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BVerfG, Beschluss vom 16.05.2012 − 1 BvR 96/09, 1 BvR 117/09, 1 BvR 118/09, 1 BvR 128/09

GG Art. 14; WpÜG

1. Art. 14 I GG schützt das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum, das im Rahmen seiner gesellschaftsrechtlichen Ausgestaltung durch Privatnützigkeit und Verfügungsbefugnis gekennzeichnet ist und sowohl die mitgliedschaftliche Stellung des Aktionärs in der Gesellschaft als auch vermögensrechtliche Ansprüche vermittelt (vgl. BVerfGE 14, 263 [276] = NJW 1962, 1667; BVerfGE 25, 371 [407] = NJW 1969, 1203; BVerfGE 50, 290 [339] = NJW 1979, 699; BVerfGE 100, 289 [301 f.] = NZG 1999, 931 = NJW 1999, 3769). Verliert der Minderheitsaktionär diese mitgliedschaftliche Stellung oder wird er hierin durch eine Strukturmaßnahme in relevantem Maße eingeschränkt, muss er für den Verlust seiner Rechtsposition und die Beeinträchtigung seiner vermögensrechtlichen Stellung im Prinzip „wirtschaftlich voll entschädigt“ werden. Dabei hat die Entschädigung den „wirklichen“ oder „wahren“ Wert des Anteilseigentums widerzuspiegeln (vgl. BVerfGE 100, 289 [304, 306] = NZG 1999, 931 = NJW 1999, 3769; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats, NZG 2011, 869 = NJW 2011, 2497 Rdnr. 21).

2. Das Grundgesetz schreibt keine bestimmte Methode zur Ermittlung des Werts der Unternehmensbeteiligung der Minderheitsaktionäre vor. Bei der Ermittlung des „wahren Werts“ der Beteiligung handelt es sich in erster Linie um eine Frage, die auf der Ebene des einfachen Rechts zu beantworten ist. Aus verfassungsrechtlicher Sicht muss die gewählte Methode nur den vollen Ausgleich für den von den Minderheitsaktionären hinzunehmenden Verlust sicherstellen, der jedenfalls nicht unter dem Verkehrswert liegen darf (vgl. BVerfGE 100, 289 [305] = NZG 1999, 931 = NJW 1999, 3769). Zur Berechnung des den auszuschließenden Aktionären zustehenden vollen Ausgleichs ist es jedoch von Verfassungs wegen nicht geboten, den Wert der Beteiligung des Aktionärs stets durch eine Unternehmensbewertung beispielsweise anhand der Ertragswertmethode festzustellen (vgl. BVerfG – 2. Kammer des Ersten Senats –, NJW 2007, 3266 [3268]). Genauso wenig haben Minderheitsaktionäre einen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf, dass zur Bestimmung des „wahren“ Wertes der Unternehmensbeteiligung stets jede denkbare Methode der Unternehmensbewertung heranzuziehen und die Abfindung nach dem Meistbegünstigungsprinzip zu berechnen wäre (vgl. BVerfGBeschluss der 3. Kammer des Ersten Senats −, NZG 2011, 869 = NJW 2011, 2497 Rdnrn. 23 f.) Verfassungsrechtlich geboten sind nur die Auswahl einer im gegebenen Fall geeigneten, aussagekräftigen Methode und die gerichtliche Überprüfbarkeit ihrer Anwendung.

3. Wegen der Bedeutung der das Aktieneigentum prägenden Eigenschaft der besonderen Verkehrsfähigkeit der Aktie gebietet Art. 14 I GG zum Schutz der Minderheitsaktionäre, dass sie bei einem Ausschluss jedenfalls nicht weniger erhalten dürfen, als sie bei einer freien Deinvestitionsentscheidung erhalten hätten (vgl. BVerfG − 3. Kammer des Ersten Senats −, NZG 2011, 869 = NJW 2011, 2497 Rdnr. 21 m. w. N.).

4. Die nach den Vorgaben der §§ 39a, 39b WpÜG i. V.m. § 31 WpÜG, §§ 3 – 6 WpÜG-AngebotsVO ermittelte und überprüfbare Abfindung genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Die eine hohe Akzeptanz durch den betroffenen Markt voraussetzende, zusätzlich mindestens den Börsenkurs garantierende und bei Fehlen eines funktionierenden Marktes auf eine Unternehmensbewertung abstellende Regelung in § 39a III 2 WpÜG sichert dem Aktionär eine angemessene Abfindung, die dem Verkehrswert der Aktie entspricht. Dies genügt dem aus Art. 14 I GG folgenden Gebot, dass die grundrechtlich geschützte Aktionärsstellung verfahrensrechtlich abgesichert und eine Abfindungs- und Ausgleichsregelung überprüfbar sein muss (vgl. BVerfGE 100, 289 [304] = NZG 1999, 931 = NJW 1999, 3769).

5. Mit dem so ermittelten Ausgleich ist es den Aktionären in aller Regel möglich, eine alternative Kapitalanlage in einem Unternehmen gleicher oder ähnlicher Ausrichtung zu finden. Die rechtliche Bewertung ändert sich nicht dadurch, dass die Gesellschaft, aus der der Minderheitsaktionär gedrängt wird, eine besonders gute Rentabilität verspricht. Bloße, in dem aktuellen Wert des konkreten Eigentums noch nicht abgebildete Gewinnerwartungen und in der Zukunft liegende Verdienstmöglichkeiten sowie Chancen und Gegebenheiten, innerhalb derer ein Unternehmen seine Tätigkeit entfaltet, liegen grundsätzlich außerhalb des Schutzbereichs der Eigentumsgarantie (vgl. nur BVerfGE 45, 142 [173] = NJW 1977, 2024; BVerfGE 68, 193 [222]; BVerfGE 76, 84 = NJW 1988, 1195); dies gilt auch für das Aktieneigentum (BVerfG − 1. Kammer des Ersten Senats −, NJW 2001, 279 [280]).

Schlagworte: Abfindung, Aktienrecht, Bewertungsmethoden, Minderheitenschutz, Minderheitsgesellschafter, Unternehmensbewertung