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Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 11. Januar 2017 – 7 U 87/14 

§ 252 BGB, § 823 Abs 2 BGB, § 15a Abs 1 InsO, § 64 S 1 GmbHG

Steht die Insolvenzreife (Überschuldung) bereits zu einem früheren Zeitpunkt fest, so besteht auch in einem zeitnahen Zusammenhang danach die Insolvenzantragspflicht (Dauerdelikt) weiter. Eine erneute Prüfung der Insolvenzreife beseitigt die schon bestehende Insolvenzantragspflicht nicht. Ausnahmsweise entfällt die bestehende Insolvenzantragspflicht, wenn die Überschuldung nachhaltig beseitigt ist.

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das am 26.02.2014 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 65.156,83 € nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozent für die Zeit vom 27.01.2012 bis zum 18.06.2013 und von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.06.2013 zu zahlen, Zug um Zug gegen Abtretung der Insolvenzforderung der Klägerin in Höhe von 77.536,63 € gemäß der angemeldeten Hauptforderung der Klägerin zur Insolvenztabelle zu dem Aktenzeichen des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) 3 IN 4412 (Insolvenzverfahren über das Vermögen der F…).

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für die außergerichtliche Tätigkeit ihres Prozessbevollmächtigten einen Betrag von 1.520 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.12.2013 zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

2. Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen tragen die Klägerin zu 17 Prozent und der Beklagte zu 83 Prozent.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Den Parteien wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der jeweils gegnerischen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aus dem Urteil gegen sie zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, sofern nicht die andere Partei wegen des zu vollstreckenden Betrages in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 78.536,63 € (77.536,63 € für die Berufung, 1.000 € für die Anschlussberufung) festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin hat den Beklagten als Geschäftsführer der F… (nachfolgend: Schuldnerin), über deren Vermögen auf ihren Eigenantrag am 15.03.2012 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, wegen nichtbezahlter Warenlieferungen an die Schuldnerin in Höhe von 77.536,63 € nebst 5 Prozent Zinsen seit dem 27.01.2012 auf Schadensersatz wegen Insolvenzverschleppung in Anspruch genommen.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes in erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Das Landgericht hat der Klage mit der Maßgabe stattgegeben, dass die zuerkannte Forderung Zug um Zug gegen Abtretung der Insolvenzforderung der Klägerin in gleicher Höhe zu zahlen sei. Die Forderung sei nach § 823 Abs. 2 BGB, § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO, § 64 Satz 1 GmbHG begründet.

Der Beklagte habe als Geschäftsführer der Schuldnerin seine Verpflichtung, rechtzeitig bei Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit für die Einleitung des Insolvenzverfahrens zu sorgen, verletzt. Die Schuldnerin sei zur Zeit der streitbefangenen Lieferungen der Klägerin an die Schuldnerin insolvenzreif in Gestalt einer Überschuldung gewesen. Die rechnerische ÜberschuldungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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ergebe sich aus den vorgelegten Jahresabschlüssen für 2009 und 2010 sowie dem Abschlussbericht der mit der Unternehmensbewertung beauftragten Frau J… vom 03.05.2010. Frau J… habe „keine ausreichende Liquidität“ und eine „vorläufige Überschuldung“ festgestellt. Bei den Bilanzen handele es sich zwar um Handelsbilanzen, nicht um Überschuldungsbilanzen. Sie seien jedoch aussagekräftig, da sie beide eine Überschuldung auswiesen und stille Reserven nicht gegeben seien. Der Beklagte habe auch keine sachlich gerechtfertigte positive FortführungsprognoseBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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positive Fortführungsprognose
darlegen können. Die verspätete Antragstellung sei schuldhaft, jedenfalls fahrlässig verspätet erfolgt.

Die Klägerin könne als Neugläubigerin die Vergütung für die gelieferte Ware einschließlich des ihr entgangenen Gewinns verlangen. Der Schadensersatzanspruch sei zwar grundsätzlich nur auf den Vertrauensschaden gerichtet. Hier gelte dies jedoch nicht, da es sich um marktgängige Waren handelte.

Die Einwendungen des Beklagten lägen tatbestandlich nicht vor.

Eine vom Beklagten geltend gemachte „Verrechnung“ mit Ansprüchen der Schuldnerin gegen die Klägerin in Höhe von 34.953,52 € scheitere an den §§ 96 Abs. 1 Nr. 3, 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO.

Das am 26.02.2014 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) ist dem Beklagten am 09.04.2014 zugestellt worden.

Der Beklagte hat gegen das Urteil am 08.05.2014 Berufung eingelegt, die er nach Verlängerung der Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung bis zum 09.07.2014 am 09.07.2014 begründet hat.

Der Klägerin ist eine Frist zur Berufungserwiderung bis zum 27.02.2015 gesetzt worden. Nach Verlängerung dieser Frist bis zum 31.03.2015 hat die Klägerin am 30.03.2015 auf die Berufung erwidert und zugleich Anschlussberufung eingelegt und begründet.

Mit der Berufung will der Beklagte die Abweisung der Klage erreichen.

Er hält das angefochtene Urteil in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht für fehlerhaft.

