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BGH, Urteile vom 20. November 2012 – II ZR 98/10, II ZR 99/10, II ZR 148/10

BGB §§ 705 ff, 707, 709, 733, 735

a) Beschlüsse in einer Gesellschaft bürgerlichen RechtsBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Gesellschaft bürgerlichen Rechts
sind einstimmig zu fassen (vgl. § 709 Abs. 1 BGB). Es steht den Gesellschaftern jedoch grundsätzlich frei, im Gesellschaftsvertrag das nach dem Gesetz geltende Einstimmigkeitserfordernis durch das Mehrheitsprinzip zu ersetzen (vgl. § 709 Abs. 2 BGB).

b) Für die formelle Legitimation einer auf die Mehrheitsklausel gestützten Mehrheitsentscheidung ist es ausreichend, dass sich durch Auslegung des Gesellschaftsvertrags eindeutig ergibt, dass der betreffende Beschlussgegenstand einer Mehrheitsentscheidung unterworfen sein soll; einer Aufzählung der von der Mehrheitsklausel erfassten Beschlussgegenstände im Einzelnen bedarf es hierfür grundsätzlich nicht, und zwar auch dann nicht, wenn es sich um ein früher so genanntes „Grundlagengeschäft“ handelt (BGH, Urteil vom 15. Januar 2007 II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 Rn. 6, 9 OTTO; Urteil vom 24. November 2008 II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 Rn. 15 Schutzgemeinschaftsvertrag II; Urteil vom 15. November 2011 II ZR 266/09, BGHZ 191, 293 Rn. 16).

c) Die Auslegung des Gesellschaftsvertrags einer Publikumsgesellschaft ist selbständig und objektiv vorzunehmen (vgl. nur BGH, Urteil vom 19. März 2007 II ZR 73/06, ZIP 2007, 812 Rn. 8; Urteil vom 11. Januar 2011 II ZR 187/09, ZIP 2011, 322 Rn. 12 jeweils m. w. N.).

d) Der nach dem Gesetz geltende Einstimmigkeitsgrundsatz wird in Publikumsgesellschaften mit einer Vielzahl von Gesellschaftern regelmäßig durch das Mehrheitsprinzip ersetzt, um die Handlungsfähigkeit solcher Gesellschaften zu gewährleisten (vgl. MünchKommBGB/Ulmer/Schäfer, 5. Aufl., § 709 Rn. 94 m. w. N.). Dieses Erfordernis besteht nach Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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in der Abwicklungsphase unverändert fort.

e) Für Mehrheitsentscheidungen über eine nachträgliche Erhöhung der Beitragspflichten im Sinn von § 707 BGB ist eine entsprechende eindeutige Legitimationsgrundlage im Gesellschaftsvertrag erforderlich, die Ausmaß und Umfang einer möglichen zusätzlichen Belastung der Gesellschafter erkennen lassen muss, weil es sich hierbei um eine antizipierte Zustimmung handelt (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 23. Januar 2006 II ZR 306/04, ZIP 2006, 562 Rn. 18 ff.; Urteil vom 5. März 2007 II ZR 282/05, ZIP 2007, 766 Rn. 13; Urteil vom 9. Februar 2009 II ZR 231/07, ZIP 2009, 864 Rn. 14 f.).

f) Die Feststellung der Auseinandersetzungsbilanz als Grundlage der Verlustausgleichspflicht nach Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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steht einer Belastung der Gesellschafter mit zusätzlichen Beitragspflichten in der werbenden Gesellschaft nicht gleich. Während die nachträgliche Begründung einer Nachschusspflicht in der werbenden Gesellschaft von der gesetzlichen Regelung in § 707 BGB abweicht, dass ein Gesellschafter während des Bestehens der Gesellschaft nicht ohne seine Zustimmung nachträglich mit zusätzlichen Beitragspflichten belastet werden darf, stellt die Feststellung der Auseinandersetzungsbilanz lediglich eine Voraussetzung für die Geltendmachung der sich nach Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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aus dem Gesetz selbst (§ 735 BGB) ergebenden und anders als die Verpflichtung zur Nachschusszahlung in der werbenden Gesellschaft unabhängig von der Zustimmung des einzelnen Gesellschafters bestehenden (MünchKommBGB/Ulmer/Schäfer, 5. Aufl., § 735 Rn. 1) Verlustausgleichspflicht dar und konkretisiert diese.

g) Die Gesellschafter haben sich bereits mit dem Beschluss, die Gesellschaft aufzulösen, dafür entschieden, die Verbindlichkeiten der Gesellschaft aus deren Aktivvermögen und soweit dieses nicht ausreicht durch Nachschusszahlungen der Gesellschafter zu tilgen (§§ 733, 735 BGB).

