellschafter übergeht.

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