Er wendet unter anderem ein,

– es fehle an der für die Feststellung der Überschuldung der Schuldnerin erforderlichen Überschuldungsbilanz, deshalb sei nicht von einer Überschuldung seit dem 03.05.2010 auszugehen,

– auf die Zahlen für 2009 und 2010 komme es nicht an, weil es um Bestellungen aus 2011 gehe,

– die BWA für 2011 sei unerheblich, da diese zur Zeit der Bestellungen nicht vorgelegen habe,

– Frau J… habe in ihrem Gutachten vom 03.05.2010 nur von vorläufiger Überschuldung gesprochen, zudem habe sie auf erhebliche Forderungen der Schuldnerin verwiesen und eine positive FortführungsprognoseBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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gestellt,

– der September 2011 falle nicht in die Dreimonatsfrist vor Insolvenzantragsstellung,

– die Schuldnerin habe nach den Feststellungen des als Controllers tätigen Steuerberaters K… in der Zeit nach dem Gutachten J… eine verbesserte Gesamtleistung erreicht und Kosten reduziert, der Steuerberater habe das Erfordernis eines Insolvenzantrages ausgeschlossen,

– insgesamt hätten die Voraussetzungen für eine positive FortführungsprognoseBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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vorgelegen,

– das Landgericht habe die dem Beklagten zustehende Frist von drei Wochen unberücksichtigt gelassen,

– die Unterlagen bezüglich der Liquiditätsentwicklung seien unberücksichtigt geblieben,

– ausweislich der 12-Monats-Übersicht sei im Oktober noch ein Betriebsergebnis von 65.718,69 € festgestellt worden,

– der Beklagte habe in Ansehung der vorstehenden Umstände zumindest nicht schuldhaft gehandelt,

– die Klägerin sei allenfalls Altgläubigerin,

– ein Anspruch auf entgangenem Gewinn bestehe nicht,

– die in der Klageforderung enthaltene Umsatzsteuer sei nicht ersatzpflichtig,

– die Forderung der Schuldnerin gegen die Klägerin in Höhe von 34.953,52 € sei zu seinen Gunsten zu berücksichtigen,

– soweit Zahlungsunfähigkeit angenommen werde, fehle dem die konkrete Darlegung,

– die Höhe der geltend gemachten Rechtsanwaltskosten sei nicht gerechtfertigt,

– die Kostenentscheidung könne keinen Bestand haben, weil der Verwalter des Vermögens der Schuldnerin Forderungen der Schuldnerin in Höhe von 122.537 € lediglich mit 12.253 € bewertet habe,

– das Landgericht habe die Abtretungsvereinbarung der Schuldnerin mit der Klägerin betreffend das Bauvorhaben E… zu Unrecht als Abtretung erfüllungshalber ausgelegt.

Der Beklagte beantragt,

1. die Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils abzuweisen,

2. hilfsweise, die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen,

3. die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

1. die Berufung zurückzuweisen,

2. aufgrund ihrer Anschlussberufung das angefochtene Urteil abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 77.536,63 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB hierauf seit dem 27.01.2012 zu zahlen.

Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung, soweit mit dieser der Klageforderung entsprochen worden ist.

Sie beanstandet im Rahmen der Anschlussberufung die mit dem angefochtenen Urteil ausgesprochene Verpflichtung zur Abtretung der Insolvenzforderung der Klägerin in Höhe von 77.536,63 € Zug um Zug gegen Zahlung des ihr vom Landgericht zuerkannten Betrages. Zur Begründung dieser Rechtsauffassung führt die Klägerin an, dass es im vorliegenden Fall keines Vorteilsausgleichs bedarf, nachdem der Insolvenzverwalter am 12.03.2012 Masseunzulänglichkeit angezeigt habe und daran auch festhalte.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die von ihnen zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

In der mündlichen Verhandlung am 02.12.2015 hat der Beklagte ergänzend geltend gemacht, die streitigen Forderungen seien durch Zahlungen auf abgetretene Forderungen der Schuldnerin gegen das E…D… im Umfang von 90.000 € erfüllt worden. Die Klägerin hat diese Behauptung zunächst dahingehend bestritten, auf die in Rede stehende Abtretungsvereinbarung keine Zahlungen des Drittschuldners erhalten zu haben.

Mit dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 15.12.2015 hat die Klägerin den Erhalt der behaupteten Zahlungen eingeräumt, allerdings auch behauptet, die so erhaltenen Beträge seien im Einvernehmen mit der Schuldnerin auf andere als die streitigen Verbindlichkeiten der Schuldnerin bei der Klägerin verrechnet worden.

Der Senat hat die Zeugin I… C… gemäß Beweisbeschluss vom 16.11.2016 (Blatt 1325, 1326 der Akten) zu den in ihr Wissen gestellten Absprachen bezüglich der Verrechnung derjenigen Beträge, welche die Klägerin aufgrund der Abtretung vom 30.08.2011 von dem E… D… erhalten hat, vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme vom 16.11.2016 Bezug genommen (Blatt 1325, 1326 der Akten).

II.

Die Berufung ist begründet, soweit sich der Beklagte gegen seine Verurteilung zur Zahlung von Umsatzsteuer im Rahmen des zuerkannten Schadensersatzes wendet. Ansonsten ist ihr der Erfolg zu versagen.

Die Anschlussberufung führt nicht zu einer Abänderung des landgerichtlichen Urteils.

1. Anspruchsgrundlage für den von der Klägerin verfolgten Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten wegen Insolvenzverschleppung ist – wie vom Landgericht erkannt – § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 15a Abs. 1 InsO, § 64 Satz 1 GmbHG.

Nach § 15a Abs. 1 InsO und § 64 Satz 1 GmbHG war der Beklagte als Geschäftsführer der Schuldnerin bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Schuldnerin verpflichtet, ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin zu stellen. Da er dies in den Jahren 2010 und 2011 unterließ und rechtfertigende Umstände dafür nicht zu erkennen sind, hat er sich schadensersatzpflichtig gemacht. Die angeführten Bestimmungen sind Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB (BGH, Urteil vom 06.06.1994 – II ZR 292/91 –).