h) Ist die Entscheidung der Mehrheit der Gesellschafter von einer Mehrheitsklausel im Gesellschaftsvertrag gedeckt, ist allerdings auf einer zweiten Stufe zu prüfen, ob sie sich als treupflichtwidrige Ausübung der Mehrheitsmacht gegenüber der Minderheit mit der Folge darstellt, dass sie inhaltlich unwirksam ist (BGH, Urteil vom 15. Januar 2007 II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 Rn. 10 OTTO; Urteil vom 24. November 2008 II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 Rn. 17 Schutzgemeinschaftsvertrag II).

i) Nach § 735 Satz 2 BGB haften die übrigen Gesellschafter subsidiär, wenn der auf einen Mitgesellschafter nach § 735 Satz 1 BGB entfallende Verlustausgleichsbetrag nicht erlangt werden kann. Der Verlustausgleichsbetrag kann von einem Gesellschafter nicht erlangt werden, wenn er zahlungsunfähig oder die Forderung gegen ihn aus sonstigen Gründen nicht durchsetzbar ist (vgl. MünchKommBGB/Bydlinski, 6. Aufl., § 426 Rn. 36).

j) Die in diesem Stadium der Abwicklung der Gesellschaft erstellte Auseinandersetzungsbilanz dient dazu, durch eine Gegenüberstellung des Aktivvermögens mit den Verbindlichkeiten der Gesellschaft einschließlich der Gesellschaftereinlagen festzustellen, ob und in welcher Höhe ein Überschuss verteilt werden kann oder von den Gesellschaftern Nachschüsse benötigt werden, um die Verbindlichkeiten begleichen und die Einlagen zurückerstatten zu können. Dabei ist das Aktivvermögen zu bewerten. Bestehen bei Aufstellung der Bilanz ernsthafte Zweifel an der Werthaltigkeit von Forderungen der Gesellschaft, ist diesem Umstand in der Bilanz in angemessener Weise Rechnung zu tragen. Auch bei den Ansprüchen gegen die Gesellschafter auf Zahlung von Verlustausgleich, die in eine zu dem genannten Zweck erstellte Bilanz eingestellt werden, handelt es sich um Forderungen der Gesellschaft (Münch-KommBGB/Ulmer/Schäfer, 5. Aufl., § 735 Rn. 5; Soergel/Hadding/Kießling, BGB, 13. Aufl., § 735 Rn. 6; K. Schmidt, ZHR 153 (1989), 270, 296; Münch-KommHGB/K. Schmidt, 3. Aufl., § 149 Rn. 27, 29; Staub/Habersack, HGB, 5. Aufl., § 149 Rn. 31 für die Personenhandelsgesellschaft), die das zur Begleichung der Verbindlichkeiten und gegebenenfalls Rückerstattung von Einlagen unzureichende Aktivvermögen ergänzen. Bestehen schon bei der Aufstellung dieser Auseinandersetzungsbilanz greifbare Anhaltspunkte dafür, dass der ermittelte Fehlbetrag durch die Anforderung von Nachschüssen in gleicher Höhe nicht aufgebracht werden kann, weil zu erwarten ist, dass Gesellschafter teilweise nicht in der Lage sein werden, die auf sie entfallenden Nachschüsse zu leisten, kann die Gesellschafterversammlung mit der nach dem Gesellschaftsvertrag erforderlichen Mehrheit beschließen, dass diesem Umstand bereits bei der Festlegung der Höhe der von den Gesellschaftern anzufordernden Nachschusszahlungen Rechnung getragen wird, und den Liquidator zur Einforderung der entsprechenden Beträge anweisen (BGH, Urteil vom 15. November 2011 II ZR 266/09, BGHZ 191, 293 Rn. 30).

k) Die gewählte Verfahrensweise führt dazu, dass die Liquidation der Gesellschaft rascher abgeschlossen werden kann und die Verbindlichkeiten der Gesellschaft durch frühzeitigen Ausgleich der voraussichtlich uneinbringlichen Nachschusszahlungen schneller getilgt werden können, so dass weitere finanzielle Belastungen der Gesellschaft durch anfallende Zinsen vermieden werden und zudem das Risiko einer unmittelbaren Inanspruchnahme der Gesellschafter durch die Gläubiger der Gesellschaft verringert wird. Diese gerade für die Ab-wicklung von Publikumsgesellschaften bedeutsamen Vorteile kommen allen Gesellschaftern gleichermaßen zu Gute. Die Gesellschafter haften nach § 735 Satz 2 BGB ohnehin entsprechend ihrer Beteiligung an der Gesellschaft für den Ausfall anderer Gesellschafter. Sollte sich herausstellen, dass zunächst zu hohe Beiträge eingefordert worden sind, weil sich die Ausfälle geringer als erwartet darstellen, ist dies (spätestens) im Rahmen der endgültigen Schlussabrechnung zwischen der Gesellschaft und den Gesellschaftern zu berücksichtigen. Der Umstand, dass Beiträge möglicherweise entgegen der Prognose nicht in voller Höhe zur Begleichung der Gesellschaftsverbindlichkeiten und Rückerstattung der Einlagen benötigt werden, führt wegen der den Gesellschaftern insoweit zustehenden Ansprüche auf Rückerstattung zuviel geleisteter Zahlungen zu keinem schwerwiegenden Eingriff in die Rechte der Minderheit, der die Berücksichtigung des zu erwartenden Zahlungsausfalls in der Liquidationsbilanz als treuwidrig erscheinen lassen könnte.

