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BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07.09.2011 – 1 BvR 1460/10

GG Art. 14; AktG §§ 76, 119, 179a, 311 ff.

1. Das Grundrecht auf Eigentum (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) gewährleistet das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum, das im Rahmen seiner gesellschaftsrechtlichen Ausgestaltung durch Privatnützigkeit und Verfügungsbefugnis gekennzeichnet ist (vgl. BVerfGE 25, 371 <407>; 50, 290 <339>; 100, 289 <301>). Der Schutz erstreckt sich auf die mitgliedschaftliche Stellung in einer Aktiengesellschaft, die das Aktieneigentum vermittelt. Aus dieser Stellung erwachsen dem Aktionär im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Gesellschaftssatzung sowohl Leitungsbefugnisse als auch vermögensrechtliche Ansprüche (vgl. BVerfGE 14, 263 <276>; 100, 289 <301 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. September 2007 – 1 BvR 2984/06 -, WM 2007, S. 2199 <2200>).

2. Die durch die Aktie vermittelten Leitungsbefugnisse des Aktionärs betreffen nach der gesetzlichen Kompetenzverteilung nicht die Geschäftsführung. Die Geschäftsführung weist das Gesetz in § 76 Abs. 1 AktG ausschließlich dem Vorstand einer Aktiengesellschaft zu; gemäß § 119 Abs. 2 AktG ist die Befassung der Hauptversammlung mit Geschäftsführungsmaßnahmen nur auf Verlangen des Vorstands vorgesehen. In fachrichterlicher Rechtsfortbildung ist die Hauptversammlungszuständigkeit dahin erweitert worden, dass der Vorstand verpflichtet sein kann, bei schwerwiegenden Eingriffen in die Rechte und Interessen der Aktionäre eine Entscheidung der Hauptversammlung herbeizuführen (vgl. BGHZ 83, 122 <131 f.> – „Holzmüller“). In Anerkennung der gesetzlichen Kompetenzverteilung nimmt die fachgerichtliche Rechtsprechung bei einer von dem Vorstand in Aussicht genommenen Umstrukturierung der Gesellschaft eine die Hauptversammlungsbefassung gebietende wesentliche Beeinträchtigung der Mitwirkungsbefugnisse der Aktionäre aber erst dann an, wenn die wirtschaftliche Bedeutung der Maßnahme an die Kernkompetenz der Hauptversammlung rührt, über die Verfassung der Aktiengesellschaft zu bestimmen (vgl. BGHZ 159, 30 <44 f.> – „Gelatine I“; BGH, Beschluss vom 20. November 2006 – II ZR 226/05 -, juris).

3. Es ist von Verfassungs wegen im Lichte des Art. 14 Abs. 1 GG nicht geboten, zum Schutz von Minderheitsaktionären einfachrechtlich eine ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz – unabhängig von der wirtschaftlichen Bedeutung der Maßnahme – stets schon dann anzunehmen, wenn ein Unternehmensteil veräußert wird. Die von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte mitgliedschaftliche Komponente des Aktieneigentums wird durch die Veräußerung eines Unternehmensteils in der Regel nicht berührt, da eine Verkürzung der mitgliedschaftlichen Aktionärsrechte grundsätzlich nicht stattfindet. Ein etwa nachteiliger Einfluss auf die vermögensrechtliche Beteiligung an der Gesellschaft soll nach der gesetzgeberischen Wertung durch das Ausgleichssystem der §§ 311 ff. AktG entschädigt werden. Dieses System des Einzelausgleichs genügt grundsätzlich den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Der Gesetzgeber hat seiner Pflicht zum Schutz der Aktionärsrechte mit der Möglichkeit einer Schadensersatzklage gegen das herrschende Unternehmen genügt. Neben einem Schadensersatzanspruch der beherrschten Gesellschaft, den der einzelne Aktionär zu ihren Gunsten verfolgen kann, statuiert § 317 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 i.V.m. § 309 Abs. 4 AktG einen jedem einzelnen Aktionär zustehenden Schadensersatzanspruch gegen das herrschende Unternehmen.

Schlagworte: Aktienrecht, angemessener Ausgleich, Geschäftsführungsbefugnis, Geschäftsführungsmaßnahme, Gesellschaftsvertrag, Hauptversammlung, Kompetenzen, Minderheitsschutz, Umstrukturierung, Vorstand