Der Beklagte hat allerdings am 26.01.2012 die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin beantragt, das am 15.03.2012 eröffnet wurde. Die Klägerin, die unstreitig die ihrer Klageforderung zugrundeliegenden Warenlieferungen an die Schuldnerin in der Zeit ab dem 13.09.2011 anlässlich von Bestellungen des Beklagten als Geschäftsführer der Schuldnerin erbrachte, verweist jedoch zu Recht darauf, dass die Antragstellung des Beklagten viel zu spät erfolgte. Die Schuldnerin war bereits seit 2008, jedenfalls aber seit dem 01.01.2010 überschuldet und zahlungsunfähig. Unter dieser Voraussetzung liegt eine Insolvenzverschleppung und damit die Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch nach vorstehend benannten gesetzlichen Bestimmungen vor. Der Beklagte hat zwar die Insolvenzreife der Schuldnerin vor Ende Dezember 2011 bestritten. Sein Bestreiten ist jedoch nicht erheblich.

Eine Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, § 19 Abs. 1 Satz 1 InsO. Diese Vermögenslage der Schuldnerin ist von der Klägerin für die Zeit ab 31.12.2009 hinreichend dargetan worden.

Das Landgericht hat seine Entscheidung deshalb zutreffend auf die Überzeugung gestützt, die Schuldnerin sei Mitte September 2011 überschuldet gewesen. Die Überschuldung der Schuldnerin ergibt sich aus dem „Abschließenden Bericht zur Unternehmensentwicklung“ der Diplom-Betriebswirtin J… vom 03.05.2010 (Blatt 360 f. der Akten) und den zu den Akten gereichten Jahresabschlüssen der Schuldnerin für die Jahre 2009 und 2010 (Blatt 391 f., 445 f. der Akten) des Steuerberaters K… K…. Diese Würdigung der vom Beklagten vorgelegten Unterlagen zur wirtschaftlichen Befindlichkeit der Schuldnerin durch das Landgericht begegnet keinen Bedenken.

Die Schuldnerin erfuhr schon im Jahr 2008 einen Forderungsausfall von etwa 80.000 €. Im Jahre 2009 wurde sie von ihrer Hausbank veranlasst, eine Unternehmensbewertung beizubringen, mit der die Unternehmensberaterin und Betriebswirtin Frau J… beauftragt wurde. Bereits diese Auflage der Hausbank an die Schuldnerin wie auch die Maßgabe der Hausbank an die Schuldnerin, vierteljährlich Kontrollberichte ihres Steuerberaters einzureichen, indizieren den Verdacht der Hausbank, die Schuldnerin befände sich in einer Krise.

Die eingeschaltete Unternehmensberaterin Frau J… wies in ihrem abschließenden Bericht vom 03.05.2010 unter dem einleitenden Punkt „0. Zusammenfassung“ bereits auf „die bestehende vorläufige Überschuldung hin“ (Blatt 362 der Akten). Unter Punkt „11 Überschuldungsprüfung“ zeigte sie unter Bezugnahme auf die BWA für 2009 ein vorläufiges negatives Ergebnis von 12.105,27 € auf (Blatt 374 der Akten). Die Vorläufigkeit dieser Feststellung erfolgt mit dem Vorbehalt der Erstellung des endgültigen Jahresabschlusses für 2009.

Der Jahresabschluss der Schuldnerin für 2009 nennt einen Jahresfehlbetrag von 89.900,82 € (Blatt 400, 422 der Akten) und ergibt einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag von 75.456,47 € (Blatt 398 der Akten). Die Bilanz zum 31.12.2009 zeigt bei „A. Eigenkapital“ auf der Passivseite letztlich einen negativen Betrag: Der ausgewiesene Verlust von – 100.956,47 € ergibt, vermindert um „Gezeichnetes Kapital“ und „Kapitalrücklage“ (= 25.500 €) einen Fehlbetrag von 75.456,47 €, der an sich unter den Aktiva zu bilanzieren war (§ 268 Abs. 3 HGB). Der Abschluss wurde am 09.07.2010 erstellt (Blatt 442 der Akten) und bestätigt die als vorläufig charakterisierte Feststellung einer Überschuldung durch Frau J… schon für das Jahr 2009.

Die entsprechenden Werte für 2010 betragen 20.346,07 € (Blatt 485 der Akten) und 95.802,54 € (Blatt 483 der Akten). Das Datum der Erstellung des Abschlusses ist nicht ersichtlich. Seine Aufstellung ist aber jedenfalls nach Ablauf des Geschäftsjahres 2010 vorgenommen worden und weist eine Verfestigung der bereits Ende 2009 gegebenen Überschuldung aus.

Die rechnerische Darstellung einer Überschuldung schon seit Ende 2009 erfolgt hier zwar anhand von Handelsbilanzen, nicht von Überschuldungsbilanzen. Gleichwohl sind die vorgelegten Jahresabschlüsse hinreichend aussagekräftig, um aus ihnen eine Überschuldung der Schuldnerin schon seit Ende 2009 abzuleiten.

Die vorstehend zitierten Jahresabschlüsse beinhalten naturgemäß Handelsbilanzen, die wegen der formalisierten Bewertungsgrundsätze der §§ 246 f. HGB nicht zur Ermittlung des wirklich vorhandenen Vermögens der Gesellschaft führen, da stille Reserven nicht aufgedeckt werden. Zudem wäre das Gesellschaftsvermögen im Falle eines überwiegenden Insolvenzrisikos mit Liquidationswerten in die Überschuldungsbilanz einzustellen gewesen.