l) Aus der in § 733 Abs. 1 und 2 BGB geregelten Reihenfolge folgt, dass die Schulden der Gesellschaft vorrangig zu tilgen sind (BGH, Urteil vom 15. November 2011 II ZR 266/09, BGHZ 191, 293 Rn. 24).

m) Bei einer Publikumsgesellschaft bürgerlichen Rechts sind in die von den Abwicklern zu erstellende Auseinandersetzungsbilanz auch ohne besondere Regelung im Gesellschaftsvertrag die zu unselbständigen Rechnungsposten gewordenen, auf dem Gesellschaftsverhältnis beruhenden Ansprüche der Gesellschafter untereinander und gegen die Gesellschaft einzustellen (BGH, Urteil vom 15. November 2011 II ZR 266/09, BGHZ 191, 293 Rn. 34 m. w. N.). Ist der Innenausgleich in die von der Gesellschafterversammlung festgestellte Schluss-abrechnung einbezogen, ist auch der Liquidator zur Geltendmachung der sich daraus ergebenden Ansprüche ermächtigt, selbst wenn diese Ermächtigung nicht ausdrücklich ausgesprochen wird (BGH, Urteil vom 15. November 2011 II ZR 266/09, BGHZ 191, 293 Rn. 34).

n) § 735 BGB bestimmt, dass die Gesellschafter zur Leistung von Nachschüssen verpflichtet sind, wenn die im Zuge der Schlussabrechnung noch offenen Gesellschaftsverbindlichkeiten und die zurückzuerstattenden Einlagen das Aktivvermögen der Gesellschaft übersteigen. Gemeinschaftliche Verbindlichkeiten der Klägerin im Sinn von § 735 BGB sind nicht nur Verbindlichkeiten gegenüber dritten Gläubigern, sondern auch Sozialverbindlichkeiten der Gesamthand gegenüber den Gesellschaftern (Münch-KommBGB/Ulmer/Schäfer, 5. Aufl., § 735 Rn. 3, § 733 Rn. 7; Habersack in Großkomm. HGB, 5. Aufl., § 149 Rn. 24 für die OHG). Um solche handelt es sich bei den Erstattungsansprüchen von Gesellschaftern, die vor Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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ohne wirksame Nachschussklausel Nachschusszahlungen geleistet haben (vgl. BGH, Urteil vom 15. November 2011 II ZR 266/09, BGHZ 191, 293 Rn. 35; Beschluss vom 9. März 2009 II ZR 131/08, ZIP 2009, 1008 Rn. 11).

o) Die Geltendmachung der sich aus der Schlussabrechnung gegen die einzelnen Gesellschafter entsprechend ihrer Verlustbeteiligung ergebenden der Gesellschaft zustehenden Ansprüche auf Zahlung eines Nachschusses gemäß § 735 BGB ist als Teil der Abwicklung Aufgabe des Liquidators (MünchKommBGB/Ulmer/Schäfer, 5. Aufl., § 730 Rn. 45; Staub/Habersack, HGB, 5. Aufl., § 149 Rn. 31; MünchKommHGB/K. Schmidt, 3. Aufl., § 149 Rn. 27). Dieser hat die jeweils geschuldeten Nachschusszahlungen grundsätzlich von allen Gesellschaftern einzufordern, hat diese gegebenenfalls zu verklagen und einen sich abweichend vom prognostizierten Ausfall ergebenden Überschuss an die Gesellschafter zu verteilen (BGH, Urteil vom 15. November 2011 II ZR 266/09, BGHZ 191, 293 Rn. 36).

p) Der Anspruch auf Nachschuss nach § 735 BGB wird erst mit dem Beschluss über die Feststellung der Auseinandersetzungsbilanz fällig (vgl. Henssler/Strohn/Kilian, Gesellschaftsrecht, § 735 BGB Rn. 3; Palandt/Sprau, BGB, 71. Aufl., § 735 Rn. 2; MünchKommBGB/Ulmer/Schäfer, 5. Aufl., § 735 Rn. 5 und § 730 Rn. 61).

Schlagworte: Auflösung, Auseinandersetzung, Auseinandersetzungsbilanz, Auslegung, Gesellschafterbeschluss, Liquidation, Liquidator, Mehrheitsklausel, Personengesellschaft, Publikumspersonengesellschaft, Treuepflicht, Treuepflichtenkontrolle, Verlustausgleich