Die Handelsbilanzen liefern aber gleichwohl deutliche Anhaltspunkte für eine Überschuldung, insbesondere, da das Gesellschaftsvermögen der Schuldnerin keine stillen Reserven enthält. Davon ist hier auszugehen. Zum einen hat das Landgericht diese Annahme der angefochtenen Entscheidung unwidersprochen als unstreitig zu Grunde gelegt. Zum anderen verfügte die Schuldnerin weder über Grundbesitz noch sonstiges Vermögen, in dem sich stille Reserven hätten entwickeln können (OLG KölnBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Köln
, Urteil vom 05.02.2009 – 18 U 171/07 –, Rn. 32).

Schließlich ist die Bewertung des Vermögens der Schuldnerin aufgrund einer vermeintlich günstigen Fortführungsprognose sogar zu Fortführungswerten vorgenommen worden, obwohl die Voraussetzungen einer solchen Prognose nach den Vorgaben der Rechtsprechung nicht gegeben waren.

Der bilanziellen Überschuldung der Schuldnerin um 75.456,47 € (31.12.2009) und 95.802,54 € (31.12.2010) kann deshalb keine positive FortführungsprognoseBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Fortführungsprognose
positive Fortführungsprognose
für die Schuldnerin im vorgenannten Zeitraum im Sinne des § 19 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz InsO entgegengehalten werden.

Nach dem Wortlaut der zitierten Bestimmung rechtfertigt eine positive FortführungsprognoseBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Fortführungsprognose
positive Fortführungsprognose
nur die Bewertung des Schuldnervermögens zu Fortsetzungswerten anstelle von Auflösungswerten, sodass eine Überschuldung auch unter dieser Voraussetzung möglich ist. Die Rechtsprechung zu dieser Bestimmung nimmt dies jedoch hin, wenn die Finanzkraft des Unternehmens zur Fortführung für die Dauer des Prognosezeitraums ausreicht. Die Fortführung muss aber objektiv Erfolg versprechen. Das Unternehmen des Schuldners muss nach pflichtgemäßer Einschätzung eines fachkundigen Dritten sanierungsfähig, die zur Sanierung ergriffenen Maßnahmen müssen objektiv geeignet sein, das Unternehmen in überschaubarer Zeit durchgreifend zu sanieren (BGH, Urteil vom 23.02.2004 – II ZR 207/01 –, Rn. 11; Kreft/Kirchhof, InsO, 7. Aufl., § 19, Rn. 9).

Eine Prognose, die dieser Anforderung entspricht, ist weder für die von den Jahresabschlüssen erfassten Zeiträume dargetan noch für die letzten vier Monate des Jahres 2011. Die Gutachterin J… hat zwar in ihrem Abschlussbericht vom 03.05.2010 Hinweise zur Sanierung der Schuldnerin erteilt, die der Beklagte zumindest insoweit umgesetzt haben will, als sie zu einer Verbesserung der Liquidität führen sollten. Ein geschlossenes Konzept der Sanierung fehlt in dem Abschlussbericht indes. Es ist auch nicht nachträglich vom Beklagten erstellt worden. Nach dem Vortrag des Beklagten wurde in Ansehung von Umsatzzuwächsen und Auftragslage auf das „Prinzip Hoffnung“ gesetzt. Insofern ist den Ausführungen des Landgerichts in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils (Blatt 16 des Umdrucks ab Mitte der Seite f.) zu folgen.

Eine erfolgversprechende Prognose kann nicht auf einen erheblichen Auftragsbestand der Schuldnerin gestützt werden. Dieser allein rechtfertigt die Erwartung der wirtschaftlichen Gesundung der Schuldnerin hinsichtlich des fehlenden Eigenkapitals und der vorhandenen Liquiditätsschwierigkeiten nicht. Die Unternehmensprüferin J… hatte schon in ihrem Abschlussbericht auf den zu geringen Kostendeckungsbeitrag der kalkulierten Preise und die unzureichende Qualität der Leistungen der Schuldnerin hingewiesen. Der erstgenannte Umstand mag der schwierigen Marktlage geschuldet sein. Er minderte indes, wie auch die unzureichende Qualität der ausgeführten Arbeiten, die Chancen einer Erholung der Schuldnerin. Dem Vortrag des Beklagten ist nicht zu entnehmen, dass und wie die Schuldnerin eine Änderung der für sie ungünstigen Preisgestaltung und eine Verbesserung ihrer Leistungen erreichen wollte. Erst recht fehlt Vortrag zu einschlägigen Erfolgen bei der Rückführung der Überschuldung.

Der Beklagte hat geltend gemacht, er habe die Vorschläge der Frau J… zur Verbesserung der Liquidität der Schuldnerin vollständig oder jedenfalls weitgehend umgesetzt. Diese Angabe lässt indes offen, welche Maßnahmen zur Sanierung der Schuldnerin, insbesondere zur Wiederherstellung des Stammkapitals, der Beklagte wann und mit welchem Erfolg ergriffen haben will. Aus dem Jahresabschluss für 2010 wurde jedenfalls schon Mitte 2011, das heißt vor Abschluss der streitigen Kaufverträge der Schuldnerin mit der Klägerin, ersichtlich, dass zumindest eine Zunahme des Eigenkapitals im Verlaufe des Jahres 2010 nicht eingetreten war. Der nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag hatte sich vielmehr um etwa 20.000 € vergrößert. Der Erfolg – allein – der Sanierungsschritte zur Verbesserung der Liquidität war nicht in Gestalt einer Tendenzwende der hinsichtlich der Überschuldung der Schuldnerin, etwa zur Zeit der streitbefangenen Einkäufe der Schuldnerin bei der Klägerin, wahrzunehmen.

Allerdings war dem Beklagten eine gewisse Zeit zur Umsetzung eines Sanierungskonzepts für die Schuldnerin zuzubilligen. Dieser Zeitraum wird zwei Jahre aber nur im Ausnahmefall überschreiten dürfen (OLG KölnBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Köln
, Urteil vom 05.02.2009 – 18 U 171/07 –, Rn. 42). Da hier ein Ausnahmefall nicht dargetan worden ist und der Sanierungsbedarf der Schuldnerin aufgrund des Gutachtens J… seit Mai 2010 bekannt war, wäre dem Beklagten bei Vorliegen eines Sanierungsplans ein Umsetzungszeitraum von nicht mehr als einem Jahr zuzubilligen. Dieser war vor Aufnahme der in Streit stehenden Käufe der Schuldnerin aber bereits verstrichen, zumal für die Zeit nach dem 31.12.2009 von einer Überschuldung der Schuldnerin auszugehen ist.

Voraussetzung für eine Fortführung der überschuldeten Schuldnerin ohne Stellung des an sich gebotenen Insolvenzantrages wäre zudem ein belastbarer Sanierungsplan gewesen, der sich mit den erkannten Schwächen wie auch mit den Entwicklungschancen des von der Schuldnerin geführten Unternehmens auseinandersetzt hätte (Kreft/Kirchhof, InsO, 7.Aufl., § 19, Rn. 10). Daran fehlte es jedoch. Allein das vom Beklagten geltend gemachte Vertrauen auf die erheblichen Auftragsbestände ersetzt die nicht erstellte Fortführungsprognose nicht.

Da der Beklagte so aber verfahren ist, ist ihm der Vorwurf einer zumindest fahrlässigen Insolvenzverschleppung im Sinne des § 15a Abs. 5 InsO zu machen. Für den subjektiven Tatbestand der Insolvenzverschleppung genügt die Erkennbarkeit der InsolvenzreifeBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Erkennbarkeit der Insolvenzreife
Insolvenzreife
für den Geschäftsführer, wobei die Erkennbarkeit vermutet wird (BGH, Urteile vom 14.05.2012 – II ZR 130/10 –, Rn. 11). Diese Vermutung hat der Beklagte nicht widerlegt.

Der Schuldner kann nicht damit gehört werden, er habe in Ansehung der vorstehenden Umstände zumindest nicht schuldhaft gehandelt. Er war als Geschäftsführer der Schuldnerin verpflichtet, die wirtschaftliche Situation einschließlich des etwaigen Eintritts einer Insolvenzreife kontinuierlich zu überwachen und sich zeitnah einen Überblick über die Verhältnisse der Schuldnerin zu schaffen und gegebenenfalls darauf alsbald zu reagieren, unter Umständen durch Stellung eines Antrages auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin (BGH, Versäumnisurteil vom 19.06.2012 – II ZR 243/11 –, Rn. 11).

Der Beklagte sieht sich zu Unrecht schuldlos an der seines Erachtens ohnehin nicht gegebenen Insolvenzverschleppung, weil aus seiner Sicht alle mit der Untersuchung einer eventuell bestehenden Insolvenzreife der Schuldnerin befassten Personen nichts von einer Insolvenzreife bemerkt hätten. Die wegen Zahlungsschwierigkeiten der Schuldnerin im Jahre 2009 auf Wunsch der Hausbank veranlasste Unternehmensbewertung ebenso wie die vierteljährliche Berichterstattung des Steuerberaters der Schuldnerin gegenüber ihm und der Hausbank hätten ihn nicht zu der Erkenntnis geführt, dass und ab wann Insolvenzreife eingetreten sei. Er selbst habe das gleichfalls nicht bemerkt. Alle hätten zwar den nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag wahrgenommen, seien aber von einer positiven Fortführungsprognose ausgegangen.

Dem Beklagten hilft der Verweis auf die Erstellung der vierteljährlichen Kontrollberichte und die Jahresabschlüsse für 2009 und 2010 durch den Steuerberater K… nicht. Es wird nicht dargelegt, dass dieser ausdrücklich mit einer Beratung zum Vorliegen einer Insolvenzreife der Schuldnerin beauftragt wurde. Das Vertrauen darauf, dieser würde im Fall erkannter Insolvenzreife von sich aus einen entsprechenden Hinweis geben, reicht nicht, um ein Verschulden des Beklagten wegen der Heranziehung eines Berufsträgers zur Prüfung der Insolvenzreife zu verneinen. Vielmehr hatte er in Wahrnehmung seiner Verantwortung als Geschäftsführer der Schuldnerin die Insolvenzreife der Schuldnerin entweder laufend selbst zu überprüfen oder einen darauf gerichteten Auftrag an eine hinreichend kundige Person (z. Bsp. Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer) zu erteilen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund einer angespannten wirtschaftlichen Lage der Schuldnerin bereits ab 2008/2009. Diese war dem Beklagten auch bekannt. Im Übrigen wurde der Beklagte durch das Verlangen der Hausbank der Schuldnerin nach Erstellung des Gutachtens J… und der Kontrollberichte des Steuerberaters K… auf die schwierige Situation der Schuldnerin verwiesen. Der Beklagte kann insofern auch nicht zu seiner Entlastung auf eine ausbleibende einschlägige Reaktion der Hausbank verweisen.

Im Ergebnis der vorstehenden Ausführungen ist auf die Erstellung von Überschuldungsbilanzen für die Geschäftsjahre 2010 und 2011 aufgrund der von der Klägerin vorgelegten Jahresabschlüsse für 2009 und 2010 zu verzichten. Die Schuldnerin hat in dem durch sie selbst dokumentierten Zeitraum zunehmend einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag generiert. Dass sich diese Entwicklung in den ersten acht Monaten des Jahres 2011 geändert und gar umgekehrt haben sollte, ist weder vorgetragen noch wahrscheinlich. Letzteres gilt umso mehr, als bereits im Januar 2012 die Stellung eines Insolvenzantrages notwendig wurde.

Somit hängt die Feststellung einer Überschuldung im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit dem Neugläubiger nicht zwingend davon ab, dass für diesen konkreten (unterjährigen) Zeitpunkt aufgrund der noch verfügbaren Geschäftsunterlagen eine Überschuldungsbilanz aufgestellt werden kann. Ist die Insolvenzreife für einen früheren Zeitpunkt bewiesen, so gilt der Nachweis der im Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses noch andauernden Verletzung der Insolvenzantragspflicht (Dauerdelikt) jedenfalls bei relativ zeitnah erteilten Aufträgen als geführt, sofern der beklagte Geschäftsführer nicht seinerseits darlegt, dass im Zeitpunkt der Auftragserteilung die Überschuldung nachhaltig beseitigt und damit die Antragspflicht – wieder – entfallen war (BGH, Versäumnisurteil vom 12.03.2007 – II ZR 315/05 –, Rn. 15). Dieser zeitliche Zusammenhang ist im Streitfall gewahrt. Der Zeitraum zwischen dem 31.12.2010, zu dem nach dem vorgelegten Jahresabschluss für 2010 ohne Annahme einer positiven Fortführungsprognose eine Überschuldung vorlag, und den nachfolgenden, der Klageforderung zugrunde gelegten Geschäftsabschlüssen beträgt lediglich acht bis zwölf Monate (BGH a. a. O.).

Soweit der Beklagte mit der Berufung geltend macht, eine Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin sei nicht dargelegt worden, kann dies dahinstehen. Im vorliegenden Falle ergibt sich die vom Beklagten in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der Schuldnerin zu vertretende Insolvenzreife der Schuldnerin aus der seit Ende 2009 eingetretenen Überschuldung.

Der Einwand der Berufung, das Landgericht habe die dem Beklagten zustehende Frist von drei Wochen unberücksichtigt gelassen, ist unerheblich. Die Frist von drei Wochen nach § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO läuft ab dem Zeitpunkt der Überschuldung, die – wie vorstehend ausgeführt – bereits jedenfalls am 01.01.2010 eingetreten war.

Der Einwand der Berufung, der Kaufvertrag vom September 2011 falle nicht in die Dreimonatsfrist vor Insolvenzantragsstellung, ist ebenso unbehelflich, da die Klägerin einen Schadensersatzanspruch nach §§ 43 Abs. 3 und 4, 64 Abs. 1 GmbHG, nicht aber einen insolvenzrechtlichen Rückgewähranspruch verfolgt.

2. Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch der Klägerin aus einer dem Beklagten vorwerfbaren Insolvenzverschleppung der Schuldnerin ist gleichwohl nicht in vollem Umfang von 77.536,63 € sondern lediglich in Höhe von 65.156,83 € begründet.

Die Klägerin hat allerdings entgegen der Wahrnehmung der Berufung einen Neugläubigerschaden schlüssig vorgetragen. Mit den vorstehenden Ausführungen ist von einer Überschuldung der Schuldnerin ab Ende des Jahres 2009 und mithin im maßgeblichen Zeitraum, also den letzten vier Monaten des Jahres 2011 und dem Januar 2012 anzunehmen. Der Klägerin ist aus den streitbefangenen Materialkäufen und entsprechenden Lieferungen an die Schuldnerin infolge der Insolvenzverschleppung der Schuldnerin ein Schaden als Neugläubigerin entstanden. Die Klägerin kann daher den vollen ihr aus der Insolvenz der Schuldnerin entstandenen Schaden gegen den Beklagten geltend machen.

Die Klägerin hat jedoch zu Unrecht bezüglich der verfolgten Einzelforderungen die enthaltene Umsatzsteuer beansprucht. Diese steht ihr nicht zu, da sie deliktsrechtliche Schadensersatzansprüche geltend macht. Diese sind trotz der jeweils vorausgegangenen Warenlieferungen an die Schuldnerin keine Umsatzgeschäfte im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG, sodass auf sie keine Umsatzsteuer anfällt.

Der verbleibende Schadensersatzanspruch steht der Klägerin aber in vollem Umfang zu.

Hinsichtlich des verbleibenden Nettobetrages der Kaufpreissumme ist zum Umfang des im Falle der Insolvenzverschleppung zu ersetzenden Schadens grundsätzlich zwischen dem vergeblichen Aufwand des Gläubigers und seinem Gewinn zu unterscheiden, da es sich um einen deliktischen Schadensersatzanspruch, der ausschließlich auf den Ausgleich des Vertrauensinteresses, nicht aber des Erfüllungsinteresses gerichtet ist (BGH, Urteil vom 14.05.2012 – II ZR 130/10 –, Rn. 14), handelt.

Ein Anspruch auf Ersatz entgangenen Gewinns (§ 252 BGB) kann einem Neugläubiger indessen dann zustehen, wenn ihm wegen des Vertragsschlusses mit der insolventen Gesellschaft ein Gewinn entgangen ist, den er ohne diesen anderweitig hätte erzielen können (BGH, Urteil vom 05.02.2007 – II ZR 234/05 –, Rn. 21). Eine solche Konstellation liegt dann vor, wenn der Klägerin wegen der Lieferungen an die Insolvenzreife Schuldnerin ein in gleicher Höhe gewinnbringender Verkauf derartiger Baustoffe an dritte Interessenten nicht möglich war. Es bleibt in diesem Fall zwar bei einem Vertrauensschaden, der im Einzelfall aber dem nicht ersatzfähigen positiven Interesse entsprechen kann (BGH, Urteil vom 22.09.2005 – VII ZR 34/04 –, Rn. 35). Dies ist hier anzunehmen, weil die Baustoffe, die die Klägerin herstellt und verkauft, marktgängige Waren sind. Wurde der Verkäufer marktgängiger Ware über die Zahlungswilligkeit oder die Zahlungsunfähigkeit des Käufers getäuscht, wird zu Gunsten des Verkäufers vermutet, dass der Kaufpreis ohne die Täuschung dem Verkäufer über ein Geschäft mit einem Dritten zugeflossen wäre (BGH, Urteil vom 15.11.2011 – VI ZR 4/11 – Rn. 11).

Soweit der Beklagte die Marktgängigkeit der streitbefangenen Ware mit Nichtwissen bestreitet, ist sein Bestreiten unerheblich. Die Klägerin hat die entsprechende Ware durch Kopien der Rechnungen, die sie der Klageschrift beifügte, kenntlich gemacht. Es oblag daher dem sachkundigen Beklagten, ihr Bestreiten durch Vortrag dazu zu untersetzen, inwieweit die von der Klägerin an die Schuldnerin verkauften Materialien keine marktgängige Ware waren und die Schuldnerin in Ausführung ihrer Werkaufträge bei der Klägerin in den streitigen Fällen auf Ware zurückgriff, die speziell für ihre Zwecke hergestellt worden war oder für die lediglich eine beschränkte Nachfrage bestand.

3. Die Klägerin hat ihre Behauptung, die ihr von Seiten des E… D… im Rahmen der Abtretung der Forderungen durch die Schuldnerin an sie vom 31.08.2011 zugeflossenen 90.000 € seien nicht zur Tilgung der hier streitigen Verbindlichkeiten der Schuldnerin gegenüber bestimmt gewesen, eine Erfüllung der streitbefangenen Forderungen dadurch also nicht eingetreten, beweisen können.

Die zu der Behauptung der Verrechnung der Zahlungseingänge auf andere Außenstände der Schuldnerin bei der Klägerin benannte Zeugin I… C… hat mit ihrer Aussage vor dem Senat am 16.11.2016 bekundet, die ihr vorgehaltenen Zahlungseingänge vom E… D… seien auf die von der Klägerin angegebenen anderweitigen Verbindlichkeiten der Schuldnerin gemäß jeweiliger Abrede zwischen ihr und der Schuldnerin verrechnet worden.

Die zunächst mündlichen Verrechnungsabsprachen seien regelmäßig so erfolgt, dass sie bei der Mitarbeiterin des Beklagten, einer Frau B… oder Frau D…, angerufen habe, um dort die Zahlungseingänge aus der Abtretung zu melden. Sie habe dann Verrechnungsvorschläge gemacht. Die Mitarbeiterin habe aber nie selber entscheiden können. Sie habe sich erst mit dem Beklagten darüber unterhalten und seine Entscheidung eingeholt. Das habe eine gewisse Zeit gedauert. Sie habe dann einen entsprechenden Rückruf bekommen, manchmal noch am selben Tag, manchmal erst später. Bei dem Rückruf sei dann das Einverständnis mit der vorgeschlagenen Verrechnung mitgeteilt worden.

Mit der Zeugin wurde die Auflistung im Schriftsatz der Klägerin vom 15.12.2015, Seite 5 (Blatt 1266 der Akten), durchgesehen. Die Zeugin verglich die Angaben mit einer von ihr mitgebrachten Rechnungsliste. Sie erklärte dazu, die abgebildete Verrechnung entspreche ihren Unterlagen aus der damaligen Zeit.

Die Zeugin gab an, sie könne sich an den Vorgang F… noch recht gut erinnern. Es habe sich um den ersten großen Forderungsausfall gehandelt, der in ihrem Arbeitsbereich bei der Klägerin zu verzeichnen war.

Im Ergebnis hat die Zeugin mithin den Vortrag der Klägerin bestätigt. Die Zeugin machte einen fachlich kompetenten und redlichen Eindruck. Wenngleich sie anhaltend bei der Klägerin als Mitarbeiterin beschäftigt ist und deshalb eine mögliche Identifikation mit den Interessen der Klägerin zu berücksichtigen ist, hat der Senat an ihrer Glaubwürdigkeit keinen Zweifel. Der von der Klägerin zu führende Beweis ist mithin erbracht.

Die Klägerin hat damit zugleich bewiesen, dass die Abtretung vom 31.08.2011 nicht an Erfüllung statt erfolgte.

Bei der Bestimmung der der Klägerin somit im Ergebnis der vorstehenden rechtlichen Erwägungen und der Beweisaufnahme zuzuerkennenden Klageforderung von 65.156,83 € ist die Forderung der Schuldnerin gegen die Klägerin in Höhe von 34.953,52 € nicht zu Gunsten des Beklagten zu berücksichtigen, weil er nicht Inhaber dieser Forderung ist. Auf die einschlägigen Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils (Blatt 23, 24 des Umdrucks) wird Bezug genommen.

4. Der auf die Hauptforderung in ausgeurteilter Höhe geltend gemachte Zinsanspruch beruht auf §§ 246, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1, 849 BGB.

Für den Zeitraum vom 27.01.2012 bis zum 18.06.2013 stehen der Klägerin keine Verzugszinsen, sondern lediglich Zinsen aus deliktischer Haftung in gesetzlicher Höhe zu.

Der Anspruch auf Verzugszinsen ist mit der Klageschrift schlüssig ab dem 19.06.2013 vorgetragen. Mit Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 10.06.2013 wurde der Beklagte unter Fristsetzung zum 18.06.2013 aufgefordert, die streitgegenständliche Summe zu zahlen.

Der weitergehende Antrag auf Verzugszinsen ist daher unter Abänderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.

5. Der Klägerin steht auch ein Ersatz der ihr für die Durchsetzung der streitigen Forderung entstandenen Kosten zu. Insofern mag ein Verzug des Beklagten dahinstehen, da die tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Verfolgung der streitigen Ansprüche die sofortige Inanspruchnahme anwaltlicher Leistungen rechtfertigte. Aus denselben Gründen ist auch die von Seiten ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten abgerechnete 1,5- Geschäftsgebühr nicht zu beanstanden. Der insoweit geltend gemachte Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.

6. Die Anschlussberufung der Klägerin ist nicht begründet.

Die Klägerin hält die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung der eingeklagten Forderung nebst Zinsen Zug um Zug gegen die Abtretung der entsprechenden zur Insolvenztabelle angemeldeten Hauptforderung für verfehlt. Diese Beschränkung der Stattgabe ihrer Klage folge aus dem schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbot, dem der BGH mit der vom Landgericht herangezogenen Entscheidung Rechnung getragen habe. Diesem Verbot sei im vorliegenden Fall nicht zu entsprechen, weil der Insolvenzverwalter bereits am 12.03.2012 Masseunzulänglichkeit angezeigt habe und diese anhalte. Das Bereicherungsverbot finde deshalb keine Anwendung, da die Forderung der Klägerin als Insolvenzgläubigerin wertlos sei.

Dieser Rechtsauffassung der Klägerin ist nicht zu folgen.

Auch wenn die Insolvenzforderung gegenwärtig aufgrund der Masseunzulänglichkeit tatsächlich wertlos ist, so ist eine Änderung der anfänglichen und gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage der Masse indes zumindest grundsätzlich nicht auszuschließen. Deshalb ist selbst bei Masseunzulänglichkeit ein abstraktes Interesse des schadensersatzpflichtigen Geschäftsführers der Schuldnerin an einer Zug um Zug zur Erfüllung der Schadensersatzforderung vorzunehmenden Abtretung der korrespondierenden Insolvenzforderung der klagenden Partei zu unterstellen und gemäß der vom Landgericht zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung zu verfahren.

Tatsächlich besorgt vermutlich aber auch die Klägerin, dass ihre weitere Beteiligung am Insolvenzverfahren der hiesigen Schuldnerin nicht ganz ohne Ergebnis bleiben könnte. Anderenfalls ist ihre Anschlussberufung wenig nachvollziehbar. Deshalb ist unter Geltung des von ihr selbst angeführten schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbots nicht einzusehen, warum ihr diese Beteiligung am Insolvenzerlös verbleiben sollte, wenn der Beklagte sie gemäß der Verurteilung in diesem Rechtsstreit schadlos stellt.

7. Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10. 711 ZPO.

Die Kostenquote für das Verfahren in erster und zweiter Instanz ergibt sich aus dem beschränkten Obsiegen der Klägerin.

Die Beanstandung des der vom Landgericht seiner Kostenquote zugrunde gelegten Wertes der Zug um Zug abzutretenden Insolvenzforderung steht der nunmehr erkannten Quotierung nicht entgegen. Die Behauptung der Berufung, der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin habe zu Unrecht den von ihm ermittelten Forderungsbestand der Schuldnerin von 122.537 € lediglich mit zehn Prozent seines Wertes in Ansatz gebracht und so fälschlich Masseunzulänglichkeit angezeigt, ist unerheblich. Der Verwalter hat auf Seite 28 seines Gutachtens vom 12.03.2012 (Blatt 295 der Akten) ausgeführt, welche Umstände ihn zu der vorgenommenen Abwertung veranlasst haben. Mit dieser Begründung setzt sich die Berufung nicht auseinander. Der Verweis auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens ersetzt den gebotenen Sachvortrag nicht. Zudem kommt die Einholung eines Sachverständigengutachtens im Rahmen der Bestimmung des Gebührenstreitwerts nicht in Betracht.

Anlass zur Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO besteht nicht.

Die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren erfolgt gemäß §§ 47 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG nach Maßgabe der obigen Ausführungen zur Höhe des Streitwerts.

Schlagworte: Abgrenzung Altgläubiger - Neugläubiger, GmbHG § 64 Satz 1, Haftung wegen Insolvenzverschleppung gemäß § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO, Neugläubiger, Neugläubigerschaden, positive Fortführungsprognose, Überschuldung, Zahlungen nach Insolvenzreife § 64 Satz 1 GmbHG